Wenn intellektuell
bedeutende Menschen die 90 überschreiten, sind Journalisten vorbereitet. Die
Nachrufe liegen fertig geschrieben in den Redaktionsschubladen.
Marion
Gräfin Dönhoff, Nelson Mandela, Marcel Reich-Ranicki, Helmut Schmidt und Egon
Bahr sind solche Fälle. Und mit Peter Scholl-Latour (* 9. März 1924 in Bochum;
† 16. August 2014 in Rhöndorf) hat es heute wieder einen vorbereitet erwischt.
Mit
makabrer Schnelligkeit poppen in allen Nachrichtenportalen ausführliche
Portraits und Würdigungen auf.
Es ist
also müßig hier all die beeindruckenden Abenteuer seines Lebens zu erwähnen;
sie werden überall beschrieben.
PSL
wurde als Sohn einer Jüdin von den Nazis verfolgt und man sollte sich als
jemand, der viele Generationen später geboren wurde davor hüten, ihm seine
leicht bellizistische Grundhaltung allzu sehr verübeln.
Wer von der
Gestapo gejagt wird und den Terror der Nazis erlebt hat, wird natürlicherweise
große Sympathien für diejenigen entwickeln, die gegen die Nazis kämpften und
diese niederrangen.
In PSLs
Fall war es die französische Armee des Charles des Gaulles; in Reich-Ranickis
Fall war es die polnischen Kommunisten.
Es ist
hochgradig erbärmlich, wenn sich dann Typen wie Tilman Jens (*1954) öffentlich
darüber empören, MRR habe für den polnischen Geheimdienst gearbeitet. Die Nazis
haben die gesamte Familie Reich-Ranickis und die gesamte Familie seiner Frau
Theofila umgebracht. Er überlebte unter abenteuerlichen Umständen das
Warschauer Ghetto, hielt sich ein Jahr in einem Keller versteckt. Wer nicht
verstehen kann, daß jemand in der Lage der Roten Armee dankbar ist, hat kein
moralisches Recht sich zu empören.
Ebenso
albern ist es, wenn friedensbewegte Linke von heute PSL verübeln, daß er nach
dem Krieg aus Dankbarkeit in die französische Fremdenlegion ging.
Scholl-Latour
war konservativ, katholisch, arrogant, verachtete politische Korrektheit, von
der Notwendigkeit militärischer Aktionen überzeugt, besserwisserisch und hegte
eine ordentliche Portion Vorurteile gegen Pazifisten, Linke, Grüne, Ökos und
dergleichen mehr.
Er hätte
gern die Bundeswehr atomar bewaffnet und forderte eine massive Aufrüstung und
Militarisierung der EU. Immer wieder betonte er Tugenden wie Tapferkeit und
soldatische Ehre.
Das sind
sicherlich keine Positionen, die bei mir Sympathie erzeugen.
Dennoch
mochte ich PSL und bin ernsthaft traurig, daß er nun weg ist.
Einerseits
bedauere ich es, daß die gemütlich hinter ihren Schreibtischen alt werdenden
Orientalistik-Professoren deutscher Hochschulen nun ihren Privatkrieg gegen PSL
„gewonnen haben“, indem sie einfach übrig sind.
Andererseits
schätzte ich PSL als Mensch, der redete wie ihm der Schnabel gewachsen war, der
ohne Rücksicht auf Verluste amerikanische und britische Außenpolitik scharf verurteilte
und verdammte.
Es ist
durchaus nicht ganz selbstverständlich, daß ein Mann seiner Generation
sämtliche Krisen und Konflikte der letzten 60 Jahre vor Ort studierte und so
völlig vorurteilsfrei blieb.
Er lebte
mit vietnamesischen Kommunisten, islamischen Dschihadisten, Kongolesischen
Christen, persischen Revolutionären, Kurdischen Aufständischen, tibetanischen
Kampfmönchen, Tadschiken, Paschtunen, Uiguren und roten Khmern zusammen, ohne
jemals auf sie hinabzublicken.
Und
nicht nur das. Obwohl er als Mitglied der Fremdenlegion im Koreakrieg und
später als Gefangener des Vietcong ganz erheblich um sein Leben fürchten mußte,
entwickelte er echte Liebe zu den Ländern, die man durchaus aus seinen Büchern
herauslesen konnte.
Nein,
ich stimmte nicht allem zu, was PSL bei Myriaden Talkshowauftritten behauptete.
Aber ich fand seine Anwesenheit fast immer
unterhaltsam und vielfach lehrreich.
Und sei
es, daß man sich über einen seiner Einwürfe wunderte und dies daraufhin genauer
recherchierte.
2003
sagte er die Konsequenzen des Irakkriegs mit einer geradezu grotesken Präzision
voraus.
Er war
damit der natürliche Verbündete der Speerspitze der internationalen Irakriegsgegner
Schröder und Fischer.
Aber der
französische Staatsbürger PSL war als Gaullist kein Fan von SPD oder Grünen.
Daher mokierte er sich in den Talkshows über die Lächerlichkeit der deutschen
Regierung und war völlig sicher, daß Deutschland im UN-Sicherheitsrat
letztendlich doch für den Irakkrieg stimmen würde. Die Vorstellung, daß Joschka
Fischer als einziger zusammen mit Syrien gegen 13 andere Länder votierte und Deutschland
in die totale Isolation triebe war für Scholl-Latour so absurd, daß er voller
Häme auf Berlin blickte.
Nun, es
kam bekanntlich ganz anders.
Auch ein
PSL irrt.
Aber Orakel,
die immer Recht haben, sind langweilig.
Ich
vermisse ihn schon jetzt.
toll!
AntwortenLöschenLG
Danke Paul!
AntwortenLöschenOffensichtlich kann man das auch anders sehen - siehe Kommentar hierdrunter:
http://tammox2.blogspot.de/2014/08/psl.html
LGT