Samstag, 9. November 2013

Nachtrag zu „Patriotismus – Nein, Danke!“



 Eins der gemeinsamen Übel von Religion und Patriotismus ist die arrogante Haltung, die beiden zu Grunde liegt.
Ein „Wir sind besser als die“-Denken, aus dem sich relativ leicht auch „wir dürfen mehr als die“ und „die sind nicht so viel wert wie wir“ ableiten lässt.
Diese Grundhaltung, die von oben herab erst mal den anderen etwas abverlangt, was man selbst nicht tun muß, kam exemplarisch in dem Leitartikel wider die doppelte Staatsbürgerschaft an Licht, den ich vor drei Tagen kritisierte.

Da dies ein Blog ist, in dem ich schreibe wie mir der Schnabel gewachsen ist, kann ich solche Artikel nicht wortwörtlich für andere Zwecke einsetzen.
Jedoch habe ich einen Leserbrief gleichen Inhalts, aber in höflicherer Formulierung an Matthias Iken geschickt.
Abgedruckt wurde er natürlich nicht, aber ich bekam eine Antwort des von mir gescholtenen Redakteurs.

Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief, den ich mit großem Interesse gelesen habe und dessen Positionen ich verstehen kann. Wenn Sie den Leitartikel genau lesen, habe ich mich ja weder für das Ius Sanguinis noch für das alte verzopfte Staatsbürgerschaftsrecht der Siebziger Jahre ausgesprochen. Ganz im Gegenteil weiß ich, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist – und das ist auch gut. Ich finde aber die derzeitige Regelung, dass Kinder mit Migrationshintergrund als Erwachsene dann doch entscheiden können und sollen, welche Staatsbürgerschaft sie besitzen wollen. Sonst wird sich die multiple Staatsbürgerschaft von Generation zu Generation fortsetzen und ggfls sogar weiter vergrößern.
In einem Punkt aber gebe ich Ihnen recht und bedauere, nicht klarer formuliert zu haben: Es gibt gerade in der ersten Generation oder bei wie bei Ihnen Ausnahmefälle, wo doppelte Staatsbürgerschaften sinnvoll sind.

Herzliche Grüße…

So so, ich bin also ein Ausnahmefall.
Nach Ikens Politmoral dürfte ich also schon die Doppelte Staatsbürgerschaft bekommen.
Das ist natürlich wenn man ein guter Amerikaner und kein schlechter Türke, Rumäne oder Bulgare ist!

In diesem Zusammenhang sei an die Unternehmensleitsätze der Axel Springer AG erinnert, denen jeder Journalist verpflichtet ist:

Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
(AS, Grundsätze und Leitlinien)

Unterstützung von EU-Ländern oder der Türkei ist bei Springer-Journalisten nicht vorgesehen.
Angela Merkels Begründung, um den Amerikanern die Lauschangriffe zu verzeihen und Ed Snowden nicht aufzunehmen, nämlich die „überragende Bedeutung“ des Verhältnisses zu Amerika, liegt also genau auf Konzernlinie. Kein Wunder, daß Inhaberin Friede Springer eine enge Freundin der Kanzlerin ist und stetig Wahlkampfhilfe leistet.

Iken ist also in meinem speziellen Fall großzügig, aber „multiple Staatsbürgerschaften“ sind ihm ein Grauen, denn sie könnten sich von

Generation zu Generation fortsetzen und ggfls sogar weiter vergrößern!

Was für eine Horrorvorstellung!

Da prallen Welten aufeinander.
Ich empfinde es als sehr reizvoll multiple Staatsbürgerschaften zu haben. Ich freue mich für jeden, der das Glück hat und konnotiere das sehr positiv. Ich glaube fest daran, daß alle davon profitieren, wenn man geistig, kulturell und genetisch aus einen größerem Pool schöpfen kann und „Deutschland“ weniger inzestuös auftritt.
Die CDU und vermutlich auch die große Majorität der Deutschen haben sich aber immer noch nicht von der Idee eines „reinen Volks“, das nicht „durchrasst und durchmischt“ (O-Ton Edmund Stoiber) sein sollte verabschiedet.
So sehen auch die Leserbriefe zum Iken-Leitartikel aus.


