Unfassbar
abartig, was ein paar einzelne Psychos in Orlando, Paris und Brüssel anrichten
konnte.
Verständlicherweise
schockiert das unsere westliche Öffentlichkeit; die Newssender erzielen
Rekordquoten, ARD und ZDF schalten Sondersendungen des Grauens, die
überregionalen Zeitungen erscheinen mit Extraseiten.
Der Terroranschlag in Istanbul am 29.06.2016,
bei dem mindestens 41 Menschen getötet und 239 verwundet werden, findet schon
mit deutlich gedämpfter Medienpräsenz statt.
In der
Türkei gab es dieses Jahr schon so viele Anschläge und außerdem mögen wir Erdogan
nicht.
Es wird
zwar noch das Brandenburger Tor in türkischen Farben angestrahlt und natürlich
informieren die Zeitungen. Immerhin ist die Türkei ein bei Deutschen sehr
beliebtes Reiseland. Da will man schon wissen wie sicher es ist türkische
Flughäfen zu benutzen.
Die
Lastwagenbombe des IS, die am 03.07.2016 den Bagdader Stadtteil Karada
verwüstete, forderte nach bisherigen Zählungen mehr als 250 Todesopfer.
Terror
in Bagdad, in Libyen oder gar in Nigeria, wo die Boko Haram Tausende Menschen durch Anschläge tötete,
nehmen wir kaum noch wahr.
Die
Toten sind zu viele und zu anonym und haben außerdem eine zu dunkle Hautfarbe,
als daß es uns wirklich interessierte.
Die
Horrorberichte darüber erscheinen nur noch ganz hinten in den Zeitungen,
irgendwo online. Total verdrängt und überlagert vom Fußball.
[…]
Es ist ein Klischee, dass sich Bagdad an
Gewalt und Blutvergießen gewöhnt hat. Das stimmt einfach nicht. Der Tod ist der
Tod, und wenn er kommt und die Leben deiner Lieben mit sich reißt, dann ist der
Schmerz hier so groß wie überall anders.
[…]
81 der geborgenen Toten sind so stark
verbrannt, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen sind. Das sagt die Polizei. Sie
können nur mit Hilfe von DNA-Tests identifiziert werden. In den Geschäften, die
von der Explosion getroffen wurden, liegen verstreut menschliche Körperteile.
Freiwillige suchen sie zusammen und legen sie in Plastiksäcke und Betttücher.
215 Tote, so ist der
Stand vom Montagabend. Damit ist es der tödlichste Angriff hier seit 2003. […] Einige Menschen waren gefangen in Geschäften, die gefüllt waren mit
leicht entzündlicher Kleidung, Parfum und Plastik. Ein Freiwilliger berichtet,
dass der Boden eines Ladens bedeckt war mit "geschmolzenen Körpern".[…]
Xenophobe
Brexiteers, Le-Pen-Fans, CSU-Hetzer, Norbert-Hofer-Epigonen und AfD-Wähler
können auch nach solchen Berichten offensichtlich nicht verstehen, wieso
Menschen diesem Grauen entfliehen wollen, weshalb sie versuchen im sichereren
Europa Asyl zu bekommen.
Europäischer
und amerikanischer Konsens ist es weitgehend den Fliehenden die Tür vor der Nase
zuzuschlagen.
Die
Tausenden Toten, die allein schon im Jahr 2016 vom Mittelmeer einfach
verschluckt wurden, interessieren niemand.
Auch
Papst Franziskus, der noch 2013 nach Lampedusa reiste und die Ertrunkenen
beklagte, hält inzwischen die Klappe, obwohl es noch viel mehr Tote geworden
sind.
Seine
Diözesen in Osteuropa und USA unterstützen den fremdenfeindlichen
Antiflüchtlingskurs ihrer Regierung.
Gelegentlich
werden zwar ein paar Hundert Leichen geborgen, aber diese Meldungen muß man
schon mit der Lupe suchen.
Italienische Marine
birgt 217 Tote aus Schiffswrack
Bei den Leichen
handelt es sich um Flüchtlinge, deren Boot im April 2015 gekentert war.
Augenzeugen zufolge waren 700 Menschen an Bord. Nur 28 Menschen haben überlebt. […]
Was hat
eigentlich diese verdammte Terrorscheiße ausgelöst?
Was ist Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts geschehen, daß weltweit zur Methode Massenterror gegriffen wird?
Diese Fragen werden mutmaßlich zukünftige Historikergenerationen noch lange beschäftigen.
Was ist Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts geschehen, daß weltweit zur Methode Massenterror gegriffen wird?
Diese Fragen werden mutmaßlich zukünftige Historikergenerationen noch lange beschäftigen.
In dem
Antwortkomplex werden sich aber definitiv vier Stichworte finden:
·
Religion
·
Postkoloniale
soziale Ungerechtigkeiten
·
Ökonomische
Interessen
·
Sagenhafte
Dummheit und Unverantwortlichkeit führender Politiker.
Unstrittig
dürfte sein, daß die von George W Bush angezettelten Kriege in Afghanistan und
dem Irak zumindest eine ideale Werbung für Al Kaida, Taliban und IS waren.
