Mehr
und mehr kommen Kommentatoren zu dem Schluß, daß Sigmar Gabriel seine Sache gar
nicht so schlecht macht.
Die
SPD in die ungeliebte Große K.O.alition zu führen, ohne dabei die Parteiflügel
auseinander zu reißen, ist alles andere als einfach.
Frau
Kraft drückte es kürzlich sehr anschaulich aus:
75% der Wähler haben uns nicht gewählt! Da ist es absurd anzunehmen, wir könnten 100% des SPD-Programms durchsetzen.
Unglücklicherweise
gibt es in der SPD einen Mitgliederentscheid, bei dem 500.000 Menschen ihre
persönlichen Partikularinteressen so werten können, daß in der Summe eben doch
ein 100%-SPD-Programm erwartet wird.
Es
gibt auf Facebook Tausende User, die sich in Gruppen zusammenschließend und
dort verabreden kollektiv in die SPD einzutreten, dann bei dem
Mitgliederentscheid mit „Nein“ stimmen und anschließend sofort wieder
austreten.
Die
Verfechter der Homorechte, die Ausländer, die auf die doppelte
Staatsbürgerschaft schielen, die Waffenexportgegner, die Niedriglöhner – jeder bekennt
auf Facebook keinesfalls mit „Ja“ zu stimmen, wenn nicht sein Anliegen 1:1
erfüllt wird.
Die
SPD riskiert und akzeptiert
diese tangentialen Mitgliedschaften, weil sie hofft, daß
einige doch länger bei ihnen bleiben, nach dem sie gesehen haben, welche
Vorteile man dadurch hat. Tatsächlich ist die SPD-Methode die
Koalitionsverhandlungen zu führen von beispielhafter Transparenz. Wir Parteimitglieder
werden täglich über den Verhandlungsstand informiert, können mitdiskutieren und
anschließend abstimmen.
Trotz des mauen
SPD-Ergebnisses von knapp 26 Prozent ist es Gabriel gelungen, seine
widerstrebende Partei auf eine große Koalition einzuschwören. So gekonnt hat er
taktiert, dass sogar die Basis der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen
zustimmt. Nun steht der 54-Jährige kurz davor, eine tragende Rolle in der neuen
Regierung einzunehmen.
Obwohl
Gabriel gewissermaßen einen Lauf hat, hält sich die SPD an das Hildebrandtsche
Motto „Die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“:
Die SPD hat
Glück, erstmals seit vielen Jahren hat sie wieder so etwas wie eine starke
Führungsfigur. Sigmar Gabriel ist politisch gereift, taktiert geschickt in den
Koalitionsverhandlungen und versteht es, seine Politik gut zu erklären. Mit
seiner nachdenklichen Rede auf dem SPD-Parteitag in Leipzig hat er das unter
Beweis gestellt.
Alles gut also
bei der SPD? Bei weitem nicht.
Die SPD wäre
nicht die SPD, wenn sie es sich und ihrem Führungspersonal einfach machen
würde. In Leipzig ist zu spüren: Die SPD ist eine Partei in Angst. Die
Parteispitze hat Angst vor der unberechenbaren Basis. Die Basis hat Angst vor
der Großen Koalition. Und alle zusammen fürchten sie sich vor der Zukunft.
Obwohl
die Strategie des heute mit Verlusten wiedergewählten Parteivorsitzenden
durchaus als intelligent zu bezeichnen ist (insbesondere gefällt mir der
Nadelstich in Merkels Hintern nun die Linken-Ausschließeritis zu beenden)
bleiben einige Probleme.
1.) Grundsätzlich besteht das
Problem bei Basisbefragungen, daß man die Entscheidung den am wenigstens
Qualifizierten überlässt. Es gibt auch „Schwarmdummheit“
2.) Das Personal der SPD ist eher
mau, weil die besten Köpfe in den Ländern (Z.B. Hamburg und NRW) sitzen bleiben
wollen. Stattdessen wird der SPD-Teil der möglichen nächsten Bundesregierung
vermutlich von zwei religiösen Dumpfbacken, die im Wahlkampf schwer versagt
haben, bestimmt: Nahles und Steinmeier.
3.) Auf die Inhalte kommt es an
und die überzeugen bisher nicht.
Inhaltlich
der neuen Großen Koalition einen Stempel aufzudrücken ist nahezu unmöglich,
wenn man erstens der sehr viel schwächere Partner ist und zweitens die Person,
die für den deutlich stärkeren Partner spricht, Angela Merkel heißt.
Wie
schon bei dem inzwischen legendären Koalitionsvertrag von 2009, der als der
Schlechteste, Un-ambitionierteste und Unkonkreteste der Geschichte der
Bundesrepublik galt, bleibt Merkel auch 2013 ihrer Linie treu, sich nicht in
politische Angelegenheiten einzumischen. Denn nur als in Luftblasen schwebende
Präsidialkanzlerin konnte sie ihre gigantischen Zustimmungsraten erreichen.
Daß
in Deutschland endlich mal die liegengebliebenen Themen aufgearbeitet werden,
will sie nicht. Und schon wieder klappt ihr Flirt mit den Meinungsmachern. Die
SPD wird gescholten, sinkt sogar noch in den Umfragen und Merkel ist sakrosankt.
Fast.
