Zum
Thema „EU“ konnotiert jeder den Begriff „Bürokratie“.
Als
nächstes fällt einem das Gurkenkrümmungsgesetz ein.
Irre
EU-Bürokraten, die überbezahlt rumsitzen und sich Dinge ausdenken, um den
Bürgern das Leben zu erschweren.
Daß es
so ein Antigurkenkrümmungsgesetz gar nicht gibt, stört die Europafeinde nicht.
Schon
vor sieben Jahren setzte die EU-Kommission eine entsprechende Handelsrichtlinie
außer Kraft - gegen den erbitterten Widerstand einer Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten,
die wiederum von Handelslobby und Bauernverbänden angetrieben wurden.
Es ist
das typische Beispiel für eine Hoax-Geschichte, bei der Brüsseler Bürokraten
für etwas Prügel beziehen, das nationale Regierung durchprügeln wollen. Das
Richtige tat in diesem Fall die EU-Kommission.
Rechtsradikale,
Nationalisten, AfDler, Berufsnörgler und Brexitianer sind offenbar sehr
erfolgreich mit ihrer verlogenen Propaganda.
Es ist mir
nach wie vor völlig unverständlich wieso EU-Institutionen und Europafreunde in
den Mitgliedsstaaten diese zerstörerische PR klaglos hinnehmen.
Wieso
gibt es keine großangelegten Werbekampagnen, die jedem EU-Bürger eine detaillierte
Liste von durch EU-Mitgliedschaft bewirkten Verbrauchervorteilen vorlegt?
Brüssel
befreite die EU-Bürger von Abzocke bei Roaming-Gebühren, sorgte für
einheitliche Klugtelefonaufladekabel. Die Liste des nur durch die EU mögliche
gewordenen Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz ist lang.
Durch einen
europaweiten Freihandel bekommen Europäer die Möglichkeit der
Arbeitnehmerfreizügigkeit. Neben der Niederlassungsfreiheit ist es so möglich,
in einem anderen EU-Staat eine Arbeit unter denselben Bedingungen wie heimische
Arbeitnehmer aufnehmen zu können.
Bezahlter Mindesturlaub: Durch die EU kamen
zusätzliche Neuerungen im Arbeitsrecht, wie etwa die Bestimmung, dass
Arbeitnehmern eine gerechte Anzahl an bezahlten Urlaubstagen zusteht. Auch Arbeitnehmer,
die im Urlaub erkranken, können sich krankschreiben lassen und ihren Resturlaub
nachholen.
Mutterschutz: Auch der
Mutterschutz ist heute eine Selbstverständlichkeit für EU-Bürger. Müttern
stehen grundsätzlich 14 Wochen Mutterschutz zu, spätestens ab zwei Wochen vor
der Geburt.
Elternzeit:
Frischgebackenen Eltern steht Zeit zu, die sie ihrem Nachwuchs widmen können.
In der Elternzeit darf der Arbeitnehmer ihnen nicht kündigen und Eltern
erhalten Geld vom Staat, das die Gehaltseinbußen kompensieren soll.
Begrenzung der
Arbeitszeit: Die Höchstarbeitszeit in der Staatengemeinschaft ist begrenzt auf
durchschnittlich 48 Stunden pro Woche und maximal 13 Stunden am Tag.
Gleichstellung aller
Menschen: Kein Arbeitnehmer in der Europäischen Union darf aufgrund von
Geschlecht, Hautfarbe, Glauben oder Herkunft abgelehnt werden.
Gesundheitsschutz am
Arbeitsplatz: Allein in Großbritannien sank 1996 die Sterblichkeitsrate in
gefährlichen Berufen um 50 Prozent durch Einführung von
Arbeitsschutzrichtlinien. Durch zahlreiche Verordnungen wurden Berufe, die mit
chemischen Stoffen oder gefährlichen Maschinen zu tun haben, sicherer gemacht.
Das Rückgaberecht
bringt Verbrauchern in der EU die Möglichkeit, fehlerhafte Waren umzutauschen
oder zurückzugeben. Im Online-Handel erleichterten die Richtlinien der EU die
Rückgabe ohne Angabe von Gründen.
