Besonders trendy ist das eigentlich nicht mehr; seit Jahren
brüsten sich Journalisten, Celebrities und Influencer aller Art damit auf
Social Media-Entzug zu gehen.
Dafür gibt es mehrere Argumentationslinien:
Dafür gibt es mehrere Argumentationslinien:
§
Der Onlinesucht entkommen.
§
Protest gegen die dubiosen Datenkraken-Machenschaften
der Konzerne
§
Rückstoß ins „reale Leben.“
§
Handy-Game-Abhängigkeit.
§
Genörgel über die Themensetzung und
Blasenbildung in den sozialen Netzen.
§
Allgemeiner Kulturpessimismus à la „FB-Freunde sind
keine echten Freunde!“
Wiewohl ich allen Begründungen etwas abgewinnen kann, bin
ich als „digital imigrant“ vermutlich niemals so gefährdet zum absoluten Smombi
zu mutieren, wie die „digital natives“, die auf der Straße gegen Laternenpfähle
prallen, weil sie den Blick nicht vom Klugtelefon wenden können und sich ohne
mobiles „google maps“ nach 50 m auf einer geraden Straße verirren.
In der Wochenendausgabe der MOPO prangt Blitzbirne Lucie Wittenberg auf
dem Titel und verkündet auf den folgenden Seiten in epischer Breite ihren
Verzicht auf Facebook.
Der Applaus ist billig erhascht. Wer hätte sich noch nicht
über Facebook geärgert? Jenes Medium, das mutmaßlich mit russischen Bots dazu
beitrug Donald Trump zum US-Präsidenten zu machen, das unverantwortlich mit
Datenschutz umgeht und das mich schon insgesamt sechs Monate sperren ließ, weil
ich die Kirche kritisierte oder weil die Algorithmen nicht mit Ironie umgehen
können.
Wenn ein evangelikaler US-Republikaner erklärt Gay Marriage
sei an den Kalifornischen Waldbränden schuld und ich diese Meldung mit dem
Kommentar „Ja, das stimmt! Schwule lösen auch Erdbeben und Hurrikans aus“
teile, ist das kein homophober Verstoß gegen die Gemeinschaftsregeln.
Es nervt, wenn das nicht erkannt wird und daß man keinerlei
Einspruchsmöglichkeiten hat.
Man empfindet es als sehr ungerecht mundtot gemacht zu
werden, während Trump, die AfD und Co ungestört hetzen dürfen.
Aber Facebook ist eine Privatfirma und wenn mir deren
Geschäftsbedingungen nicht passen, muss ich da nicht mitmachen.
Natürlich nutzen viele Menschen Facebook zähneknirschend
dennoch, weil es keine Alternative gibt, wenn man weltweit kommunizieren will.
Zwei Milliarden aktive Nutzer sind ein gewichtiges Argument.
Frau Wittenberg kritisiert aber die oberflächlichen Inhalte,
die sie so viel Zeit kosteten und sie das Handy gar nicht mehr aus der Hand
legen ließen.
Hier muss man der Redakteurin mit der Vorliebe für Yoga und
Welpen allerdings widersprechen.
Facebook ist eine Plattform, die man klugerweise so nutzt,
daß diese Oberflächlichkeiten nicht das Leben bestimmen.
Auch für Facebook gilt, was Marcel Reich-Ranicki schon vor
Jahrzehnten über das TV sagte: „Fernsehen macht Dumme dümmer und Kluge klüger!“
Dabei hat „Fernsehen“ ein schlechteres Image als Bücher.
Bücher zu lesen gilt grundsätzlich als eher klug. Aber auch das ist Unsinn.
Es gibt unheimlich viel hanebüchenen Unsinn, der zwischen
zwei Buchdeckel gepresst wird. Wer sich Ufologen-Bücher bei Kopp bestellt, rechtsradikale
Verschwörungstheorien bei Elsässers Compact
oder auch Esoterik/Homöopathie-Ratgeber bei Amazon
ersteht, ist nicht schlau, weil er liest, sondern wird weiter verdummt.
