Donnerstag, 9. Januar 2020

Der Wille zum Vorurteil


Wenn Rassisten durch den Anblick eines Dunkelhäutigen getriggert werden, spult sich die ganze negative Konnotationskette ihrer Vorurteile ab.
Die Bandbreite ist groß. Da gibt es die verschiedenen Formen des Ekels, die Schwarze als dreckig oder unhygienisch ansehen. Einiges resultiert aus Neid und Minderwertigkeitsgefühlen, so daß Rassisten in Schwarzen den Konkurrenten um Arbeit, sozialen Status oder auch den körperlich Überlegenen fürchten. Daneben gibt es noch eine sexuelle Variante, die man bei Bernd Höcke, Fürstin Gloria, Kardinal Meisner oder Trump findet: Sie fabulieren offenbar bevorzugt von der angeblich enormen Potenz, gewaltigen Genitalien und immerwährender Zeugungskraft, weil sie ganz offenbar den eigenen sexuellen Fähigkeiten nicht vertrauen. Schließlich existieren noch unreflektierte Pauschalvorurteile à la Sarrazin, der Zuwanderern generell einen niedrigeren IQ zubilligt.

Die gesamte Kaskade der negativen Assoziationen ist selbstverständlich Unsinn und resultiert ausschließlich in dem, der diese Vorurteile entwickelt und nicht denen, auf die sie sich beziehen.
Es ist so wie beim Antisemitismus, der gerade dort blüht, wo es gar keine Juden gibt.
Untersuchungen im Deutschland der Nachwendezeit zeigten, daß die stärksten antisemitischen Tendenzen bei nahezu vollständiger Abwesenheit von Juden auftraten. Nämlich bei ostdeutschen Schülern.
Keiner hatte je einen Juden gesehen, mit einem gesprochen, wußte irgendwas über das Judentum – umso mehr gedieh der Hass.

Die schwächsten AfD-Wahlergebnisse, die wenigsten gruppenbezogenen Hassverbrechen gibt es in den multikulturellsten Gegenden Deutschlands. In Hamburg St. Georg, Berlin Kreuzberg oder Köln Kalk kennt jeder Türken und Araber und Schwarze. Daher gibt es kaum noch Berührungsängste, man schätzt sich, erfreut sich an der gegenseitigen Befruchtung der Kultur.
Pegida, AfD und sonstige Großhetzer gegen Migranten sind hingegen dort virulent, wo es fast gar keine Ausländer gibt – in der Sächsischen Schweiz oder Vorpommern-Greifswald, wo weiße Deutsche unter sich sind und nur deutsch sprechen.

Rassismus ist so gut wie immer mit anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) verknüpft.

    Fremdenfeindlichkeit
    Antisemitismus
    Homophobie
    Islamophobie
    Etabliertenvorrechte
    klassischer Sexismus
    Abwertung von Menschen mit Behinderungen
    Abwertung von Obdachlosen
    Abwertung von Langzeitarbeitslosen

[…..] „Menschenfeindlichkeit zielt nicht auf ein Feindschaftsverhältnis zu einzelnen Personen, sondern bezieht sich auf Gruppen. Werden Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten der Abwertung und Ausgrenzung ausgesetzt, dann sprechen wir von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Hierdurch wird die Würde der betroffenen Menschen antastbar und kann zerstört werden. Das besondere Kennzeichen dieses Begriffs ist seine Spannweite. Sie ergibt sich aus dem Phänomen selbst, denn nicht nur Personen fremder Herkunft sind mit Feindseligkeiten und Gewalt konfrontiert, wenn sie bestimmten Gruppen zugeordnet werden, sondern auch Menschen gleicher Herkunft, deren Verhaltensweisen oder Lebensstile in der Bevölkerung als „abweichend“ von einer als beruhigend empfundenen Normalität interpretiert werden.“ [….]
(Prof Heitmeyer, Uni Bielefeld: Deutsche Zustände, Folge 3, Suhrkamp Verlag Frankfurt, 2005, S. 13-34)

Diese Menschenfeindlichkeit weist ein beträchtliches Trägheitsmoment auf.
GMF praktizierende Menschen nehmen einiges auf sich, um ihre GMF zu kultivieren. Sie darf nicht erschüttert werden, da aus ihr letztlich das eigene Selbstbewußtsein erwächst. Es ist offensichtlich; Menschen, die wie David Berger oder Donald Trump oder Bernd Höcke alle Formen der GMF bespielen, leiden unter gewaltigen Minderwertigkeitskomplexen, fühlen sich chronisch unterschätzt.

