Donnerstag, 30. Juni 2016

Lügengrenzen?

Sascha Lobo hat mal wieder einen rausgehauen.
Es ging um den „Bullshit 9.0“, der eine ganz neue Form der Großlüge darstellt.

In Zeiten von Donald Trump und Boris Johnson ist ein neues Kommunikationsmuster auf dem Vormarsch: der Bullshit 9.0. Dass dieser so erfolgreich ist, liegt auch am Internet - und am Publikum.
[….] Ein 1986 erschienener Aufsatz wurde als Büchlein 2005 ein internationaler Bestseller: "On Bullshit" von Harry G. Frankfurt. Elf Jahre nach dem Zweiterscheinen bräuchte es eine erweiterte, komplett überarbeitete Neufassung. Denn die Welt wird geflutet von der neuen, vergiftenden Form des Bullshit - toxic bullshit, Bullshit 9.0.
Frankfurts Bullshit bezog sich auf eine "Indifferenz gegenüber der Realität", Kommunikation als Füllschaum ohne Bezug zur Wahrheit (was nicht unbedingt "Lüge" bedeutete). Der brandneue Bullshit 9.0 erklimmt die nächste Ebene. Der fehlende Bezug zur Wahrheit wird ergänzt durch die Abwesenheit jeder Konsistenz und, wenn notwendig, verquirlt mit Selbstrelativierung.

Lügner, die sich selbst ungeniert widersprechen und zudem auch noch so willkürlich lügen, daß ihr Gerede ohnehin unglaubwürdig und absurd klingt, können heute US-Präsident werden.


Es ist beeindruckend, daß ein Lügner wie Trump sich nicht wenigstens auf ein, zwei falsche Zahlen festlegt, sondern frei oszillierend jede beliebige Zahl raushaut.

Mit jemandem, der so etwas ernsthaft sagt, ist keine Diskussion möglich. Es fehlt das Fundament der Kommunikation: Konsistenz. Und dass A wirklich A heißt und nicht zugleich auch B oder auf Twitter Y oder doch Q und morgen rückwirkend Z. Das ist Absicht, denn Bullshit 9.0 ist Bullshit plus Täuschung plus Bigotterie. Bullshit 9.0 ist damit ein Instrument, um politische Verantwortung für die eigene Kommunikation zu minimieren: strategische Wirkhülsen von Kommunikation.
Die so kommunizierende Politik bekommt dabei tatkräftige Mithilfe eines Teils der redaktionellen Medien, der ohne jede Scham dieses Kommunikationsmuster übernimmt. Politische und mediale Lügen sind natürlich nicht neu, aber die offene, funktionale Dreistigkeit ist es - in Verbindung mit der digital-sozialen Öffentlichkeit. Denn die stört sich nicht daran, sondern belohnt das Verhalten noch. Das Traurigste, Empörendste an toxischem Bullshit 9.0 ist, dass er funktioniert. Bullshit 9.0 wirkt.
Damit ist jede Klage in Form der Beschwerde über "die da oben" unvollständig falsch. Denn das Publikum trägt mindestens die Hälfte der Verantwortung für den Aufstieg dieser politischen Kommunikationsform. Das Publikum glaubt das Getöse vielleicht nicht, aber bezieht es in den Diskurs mit ein, wenn es in den Kram passt.
Mehr noch: Die halbe soziale Medienwelt interessiert sich nicht für Konsistenz und sagt in einem einzigen Satz eine Behauptung und ihr Gegenteil: "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber sie müssen raus." Die "Washington Post" schrieb von einer "post-fact world", einer nicht mehr tatsachenbasierten Weltsicht.

Was Trump kann, können die britischen Populisten Farage und Johnson auch.
Innerhalb von Stunden nach dem Referendum haben sie ihre drei zentralen Brexit-Argumente kassiert.
Was schert mich mein dummes Geschwätz von gestern?

[….] Noch deutlicher wird die Kehrtwende bei führenden Politikern der "Leave"-Kampagne. Im Wahlkampf verbreiteten sie Lügen über die EU und falsche Versprechen über eine glorreiche Zukunft nach dem Brexit. Nicht einmal eine Woche später haben sie wichtige Punkte ihrer Kampagne bereits kassiert. Die Slogans der Umfaller im Überblick.

Vor dem Referendum:
"Wir schicken 350 Millionen Pfund pro Woche nach Brüssel. Lasst uns das Geld lieber für unser Gesundheitssystem nutzen."
Jetzt:
"Diese Aussage war ein Fehler der 'Leave'-Kampagne." (Nigel Farage, Ukip-Parteichef)
[….][….]

Vor dem Referendum:
"Lasst uns wieder die Kontrolle über unsere Grenzen übernehmen"
Jetzt:
"Wir haben nie versprochen, dass wir die Einwanderung radikal reduzieren." (Daniel Hannan, Europaabgeordneter der Konservativen)
[….][….]

