Eins der gemeinsamen Übel
von Religion und Patriotismus ist die arrogante Haltung, die beiden zu Grunde
liegt.
Ein „Wir sind besser als
die“-Denken, aus dem sich relativ leicht auch „wir dürfen mehr als die“ und „die
sind nicht so viel wert wie wir“ ableiten lässt.
Diese Grundhaltung, die
von oben herab erst mal den anderen etwas abverlangt, was man selbst nicht tun
muß, kam exemplarisch in dem Leitartikel wider die doppelte Staatsbürgerschaft
an Licht, den ich vor drei Tagen kritisierte.
Da dies ein Blog ist, in
dem ich schreibe wie mir der Schnabel gewachsen ist, kann ich solche Artikel
nicht wortwörtlich für andere Zwecke einsetzen.
Jedoch habe ich einen
Leserbrief gleichen Inhalts, aber in höflicherer Formulierung an Matthias Iken
geschickt.
Abgedruckt wurde er
natürlich nicht, aber ich bekam eine Antwort des von mir gescholtenen
Redakteurs.
Haben Sie
vielen Dank für Ihren Brief, den ich mit großem Interesse gelesen habe und
dessen Positionen ich verstehen kann. Wenn Sie den Leitartikel genau lesen,
habe ich mich ja weder für das Ius Sanguinis noch für das alte verzopfte
Staatsbürgerschaftsrecht der Siebziger Jahre ausgesprochen. Ganz im Gegenteil
weiß ich, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist – und das ist auch gut.
Ich finde aber die derzeitige Regelung, dass Kinder mit Migrationshintergrund
als Erwachsene dann doch entscheiden können und sollen, welche
Staatsbürgerschaft sie besitzen wollen. Sonst wird sich die multiple
Staatsbürgerschaft von Generation zu Generation fortsetzen und ggfls sogar
weiter vergrößern.
In einem Punkt
aber gebe ich Ihnen recht und bedauere, nicht klarer formuliert zu haben: Es
gibt gerade in der ersten Generation oder bei wie bei Ihnen Ausnahmefälle, wo
doppelte Staatsbürgerschaften sinnvoll sind.
Herzliche Grüße…
So so,
ich bin also ein Ausnahmefall.
Nach
Ikens Politmoral dürfte ich also schon die Doppelte Staatsbürgerschaft
bekommen.
Das ist
natürlich wenn man ein guter Amerikaner und kein schlechter Türke, Rumäne oder
Bulgare ist!
In diesem
Zusammenhang sei an die Unternehmensleitsätze der Axel Springer AG erinnert,
denen jeder Journalist verpflichtet ist:
Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
(AS, Grundsätze und Leitlinien)
Unterstützung
von EU-Ländern oder der Türkei ist bei Springer-Journalisten nicht vorgesehen.
Angela
Merkels Begründung, um den Amerikanern die Lauschangriffe zu verzeihen und Ed
Snowden nicht aufzunehmen, nämlich die „überragende Bedeutung“ des Verhältnisses zu Amerika,
liegt also genau auf Konzernlinie. Kein Wunder, daß
Inhaberin Friede Springer eine enge Freundin der Kanzlerin ist und stetig
Wahlkampfhilfe leistet.
Iken ist
also in meinem speziellen Fall großzügig, aber „multiple Staatsbürgerschaften“
sind ihm ein Grauen, denn sie könnten sich von
Generation zu
Generation fortsetzen und ggfls sogar weiter vergrößern!
Was für eine Horrorvorstellung!
Da prallen Welten aufeinander.
Ich empfinde es als sehr reizvoll multiple Staatsbürgerschaften zu haben.
Ich freue mich für jeden, der das Glück hat und konnotiere das sehr positiv.
Ich glaube fest daran, daß alle davon profitieren, wenn man geistig, kulturell
und genetisch aus einen größerem Pool schöpfen kann und „Deutschland“ weniger
inzestuös auftritt.
Die CDU und vermutlich auch die große Majorität der Deutschen haben sich
aber immer noch nicht von der Idee eines „reinen Volks“, das nicht „durchrasst
und durchmischt“ (O-Ton Edmund Stoiber) sein sollte verabschiedet.
