Samstag, 9. August 2014

Piratenpartei 3.0



Es gibt Menschen, die mich wegen meiner Printabos auslachen.
Das sei ja mal richtig veraltet. Heute liefe doch alles über Bits und Bytes.
Dieser Typ des sich selbsterhöhenden Zukunftsmenschen hat auch nur Verachtung für die sogenannten „Altparteien“ übrig.
Die wären allesamt nicht mehr wählbar, verkörperten das Gestern und wären ohnehin Lobby-gesteuert.
Man müsse auf das gesunde Volksempfinden setzen und Deutschland plebiszitär regieren. Es sollten sich immer die Bürger mit Abstimmungen beteiligen und dann würden nur noch weise, nicht von Großkonzernen gesteuerte Entscheidungen getroffen. Zauberwort „Liquid democracy!“
Für Typen, die so denken gibt es natürlich nur die Piratenpartei – jene Ansammlung von Internet-Nerds, die sich längst aus den alten Rechts-links-Schablonen gelöst hätte und durch komplette Vernetzung eine Schwarmintelligenz erzeuge, die der Kompetenz der alten repräsentativen Demokratie weit überlegen sei.
Brave new world.
Wenn die Piraten regieren, würde das erste Mal echte Demokratie herrschen, weil alle Regierten simultan an den Entscheidungen beteiligt würden.

Na, das hat sich vielleicht als Schwachsinn herausgestellt!

Internet macht Kluge klüger und Dumme dümmer.
Die Möglichkeiten sind tatsächlich gigantisch.
Blöderweise gibt es im Volk nur wenig Kluge. Und die Dummen können sich daher überproportional vermehren, indem sie wie besessen süße Katzen-Videos, Selfis und wackelige Home-Pornos verbreiten.
Für alle erdenklichen Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremen, Katholo-Tradis, Revanchisten-Spinner, Ufologen, Montagsdemonstranten und Gendermainstream-Warner ist das Internet ein Segen.
Da ich die Putinisten schon entsprechend lobend erwähnte, nenne ich heute den godfather of the Montagsdemos Jürgen Elsässer, der in seiner COMPACT-Zeitschrift (bewußt ohne Link!) und mit diesen Compact-Konferenzen illustre Arschgeigen wie Eva Herman, Gabriele Kuby und Thilo Sarrazin mit Spinnern aller Art zusammenbringt.
Der kleine Hardcore Katholik Rudolf Gehrig, hier schon zweifach als Christ des Tages geehrt, schreibt neben seiner Haupttätigkeit beim extremistischen Christensender EWTN auch für Compact und Kathnet
Ich dachte ursprünglich, das sei eine mikroskopisch kleine Szene und war daher ZIEMLICH verblüfft, daß jetzt überall im Hamburger Zeitschriftenhandel diese Compacts mit dem Titel "Ami Go Home" ausliegen. Und zwar nicht irgendwo verschämt dazwischen wie früher "der Landser", sondern ganz prominent, teilweise auf eigenen Ständern.
So, daß es schon von weitem ins Auge fällt. Irgendwie muß der Elsässer da einen Coup mit dem Vertrieb gelandet haben.
Diese Hotspots aus komprimierter Scheiße wirken wie schwarze Löcher und ziehen PI-Epigonen, Anders Breiviks und religiöse Fundis magisch an.
Das ist die Kehrseite des „freien Internets“ – potentiell hochgefährliche Spinner können ungebremst von seriösen Redakteuren ihre Propaganda verbreiten.
Genau dadurch erklärt sich auch der Erfolg der IS-Kalifat-Armee: Durch Internetpropaganda rekrutieren sie Kämpfer aus allen Teilen der Welt. Allein jeweils Hunderte aus Deutschland und Amerika.
Von dem hohen Ross, als moderne Internet-affine Truppe mußte die Piratenpartei längst herabsteigen.

Nichts ist den Piraten so wichtig wie die Basis: Die Partei entstand als Versuch, mit konsequent durchgezogener Basisdemokratie unter Einbindung der Mitglieder in alle Diskussionen und Entscheidungen die politische Landschaft zu verändern. Das Mittel dazu sollte die Netzplatzform LiquidFeedback liefern, doch dieser ehrenwerte Plan scheiterte spektakulär. Zu oft produzierte die Echtzeit-Einbindung der Masse nichts als Streit - die noch immer 28.000 Mitglieder zählenden Piraten gelten heute als zutiefst zerstrittene Gruppierung.

Die Piraten sind erledigt.
Sie sind so verwirrt und konzeptionslos, daß sie selbst in einem Land mit so vielen Wirrköpfen wie Deutschland kaum noch bei irgendeiner Wahl über ein Prozent der Stimmen kommen können.
Die gesamte Piratenfraktion des Berliner Abgeordnetenhauses will nun aus der Partei austreten, weil sie in kürzester Zeit das erreicht hat, wofür die FDP 60 Jahre brauchte: Sie haben „beim Wähler als Marke verschissen“. Das Piraten-Logo wirkt jetzt nur noch als Urnengift.
LiquidFeedback ist tot; die Idee stellte sich als Schöpferin von purer Schwarmdummheit heraus.
Da fast alle Piratenpromis laut fluchend und schimpfend aus der Partei ausgetreten sind, versucht nun ein Nobody die klägliche Rudimente einzusammeln. Der neue Parteivorsitzende Stefan Körner will per Mitgliederbefragung endgültig die inhaltliche Ausrichtung des elenden Polithäufchens bestimmen.

Die Methode dazu hat sich Körner wohlüberlegt:
Byebye Internet, willkommen Snailmail!

Die so wichtige Befragung soll keineswegs online, sondern ganz klassisch per postalisch verschickten Fragebogen durchgeführt werden.
Postbote statt Liquid Democracy? Ja, bestätigte der Parteivorsitzende Stefan Körner der Nachrichtenagentur dpa: Es gebe keine Software, mit der eine verbindliche Mitgliederbefragung online abgewickelt werden könne. Außerdem seien solche IT-Systeme anfällig für Manipulationen. "Deswegen werden wir den ersten Basisentscheid jetzt wohl ganz konventionell, ganz herkömmlich auf Papier durchführen", sagte Körner.

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