Sonntag, 21. Mai 2017

Grün damals und heute.

Als ich in den  80er Jahren zur Schule ging, war Ökologie ein echtes Thema. Am Tag meiner ersten Abi-Klausur gab es zum ersten mal SMOG-Alarm in Hamburg.
Gerade war Tschernobyl passiert, das Gemüse wurde knapp.
Wir diskutierten auf dem Schulhof über die Strategic Arms Limitation Talks (SALT I und SALT II), warfen uns Zahlen über die Submarine-launched ballistic missiles (SLBM) gegenseitig an den Kopf, weil die JU-Fraktion der Schüler „die Russen“ unmittelbar vor einem Einmarsch wähnte.
Der ABM-Vertrag von 1972 (Anti-Ballistic Missile Treaty) war jedem bekannt.
Was bedeutete die Machtübernahme Gorbatschows für die Verschrottung von Atomraketen, über die seit 1985 bei den Strategic Arms Reduction Treatys (START) verhandelt wurde?

Jeder hatte „The Day After“ und „War Games" gesehen. Ich erinnere mich an heulende Mitschülerinnen im Kino und sehr ernste anschließende Diskussionen darüber wer von uns sich im Atomkriegsfall wie verhalten würde.
Es gab die Flüchter, diejenigen, die sich im Keller verkriechen wollten und die kleinere Fraktion der Hafen-Kids, zu denen ich gehörte. Wir wollten bei Atomalarm nicht aus der Stadt raus fliehen, sondern lieber direkt in Richtung Hafen, dem mutmaßlichen Einschlagsort laufen, um wenigstens schnell zu sterben, statt am Fall Out zu verrecken.

Der Wahnsinn einer Welt, die sich mit SDI auch vom Weltraum aus noch mal vernichten wollte, obwohl das schon 1000fach mit den auf der Planetenoberfläche gehorteten Raketen möglich war, sprang uns damalige Teenager so an, daß wir in der Mehrzahl zu den großen Nachrüstungs-Demos gingen. Noch mehr Pershing-II-Atomraken? Das war so absurd, daß wie selbstverständlich bei den Friedensdemonstrationen 400.000 oder 500.000 Menschen zusammenkamen. Und wie sollte man da nicht die Grünen wählen, wenn man jung war und deswegen noch keine feste Parteienbindung generiert hatte?

Wir wollten durchaus weiterleben. Dabei empfanden wir die atomare Apokalypse ähnlich störend, wie die rapide Umweltverseuchung.
Dünnsäureverklappung in die Nordsee, Waldsterben, Luftverpestung, saurer Regen – das konnte niemand ernsthaft wollen.

In den nächsten 30 Jahren wurde mit entscheidender Hilfe der Grünen ein ganz anderes gesellschaftliches Bewußtsein geschaffen.
Inzwischen stören sich auch Konservative daran Plastikmüll ins Meer zu werfen.
Undenkbar, daß heute noch ein Auto ohne Katalysator fährt.

Die Probleme sind allerdings nicht weniger, sondern mehr geworden.
Globalisierung, Fanatisierung, Religiotisierung, Klimawandel und Bevölkerungsexplosion bedrohen die Mutter Erde mehr denn je.

Hatte man es in den 1980ern in Amerika mit Ronald Reagan bloß mit einem ideologischen Kommunistenhasser zu tun, der nichts gegen HIV unternehmen wollte, weil er Schwule pervers fand, so ist die gegenwärtige Führungsriege noch wesentlich untauglicher.
Die Industrielobby ist mächtiger denn je, die globalen Kräfteverhältnisse sind unübersichtlich und im Weißen Haus sitzt ein Depp, der die Begriffe „SALT“ oder „START“ noch nie gehört hat und auch intellektuell nicht in der Lage wäre sie zu verstehen.

Es gibt aber keine 500.000 Mann zählenden Großdemos mehr, weil „die Jugend“ aus indolenten Smombis besteht, die es sich in ihren Facebook-Filterblasen kommod eingerichtet haben.

Es gibt allerdings auch keine Partei mehr, die den Wahnsinn der Welt erfasst und dagegen aufsteht.
Es gibt keine Partei mehr für die Jugend. Auch bei Bündnis90/Die Grünen haben sich die grauhaarigen Anzugträger durchgesetzt, wie Frau Eisenhardt, die Geschäftsführerin der Grünen Jugend in Hessen resigniert feststellt.

