Früher warf man den Regierenden gern die umständlichen,
ungebräuchlichen langen Namen der Gesetze vor.
Es störe das deutsche Rechtsempfinden, wenn
man die Bandwurmbezeichnungen nicht verstehe.
Alternative Investment Fund Manager – Umsetzungsgesetz, Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz,
Umsatzsteuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung, Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz,
"Gesetz zur Neuregelung des Verbots
der Vereinbarung von Erfolgshonoraren" oder Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz.
Das zeige doch nur die Abgehobenheit der Politiker, wenn die sich solche
Wortungetüme ausdenken.
Als Hippopotomonstrosesquippedaliophilist, abgekürzt
Sesquipedalianist, also jemand, der
lange Worte mag und der Chemie studiert hat, ein Fach, in dem die Nomenklatur
organischer Verbindungen ein eigenes großes Forschungsgebiet ist, können mich
die Juristen kaum ins Bockshorn jagen.
Jahrelang wurde ich in jedem Kolloquium nach den
korrekten IUPAC-Bezeichnungen (International Union of Pure and Applied
Chemistry) komplizierter Moleküle ausgequetscht und muss zugeben, daß ich als
einer der wenigen so pervers bin echten Gefallen an den Feinheiten der
IUPAC-Bezeichnungen zu finden. Histidin ist für mich immer noch (S)-2-Amino-3-(1H-imidazol-4-yl)
propansäure.
Seit einigen Jahren bemüht sich die SPD-Bundestagsfraktion darum
absurd komplizierte Substantiv-Aneinanderreihungen bei Gesetzen zu vermeiden und ihnen Namen zu verpassen, die
jeder versteht. Endlich Transparenz und Bürgernähe.
Daher gibt es nun das "Gute-Kita-Gesetz" oder das
"Starke-Familie-Gesetz" aus dem Hause Giffey.
Selbstverständlich wird das den Sozis nicht gedankt, sondern
erst Recht als „Volksverarsche“ diffamiert.
„Die Politiker“ nähmen die Bevölkerung nicht mehr ernst,
ätzt insbesondere die von Juristen durchsetzte FDP.
[….] FDP-Haushälter Otto Fricke kritisierte diese Haltung. Die Empfehlungen
im entsprechenden Handbuch des Bundesjustizministeriums sähen vor, dass die
Überschriften von Gesetzen und Rechtsvorschriften "redlich" und damit
sachlich zu formulieren seien, erklärte der Jurist in der "NOZ".
"Durch die vom tatsächlichen Namen abweichende und in der Bezeichnung
enthaltende normative Wertung unterläuft die Bundesregierung diesen
Grundsatz", kritisierte FDP-Vorstand Fricke, der auch Rechtsanwalt ist.
"Die Strategie der Bundesregierung, die Bewertung eines Gesetzes
gleich in dessen Vermarktungsnamen mitzuliefern, ist für eine Demokratie sehr
gefährlich", fügte Fricke hinzu. "Sie sorgt dafür, dass man beim
Gute-Kita- oder Starke-Familien-Gesetz automatisch den Vorwurf bekommt, man sei
gegen das Ziel des Gesetzes, also gute Kitas oder starke Familien, wenn man
eigentlich nur die konkreten Gesetzesinhalte hinterfragt." Das erschwere
eine offene und faire Debatte, so der Abgeordnete. [….]
Während die FDP politisch und kleinkariert argumentiert, ist
der schwerere Vorwurf soziologischer Art: Die SPD betreibe „framing.“
Da wird man schon eher hellhörig, denn kaum ein neuer
Begriff wird so negativ konnotiert wie „framing“ – da assoziiert man sofort
üble Propaganda, Goebbels und Riefenstahl-artige Manipulationen. Damit könne
man hinterhältig den Menschen üble Dinge schmackhaft machen.
Wenn man von “Asylantenflut” oder “Flüchtlingswelle” oder „Migrationskatastrophe“
spricht, assoziieren die Zuhörer ganz anders, als wenn man von „Hilfesuchenden“
oder „Heimatvertriebenen“ spricht – obwohl faktisch dasselbe gemeint ist.
Die Hoffnung der SPD ist es durch einfachere „talking points“
wie „Gute-Kita-Gesetz“ effektiver als bisher „Agenda-Setting“ zu betreiben.
Viele englische, bzw denglishe Begriffe.
Gemeint ist, daß man andere Themen in das Zentrum der
öffentlichen Aufmerksamkeit rücken möchte.
Tatsächlich gab es 2015-2018 viele andere wichtige
politische Probleme, die aber insbesondere in der veröffentlichten Meinung kaum vorkamen, da das Megathema „Flüchtlinge“
zwei von drei Talkshows dominierte.
Offenkundig verstehen die Groko-Parteien CDU und SPD nicht
die Mechanismen des Agendasettings. Die populistischere CSU ist fähiger, nutzt
ihre Möglichkeiten aber nur negativ.
Versteht man es gute Talking Points zu kreieren, kann man
wie im Europawahlkampf 2019 Klimaschutz und Digitalisierung zu Megathemen zu
machen, die den Grünen zu einem Rekordwahlergebnis verhalfen.
