Letzten
Sonntag gingen Heinz-Jürgen und Sigrun Müller in Molfsee (Schleswig Holstein)
in ihr Wahllokal und wollten an der Europawahl teilnehmen.
Obwohl
sie ihre Wahlbenachrichtigungskarte dabei hatten, klappte es nicht. Ihre Namen
waren in der Wahlliste schon abgehakt. Jemand anderes hatte offenbar schon für
sie gewählt. Ihnen blieb nichts anderes übrig als unverrichteter Dinge nach
Hause zu gehen. Sie durften nicht wählen.
Bürgermeister Roman Hoppe nahm es locker. Der Name „Müller“ sei nun einmal
so häufig; da könnten sich mal Fehler einschleichen.
Giovanni di Lorenzo wählte dafür gleich zweimal. Auch das war illegal, aber woher
sollte er das wissen? Der Mann ist schön. Das reicht doch. Er muß sich nicht auch
noch mit Politik auskennen.
Ich
spekuliere an dieser Stelle, daß der Fall Müller aus Molfsee nicht der einzige
Wahlbetrug war in Europa war. Ob wohl jeder Roma in Ungarn ungehindert im
Wahllokal seine Stimme abgeben konnte? Lief wirklich alles glatt in der
Slowakei und auf Zypern?
Die
Unregelmäßigkeiten in Deutschland fallen allerdings weniger ins Gewicht, weil
es kaum irgendwo so viele Stimmen für einen EU-Parlamentssitz bedarf wie bei
Merkel.
Europa
wählt nämlich mit degressiver Proportionalität. Je mehr Einwohner ein Land hat,
desto weniger zählt die Wahlstimme eines einzelnen Wahlberechtigten.
Das
Prinzip wird immer dann verwendet, wenn sehr unterschiedlich große Einheiten verbunden
werden. Wir kennen das aus dem deutschen Bundesrat, in dem die Sitze ebenfalls degressiv
proportional zur Einwohnerzahl der Bundesländer vergeben werden. Das Bundesland
Bremen hat beispielsweise 656.000 Einwohner und bekommt dafür drei Bundestagssitze. Es
erhält also einen Sitz auf rund 220.000 Einwohner.
Nach
diesem Schlüssel erhielte das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfahlen
mit seinen 17,5 Millionen Einwohnern satte 80 Sitze! Niedersachsen könnte noch
36 Vertreter in den Bundesrat entsenden, wenn jeder Einwohner Deutschlands das
gleiche Stimmengewicht hätte.
Tatsächlich
haben NRW und NdS aber nur je sechs Sitze.
In
Nordrhein-Westfalen braucht man aber fast drei Millionen Menschen für einen
Bundesratssitz.
Das
heißt also, daß die vier Städte Köln (1 Mio Einwohner), Düsseldorf (600.000),
Dortmund (570.000) und Essen (560.000) zusammen gerade mal einen Sitz bekommen,
während Bremen allein mit 650.000 Einwohnern gleich drei Sitze innehat. Ein
Bremer ist demokratisch betrachtet 13 mal so viel wert wie ein Kölner.
Das Prinzip
gilt auch in der EU. Nach dem Vertrag von Lissabon (2007) wurden die Sitze
sogar noch etwas unproportionaler als nach dem vorherigen System (Vertrag von
Nizza 2000) verteilt.
Deutschland
verlor drei Sitze, während das winzige Malta einen Abgeordneten gewann.
Das
höchste Stimmengewicht hat ein Wähler in Malta. Es braucht nur 68.000 von ihnen
für einen Sitz im EU-Parlament.
84.000
Luxemburger, 133.000 Zyprioten und 250.000 Letten repräsentieren jeweils einen
Sitz im Brüssel.
Ein
Franzose, Spanier, Italiener, Brite oder ein Deutscher hat relativ gesehen nur
ein Zehntel des Stimmrechtes.
Es
braucht jeweils deutlich über 800.000 Einwohner pro EU-Sitz. Das ungünstigste
Verhältnis hat dabei nicht etwa das bevölkerungsreichstes Land Deutschland (852.083
Stimmen pro Sitz) sondern Frankreich mit sogar 874.514 Stimmen. Aber auch ein Spanier
ist noch weniger wert als ein Deutscher.
Das
Prinzip der degressiven Proportionalität führt also zu extremen Verzerrungen
der Grundregel „One man, one vote“.
Rechtfertigen
läßt es sich allerdings mit der Rücksicht auf die historisch entstandenen
Nationen. Malta oder Luxemburg würden bei proportionaler
Stimmenverteilung völlig untergehen, da sie jeweils nur ein Promille der
EU-Bürger stellen.
EU-Wahlen
sind aber auch auf nationaler Ebene keineswegs gleich.
Unser
deutsches Wahlrecht und Auszählungssystem führt zu weiteren extremen Verzerrungen.
Martin
Sonneborn bekam mit seiner PARTEI 184.525 Stimmen und damit genau einen Sitz
in Brüssel. Damit sind die Satirepartei-Wähler die potentesten ganz
Deutschlands!
Obwohl
die Piraten mehr als doppelt so viele Stimmen bekamen, nämlich 424.510 Stimmen,
erhalten sie ebenfalls nur einen Sitz. Wären ihre Wähler genauso viel wert wie
Sonneborns Epigonen, könnten 2,3 Piraten in Brüssel sitzen.
Schuld
ist das Auszählungssystem.
Während
CDU und SPD jeweils rund 300.000 Wähler pro EU-Sitz stellen, gibt es bei ÖDP,
freien Wählern und Piraten grobe Verzerrungen. Es liegt am mathematischen
Mandatszuteilungsverfahren.
Steinmeier
ist schon schwer genervt.
„Hände weg von deutschen Titten! Nein zur
EU-Norm-Brust“, stand auf Wahlplakaten von Ex-Titanic-Chefredakteur Martin
Sonneborn und seinen Mitstreitern. Kaum war Sonneborn gewählt, verkündete er,
sein Mandat bereits in einem Monat wieder niederlegen zu wollen. Frank-Walter
Steinmeier regt das auf. „Parteien, die sich am Tag nach der Wahl einen Spaß
daraus machen, sich publikumswirksam zurückziehen, leisten keinen Beitrag zur
Demokratie, eher das Gegenteil“, sagt er am Freitag der FAZ. […] Die Freien Wähler benötigten knapp 429000Stimmen je Mandat, die
größeren Parteien um die 300000. Sonneborn kam aber ins Europaparlament, obwohl
seine Partei nur 184525 Stimmen erhielt. [….] Bei den ersten beiden
Europawahlen wurde das Verfahren von Victor d’Hondt eingesetzt, später das von
Thomas Hare und Horst Niemeyer. Seit der Wahl 2009 wird das
Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren verwendet. Das hat sich eigentlich bewährt, der
Wegfall der Sperrklausel hat jetzt aber eine Schwäche offenbart, von der
Sonneborn profitiert. Das ist auch deshalb delikat, weil das
Bundesverfassungsgericht die Hürden gekippt hat, um die Wahlrechtsgleichheit zu
verbessern. Wegen des Wegfalls der Sperrklausel kann es jetzt aber passieren,
dass eine Partei mehr als doppelt so viele Stimmen wie eine andere gewonnen
hat, sich aber trotzdem mit derselben Zahl an Mandaten begnügen muss. So ist es
diesmal jedenfalls den Freien Wählern im Vergleich zu Sonneborn ergangen.[…]
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