Beerdigungen
können würdig ablaufen, sind aber übelicherweise nicht gerade angenehm, wenn
man emotional beteiligt ist.
Ich habe
diese Erfahrung früh gemacht.
Die
meisten Jungs haben in der Grundschule einen besten Freund.
Meiner
hieß Mark und a posteriori bin ich der Meinung, daß wir uns wirklich sehr gern
mochten.
Ich
jedenfalls wollte immer möglichst viel Zeit mit ihm verbringen.
Obwohl,
oder vermutlich eher „weil“ wir so unterschiedlich waren, ergänzten wir uns
perfekt.
Ich
war 1 ½ Jahre jünger, aber besser in der Schule und der kontemplative Typ.
Er
war mehr der klassische „Rabauke“, der sich immer selbstlos vor mich stellte,
wenn irgendjemand gemein zu mir war.
Marks
Elternhaus war…. nun ja, das würde zu persönlich werden.
De
facto wohnte Mark teilweise bei mir.
Kurzfristig
verloren wir uns etwas aus den Augen, nachdem ich mit neun Jahren die Schule
wechselte.
Es
würde mich brennend interessieren, was aus ihm geworden wäre - wenn er nicht
mit 14 bei einem Verkehrsunfall gestorben wäre.
Am
Tag der Beerdigung hatte ich meine erste prägende Erfahrung mit der Kirche.
Von
der Bibel hatte ich schon im Konfirmandenunterricht gehört, aber den Kurs hatte
ich bereits abgebrochen - trotz der Drohung des Pfarrers dann keine Geschenke
zu bekommen.
Da
meine Eltern aber beide schon lange aus der Kirche ausgetreten waren, schreckte
mich das wenig.
Mark
hingegen wollte sich unbedingt konfirmieren lassen - WEGEN der Geschenke. Ob er
an Gott geglaubt hat, weiß ich nicht. Die Beerdigung war jedenfalls kirchlich.
Man
setzte mich neben Marks Mutter, die nicht gerade überraschend die ganze Zeit
heulte und immer wieder stammelte, daß ihr Sohn genauso groß wie ich wäre.
Dem
Pfarrer, der bei seiner Rede soeben Marks tiefe Gläubigkeit anhand des
Konfirmationsspruchs „bewiesen“ hatte, missfiel es außerordentlich gestört zu
werden.
Daher
herrschte er die weinende Mutter während der Trauerrede an, sie solle sich
gefälligst zusammenreißen - schließlich bewiese der frühe Tod ihres Sohnes, daß
Gott ihn besonders geliebt habe.
„Whom
the gods love, die young“ - das ist ja das was man in der Situation am liebsten
hört.
Das ist
lange her und nach einigen weiteren miesen Beerdigungen, glaube ich zu wissen
wie man es besser macht.
Ich habe
auch schon Beerdigungen als nächster Angehöriger geplant und durchgeführt und
wage zu behaupten, daß ich in dieser Disziplin weit besser bin.
Einer
der Tricks ist mit den engen Angehörigen und Freunden zu Lebzeiten das Thema zu
besprechen, so daß man als „Hinterbliebener“ genau weiß, was der Tote gern
gehabt hätte.
Noch
besser ist natürlich seine Beerdigung selbst zu planen.
Meine
eigene Beerdigung ist seit fast 20 Jahren detailliert festgelegt. Ich habe
einen Vertrag mit einem Institut abgeschlossen und trage stets eine
Kontaktkarte bei mir.
Wenn mir
also morgen auf der Straße ein Ziegelstein auf die Birne fällt, muß wer immer
mich findet, nur diese Nummer anrufen und alles läuft von selbst, ohne daß ein
Verwandter noch Entscheidungen treffen müßte.
Man kann
die Aktion auch ohne Brimborium und Peinlichkeiten durchführen.
Unpraktisch
ist natürlich, wenn der unter die Erde zu Bringende anders als ich eine
Berühmtheit ist.
Dann
müssen möglicherweise Fans und Presse berücksichtigt werden.
Dennoch
könnte sich eine berühmte Sängerin oder ein großer Sportler dem Rummel
entziehen.
Ich kann
keine Notwendigkeit erkennen einen Robert Enke unter Beteiligung Zehntausender
in einem Stadion aufzubahren. Widerlich taktlos.
Ganz
schwierig wird es bei toten Staatsmännern oder Ehrenbürgern. Dann gibt es
tatsächlich eine Pflicht des Staates oder der Nation eine entsprechende
Würdigung durchzuführen.
Wer
allerdings eine Ehrenbürgerschaft annimmt oder als Regierungschef fungiert,
akzeptiert damit auch ein solches Ende.
