Samstag, 11. Januar 2020

Barmherzigkeit

Zu Weihnachten kamen sie wieder, die Bettelbriefe von Bethel und Bodelschwingh, in denen allerlei Pastoren auf die Tränendrüse drückten und erklärten wie christliche Barmherzigkeit den Menschen helfe.

[…..] Der Name „Bodelschwingh“ ist genauso wenig positiv zu konnotieren, wie „christliche Werte.“ Die Diakonie wirbt zwar damit, aber das funktioniert nur aufgrund der Unkenntnis ihrer Kunden.

Daher an dieser Stelle ein paar Sätze zu den Bodelschwinghern.

Dabei handelt es sich um ein aus dem 13. Jahrhundert stammendes rheinisch-westfälisches Adelsgeschlecht. Die Herren von Bodelschwingh gehen auf raubende Ritter zurück und besetzen seit Jahrhunderten Machtpositionen; die Familie besteht bis heute.
Zu den steinreichen Freiherren und Grafen gehören konservative Minister, preußische Regierungsmitglieder, CDU-Abgeordnete und viele Theologen.
Die heute so bekannten Gründer und Leiter der gleichnamigen christlichen Anstalten waren

Friedrich von Bodelschwingh der Ältere (1831–1910), deutscher evangelischer Theologe, Leiter der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel.
Friedrich von Bodelschwingh der Jüngere (1877–1946), deutscher evangelischer Theologe und Reichsbischof
Friedrich von Bodelschwingh (Theologe, 1902) (1902–1977), deutscher evangelischer Pastor und Leiter der von Bodelschwinghschen Anstalten
   
Wie beispielsweise der erste deutsche Reichsbischof Friedrich von Bodelschwingh tickte, ist unzweifelhaft.
 Er war glühender Nazi und beteiligte sich an der Aktion T4, also der Sterilisierung und Tötung von psychisch und körperlich Behinderten.

Das ist nichts weniger als Massenmord. Womit die Namen „Bodelschwingh“ und „Bethel“ verbunden sind, sollte man also wissen, wenn einen zu Weihnachten die Bettelbriefe dieser Vereine erreichen.

[….] Im Folgenden wird der Begriff »Euthanasie« bzw. »Euthanasie« Morde als kollektive Bezeichnung für die nationalsozialistischen Massenverbrechen an Kranken und an Menschen mit Behinderungen verwendet. Die Bezeichnung selbst ist schon wegen seiner Verwendung im Nationalsozialismus hoch problematisch; wenn sie dennoch Verwendung findet, dann aus dem Grunde, weil zahlreiche Tötungsverbrechen durch den (ohnehin erst nach 1945 geprägten) Terminus »Aktion T4« nicht abgedeckt sind, weil namentlich die Krankenmorde im besetzten Ostmittel- und Osteuropa sowie die dezentral organisierten Tötungen nach dem Sommer 1941 wenig oder gar nicht in die institutionelle Zuständigkeit der Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4 fielen. […..] Der Mord an Kranken, Menschen mit Behinderungen und anderen als »rassisch minderwertig« stigmatisierten Opfern im Nationalsozialismus versuchte, seine Legitimation aus der Eugenik abzuleiten, ist aber schon seiner Einmaligkeit wegen nicht allein als eine direkte Folge der eugenischen Bewegung vor 1933 zu interpretieren.
Formen der »Ausmerze«, die aus der heutigen Perspektive als Mord an Anstaltsinsassen angesehen werden müssen, finden sich jedoch bereits lange vor 1933, namentlich die so bezeichnete »Hungereuthanasie«, d. h. die systematische Unterernährung von Kranken und Anstaltsinsassen, der allein während des Ersten Weltkrieges ca. 70 000 Menschen zum Opfer fielen. [….]

Hitler und die Nationalsozialisten waren neben der generellen Begeisterung für das Töten von Kindern insbesondere an den an Techniken zur massenhaften Tötung von Behinderten interessiert. Medikamente und verschiedene Gase wurden ausführlich erprobt.

[….] Insgesamt wurden in sechs Anstalten Patienten durch das Giftgas Kohlenmonoxid in eigens hierfür eingerichteten Gaskammern ermordet: in Brandenburg an der Havel, Hadamar bei Limburg, Grafeneck, Sonnenstein/Pirna, Hartheim bei Linz und Bernburg an der Saale. Nicht in allen sechs Anstalten wurden zeitgleich Patienten umgebracht, vielmehr wurde die Anstalt Brandenburg im September 1940 von Bernburg, Grafeneck Ende 1940 von Hadamar abgelöst. [….]

Beeindruckend ist insbesondere die Fähigkeit zur Geschichtsklitterung. So wie die Wehrmacht noch 50 Jahre lang nach 1945 den Mythos aufrecht erhalten konnte keinerlei Kontakt zu der Judentötung gehabt zu haben, erreichte es insbesondere die Evangelische Kirche die Falschdarstellung zu verbreiten, aufgrund der christlichen Proteste habe Hitler im Jahr 1941 von der Aktion T4 abgelassen. 

Tatsächlich wurden Myriaden Kranke direkt aus der Obhut der Kirchen vergast.
Vom Ende der Aktion T4 kann davon keine Rede sein. Das Töten von Behinderten – auch in den Bodelschwingh- und Bethel-Anstalten war nur so weit professionalisiert worden, daß die großen Vernichtungs-KZs Majdanek, Treblinka, Sobibór und Bełżec, sowie Auschwitz-Birkenau übernahmen. [….]

Für die konservativen Landesregierungen waren diese Taten kein Grund nicht weiterhin den Bodelschwinghern zu vertrauen. Im Gegenteil.