Auch Haustürgeschäfte,
die einstmals richtig teuer und lästig waren, wurden von der Europäischen Union
unterbunden. Durch die Verbesserung von Kreditrichtlinien sollen die Rechte bei
Verbraucherkrediten weiter gestärkt werden.
Allergiker in der EU
können beim Einkaufen allergene Inhaltsstoffe auf dem Etikett erkennen. Durch
die Kennzeichnungspflicht müssen Stoffe, wie beispielsweise Nüsse, sichtbar
gemacht werden.
Die
übergeordneten Vorteile – Frieden, Reisefreiheit, Niederlassungsfreiheit,
Stabilität – scheinen ja ohnehin in Vergessenheit geraten zu sein.
Es
existiert eine Art reziprokes Subsidiaritätsprinzip: Politiker neigen dazu alle
Erfolge für sich zu reklamieren und Pleiten auf die nächsthöhere Ebene zu
schieben. Der Kommunalpolitiker gibt dem Bundesland die Schuld, die
Ministerpräsidenten schimpfen auf den Bund und Minister, insbesondere
diejenigen der Unionsparteien schieben umgehend den Schwarzen Peter an Brüssel
weiter.
Obwohl
sie selber auch Brüssel sind.
Für den
eigenen kurzfristigen demoskopischen Vorteil nimmt man den viel größeren langfristigen
Schaden hin, indem man das europäische System schädigt.
Diese unverantwortliche Form des Handelns zeigen Johnson und
Cameron gerade in Reinkultur.
Verantwortliches
Regierungshandeln müßte sich gegen solche Methoden stemmen, Leidenschaft für
Europa entwickeln, unermüdlich die großen Vorteile aufzählen und rechtspopulistische
Eurofeindlichkeit scharf anprangern.
Merkel
tut all das nicht. Sie ließ die Krise der EU elf Jahre stoisch geschehen.
Das
zeigte sich überdeutlich am Morgen nach dem Brexit.
Während
quer durch alle Parteien die deutschen Vertreter in Brüssel Energie und Verve
aufbrachten, London scharf kritisierten und ein förmliches Austrittsgesuch bis
Dienstag verlangten, kam von Merkel wieder nur laue Beschwichtigung. Man dürfe
nichts übereilen, müsse abwägen.
Nach dem
britischen Aus sind nun mehr denn je Deutschland und Frankreich die beiden Führungsmächte
der EU, müßten nun an einem Strang ziehen.
Aber
noch nicht mal das bekommt Merkel hin und legt mit ihrem Statement einen
bizarren Widerpart zu Hollandes Statement hin.
Der französische
Präsident hatte EU-Leidenschaft gezeigt.
Der Élysée
wies auf den hohen Preis hin, der für ein Ausscheiden aus der EU zu zahlen sei,
verlangte außerdem Großbritannien möge nun „so bald wie möglich“ das Austrittsverfahren
einleiten.
Das
Berliner Kanzleramt war also offensichtlich noch nicht mal in der Lage sich mit
Paris abzusprechen. Erbärmlich.
Merkel
entwickelt aber nicht nur keine Leidenschaft für Europa, blamiert sich durch
elfjährige Untätigkeit (Beispiel Einwanderungsgesetz) und verschläft proeuropäische
Kampagnen.
Die größte
Schuld lud sie durch falsche und asoziale Politik auf sich, die den ärmeren und
ungebildeten Menschen überall in Europa das Gefühl geben mußte, sie kämen zu
kurz, nur Industrie und Banken profitierten von Europa.
Genau diese
Befürchtungen in irgendeiner Weise abgehängt zu sein, brachten die älteren
Engländer und Waliser dazu den rechten Einflüsterungen Farages und Johnsons
zu folgen.
[…]
Die Europäische Union hat seit langem mit
zahlreichen Fehlern das historische Projekt eines gemeinsamen und friedlichen
Europas beschädigt und damit indirekt die anti-europäische Stimmung angeheizt
oder EU-Gegnern sogar geholfen.