Das Grüne Agendasetting war diesmal sogar besser als das
Braune. Die AfD blieb hinter ihren Erwartungen zurück, konnte nicht mehr so
effektiv wie vor zwei Jahren Xenophobie, Panik und Antiislamismus schüren.
Es ist erfreulich, wenn Grüne es schaffen ihre Themen zu
pushen, aber man reibt sich auch die Augen, wenn Sozis wie begossene Pudel
dastehen und beklagen, sie wären „mit ihren Themen nicht durchgedrungen.“
Es stimmt auch; soziale Gerechtigkeit, Respektrente,
Altersarmut waren für die meisten Wähler offenbar nicht wichtig genug.
Generell sind Rechte und Rechtsextreme oft mit Hilfe ihrer
Skrupellosigkeit Erfinder besonders mächtiger Talkingpoints.
„Bevölkerungsaustausch“ und „Islamisierung“ erregen
Aufmerksamkeit.
Meister dieses Fachs sind natürlich die US-Republikaner, die
es vermochten das Wort „tax“ so zu verdammen, daß sich kein Politiker mehr
daran traut und das Dummvolk begeistert dafür stimmt die 1% der Superreichen
von allen Steuern zu befreien.
„Socialism“ ist auch so ein Todschlagtalking-point, mit dem
Teebeutler und GOPer es schafften dem Volk einzureden, eine allgemeine
Krankenversicherung sei Teufelszeug.
Mit ihren Talkingpoints schaffen sie es sogar gleichzeitig
für extrem strenge Regulierungen (Abtreibung, Gaymarriage) und das Gegenteil
davon (Waffenrecht, Umweltschutz) zu argumentieren.
Ein Geniestreich ist der Slogan „pro-Life“ in der Debatte um
legale Schwangerschaftsunterbrechungen, weil damit immer suggeriert wird, die
anderen wären gegen das Leben an sich.
Bill Maher beklagt schon lange, daß seine Demokraten bei Vorwürfen aus dem rechten Spektrum sofort in den Hühnerhaufenmodus verfallen, statt sich mal unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu treffen und sich ihrerseits gute Talking Points auszudenken, die dann von allen demokratischen Politikern verwendet werden.
So wäre es an der Zeit Trumps Einfuhrzoll-Wahn nicht mehr mit der
Unwirksamkeit der „TARIFFS“ zu kontern, sondern knallhart ausschließlich von „new
Trump-Taxes“ zu sprechen.
Schließlich hassen GOPer nichts so sehr wie neue Steuern.
Ich halte so ein Agendasetting für möglich und wirksam.
Das würde dem Weißen Haus gar nicht gefallen, wenn bis zum
November pausenlos von „Trump-Taxes“ gesprochen würde.
Leider sind aber die Demokraten ganz mies in der Kunst des
Generierens von „Talking Points“.
Dabei bietet Trump so viel Angriffsfläche.
[….] Trotzdem versucht Trump seit
Monaten, die Zahl der Zuwanderer zu drosseln, um seiner nationalistischen Basis
zu gefallen. Nichts aber zog bisher, weder Kinderhaft noch Mauerbau. Nun
schwingt Trump seine härteste Keule: Strafzölle.
Bis jede illegale Einwanderung "gestoppt" sei, donnerte
Trump, werde er alle Importe aus dem Durchgangsland Mexiko mit Zöllen belegen:
Ab 10. Juni fünf Prozent, dann, ab 1. Juli, je fünf weitere Prozent pro Monat -
bis im Oktober 25 Prozent erreicht wären. "Die USA sind ein tolles
Land", begründete Trump die brachiale Drohung gegen den südlichen Nachbarn
und engen Partner, "das sich nicht länger ausnutzen lässt".
Klartext: Trump macht Mexiko dafür haftbar, ein vertracktes Problem zu
lösen, das die USA selbst in ihrer gesamten Geschichte noch nie lösen konnten.
Beiderseits der Grenze löste Trumps drastische Drohung Kopfschütteln,
Befremden, sogar Panik aus. Was genau will Trump von Mexiko? Und was haben
Zölle mit Migranten zu tun - zumal die dadurch entstehenden Mehrkosten bei den
verzollten Waren dann von den Amerikanern getragen würden? [….] Die "New York Times" fasste die
Irritation in einem Leitartikel zusammen: "Also besteuern wir die
Amerikaner, bis Mexiko nicht länger zulässt, dass Menschen aus Zentralamerika
von ihrem Recht Gebrauch machen, Zutritt zu den USA zu suchen?"
[….] Wie auch im Handelskrieg gegen China wäre das eine verheerende
Entwicklung. Mexiko ist einer der wichtigsten US-Handelspartner, letztes Jahr
flossen Waren im Wert von 671 Milliarden Dollar über die Grenze, davon mehr als
die Hälfte Importe - Autos und Autoteile, Maschinen, Brennstoffe, medizinische
Instrumente. Auch viele internationale Fertigungsketten kreuzen diese Grenze,
vor allem in der Kfz-Branche. Kein Land exportiert außerdem mehr Agrarprodukte
in die USA als Mexiko. [….]
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