Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.
Heute
klickte ich mal wieder in meine große Facebook-Gruppe der Putinisten, nachdem
ich vorgestern die CSU und gestern schließlich die Teebeutler für die
gehirnlosesten Etwasse der Erde hielt.
Man muß
nur fünf Minuten die Beiträge dieser Verschwörungstheoretiker-Montagsdemo-Ukraine-Hasser
lesen, um schon wieder zu bezweifeln, daß Seehofer oder Palin die dümmsten
Menschen der Welt sind.
Ein
willkürliches Beispiel von heute:
Die
Putinisten mögen scheinbar nicht so wirklich gerne Amerikaner.
Aber die haben eine differenzierte Ansicht zu
Menschen meiner Nationalität:
„Amerikaner, raus aus
Deutschland!“
begann ein Thread, der mit
diesem Video untermauert wurde.
Kommentare:
HB:
nein
,moslems raus
CT:
Ja
und auss ganz Europa rauss !!!!
LLP:
alle
Idioten Raus! mir ist echt egal, welche Nationalität ein Mensch hat, hautspache
er hat einen gesunden Verstand.
TF:
Ami,
go home! [Mit einem Link zu einem Elsässer-Video, der mir echt zu heftig ist,
um das hier zu posten]
RP:
Yankee,
auf diesem Kontinent ist kein Platz für uns Beide.......
PP:
Ja
und DDR samt Gesetze wieder aufmachen, damit wir auch gleich noch die ganze
korrupte Seilschaft der Kapitalisten loswerden. Grundversorger wieder in
Volkshand, Wälder und Seen in Volkshand, Recht auf Arbeit und Einkommen mit dem
man Auskommen kann, vernünftige Renten für alle, vernünftige Mieten, kostenlose
Bildung und anständige Krankenversicherung. Dieses Land ist ein Müllhaufen nach
Amerikanischem Vorbild
GP:
bitte
alle lesen - Perfider Journalismus und Propaganda
Die
WELT titelte am 28 Juli 2014: Gespräche mit Putin sind reine Zeitverschwendung
- "Die Schandtaten Wladimir Putins können die Europäer nur geeint
beenden". Frage mal, von welchen Schandtaten spricht die WELT? Die
Foltergefängnisse der CIA und die Blackwater Mörderbanden waren wohl nicht
gemeint. [Wieder mit nicht zitierfähigem Link auf eine
Verschwörungstherorieseite]
PP:
Ich
sag ja, unsere Medien und Politiker sind nur noch ein Haufen verbrecher,
subventioniert von einer amerikanisch-deutschen Finanz- und Industrie-Elite die
die Russen vom Markt haben will
[Noch
ein nicht zitierfähiger Link auf eine Verschwörungstherorieseite]
AvT:
Amis
raus,oder bekämpfen!!!
AvT:
nichts
an amis vermieten verkaufen und arbeiten.
MB:
Wer
die Macht hat,gibt sie nicht wieder her und schon garnicht freiwillig.
(Facebook
01.08.14)
Wenn ich
das lese, wird mir selbst ganz mainstreaming und ich sehne mich nach seriösen
Informationen, wie sie beispielsweise professionelle Journalisten des SPIEGELs
mitsamt ihrer legendären Dokumentation (=Faktencheck) liefern.
Das
Schlimme ist nur, daß natürlich ein Kern Wahrheit an den
Anti-Mainstreammedien-Bildchen der Putinisten ist.
Und so
komme ich zur Impudenz des Monats Juli; dem SPIEGEL.
Zur
Erklärung poste ich hier den Brief an die Redaktion, den ich vorhin abschickte.
Lieber SPIEGEL!
In meinem
Elternhaus wurde immer DER SPIEGEL gelesen; es war mir so vertraut, daß jeder
in der Familie ständig dieses Heft vor Augen hatte, daß ich schon als junger
Teenager darum kämpfte das Exemplar meiner Mutter montags vor ihr aus dem Briefkasten
zu fischen.
Sie konnte aber
so wenig den Montagmorgen ohne SPIEGEL überstehen, daß sie mir bald mein
eigenes Abonnement schenke.
Daher bin ich
inzwischen knapp 30 Jahre ununterbrochen SPIEGEL-Abonnent.