[…..] Im  weitesten  Sinne  können  menschenfeindliche  Mentalitäten  und  Handlungsweisen  als Ausdruck  einer  Suche  nach  Anerkennung  verstanden  werden. Oder  anders:  Wo  Anerkennung fehlt oder Anerkennungsbilanzen als negativ wahrgenommen werden, liegt der Versuch nahe, eigene Anerkennung durch Abwertung anderer zu erhalten. Das ist eine zentrale Annahme der Desintegrationstheorie nach Heitmeyer und Anhut (vgl. Anhut, 2002). Sie definieren Anerkennung als Wertschätzung durch andere, die in unterschiedlichen Integrations- bzw. Desintegrationsbereichen gewonnen werden kann. Drei Bereiche seien dabei zentral:  Die  individuell-funktionale  Systemintegration  ist  definiert  durch  den  Zugang  zu funktionalen Systemen wie dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt und die individuelle Beurteilung des Status. Der Status ermöglicht positionale Anerkennung. Der kommunikativ-interaktive  Integrationsbereich  ist  vor  allem  durch  (politische)  Partizipation  im  Prozess  der Aushandlung und Zurechnung von Werten und Normen bestimmt (Gerechtigkeit, Solidarität  etc.). Die  Möglichkeit, an  (politischen)  Diskursen  und  Entscheidungen  teilzunehmen und  die  Bereitschaft, den  Kommunikationsprozess  aufzunehmen, ermöglichen  moralische Anerkennung. Der so genannte kulturell-expressive Integrationsbereich ist durch Mitgliedschaft in Gemeinschaften und emotionale Anerkennung bestimmt. Die Anerkennung in al-len  Bereichen  ist  durch  den  objektiven  und  subjektiven  Zugang, Teilnahmemöglichkeiten und  Mitgliedschaft  verbunden. Fehlende  Anerkennung  bzw. negative  Anerkennungsbilanzen  eines  Individuums  sind  in  diesem  Sinne  Ausdruck  von  objektiver  oder  empfundener Ungleichwertigkeit. […..]

Werden die Vorurteile gegen den Willen der hassenden Person ins Wanken gebracht, kann sie sich außerordentlich aggressiv gegen den Verlust des eigenen Weltbildes wehren.
Donald Trump beispielsweise hasst Schwarze. So wuchs er auf, so wurde er sozialisiert, so verhielt er sich immer. Zur regelrechten Obsession wurde sein Rassismus aber erst durch Barack Obama, der als US-Präsident so omnipräsent wurde, daß Trump ihm medial täglich begegnete.
Obama vereint in seiner Person so ziemlich genau die Gegenteile dessen, was ein Rassist wie Trump über Schwarze denkt:
Obama sieht gut aus, ist hochintelligent, außerordentlich gebildet, beliebt, schlank, führt eine mustergültige Ehe, arbeitet fleißig, hat keinerlei Berührungspunkte mit Kriminalität, ist ein eloquenter Redner.
Er ist also all das was der weiße Trump, der sich und seine Familie für genetisch weit überlegen hält, eben nicht ist.
Das jeden Tag vor Augen geführt zu bekommen, muss entweder dazu führen, die eigenen GMF-Einstellungen zu hinterfragen oder aber um sie zu erhalten, denjenigen, der die GMF erschüttert zu bekämpfen.
Trump entschied sich natürlich für Letzteres und bewarf Obama fürderhin manisch mit Dreck. Als ultimativer Vorwurf war es aus der verqueren neurotischen Perspektive eines Menschenhassers wie Trump nur folgerichtig Obama gleich zum Kenianer abzustempeln, der sich die US-Staatsbürgerschaft ermogelt hätte. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Vorzeige-Schwarze, Vorzeige-Migranten, Vorzeige-Türken sollen sich aus Sicht der Xenophoben eben nicht so entwickeln, daß sie vorgezeigt werden,
Woher sollte ein ungebildeter hässlicher weißer Rassist noch sein Überlegenheitsgefühl nehmen, wenn allzu deutlich wird, daß all seine auf Dunkelhäutigen projizierten Vorurteile falsch sind?

CSU-Politiker Şener Şahin ist wie Barack Obama eine Inkarnation all dessen was Menschen mit GMF nicht ertragen.
Er wollte in seinem Ort Wallerstein als Bürgermeisterkandidat antreten und schien wie der perfekte Kandidat für die vertaubte Partei Söders. Er ist ein Kind des Ortes, ein intelligenter Strahlemann, der sich für Politik interessiert und zudem auch noch erfolgreicher Unternehmer mit einem florierenden Werkzeug- und Maschinenhandel.
Aber er ist eben auch Muslim. So einer soll nicht strahlen in der CSU. Die islamophoben Vorurteile wären allesamt in Gefahr.
Der Druck auf ihn wurde schnell so groß, daß er die Kandidatur zurückzog.