Manch
einem gefällt es. Maggie Thatcher soll mehrere Jahre ihre eigene Beerdigung
geplant haben und war peinlich darauf bedacht den Aufwand, der um die 1997 in
Paris zerschellte Prinzessin betrieben wurde, noch deutlich zu übertreffen.
Hamburger
Ehrenbürger werden traditionell im „Michel“ verabschiedet. Obwohl wir eine sehr
säkulare Stadt sind, in der Gläubige eine Minderheit stellen, ist die imposante Hauptkirche St. Michaelis das
Wahrzeichen Hamburgs. „Der Michel“ prangt auch auf der 2-Euro-Münze Hamburgs.
Ich
selbst war Zaungast als am 25.11.2002 im Michel der Staatsakt zum Tode des
Hamburger Ehrenbürgers Rudolf Augstein stattfand.
Helmut Schmidt,
sowie der amtierende Bundeskanzler Schröder und der amtierende Bundespräsident
Rau fuhren in einem Kleinbus vor, während Augstein-Tochter Franziska ebenfalls
unprätentiös zusammen mit Heribert Prantl im Taxi vorfuhr.
Sie war
es auch, die nach der unbeholfenen Rede des amtierenden Bürgermeisters von
Beust die in Erinnerung bleibenden Worte "Den toten Löwen ziehen auch die
Hasen an der Mähne" sprach. Spätestens seit diesem Auftritt verehre ich
Franziska Augstein.
Auch am 24.03.2002
sah ich am Michel vorbei, als die große Hamburger Ehrenbürgerin Marion Gräfin
Dönhoff mit einem Staatsakt verabschiedet wurde.
Diesmal
war Raus Rede gut, aber es war Helmut Schmidt, der brillierte, als er seine
enge Freundin würdigte.
Der
Michel kann einen würdigen Rahmen bieten.
Unpraktisch
ist nur, daß es sich dabei immer noch um eine Kirche handelt.
Bei
Trauerfeiern meldet sich daher gerne ein Bischof zu Wort und den
allgegenwärtigen Michel-Pastor kann man ohnehin nicht vermeiden.
Dazu muß
man wissen, daß der „Michel-Pastor“ in der Hamburger Society so etwas wie der
heimliche Bischof des Nordens ist.
Einen
prächtigeren Job gibt es nicht für Evangelen in Hamburg.
Es gab
in den letzten hundert Jahren nur sieben Hauptpastoren von St. Michaelis.
August
Wilhelm Hunzinger 1912–1920
Simon
Schöffel 1922–1954
Hans-Heinrich
Harms 1960–1967
Hans-Jürgen
Quest 1967–1987
Helge
Adolphsen 1987–2005
Alexander
Röder seit 2005
Dagegen
sind selbst Pontifikate kurzlebig. Niemand gibt den Job freiwillig ab.
Insbesondere
Helge Adolphsen war in einem Maße promigeil, daß er öfter in den
Boulevardblättern auftauchte als heutzutage Judith Rakers – und die drängelt
sich bekanntlich vor jede Kamera und geht zu jeder noch so abstrusen
Veranstaltung, wenn für sie in Bild in Abla, Mopo oder BILD rausspringt.
Adolphsen
war diesbezüglich extrem unhanseatisch. Man sagte ihm nach, daß er sogar an
roten Ampeln sofort anfing zu grinsen, weil er das Rotlicht für eine
Fernsehkamera hielt. Es ist kaum möglich ein Bild von ihm zu ergooglen, auf dem
er nicht manisch breit grinst und sich in die Bildmitte gedrängelt hat.
Die Wege
der Hamburger Hauptpastoren in die Politik sind kurz; 2005 wurde der Hauptpastor
Lutz Mohaupt von St. Jacobi Senatssprecher des CDU-Oberbürgermeisters Ole von
Beust.
Diese
Selbstbegeisterung des Hauptpastors korrelierte ganz wunderbar mit der grotesken Maximalhalskrause, die Pfaffen in
Hamburg tragen.
Sie
wirken damit immer wie eine umgekehrte Klobürste und sind schon deswegen so
schlecht ernst zu nehmen.
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Bischöfin Fehrs |
Adolphson
durfte gefühlte 10.000 mal seine Ansichten in Kolumnen des Hamburger Abendblattes
ausbreiten und obwohl ich wirklich extrem abgehärtet gegen religiotischen Blödsinn
bin, haute der Ober-Michelaner mich mit seiner fast an Käßmann heranreichenden Dummheit
immer wieder um.
Den gegenwärtigen
Amtsinhaber Alexander Röder kenne ich noch aus der Schule; wir haben beide in
demselben Gymnasium Abitur gemacht.