[….] "Ich bin ziemlich sauer gewesen"
Nina Eisenhardt ist wütend, weil bei den Grünen niemand unter 30 Aussichten auf ein Bundestagsmandat hat. […..]

Die Grünen regieren. Das ist gut und wichtig, um es besser zu machen.
Aber regieren, um des Regierens willen?

[….] Frü­her ha­ben die Grü­nen mit un­kon­ven­tio­nel­len Ide­en die bür­ger­li­chen Par­tei­en vor sich her­ge­trie­ben. Nun müs­sen sie se­hen, dass sie den An­schluss nicht ver­pas­sen. […..] Be­sich­ti­gen kann man das im hes­sisch-thü­rin­gi­schen Grenz­ge­biet, wo der Ka­li­kon­zern K+S rie­si­ge Men­gen salz­hal­ti­gen Ab­was­sers in den Un­ter­grund pumpt. Seit Jah­ren strei­ten dort zwei grü­ne Um­welt­mi­nis­te­rin­nen öf­fent­lich dar­über, ob die Fol­gen für die Um­welt und das Grund­was­ser noch län­ger hin­ge­nom­men wer­den dür­fen.

Im schwarz-grün re­gier­ten Hes­sen ha­ben die Be­hör­den un­ter der Ver­ant­wor­tung der Grü­nen-Mi­nis­te­rin Pris­ka Hinz die Ver­senk­ge­neh­mi­gung für K+S kürz­lich noch um ein paar Jah­re ver­län­gert. Im Nach­bar­land Thü­rin­gen, wo ein Teil der salz­hal­ti­gen Brü­he aus dem Un­ter­grund wie­der nach oben quillt, pro­tes­tiert da­ge­gen Um­welt­mi­nis­te­rin Anja Sie­ges­mund. [….] Am Frank­fur­ter Flug­ha­fen, ge­gen des­sen Aus­bau die Grü­nen frü­her en­ga­giert strit­ten, bil­lig­te der grü­ne Wirt­schafts- und Ver­kehrs­mi­nis­ter Tarek Al-Wa­zir vor ei­ni­gen Mo­na­ten eine um­strit­te­ne neue Ge­büh­ren­ord­nung, die zu­sätz­li­chen Flug­ver­kehr nach Frank­furt lot­sen soll. Aus­ge­rech­net der Bil­lig­flie­ger Rya­nair wird zum Schre­cken von An­woh­nern mit ho­hen Preis­nach­läs­sen an­ge­lockt, um die re­la­tiv neue vier­te Lan­de­bahn so­wie ei­nen ge­plan­ten wei­te­ren Ter­mi­nal bes­ser aus­zu­nut­zen. [….]
(DER SPIEGEL, 20.05.2017, s.37)


Die Parteispitze um Göring-Kirchentag ist das Gegenteil der kämpferischen Grünen à la Thomas Ebermann und Jutta Dittfurth, die ich in meiner Jugend erlebte.

[…..] Noch gravierender sind die Schwierigkeiten von Göring-Eckardt. Sie sagt nie das Falsche; sie ist eine mittlerweile unglaublich geschickte Parteipolitikerin, die vor allem die jungen Mitglieder der Fraktion klug und geschickt einsetzt. Als Machtmanagerin würde sie viele Punkte einheimsen. Nur bei der Frage, wie man der Partei Feuer und Leidenschaft einflößt, kommt sie nicht weiter. Wofür brennt sie? Niemand kann das wirklich sagen. Sie bräuchte noch mehr als Özdemir ein Herzensthema oder die Unterstützung derer in der Partei, die selbst brennen und sie anstecken. [….]

Es ist ein Elend, wo diese Partei angelangt ist.
Dann doch lieber SPD.

[….] Reflexhaft wehrten sich die NRWler gegen die Angriffe, die Realos gegen den Linksflügel und umgekehrt. Anstatt ernsthaft an den eigenen Problem zu arbeiten, verheddert sich die Partei wieder einmal in einer ermüdenden Endlosschleife: Krise -> Kritik -> Kritisierte, die sich die Kritik der Kritiker verbitten -> Krise.
Niemand will einen stummen Kuschelverein, Politik braucht Auseinandersetzung. Und eine souveräne Partei hält Differenzen aus, kann im Idealfall daran wachsen. Doch anstatt zu wachsen, geht es für die Grünen in der Zustimmung abwärts. Das einstige Selbstbewusstsein nach Fukushima modert im Legenden-Leitzordner. [….]

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