Die Liste der
Verfehlungen ist lang. Seit viel zu vielen Jahren verspricht die neoliberale
Wirtschaftspolitik allen eine Lebensperspektive, wenn sie sich anstrengen. Die
hohe Arbeitslosigkeit vor allem in den südlichen EU-Staaten wie Spanien
widerlegt dieses angeblich allein selig machende Konzept. In der Bankenkrise
haben Vertreter der EU viel Geld ausgegeben, um die angeschlagenen und
systemrelevanten Geldhäuser zu retten. Dieselben Politiker – allen voran Kanzlerin
Angela Merkel – knauserten dann, als Griechenland strauchelte. Statt mit einem
Art Marshallplan die kriselnde Ökonomie auf Trab zu bringen, zwangen sie Athen
zum Sparen. Die Austeritätspolitik hat die Krise aber nicht beendet, sondern
verschärft.
All das nährte den
Unmut gegen die EU, die in den Augen vieler lediglich den Konzernen und nicht
den Menschen nutzt. Von diesem Stimmungswandel profitieren fast ausschließlich
die EU-Skeptiker und -Gegner mit ihren rückwärtsgewandten und nationalistischen
Vorstellungen.
[Um
das zu ändern:] dürfen künftig
beispielsweise so wichtige Gespräche wie über das Freihandelsabkommen TTIP
nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinden. Wenn das auch noch mit dem
Hinweis gerechtfertigt wird, die Verantwortlichen wollten doch nur die Regeln
in Ruhe aushandeln, dann dürfen sich die Politiker nicht wundern, wenn viele es
so verstehen wie es gemeint ist: Das geht euch nichts an. Brüssel und die
Mächtigen in den anderen Hauptstädten müssen vielmehr über Mittel und Wege
nachdenken, um die Bürger mehr zu beteiligen.
[…]
Deutschland vergibt diesbezüglich derzeit
eine große Chance: […][…] (Andreas Schwarzkopf, FR, 24.06.2016)
Wie
eigentlich immer, wenn sich einer der alten FDP-Kämpen zu Wort meldet, kam
großer Unsinn aus Kubickis Mund, als er Merkel wegen des Brexits angriff.
Hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Teilschuld
am Brexit? Dieser Meinung ist zumindest der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang
Kubicki. "Es ist ein Tag des europapolitischen Scheiterns der
Bundeskanzlerin. Hätte Angela Merkel nur halb so viel Energie dafür verwandt,
in Großbritannien für den Verbleib in der EU zu werben, als sie für die
Besänftigung Erdogans in Ankara gebraucht hat, wäre zumindest die Chance größer
gewesen, Großbritannien in der EU zu halten.“
(MoPo 24.06.16)
Nein,
Merkel ist zu Recht unbeliebt in England und hätte eher das Gegenteil erreicht,
wenn sie sich Kubicki folgend direkt in das britische Referendum eingemischt
hätte.
Aber sie
ist elf Jahre Kanzlerin und hätte den Austeritätswahnsinn, den damit
verbundenen Verlust des Solidaritätsgedankens und das katastrophale Versagen
der EU in der Asylpolitik nicht zulassen dürfen.
Nun,
endlich, müssen sich die nationalen EU-Regierungen in Wallung begeben und handeln.
Allen voran Deutschland als größter Staat.
Kanzlerin
Angela Merkel.
CDU und CSU gerieren sich gerne als Parteien der staatspolitischen Vernunft. Doch was sie an diesem Wochenende gezeigt haben, muss sogar treue Anhänger der Union an diesem Selbstbild zweifeln lassen. Da kommt am Freitag die Nachricht, dass die Briten für den Brexit gestimmt haben - mit enormen Folgen für die EU und Deutschland. Und was macht die Spitze der Union? Sie fährt, als ob nichts gewesen wäre, zu einer zweitägigen Familientherapie nach Brandenburg. Hat die Kanzlerin in so einer Krise nichts Besseres zu tun? Doch Angela Merkel und die anderen Unionsgranden ließen den Brexit-Tag lieber bei einem Grillabend am Seeufer ausklingen. [….]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen