Samstag, 25. Oktober 2014

Persische Fliehkräfte


Religiöse werden niemals von selbst tolerant.
Intoleranz ist schließlich die Apotheose des religiösen Denkens. „Wir sind besser als die, weil wir auserwählt sind und nur wir die Wahrheit kennen. Wir haben Gott auf unserer Seite!“
Daher lässt sich Religion auch so trefflich für machtpolitische Ziele instrumentalisieren. Wer kann schon den k.u.k.-Monarchen in Frage stellen, wenn man doch weiß, daß er von Gott eingesetzt wurde?
„Des lo vult“ lautete in den verschiedensten Varianten immer wieder der Schlachtruf, wenn ein Herrscher in den Krieg zog.
GOTT MIT UNS stand auf den Hakenkreuz-Koppelschlössern der deutschen Wehrmacht.
Wer wollte also bezweifeln, daß Hitler zu Recht in den Krieg zog, als 1939 so gut wie alle Deutschen christlich waren und sich die offiziellen Kirchen auch hinter „den Führer“ stellten?

Eine Entwicklung hin zu mehr Toleranz setzt Apostasie voraus.

Apostasie geht wiederum mit Informationen einher.
Wer isoliert lebt, keinen Input von außen erhält und systematisch von Bildung ferngehalten wird, bleibt religiös.
Aus päpstlicher Sicht war es daher konsequent gegen Luthers Bibelübersetzung vorzugehen. Das Herrschaftswissen über die Inhalte der „Heiligen Schrift“ mußte exklusiv bleiben.
Es ist aus Sicht des nordkoreanischen Kimismus konsequent das Land komplett abzukapseln von Informationen aus der Außenwelt.
Und es war konsequent, daß Europäische Monarchen die Schulbildung ihres Volkes auf ein Mindestmaß zu begrenzen suchten. Die Schäfchen sollten nicht auf „dumme Ideen“ kommen.
So erklärt sich auch der Hass auf die sozialdemokratischen Arbeitervereine Ende des 19. Und Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Sozis organisierten im großen Stil Bildungsvereine für Arbeiter, die von der Idee ergriffen wurden, daß ihre Kinder durch Wissen den Aufstieg schaffen könnten.
Heute, im Zeitalter von DSDS und BILD-Zeitung, in der Ära der Prekariatsunterhaltung und des Unterschichtenfernsehens kaum vorstellbar, daß Fabrikarbeiter und Kohlekumpel mit 70 Stunden Wochenarbeitszeit in großer Zahl und freiwillig in ihrer knappen Freizeit zu Bildungskursen gingen.
Ich halte das für ein menschliches Grundbedürfnis. Man kann das sehr schön in wenig entwickelten Gegenden Afrikas oder Südamerikas sehen, wenn Kinder stundenlange Schulwege zu Fuß auf sich nehmen, um Lesen und Schreiben zu lernen.
Erst ein ausgeklügeltes Panem et Circens-System wie in Deutschland kann diesen Trend stoppen und dazu führen, daß Myriaden Kinder, die es vergleichsweise extrem leicht hätten zur Schule zu gehen, lieber schwänzen sich nicht um einen Abschluss scheren.

Tatsächlich wurde aber damals mit „Volksbildung“ der Erosions-Same für Adelsherrschaft und Religion gelegt.

Es brauchte 200 Jahre Aufklärung, um in Europa die Herrschaft der Christlichen Religion zu brechen.
Jahrtausende hatten Christen auf Sklaverei, Entrechtung von Frauen und Kindern und vielen anderen Perversionen bestanden. Die Menschenrechte mußten mühsam gegen die Religionen erkämpft werden.
In einigen Bereichen kämpfen die Kirchen noch heute verbissen gegen die Menschenrechte (Homoehe, Abtreibung, Sterbehilfe,..).

Im 21. Jahrhundert kann der Prozess der Apostasie durch Globalisierung und Internet im Vergleich zu früheren Jahrhunderten enorm beschleunigt werden.
Das Regime in Pjöngjang fürchtet zu Recht mehr die über die chinesische Grenze massenhaft eingeschmuggelten Datensticks mit westlichen Fernsehserien, als andere Armeen.

Ultraorthodoxe Juden geben sich heute die größte Mühe ihre Kinder vom Internet fernzuhalten, amerikanische evangelikale Christen setzen auf Homeschooling, baden-württembergische Konservative machen Front gegen „Sexualaufklärung“ in den Schulen, Amish-people in Pennsylavnia wehren sich gegen Kommunikationstechniken.
Es ist immer der gleiche Kampf: Religiöse fürchten Einflussverlust durch Bildung.