Offensichtlich
muß das für die Religiosität nichts bedeuten, obwohl auch das Institut für
Evangelische Theologie der Hamburger Uni direkt an die Labore grenzte, in denen
ich jahrelang studierte, haben wir offensichtlich etwas unterschiedliche
Ansichten zur Religion entwickelt.
Röder
ist für mein Gefühl nicht ganz so mediengeil wie sein Vorgänger und ich lese
auch deutlich weniger über ihn – was ich für ein gutes Zeichen halte.
Aber bei
den vermaledeiten Staatsbegräbnissen nutzt er natürlich die Gelegenheit sich in
Szene zu setzen.
Als 2010
die von mir adorierte Hamburger Ehrenbürgerin Loki Schmidt im Michel mit einem
Staatsakt geehrt wurde, war es wieder so weit.
Die
Honoratioren kamen…
Unter den rund 2200
Trauergästen im Michel sind Kanzlerin Angela Merkel (kam mit dem Hubschrauber
eingeflogen), die Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Horst Köhler
mit ihren Gattinnen. Neben zahlreichen weiteren Politikern sind auch Prominente
aus Wirtschaft, Kultur und Sport gekommen. Darunter Schriftsteller Siegfried
Lenz und Hamburgs Fußball-Idol Uwe Seeler.
(BZ
01.11.2010)
…und mit
ihnen Alexander Röder, der sich mit Banalitäten über die Atheistin Loki Schmidt
blamierte.
Den kirchlichen Teil
der Trauerfeier übernehmen Hauptpastor Alexander Röder und Landesbischof i. R.
Professor Eduard Lohse. Er sagt über Loki Schmidt: „Bis zuletzt hat sie viel
Gutes bewirken können, mit Warmherzigkeit vielen Menschen geholfen und große Anerkennung
und Verehrung erfahren.“
(BZ
01.11.2010)
Scheinbar
ist es so bei dieser Art Großbeerdigungen, daß viel Unsinn und Banales
gesprochen wird. Bei Loki Schmidt kam erschwerend hinzu, daß ihr Tod
unglücklicherweise in die Miniamtszeit des vollkommen überforderten feisten
Heidelbergers Christoph Ahlhaus fiel.
Was muß
das für eine entsetzliche Qual für den armen Helmut Schmidt gewesen sein, den pyknischen CDU-Raffke zum Tod seiner Ehefrau anzuhören?
Scheinbar
ist es so bei dieser Art Großbeerdigungen, daß es aber auch immer einen gibt,
der die richtigen Worte findet.
In
diesem Fall war es Lokis Freund Henning Voscherau, der es anders als sein
Nachnachnachfolger Ahlhaus vermochte genau das Richtige zu sagen.
Es gibt sehr wenig Hamburger Ehrenbürger.
Zu ihnen
gehörten Max Brauer Ida Ehre, Gerd Bucerius, Herbert Wehner, Rudolf Augstein,
Marion Gräfin Dönhoff und Siegfried Lenz.
Es leben
gegenwärtig nur sechs von ihnen; darunter Prof. John Neumeier und Michael Otto.
Da ist
es schon außerordentlich bemerkenswert, daß nicht nur die Ehrenbürger Helmut
Schmidt und Marion Dönhoff eng befreundet waren und Jahrzehnte zusammen
arbeiteten, sondern daß sogar DREI Ehrenbürger, nämlich Helmut Schmidt, Loki
Schmidt und Siegfried Lenz zusammen mit Lilo Lenz über ein halbes Jahrhundert
eine intensive Freundschaft pflegten.
Daß Lenz
am 07.10.2014 starb dürfte ein katastrophaler Schlag für Helmut Schmidt gewesen sein,
der mit ihm seinen letzten guten Freund verlor.
Zur
Person Lenz muß ich an dieser Stelle nichts sagen.
Es erschienen hunderte Nachrufe, die ihn in den höchsten Tönen lobten.
Ich schließe
mich dem an. Lenz war 2001 hochverdient zum Ehrenbürger erhoben worden und ich
kann mich den Lobeshymnen nur anschließen. Ein großartiger Mann.
Weniger
schön ist es natürlich, wenn ein atheistischer Sozialdemokrat wie Lenz am
28.10.2014 beim Staatsakt im Michel von Hauptpastor Röder für das Christentum
vereinnahmt wird.
Und da
bin ich wieder bei meinem Schulfreund Mark:
Pfaffen haben keinerlei Schamgefühl und nutzen das Leid anderer in dreister
Weise aus, um für ihre Agenda zu werben.
Röder blamierte
sich bei Lenz auf ganzer Linie.