So sehen auch die Leserbriefe zum Iken-Leitartikel aus.
Ja, so ganz langsam beginnt man zwar einzusehen, daß Einwanderung erstens
nicht zu verhindern und zweitens möglicherweise auch noch notwendig ist
(Facharbeiter! Altenpfleger! Rentensystem! Demographie!), aber dann sollen sich
die Ausländer gefälligst auch ordentlich anstrengen und sich wie echte
Musterdeutsche benehmen.
Kulturelle Vielfalt – Nein Danke. Assimilation schwebt den deutschen
Integrationspolitikern vor.
Im Zuge der
aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen der Unionsparteien mit der SPD
bekräftigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch seine
Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft mit folgender Begründung: „Wenn wir
Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft geben, die sie
weitervererben, werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland
haben. Dies bedeute eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen
Gesellschaft“.
Friedrichs
Äußerung ist von drei Wunschdenken geprägt: 1. Er geht von der irrigen Annahme
aus, die „deutsche Gesellschaft“ sei homogen, (2.) deren Identitätsveränderung
verhindert werden müsse (3.) dadurch, dass Minderheiten – Friedrich nennt nur
die Türken – nicht nur ihre Staatsbürgerschaft, sondern auch ihre Sprache,
Identität, Bräuche und Sitten ablegen, sich also assimilieren. Andernfalls wäre
eine Veränderung der „deutschen Gesellschaft“, allein schon aufgrund des
Zusammenlebens, des selbstverständlichen gegenseitigen Prägens und Veränderns,
unumgänglich.
[…] Kommen
wir zurück zu Friedrich: Seine Weltvorstellung in Bezug auf Minderheiten in
Deutschland steht zur aufgeführten deutschen Politik zum Schutz der deutschen
Identität der im Ausland lebenden deutschen Minderheiten nicht nur im krassen
Widerspruch, sondern bringt auch seine Doppelmoral ungeheuerlichen Ausmaßes zum
Vorschein, wenn man bedenkt, dass der Beauftragte für deutsche Minderheiten im
Ausland dem Bundesinnenministerium, also Friedrich, untersteht.
Wer
glaubte völkisches Denken und die Wahnidee von dem überlegenen deutschen Wesen,
an dem die Welt genesen sollte, stürben aus, hat sich zu früh gefreut.
Glücklicherweise gibt es auch besonnenere Stimmen, aber Mehrheitsmeinung ist das noch lange nicht. Heribert Prantl beschreibt einer ungleich größeren Leserschaft als dem Migazin, daß die Optionspflicht die Menschen vor den Kopf stößt und damit die angeblich gewollte Integration sogar massiv behindert.
Beim Widerstand gegen die
doppelte Staatsbürgerschaft handelt es sich um das wohl letzte Gefecht eines
Kampfes, der jahrzehntelang unter dem Motto "Deutschland ist kein
Einwanderungsland" geführt wurde. Es war dies ein Anrennen wider den
Augenschein, weil der Alltag jedem in Deutschland zeigt, dass er in einer
Einwanderungsgesellschaft lebt. Die Anerkennung einer doppelten
Staatsbürgerschaft ist auch Anerkennung dieses Faktums.
Die doppelte Staatsbürgerschaft
verlangt vom Bürger, der in zwei Kulturen zu Hause ist, nicht mehr, sich zu
zerreißen. Sie nimmt den Bürger so, wie er ist: mit seiner Geschichte, mit
seiner Tradition, mit seinen Wurzeln und mit der Identität, die sich daraus
ergibt. Gewiss: Ein neuer Bürger muss sich entscheiden - aber doch nicht dafür,
ob er sich nun ein wenig mehr türkisch oder ein wenig mehr deutsch fühlt. Er
muss sich entscheiden für Demokratie, Rechtsstaat und die Grundwerte der
Verfassung. Die Doppelstaatsbürgerschaft kann dabei helfen. EU-Bürger,
Spätaussiedler und die Kinder aus binationalen Ehen leben gut in Deutschland
mit der doppelten Staatsbürgerschaft; warum sollten dann nicht auch
Deutsch-Türken gut damit leben? Man kann nicht nach Herkunft darüber entscheiden,
ob ein Mensch zwei Pässe haben darf oder nur einen. […]
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