Ich bin fest davon überzeugt, daß sich der Iran auch in einem Prozess der Apostasie befindet.
Bis 1979 herrschte der persische Schah mit CIA-Unterstützung als Monarch.
Um das Regime loszuwerden bediente sich Ruhollah Chomeini der Religion. Die religiösen Instrumentarien dienten ihm dazu viele revolutionäre Mitstreiter loszuwerden und die Macht allein auf sich selbst zu konzentrieren.
Die fast 80 Millionen Iraner sind aber ein junges Volk, das mit 7,9% eine niedrigere Analphabetenquote als beispielsweise Deutschland hat.
Schon 1997 votierte das Iranische Volk für einen klaren Kurswechsel, indem es Mohammad Chātami zum Präsidenten machte.
Ich bin weiterhin davon überzeugt, daß der Prozess der Liberalisierung des Irans auch nach den beiden Amtsperioden Chātamis weitergegangen wäre. Der Iran bot Amerika nach dem 11. September 2001 Hilfe und Kooperation an.
Die Tür zu einer Westöffnung war offen, die vielen Millionen Studenten hätten es gewünscht.
Es ist GWBs iranophober Wahnsinnspolitik („Iran ist die Achse des Bösen“) und dem Angriff Amerikas auf gleich zwei Nachbarländer des Irans zu verdanken, daß sich 2005 der Hardliner Mahmud Ahmadinedschad mit seiner konfrontativen Außenpolitik und der repressiven Innenpolitik zum Präsidenten aufschwingen konnte. In den ersten vier Jahren seiner Herrschaft besetzte Ahmadinedschad systematisch Schlüsselstellen mit fundamentalistischen Hardlinern. Dennoch kam es 2009 zu gewaltigen Protesten gegen ihn und seinen zweiten Präsidentschaftswahlsieg erreichte er sicher nicht mit korrekten demokratischen Methoden.
Der seit Juni 2013 amtierende Staatspräsident Hassan Rohani stößt nun wieder die Türen einen Spalt auf.
Sehr zum Missfallen der Konservativen, die demonstrativ ihre harte Linie durchsetzen wollen, um die inneriranische Opposition in Schach zu halten.
So erklärt sich der heutige Tod Reyhaneh Jabbaris. Im Hinrichten von Menschen sind sich die USA und der Iran bemerkenswert einig. Aber in Teheran entwickelt sich Widerstand.


[…] Reyhaneh Jabbari sei im Morgengrauen gehängt worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Irna unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft in Teheran.
[…]  Die 26-Jährige war wegen Mordes an dem Geheimdienstmitarbeiter Mortesa Abdolali Sarbandi verurteilt worden. Dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, Ahmed Shaheed, zufolge war Jabbari von Sarbandi als Innenarchitektin engagiert worden. In seiner Wohnung soll er versucht haben sie zu vergewaltigen, woraufhin sie ihn in Selbstverteidigung erstochen habe.
Neben iranischen Schauspielern und anderen Prominenten gab es auch im Westen zahlreiche Stimmen, die eine Aussetzung der Todesstrafe für die junge Frau gefordert hatten. […]

Das harsche Durchgreifen gegen „sündige“ Frauen hat auch damit zu tun, daß den Konservativen in Teheran die Knie schlottern. Sie haben Angst vor den Frauen, da diese besser gebildet sind und sich dementsprechend zunehmend emanzipieren.

[…] Nun müssen die obersten Geistlichen sich noch mehr grämen: Iranische Frauen trennen sich immer häufiger von ihren Ehemännern und schmeißen zur Feier des ersten Tages ohne Gatten auch noch ausgelassene „Scheidungspartys“.
„Satanisch“ war das Einzige, was einem der Islam-Gelehrten zu der Tatsache einfiel, dass die Frauen im schiitischen Gottesstaat auch im Eheleben eigene Wege gehen und diese nicht den Vorstellungen der Männer entsprechen. Die Scheidungsrate ist auf 20 Prozent gestiegen in einem Staat, in dem die Ehe die einzige rechtmäßige Form von Partnerschaft ist, die Lebensgemeinschaft häufig von den Eltern arrangiert wird und die Regierung eine hohe Kinderzahl „im Interesse der starken Nation“ einfordert. Scheidung auf Wunsch der Frau ist da nicht gern gesehen.
Dass dennoch immer mehr Frauen aus der Ehe flüchten und den Abschied auch noch feiern, zeigt: Das Selbstverständnis der Iranerinnen hat sich in den vergangenen Jahren verändert. An den Unis sind 60 Prozent der Studenten Frauen, im Arbeits- und Geschäftsleben spielen sie eine andere Rolle als in betont konservativen Gesellschaften wie Saudi-Arabien, Kuwait oder Jordanien: Viele Perserinnen sind finanziell nicht mehr so abhängig von ihren Ehemännern. „Früher heiratete die Frau und fügte sich“, zitiert die Agentur Reuters einen Soziologen. „Heute geht sie, wenn sie unglücklich ist.“
Iran mag eine Islamisten-Republik sein, aber das Land ist der Moderne gegenüber weit aufgeschlossener als die arabische Welt, und seine Rechtsprechung ist in Teilen liberaler als die islamische Lehre. Das zeigt sich im Scheidungsgesetz. […]

Freiheiten, von denen die Frauen von unseren Waffenpartnerländern in Saudi Arabien oder den VAE nur träumen können.

Das religiöse System in Persien bröckelt.



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