Ja, so ganz langsam beginnt man zwar einzusehen, daß Einwanderung erstens nicht zu verhindern und zweitens möglicherweise auch noch notwendig ist (Facharbeiter! Altenpfleger! Rentensystem! Demographie!), aber dann sollen sich die Ausländer gefälligst auch ordentlich anstrengen und sich wie echte Musterdeutsche benehmen.
Kulturelle Vielfalt – Nein Danke. Assimilation schwebt den deutschen Integrationspolitikern vor.

Im Zuge der aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen der Unionsparteien mit der SPD bekräftigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch seine Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft mit folgender Begründung: „Wenn wir Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft geben, die sie weitervererben, werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland haben. Dies bedeute eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft“.
Friedrichs Äußerung ist von drei Wunschdenken geprägt: 1. Er geht von der irrigen Annahme aus, die „deutsche Gesellschaft“ sei homogen, (2.) deren Identitätsveränderung verhindert werden müsse (3.) dadurch, dass Minderheiten – Friedrich nennt nur die Türken – nicht nur ihre Staatsbürgerschaft, sondern auch ihre Sprache, Identität, Bräuche und Sitten ablegen, sich also assimilieren. Andernfalls wäre eine Veränderung der „deutschen Gesellschaft“, allein schon aufgrund des Zusammenlebens, des selbstverständlichen gegenseitigen Prägens und Veränderns, unumgänglich.
[…]   Kommen wir zurück zu Friedrich: Seine Weltvorstellung in Bezug auf Minderheiten in Deutschland steht zur aufgeführten deutschen Politik zum Schutz der deutschen Identität der im Ausland lebenden deutschen Minderheiten nicht nur im krassen Widerspruch, sondern bringt auch seine Doppelmoral ungeheuerlichen Ausmaßes zum Vorschein, wenn man bedenkt, dass der Beauftragte für deutsche Minderheiten im Ausland dem Bundesinnenministerium, also Friedrich, untersteht.

Wer glaubte völkisches Denken und die Wahnidee von dem überlegenen deutschen Wesen, an dem die Welt genesen sollte, stürben aus, hat sich zu früh gefreut.

Glücklicherweise gibt es auch besonnenere Stimmen, aber Mehrheitsmeinung ist das noch lange nicht. Heribert Prantl beschreibt einer ungleich größeren Leserschaft als dem Migazin, daß die Optionspflicht die Menschen vor den Kopf stößt und damit die angeblich gewollte Integration sogar massiv behindert.

Beim Widerstand gegen die doppelte Staatsbürgerschaft handelt es sich um das wohl letzte Gefecht eines Kampfes, der jahrzehntelang unter dem Motto "Deutschland ist kein Einwanderungsland" geführt wurde. Es war dies ein Anrennen wider den Augenschein, weil der Alltag jedem in Deutschland zeigt, dass er in einer Einwanderungsgesellschaft lebt. Die Anerkennung einer doppelten Staatsbürgerschaft ist auch Anerkennung dieses Faktums.
Die doppelte Staatsbürgerschaft verlangt vom Bürger, der in zwei Kulturen zu Hause ist, nicht mehr, sich zu zerreißen. Sie nimmt den Bürger so, wie er ist: mit seiner Geschichte, mit seiner Tradition, mit seinen Wurzeln und mit der Identität, die sich daraus ergibt. Gewiss: Ein neuer Bürger muss sich entscheiden - aber doch nicht dafür, ob er sich nun ein wenig mehr türkisch oder ein wenig mehr deutsch fühlt. Er muss sich entscheiden für Demokratie, Rechtsstaat und die Grundwerte der Verfassung. Die Doppelstaatsbürgerschaft kann dabei helfen. EU-Bürger, Spätaussiedler und die Kinder aus binationalen Ehen leben gut in Deutschland mit der doppelten Staatsbürgerschaft; warum sollten dann nicht auch Deutsch-Türken gut damit leben? Man kann nicht nach Herkunft darüber entscheiden, ob ein Mensch zwei Pässe haben darf oder nur einen. […]




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