Siegfried Lenz waren
viele Talente anvertraut, und er hätte sie noch länger nutzen können. Manches
hätte er gern noch weiter durchdacht, bearbeitet und aufgeschrieben. Doch es
sollte genug sein für dieses große und lange Leben. Ein großes Leben?
Als wir, liebe Frau
Lenz, über einen passenden Psalm für diese Trauerfeier sprachen, zögerten Sie,
als ich jenen vorschlug, in dem der Beter zu Gott sagt: "Ich danke dir
dafür, dass ich wunderbar gemacht bin." So hätte er nicht von sich
gesprochen. Siegfried Lenz war bescheiden, wenn es um seine Person ging, und
darin wohl liegt der Ursprung seiner Größe als Mensch und als Schriftsteller,
dass er alles, was ihm an Talenten gegeben war, nutzte und pflegte, um es mit
anderen zu teilen. Ein reich beschenkter Mensch, der seinerseits durch die
vielen Jahrzehnte seines literarischen Schaffens Generationen beschenkt, zum
Nachdenken und zum Suchen angeregt, gerührt und zum Schmunzeln gebracht hat.
[….] es
beglückte ihn, wenn ein Mensch in seinen Werken etwas finden konnte, worin er
sich entdeckte, das zu ihm passte, das einen Weg öffnete und das Denken weiterführte.
Fünf Zentner oder Talente Silber wurden dem Knecht in der Erzählung aus dem
Matthäusevangelium anvertraut. Das war eine unvorstellbar große Summe, mit der
der Knecht im guten Sinne "gewuchert" hat, um noch viel mehr daraus
zu machen - doch nicht für sich. Als sein Herr nach langer Zeit zurückkehrt,
empfängt der Knecht weit mehr als nur ein Lob. Ihm wird ein Weg gewiesen:
"Geh hinein in deines Herrn Freude." Dürfen wir diese biblische
Erzählung einfach übertragen?
Siegfried Lenz hat
viele Talente geschenkt bekommen und hat sie in vielfacher Weise genutzt […] und - ja, ich wage dieses Wort - als ein Hirte, der Weg- und
Lebensweisungen gab, ohne stolz voranzugehen und seine Herde gar nicht im Blick
zu haben, sondern hinter ihr zu bleiben in aller Bescheidenheit, aber mit
größter Wachsamkeit. […] Siegfried
Lenz lebt in seinen Werken weiter. Der christliche Glaube sieht noch weiter und
glaubt und verkündet ein Leben in der Ewigkeit Gottes hinter der Grenze des
Todes. Aus diesem Glauben heraus wächst die Gewissheit, dass Siegfried Lenz das
Wort dessen gehört hat, der ihm in diesem Leben so viel anvertraut hatte, dass
er Jesus Christus gehört hat, der zu ihm sagt: "Geh hinein in deines Herrn
Freude." In solchem Glauben möge Ihre Trauer gewandelt und das Andenken an
Siegfried Lenz zum Staunen und der Freude geführt werden, dass er so reich
beschenkt war und so reich hat schenken können. Amen.
Die
Frechheit Röders sogar trotz des Widerwillens der Witwe Psalmen zu verwenden,
nach denen Gott für das Lenzsche Talent verantwortlich war, muß man erst einmal
haben.
Wer Lenz‘
Bücher auch nur ein bißchen kennt, dem biegen sich bei der Predigt die Fußnägel
hoch.
Vorgestern
war es wieder Helmut Schmidt, der seinen toten Freund tapfer gegen den Pfaff
verteidigte.
Es war aber ebenfalls
Helmut Schmidt, der sich einer wohlüberlegten Spitze gegen das christliche
Zeremoniell in Hamburgs schöner Hauptkirche nicht enthalten konnte.
Michel-Pastor Alexander Röder hatte einleitend von "wir Christen"
gesprochen und eine nicht ganz passende Bibelstelle zum Zentrum seiner Rede
gemacht: ein Gleichnis über fünf Zentner Silber, deren selbstlose Vermehrung
durch uns "Knechte" mit der freudigen Einkehr beim Herrn belohnt
werde.
Dieser Eingemeindung
von Lenz ins Christliche musste Schmidt im Geiste der Aufrichtigkeit, die er
als Kern ihrer Freundschaft beschrieb, widersprechen: Er und "Siggi",
wie er Lenz konsequent nannte, seien sich immer darüber im Klaren gewesen, dass
sie "keinen metaphysischen Trost erhoffen dürfen, der uns über die Vergänglichkeit
hinweghelfen könne".
Keine andere Rede
reichte an diese Mischung aus tiefer Betroffenheit und Reserve gegen falsche
Trostworte heran. […]
Sehr
erfreulich, wenn ein Mann in einer Kirche das Wort ergreift und den Pastor verbal
auskontert.