Um die ganzen
Schwierigkeiten dieser Koalitionsverhandlungen zu verstehen, muss man nur
wenige Wochen zurückdenken, an einen der dunkelsten Momente der Kanzlerin: jene
Minuten des Wahlabends, als für Angela Merkels Union sogar die absolute
Mehrheit möglich schien. Merkel wollte das nicht. Die absolute Mehrheit für CDU
und CSU, sie hätte zwar die absolute Macht, aber eben auch die absolute
Gestaltungsfreiheit bedeutet. Und Merkel ist keine Gestalterin. Sie verwaltet
eher, sie reagiert lieber. Deswegen verlaufen die Koalitionsverhandlungen jetzt
so ambitionslos.
Am 17. Dezember
soll Angela Merkel das dritte Mal zur Kanzlerin gewählt werden. Bis dahin sind
es noch lange fünf Wochen, doch schon jetzt schleppen sich die Verhandlungen
zwischen Union und SPD dahin; die unzähligen Arbeitsgruppen häufen
Ausgabenwünsche und Ideen an; alles wirkt unkoordiniert und eher so, als tagten
hier die Unterabteilungen eines mittelgroßen Sportvereins – und nicht die
künftigen Regierungspartner der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Die Prügel dafür
bekam bislang vor allem die SPD ab, aber zunehmend gerät die Kanzlerin ins
Visier der Kritiker. Wie sie das Land zukunftsfähig machen will, ja wie eine
moderne CDU-Wirtschaftspolitik aussehen soll, dazu fehlen Merkel die großen
Ideen. […] Eine Reformagenda, von der im Wahlkampf viele träumten, ist
Illusion. "Warum sollten wir das tun?", fragt ein hochrangiger
Christdemokrat. "Damit würden wir doch nur unsere Erfolge der vergangenen
acht Jahre infrage stellen."
[…] Im System Merkel spiegele sich die
Genügsamkeit von Politik und Gesellschaft, die sich vom großen Streit um Ideale
verabschiedet hätten. Es regiere die "organisierte Anspruchsarmut",
schreibt der Publizist Richard Meng in seinem Buch Merkelland. Klingt wie 2013,
war aber 2005 – nur dass es jetzt zum Problem werden könnte.
Mal
sehen, wie sich die Kabinettliste präsentiert. Ein sehr starker Minister könnte
natürlich unabhängig von den lauen Vorgaben eines Merkelkoalitionsvertrages
gute Politik machen.
Allerdings
scheint QUALIFIKATION, wie immer unter einem CDU-Kanzler, bei den
Ministerbesetzungen keine Rolle zu spielen.
Mann, Frau, Ost,
West, rechts, links: Bei der Kabinettsbildung kommt es auf vieles an – nur
nicht auf die Eignung. […]
Der Wähler
wünscht sich Minister, die nach Kompetenz und Charakter ausgesucht werden. [Stimmt NICHT – Guttenberg und
von der Leyen sind ganz ohne Kompetenz beim Wähler extrem beliebt gewesen! – T.] In der politischen Realität begegnet ihm
aber stets die Proporz-Dreifaltigkeit aus Region, Geschlecht und Lager. Bei der
Personalauswahl für den Kabinettstisch ist nicht entscheidend, was jemand kann
und wie er auftritt, sondern woher jemand kommt, ob er Mann oder Frau ist und
wo er oder sie in der eigenen Partei angedockt hat, sprich: wem er oder sie
nützt. Dieses Mal aber ähnelt die Besetzung des Kabinetts einer Gleichung, die
nicht aufgeht. Jeder Versuch, diese Gleichung zu lösen, führt in ein Labyrinth,
aus dem es keinen Ausweg gibt.
Voraussichtlich
16 Ministerposten sind zu vergeben: sieben für die CDU, sechs für die SPD, drei
für die CSU. Die SPD will ihre Ressorts gendergerecht verteilen. In der
internen Machtverteilung zählen die Positionen des Fraktionsvorsitzenden und
des parlamentarischen Geschäftsführers mit. Acht Jobs sind also zu haben, vier
für Frauen. Gesetzt sind, es ist ja die SPD, drei Männer: Sigmar Gabriel,
Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann.
Steinmeier, der
einstige Schatten Gerhard Schröders, zählt SPD-intern als Hannoveraner. In
einer Partei gelten zwar Regeln – nicht aber für den Chef. Gabriel hat seinen
niedersächsischen Männerblock nominiert – er selbst ist in Goslar, Oppermann in
Göttingen zu Hause – und anschließend die anderen großen Landesverbände
aufgerufen, Frauen zu nominieren. So macht man sich keine Freunde. Schon gar
nicht in NRW.
[…] Die CDU hat allem Proporz weitgehend entsagt,
was leichterfällt, wenn alle Macht weiblich ist. […] In der CDU ist es wichtiger, zwischenmenschlich mit der Kanzlerin
klarzukommen, als aus einem mitgliederstarken Bundesland zu stammen. Nicht der
Proporz ist Quelle künftigen Frusts, sondern persönliche Ambitionen, die
unerfüllt bleiben.
[…] Über den
Länderfinanzausgleich heißt es, es gebe nur zwei Leute, die wüssten, wie er
funktioniert. Der eine habe es vergessen, der andere sei verrückt geworden. So
ähnlich verhält es sich jetzt auch mit dem Kabinettsbasteln.
Im
Gegensatz zu den vielen anderen Anti-Merkel-Bewegten, hat das Parteimitglied
Tammox noch keine Entscheidung über sein Abstimmungsverhalten getroffen.
Dazu
möchte ich erst einmal das Vertragswerk sehen und wissen worüber ich eigentlich
abstimme.
Die
Chancen für ein „Ja“ sind allerdings nicht riesengroß.
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