Die just mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandles wohlverdient ausgezeichnete Carolin Emcke schreibt allerdings, auch Trumps Megalügen hätten eine Grenze.
Es gäbe eine Sache, die selbst seine fanatischen Fans nicht verzeihten.
Und das sind Zweifel an seiner eigenen Großartigkeit.
Bisher hatte Trump nämlich nur einen Programmpunkt: Ihn selbst. Er sei der Klügste, Beste, Schönste und Reichste. Daher stehe er auch über der Realität, zumal er auch noch den größten Penis habe!
Hat er aber womöglich doch nicht so viel Geld wie er immer behauptet?
Das wäre doch ein Scheidungsgrund für viele seiner Anhänger, mutmaßt Emcke.

[….] Es ist diese Abwandlung des Gründungsmythos, an die der Präsidentschaftskandidat Donald Trump in seinem Wahlkampf bislang hemmungslos appelliert hat: Erfolg dem Erfolgreichen. Die wesentliche Qualifikation, die Trump an Trump zu preisen hatte, war seine ökonomische Potenz. Und das schien zu reichen. Seit Anfang dieser Woche hat das One-trick-Pony, das in der kapitalistischen Manege nur das Kunststück des eigenen Reichtums aufzuführen wusste, allerdings ein Problem: Der "Federal Election Commission Report" veröffentlichte die Zahlen der Wahlkampf-Etats der beiden Präsidentschaftskandidaten, und demnach verfügte die Kampagne des Multimilliardärs Trump Ende Mai nur noch über schlappe 1,3 Million Dollar (im Vergleich zu Hillary Clintons Etat, der stolze 42 Millionen Dollar aufwies). "Ich verstehe von Geld mehr als jeder andere", suchte Trump in seiner gewohnt bescheidenen Art die Fragen nach dem finanziellen Debakel abzuwehren. Aber der Bericht der Kommission lässt daran mächtig Zweifel aufkommen. Denn offensichtlich sammelt Donald Trump nicht nur bemerkenswert wenig Spendengelder (lediglich 3,1 Millionen Dollar im vergangenen Mai), vor allem aber gibt er mehr aus (nämlich 6,7 Millionen). 2,2 Millionen Dollar lieh die Privatperson Trump zudem dem Kandidaten Trump.
[….]  Dem Präsidentschaftskandidaten wurde bislang nahezu alles verziehen: sein grobschlächtiger Machismo, sein unverblümter Rassismus, sein ausgeprägter Stolz auf seine Unbildung, ja eigentlich auf alles, wofür andere sich schämen würden. Nur, dass der Finanzmogul Trump womöglich seinen Wahlkampf in die Pleite führt, das dürfte der ihm bislang gewogene Teil der amerikanischen Gesellschaft für absolut unverzeihlich halten.  Vermutlich noch unverzeihlicher dürfte es seine Wählerklientel finden, dass Trump nun auch noch zu jammern begann und die Republikanische Partei aufforderte, ihn zu unterstützen. Er könne nicht alles allein leisten, sondern brauche auch die Hilfe der Republikaner. Trump scheint vergessen zu haben, dass dies die Kehrseite der großen Erzählung des American Dream ist, die immer nur das Individuum als historische Figur erkennen und belohnen will: Wer scheitert, ist dafür immer allein verantwortlich. [….]

Derjenige, der immer prahlt so unfassbar reich zu sein, muß nun um Spenden betteln, wie gewöhnliche Kandidaten auch. Und das tut er auch noch mit besonders wenig Erfolg. Die üblichen GOP-Milliardäre halten ihre Portemonnaies zu.
Nun mußte der presumptive candidate sogar schon illegal im Ausland um Geld betteln.

America second?

[….] Neuer Ärger für Donald Trump: Der republikanische Präsidentschaftsanwärter wurde angeschwärzt, weil er Abgeordnete im Ausland um Geld anbettelte. Im US-Wahlkampf ist das verboten.
"Bitte steuern Sie etwas bei, damit mein Vater Präsident der Vereinigten Staaten werden kann": Diese Botschaft soll Donald Trump Jr., Sohn des voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner, an Parlamentarier in Großbritannien, Australien und Island versandt haben. Das Problem: Trump darf für seinen Wahlkampf in den USA gar keine Spenden von ausländischen Politikern einsammeln.
Zwei Bürgerrechtsgruppen haben die staatliche Wahlkommission auf die versandten E-Mails aufmerksam gemacht. Das Anschreiben, das von der offiziellen Kampagne Trumps verschickt wurde, machte nun die schottische Abgeordnete Natalie McGarry öffentlich. Sie lehnte die Aufforderung übrigens entrüstet ab.
Der Blog "Fresh Intelligence" des "New York Magazine" kommentierte den Zwischenfall: "Wenn wir Ihnen erklären müssen, warum es für Präsidentschaftskandidaten verboten ist, ausländische Politiker um Spenden für den Wahlkampf zu bitten, sind Sie wahrscheinlich Donald Trump."   Längst ist kein Geheimnis mehr, dass Trumps Kampagne in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Dabei hatte er selbst immer wieder stolz darauf verwiesen, dass er seine Kandidatur mehr oder weniger selbst finanziere. Er machte das "Self-Funding" zu seinem Markenzeichen, auch um seine vermeintliche Unabhängigkeit von Lobbyinteressen zu unterstreichen. [….]

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