Ich schätzte den
SPIEGEL als meinungsstarkes Medium, das immer wieder insbesondere mit Essays,
denen man nicht spontan zustimmen mochte, zum Nachdenken herausforderte.
Es gab
beispielsweise zur Wendezeit politische Beobachtungen von Wolf Biermann, die
ich bis heute zu den besten Prosatexten des Genres zähle – auch wenn sich
Biermann inzwischen politisch sehr weit von mir entfernt hat. Aber das kommt
vor. Der SPIEGEL-Essayist Henryk M. Broder war zweifellos auch ein hochbegabter
Schreiber, den ich lange Zeit vergnügt verfolgte.
Unglücklicherweise
verfiel er kontinuierlich dem schleichenden Wahnsinn bis es nicht mehr lustig war.
Seine neue Heimat bei Springers WELT zu finden war konsequent.
Andere Autoren
waren leider nur ein Ärgernis. Es hat viel zu lange Jahre gedauert und mir
etliche graue Haare beschert, bis endlich der Ex-Kulturchef Matthias Matussek
gegangen worden ist. Mich gruselt es immer noch, wenn ich an schlecht
geschriebene MM-Titelgeschichten wie die von 2007 über Romy Schneider denke.
Aber man soll sich ja auch am Leib- und Magenblatt reiben.
Es ist eine große
Redaktion. Da kann man nicht jeden mögen.
Wie Sie
zweifellos an ihrer kontinuierlich sinkenden Auflage feststellen werden; 875.000
ist im 82-Millionen-Deutschland ein deutliches Misstrauensvotum; mögen den
SPIEGEL immer weniger Menschen.
Im ersten
Jahrzehnt des Jahrtausends waren es noch rund 1,1 Millionen verkaufte Hefte.
Seit einigen Jahren
wundere ich mich über die abfälligen Reaktionen in den sozialen Netzwerken, die
mir von Studenten bei Erwähnung des SPIEGELs entgegen schlägt.
Dort gilt das
Nachrichtenmagazin als absolut nicht mehr glaubwürdig.
Natürlich
verteidige ich den SPIEGEL, weil ich das Überleben des Qualitätsjournalismus im
Internet- und Wikipedia-Zeitalter so sehr wünsche.
Allerdings kann
ich den Vorwurf des „Kampagnenjournalismus“ nicht mehr von der Hand weisen.
In den 1990er
Jahren schüttelten wir latent gequält unsere Köpfe über persönliche
Animositäten, die vom SPIEGEL gepflegt wurden. Dabei überspannte die Brandstwiete
den Bogen bei den Herren Gysi und Stolpe bis in ein lächerliches Maß. Der
hundertste Versuch den Brandenburgischen Ministerpräsident aus dem Amt zu
schreiben, war nur noch ermüdend.
Das erste Mal ernsthaft
sauer wurde ich in der Zeit als der Hauptstadtbürochef Gabor Steingart sich mit
STERN-Jörges die Bälle zuspielte und jede Woche geradezu manisch gegen die
Rotgrüne Bundesregierung schrieb.
Jeden Montag mußte
man seinen Lieblingsausdruck vom „schrumpfenden produktiven Kern Deutschlands“
wieder lesen. Und dann folgte das unweigerliche Loblied auf den totalen
Neoliberalismus à la Westerwelle.
Es war nur zu
verständlich, daß der SPIEGEL in jener Zeit seine Bedeutung als „Leitmedium“ für
die Hälfte der ursprünglich zwei Drittel der deutschen Journalisten verlor.
Man muß fast
dankbar für die Weltfinanzkrise von 2008/2009 sein, da sie endlich die
Steingartsche Linie aus dem SPIEGEL verbannte.
Aber das waren spezifische
ökonomische und politische Differenzen, die ich mit dem SPIEGEL hatte. Dennoch
las ich das Heft gerne.
Zunehmend schlich
sich aber eine Seichtheit ein, die ich zuletzt in der Endphase der Böhme-Jahre
beobachtet hatte und die Herr Aust anschließend glücklicherweise wieder abzuschaffen schien.