Natürlich steht in den meisten Blogs Unsinn, aber deswegen
ist das Tool „Blogger.com“ nicht grundsätzlich schlecht, sondern man kann auch
kluge Texte wie meine darauf lesen. Zwinkersmiley.
Das Internet ist grundsätzlich eine Hilfe, eine Bildungs-
und Recherche-Möglichkeit, aber auch eine Zeitklau-Maschine.
Es steht aber jedem frei sich dem gröbsten Unfug zu
entziehen.
Ich nutze soziale Netzwerke, verbreite aber grundsätzlich
keine privaten Bilder. Daher gibt es weder Selfis noch Urlaubsbilder von mir im
Netz. Ich poste niemals Hunde- oder Katzenbilder, habe mich noch nie dem
Foodporn hingegeben und würde schon gar nicht irgendwelche Beziehungs-,
Familien- oder gar Sexinformationen verbreiten. Einladungen zu irgendwelchen Onlinegames
blockiere ich grundsätzlich; ich weiß gar nicht was dieses „Zocken“ überhaupt
ist und will es auch nicht wissen.
Man kann sich aber dafür monothematischen Gruppen
anschließen, gezielt internationalen Medien und Journalisten folgen und
politische Quellen im Original anzapfen.
Über solche gemeinsamen Interessen wird tatsächlich
Facebooks Werbespruch „connecting people“ wahr. So pflege ich inzwischen
Kontakte zu Menschen, mit denen ich mich rege politisch austausche, die ich
eben nicht „im realen Leben“ treffen könnte, weil sie auf anderen Kontinenten wohnen.
Und ja, aus virtuellen Facebook-Kontakten können reale
Freunde werden.
Außerdem sei erwähnt, daß anonyme Online-Kontakte nicht
grundsätzlich schlechter als „herkömmliche Freunde“ sind, sondern anders.
Normale Bekannte muss man pflegen, indem man sie zu
langweiligen Geburtstagen besucht, Hochzeitsgeschenke schickt und viel
Smalltalk macht.
Das bedeutet noch nicht, daß ich denen jederzeit nachts mein
Herz ausschütten kann.
Online in anonymen Foren geht das aber schon. Man muss da
zwar auswählen und aufpassen, aber gerade wenn man sich nicht von Angesicht zu
Angesicht sieht, kann man ehrlich und altruistisch sein.
Ich bin schon über nächtliche ausführliche Diskussionen und
Problemgespräche mit Menschen in ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis
gerutscht, deren weitere Lebensumstände ich erst viel später erfuhr. Auch das kann
ein Vorteil sein, wenn sich nämlich herausstellt, daß die/derjenige irgendein
Hobby/Äußerlichkeit/Ansichten mit sich rumträgt, die einen auf den ersten Blick
total abgestoßen hätten.
Jeder möchte gern vorurteilsfrei sein, aber ich glaube nicht,
daß das 100%ig möglich ist.
Ich habe beispielsweise erhebliche Vorbehalte gegen junge
Menschen und halte alle unter 30-Jährigen für Idioten. Aber gelegentlich war
ich überrascht, wenn sich ein geschätzter Gesprächspartner auf einmal als
27-Jähriger herausstellt. Also jemand, den ich im echten Leben gar nicht
wahrgenommen hätte.
Es dient auch der Sachlichkeit in politischen Debatten, wenn
man zunächst einmal nicht weiß, ob die Diskutanten schwarz, schwul, muslimisch
oder gar amerikanisch sind.
Diese echten Social-Media-Vorteile werden selbst bei
kontrollierter Benutzung aber durch immer wieder aufpoppende Sinnlosigkeiten konterkariert.
Dann teilt man eben doch mal das erstaunliche Video von dem Handwerker mit den
superschnellen Händen oder dem Moderator mit dem lustigen Versprecher.
Dagegen hilft aber eine Limitierung des Internetzugangs am
besten.
Das Problem ist nicht Facebook, sondern es sind die Klugtelefone,
die schwache Geister wie Frau Wittenberg nicht aus der Hand legen können.
Social Media sollte man nicht mobil betreiben, sondern zu
Hause am Computer.
Dann ist man auf der sicheren Seite.
Sofern man kein Vollidiot ist.
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