Zudem
fegten Amerika und England mit dem Saddam-Regime die Struktur weg, die den
Islamismus unter Kontrolle hatte und eine gewisse Säkularität garantierte.
Saddam
und Hunderttausende Iraker mußten sterben, weil sie von Downingstreet 10 und
dem Weißen Haus beschuldigt wurden Terroristen zu beherbergen, in die
9/11-Anschläge verstrickt zu sein und Massenvernichtungswaffen zu horten. Auf
eben diese Lesart stützten sich auch Merkel und Schäuble, die vehement das US-Britische
Kriegsgetrommel gegen Gerhard Schröder unterstützten.
All
diese Gründe waren, daran sei erinnert, vollständig erlogen.
Ganz
langsam setzt sich die Erkenntnis über das kriegsverbrecherische Handeln Bushs
und Blairs auch in ihren Heimatländern durch.
Sie
haben eine gewaltige Schuld auf sich geladen.
[…]
Der frühere US-Präsident George W. Bush
handelt offenbar nach der Devise: Es reicht nicht, ein Verbrechen zu begehen,
man muss auch unfähig sein, es zuzugeben. Dafür spricht sein trotziges
Bekenntnis nach dem britischen Irak-Bericht von dieser Woche, der ganzen Welt
gehe es heute besser, weil Saddam Hussein in Bagdad nicht mehr an der Macht
sei. Das ist nicht nur halsstarrig, sondern auch Unfug.
Als die Vereinigten
Staaten unter Bush im März 2003 den Irak angriffen, um Saddam zu stürzen,
konnten sie sich weder auf Selbstverteidigung noch auf eine Resolution des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen berufen. Daher war Bushs Krieg ein
Verbrechen namens Aggression. Es zählt - neben Völkermord, Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit - zu den Kern-Delikten des
Völkerstrafrechts. Denn Angriffskriege schaffen eine schlechtere Welt. […]
[…]
Tony Blairs politisches Vermächtnis ist
zerstört. Demonstranten beschimpfen ihn als Kriegsverbrecher, ein
Untersuchungsbericht zur Irak-Invasion bescheinigt ihm Versagen. Jetzt drohen
Klagen.
Tony Blair wirkt
sichtlich angefasst an diesem Nachmittag in London. […] Ja, die Folgen des Einsatzes
seien blutiger gewesen, als er es sich jemals habe vorstellen können. Für all
das fühle er mehr "Trauer und Bedauern", als man es sich vorstellen
könne, sagt Blair. Aber: "Die Welt war und ist ein besserer Ort ohne
Saddam Hussein."
[…]
13 Jahre nach dem Beginn des Irakkriegs
ist vieles, das vermutet und spekuliert worden war, nun offiziell
aufgearbeitete Gewissheit.
[…]
Nicht weniger als sieben Jahre hat [John]
Chilcot mit der nach ihm benannten
Kommission die britische Rolle vor und während des Irakkriegs untersucht. […]
Der Einmarsch in den Irak sei "nicht
das letzte Mittel gewesen", sagt er. Die britische Regierung habe nicht
"alle friedlichen Optionen für eine Entwaffnung" des Iraks
ausgeschöpft.
Geheimdienstinformationen seien mit einer
Sicherheit präsentiert worden, "die nicht gerechtfertigt" war. Die
Erkenntnisse waren demnach "mangelhaft". Die Kommission greift die
Führung der Dienste direkt an. Sie hätten Blair darauf hinweisen müssen, dass
die Angaben über vermeintliche Nuklearwaffen nicht "zweifelsfrei
belegt" seien.
Der Entscheidungsprozess vor dem Krieg sei
unbefriedigend gewesen, konstatiert Chilcot. Die britische Regierung habe die
Autorität des Uno-Sicherheitsrates untergraben.
Chilcot kritisiert außerdem, dass die
Planung für die Zeit nach dem Krieg "völlig unzureichend" gewesen
sei. "Trotz ausdrücklicher Warnungen wurden die Folgen der Invasion
unterschätzt", heißt es in dem Bericht. […]
Im
Gegensatz zu den Hunderttausende Verletzten, den Millionen Vertriebenen, den
Millionen Angehörigen Getöteter, scheinen die strenggläubigen Christen Blair (trat
2007 zum Katholizismus über) und Bush keine besonderen Qualen zu leiden.
Sie sind
beide freie Menschen und sie sind beide Multimillionäre.
Beide
werden hermetisch geschützt.
Der Rest
der Welt leidet darunter auf einem Terrorplaneten zu leben, auf dem sich
niemand mehr sicher fühlen kann.
Das
Leben unter der allgegenwärtigen Terrorgefahr bleibt ein Thema für die
Feuilletons.
Wenigstens
gibt es da brillante Texte.
Der Terror wird so
schnell nicht aufhören. Die Gewalt wird andauern. Aber deswegen gewöhnt man
sich doch nicht daran. Das wissen alle, die schon einmal jemanden durch einen
Terroranschlag verloren haben. Terroristische Gewalt wird nie normal. Nicht in
Bagdad oder Dhaka, nicht in Istanbul oder Beirut, nicht in Brüssel oder Paris.
Sie wird nur häufiger.
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