Es liegt mir fern
zu beurteilen, ob Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo aus eigenem
Antrieb oder durch wie immer gearteten Druck „meinen“ SPIEGEL boulevardesker
gestalteten.
Natürlich hoffte
ich im Frühjahr 2013 trotz des PR-Desasters um die Neubesetzung der
SPIEGEL-Chefredaktion, daß man sich auf alte Stärken besinnen würde. Also auf
die hochqualitativen Hintergrundinformationen und investigativ recherchierten
Geschichten, die man eben NICHT durch zwei Klicks im Internet findet und für
die man auch gerne bereit ist zu bezahlen.
Aber dann kam
erst Büchner und viel schlimmer: Der BILD-Vizechef Blome.
Der SPIEGEL holt sich
die BILD in die Chefetage.
Das war ein
offenbar in Schilda geschriebenes Stück, das ein wenig an den ehemaligen
FDP-Generalsekretär Niebel erinnerte, der immer vehement die Abschaffung des
Entwicklungshilfeministeriums gefordert hatte, um dann eben jenes Ministerium
selbst zu besetzen und mit zusätzlichen Staatssekretären aufzublähen.
Blome goes
SPIEGEL. Unfassbar.
Franziska
Augstein sprach mir damals aus der Seele, aber offenbar hatte sie nicht
genügend Einfluß.
Nach einer kurzen
Anstandszeit, in der Herr Blome sogar annehmbare Kommentare schrieb, trat aber
doch die befürchtete BILD-Werdung des SPIEGELs ein.
Der aktuelle
SPIEGEL-Titel „STOPPT PUTI JETZT!“ ist eigentlich nur noch mit den Giovanni di
Lorenzos („ich darf zweimal wählen!“) Kniefall vor dem fränkischen Lügenbaron
zu vergleichen.
Allerdings ist
das Titelbild mit der Instrumentierung der vielen Toten für eine BILD-artige
Kampagne moralisch noch deutlich unterhalb der Guttenberg-Story der ZEIT
anzusiedeln.
Da Sie sich
selbst nach wenigen Stunden ob des sofort einsetzenden Shitstorms an die
Leser wendeten, muß ich sicher nicht im Einzelnen auf die vielen
Unterstellungen der Titelgeschichte aufmerksam machen.
Sie haben offenbar
deutlich erfahren wie entsetzt die Leser sind.
Manche
Scheißestürme sind hochverdient
Wie tief ist der
SPIEGEL gesunken, daß er die Kommentarfunktion abschaltet und von „organisiert
auftretenden, anonymen Usern“ orakelt, als ob inhaltliche Kritik
Majestätsbeleidigung wäre.
Es haben sich so
viele Blogger empört über die „kriegstreiberische und kriegshetzerische Sprache“ des SPIEGELS geäußert,
daß es müßig ist als Nummer Zehntausend auf die mangelnde Seriosität und den
Kampagnencharakter der Titelgeschichte einzugehen.
Sogar Jakob
Augstein schreibt auf SPON über die Kontraproduktivität der Sanktionen. Moritz
Gathmann beschreibt auf SPON wie sehr die von SPIEGEL vertretene Kampagne Putin
hilft; er ist beliebter denn je in Russland.
Und schließlich ist da noch SPON-Journalist
Uwe Klußmann, der schon am 20.März 2014 berichtete, wie Russland und China nun
zusammengeschweißt werden, so daß Putin am Ende ökonomisch mächtiger denn je
dastehen könnte.
Welch ein
Desaster der SPIEGEL-Journaille, das auf der Heft-Seite 72 mit (wenig
überraschend) „Nikolaus Blome“ unterschrieben ist.
Es ist einfach
grotesk zu sehen, daß es ausgerechnet die beiden ehemaligen
SPIEGEL-Journalisten Hans Leyendecker und Georg Mascolo sind, die mit dem
vorbildlichen NDR-SZ-WDR-Recherchepool
zeigen wie guter investigativer Journalismus geht, während der SPIEGEL von
heute in der Liga Diekmann mitspielen will.
Es schmerzt das
zu sagen; aber nach 30 Jahren denke ich nun sehr konkret darüber nach mein
SPIEGEL-Abo zu kündigen.
Mit freundlichen
Grüßen…
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