[…..] Als der Parteivorstand mich gefragt hat, ob ich für die CSU kandidiere, war ich natürlich erstmal stolz. Das ist doch eigentlich etwas Schönes. Ich habe aber auch gesagt: Redet's mit euren Vorständen und fragt die, was sie dazu sagen. Ich bin in Deutschland geboren, aufgewachsen, habe meine Ausbildung hier gemacht, studiert, mein Schwiegervater ist katholisch, ich bin ganz weltoffen - aber trotzdem: Viele haben allein schon wegen meines Namens ein Problem und natürlich auch wegen meines Glaubens und meiner Herkunft. Die vom Ortsvorstand haben gesagt: Das glauben wir nicht. Wir unterstützen dich. Und da habe ich mir gedacht: Ich mach's. […..] Es gab noch am gleichen Tag eine Sitzung im Gemeinderat. Da hat die ganze Diskussion schon angefangen.
[…..]   Es ging nie um meine Person, sondern immer nur um meinen Glauben. Das C in CSU und ich als Moslem, das passe absolut nicht zusammen, hieß es zum Beispiel. Ich dachte mir: Na gut, es gibt immer drei, vier Leute, die gegen etwas sind. Aber dann muss das alles einen unglaublichen Lauf genommen haben. Bis nach Berlin. Ich weiß nicht, wer das alles war, aber es haben sogar Leute bei unserem Bundestagsabgeordneten angerufen und sich beschwert. Nach dem Motto: Wie kann man einen Türken als Bürgermeisterkandidaten aufstellen? Das war für mich ein Schock. […..]

Ein guter Türke? Deutlich sichtbar in der CSU. Das darf nicht sein in der bayerischen GMF-Welt.

[…..]  Şener Şahin ist der wahr gewordene Traum aller Leitkultur-Prediger. Gäbe es eine Integrationsbemessungsbehörde, der Bayer aus Wallerstein im Landkreis Donau-Ries hätte bestimmt einen Ehrenwimpel. In seinem Migranten-Benimmheft stünde vermutlich sowas wie:
    verhaltensunauffällig,
    spricht perfekt Deutsch mit Lokalkolorit,
    geht mit seiner evangelischen Frau und den Kindern an Weihnachten in die Kirche,
    verdient ehrliches Geld mit einem Werkzeugmaschinen-Betrieb,
    spielt in der 2. Herrenmannschaft Fußball im SV Holzkirchen.
Ein waschechter Wallersteiner mit Mikromigrationsgeschichte: geboren im Nachbarort Nördlingen hat er irgendwann rübergemacht. Da gibt's aber noch etwas: seine "türkischen Wurzeln". […..] 
Was die dogmatischen CSUler offenbar störte: Şahin ist "Moslem" (so nennt man das auf dem Land offenbar noch) und das "C" im Parteinamen stehe nun einmal für "christlich". […..] 
In Wallerstein […..] haben manche lieber keinen Kandidaten, als "einen Moslem". […..] 
 Erstaunlich viele Menschen müssen offenbar erst noch lernen, dass es nicht okay ist, jemandem ins Gesicht zu sagen, dass seine Religion stört. Wegen des Grundgesetzes, der Verantwortung für die deutsche Geschichte und dies das.
[…..]  Das wirft eine längst überfällige Frage auf: Wieso ist das Thema "Integration" nur für Migranten reserviert? Warum fordern die Unionsparteien nur Wertekunde für Geflüchtete? Offensichtlich brauchen manchmal auch weiße Ureinheimische Hilfe, um in Deutschland, im Jahr 2020 anzukommen. Die Faustregel: je heftiger die pauschalen Urteile über "die Moslems", desto desintegrierter die Person (gilt natürlich auch für die Abwertung anderer Gruppen).
[…..]  Denn die gleichen Leute, die Şahin wegen seiner Religion ablehnen, behaupten wahrscheinlich, die Moslems würden sich besonders schwer tun, sich zu integrieren. Dass sie sie selbst aktiv daran hindern, fällt ihnen vermutlich gar nicht auf. Ich nenne es das Desintegrations-Paradox. [……]

Natürlich ist es außerordentlich schäbig wie sich die CSU verhält. Sie schadet sich selbst.

[…..]Ein Muslim als Bürgermeisterkandidat? Geht gar nicht, sagen Mitglieder des CSU-Ortsverbands Wallerstein. Sie mussten ihre ablehnende Haltung nicht einmal offen kundtun, auch hintenrum hatten sie mit Erfolg ihr politisches Gift ausgestreut: Sener Sahin hat aufgegeben. Das Signal, das die Christsozialen damit aus der kleinen schwäbischen Gemeinde an Einwanderer und deren Nachkommen senden, ist so deutlich wie verheerend: Ihr könnt euch im Ort integrieren, ihr könnt euch ehrenamtlich engagieren, ihr könnt tun, was ihr wollt: Ihr gehört trotzdem nicht zu uns.
Das ist nicht nur menschlich schäbig, es ist auch eine politische Dummheit. Denn Einwanderer, das belegen Meinungsumfragen immer wieder, stehen mehrheitlich nicht etwa den Grünen nahe, wie man es vermuten könnte. Viele von ihnen sympathisieren mit der CSU und deren konservativen Werten. [….]

Gewinner in dieser Causa ist das enorme Trägheitsmoment der GMF. Sie darf nun weiterhin in Bayern gedeihen.

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