Beispiel Schleswig-Holstein. Der Barschel-Skandal von 1987 ist eine der größten Stories im Vorwende-Deutschlands. Die jüngeren mögen vergessen haben welch Sensation die darauf folgende SPD-Regierung unter Björn Engholm war. Denn das bäuerlich-ärmlich geprägte nördlichste Bundesland war über vier Jahrzehnte ultrakonservativ und fest in CDU-Hand.

Walter Bartram (CDU) 1950–1951
Friedrich Wilhelm Lübke (CDU)   1951–1954  
Kai-Uwe von Hassel (CDU) 1954–1963
Helmut Lemke (CDU) 1963–1971
Gerhard Stoltenberg (CDU) 1971–1982
Uwe Barschel (CDU) 1982–1987

Kinderheime, Krankenhäuser, sowie „Irrenanstalten“ wurden in kirchliche Trägerschaft gegeben und es passierte das was immer passiert, wenn Kinder und Christentum systematisch verquickt werden:
Folter, Missbrauch, Quälerei und Mord.
Mit dem Ende des „dritten Reiches“ endete bei Bethel und Bodelschwingh nicht etwa die systematische Misshandlung von Kranken, Behinderten, Kindern  - eigentlich allen Schutzbefohlenen.

Heimkinder wurden als Versuchsobjekte bei Arzneimittelprüfungen in Bethel 1949 bis 1975 eingesetzt.


Viele Jahrzehnte drückten sich Kirche und Diakonie darum diese systematische Folter zuzugeben. Erst jetzt wird zögerlich „aufgearbeitet“ – natürlich nicht etwa, weil Bischöfe und konservative Christen ihr Unrecht einsehen, sondern auf massiven Druck der Opfer.

[…..]Seit dem vergangenen Jahr 2017 laufen die beiden Forschungsprojekte zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in „Bethel 1924 bis 1949“ und „Arzneimittelprüfungen in Bethel 1949 bis 1975“. Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für beide Forschungen ist der Theologe [Täter klären über Täter auf? –T.]  Prof. Dr. Traugott Jähnichen. […..] Nach Auswertung von rund 300 Patientenakten werden erste Ergebnisse zur Frage, ob und wie an Kindern und Jugendlichen in Bethel neue Medikamente getestet wurden, für Ende dieses Jahres erwartet. […..]

In den CDU-Jahrzehnten Schleswig-Holsteins waren die perversen, bestialischen und menschenfeindlichen Methoden allerdings nicht auf kirchliche Einrichtungen beschränkt, sondern fanden auch unter der direkten Aufsicht der Landesregierung statt.

[….] Es ging um Geld: Ärzte an landeseigenen Kliniken haben in der Nachkriegszeit neue Medikamente an Heimkindern und Psychiatriepatienten getestet. Profitiert haben die Pharmafirmen, die dank der Versuche mehr über Nebenwirkungen erfuhren und neue Absatzmärkte erschlossen. Profitiert haben aber auch das Land und dessen Kliniken, weil sie die neuen Präparate kostenlos oder stark vergünstigt bekamen. Zu dem Ergebnis kommen Forscher des Instituts für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung an der Uni Lübeck. Christof Beyer, einer der beteiligten Forscher, sieht einen der Gründe für die Zusammenarbeit in der "desolaten Situation" der Landeskrankenhäuser und der psychiatrischen Kliniken in Schleswig-Holstein in der Nachkriegszeit: "Personelle Unterversorgung und überfüllte Kliniken haben es begünstigt, dass Patienten ruhiggestellt werden sollten." Auch mithilfe von Medikamenten in der Erprobungsphase. […..] Bis 1970 unterstanden die Landeskrankenhäuser direkt der Haushaltsplanung des Landes Schleswig-Holstein. […..]
Im Rahmen von Versuchsreihen fanden die Ärzte dabei auch mehr über mögliche Nebenwirkungen der neuen Medikamente heraus: In Fachaufsätzen aus der Zeit finden sich Belege für "Atemstillstand", "Kollaps", "psychische Störungen". Hinweise auf eine Aufklärung der Patienten oder deren Einwilligung habe man in keinem der Dokumente gefunden. Das sei typisch für die Zeit gewesen, so Beyer: "Patienten wurden damals häufig als Objekte und Krankheitsträger und nicht als Menschen im Sinne einer ganzheitlichen Medizin behandelt. Der Medikamenteneinsatz ist ein Symbol der Unrechtsverhältnisse, die damals in der Psychiatrie vorgeherrscht haben."
[…..] Zusammenarbeit zwischen Pharmaindustrie und Ärzten gab es dem Bericht zufolge nicht nur am Landeskrankenhaus Schleswig, sondern in weitaus größerem Umfang als bislang bekannt - zum Beispiel am LKH Neustadt, am LKH Heiligenhafen, an der Universitäts-Kinderklinik Kiel, der Universitäts-Frauenklinik Kiel sowie Kliniken in Lübeck und Rickling. Die ehemaligen Heimkinder und Psychiatriepatienten leiden teilweise noch heute unter den Folgen der Versuche. […..]

Die Mengele-Methoden wurden vielerorts in Deutschland nach 1945 noch Dekaden weitergeführt.


 Viele Landes- und Bundespolitiker geben sich empört.

[…..] "Erschreckend" fand Wolfgang Baasch (SPD) die neuen Fakten. "Unfassbar" nannte Dennis Bornhöft (FDP) die Erkenntnisse - und als "schockierend" bezeichnete Marret Bohn (Grüne) das, was Christof Beyer vom Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Uni Lübeck im Ausschuss vortrug. […..]

Nur die eine, die einzig richtige Reaktion bleibt aus:
Nie wieder darf die Kirche Trägerin von Einrichtungen sein, in denen sich Kinder befinden.

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