Helmut
Schmidts Biograf erklärte am Abend seines Todes, der letzte Satz, den Schmidt
zu ihm gesagt hätte, lautete „Schade, daß einem so wenig Zeit bleibt zu
erkennen, wie raffiniert alles zusammenhängt.“
(Aus dem
Gedächtnis zitiert)
Das
stimmt sicherlich für Helmut Schmidt, aber die allermeisten Menschen erkennen
eigentlich gar nichts, weil sie entweder zu dumm oder zu ignorant oder zu phlegmatisch
sind.
Menschen
wollen gedanklich abgeholt werden; ihnen muss man Eselsbrücken zu bauen.
Sie
können die Realität nicht rational einschätzen und bewerten erst Recht Gefahren
falsch.
Sie
gruseln sich beim Strandurlaub vor todbringenden Haien, haben aber gar keine
Angst vor Kokospalmen, obwohl durch auf den Kopf fallende Kokosnüsse jährlich
100 mal mehr Menschen umkommen, als durch Haiattacken.
10.000
Verkehrstote jährlich erschrecken nicht, 40.000 Tote in deutschen
Krankenhäusern durch Behandlungsfehler, 30.000 Tote durch nosokomiale Krankenhauskeime
auch nicht. 50 Tote durch EHEC lösen hingegen echte Panik aus.
Menschen
müssen Schicksale von der BILD plastisch aufbereitet bekommen, um sich dafür zu
interessieren.
Niemand
interessiert es, daß jeden Tag aufgrund unserer Agrar- und Finanzpolitik 20.000
Kinder elend verhungern. Und der langsame Hungertod dürfte so ziemlich das Grausamste
sein, das einem Kleinkind widerfahren kann.
Wenn
aber in Sachsen die kleine Chantal missbraucht wird, treibt das den deutschen
Michl wochenlang um.
Das Drama braucht ein Gesicht, sonst
begreifen wir es nicht.
Mal
können aber Hunderttausende (Algerien) oder Millionen
(Ruanda, Kongo) abgemurxt werden, ohne daß die UN das irgendwie erwähnenswert findet.
Bei humanitären Katastrophen, die nicht durch politische Gewalt ausgelöst wurden, ist das ganz ähnlich.
Als es in der russischen 5-Millionenstadt St. Petersburg 1990 und 1991 zu echten Hungerwintern kam, war die Partnerstadt Hamburg wie elektrisiert und jeder packte eifrig Care-Pakete. Diese privaten Lebensmittelhilfen wurden so selbstverständlich, daß man in den Supermärkten schon fertig gepackte und adressierte Pakete für 20, 30 oder 40 DM erstehen konnte.
Wenn in anderen Teilen der Welt - Eritrea oder Nordkorea zum Beispiel - Hunderttausende elendig verhungern, interessiert das hingegen wenig.
Auch die Spendenbereitschaft nach Naturkatastrophen ist höchst unterschiedlich.
Der Mega-Tsunami vor Sumatra an Weihnachten 2004 löste eine riesige internationale Spendenbereitschaft aus.
Allein Deutschlands Kanzler Schröder gab das OK zu Hilfen in Höhe von 500 Millionen Euro, die von den 503 Millionen Euro, die Deutsche privat spendeten sogar noch übertroffen wurden.
Als im Juli und August 2010 fast zwei Millionen Pakistanische Häuser durch eine gigantische Flut beschädigt wurden, hielt die Weltgemeinschaft demonstrativ die Portemonnaies zu.
Bei humanitären Katastrophen, die nicht durch politische Gewalt ausgelöst wurden, ist das ganz ähnlich.
Als es in der russischen 5-Millionenstadt St. Petersburg 1990 und 1991 zu echten Hungerwintern kam, war die Partnerstadt Hamburg wie elektrisiert und jeder packte eifrig Care-Pakete. Diese privaten Lebensmittelhilfen wurden so selbstverständlich, daß man in den Supermärkten schon fertig gepackte und adressierte Pakete für 20, 30 oder 40 DM erstehen konnte.
Wenn in anderen Teilen der Welt - Eritrea oder Nordkorea zum Beispiel - Hunderttausende elendig verhungern, interessiert das hingegen wenig.
Auch die Spendenbereitschaft nach Naturkatastrophen ist höchst unterschiedlich.
Der Mega-Tsunami vor Sumatra an Weihnachten 2004 löste eine riesige internationale Spendenbereitschaft aus.
Allein Deutschlands Kanzler Schröder gab das OK zu Hilfen in Höhe von 500 Millionen Euro, die von den 503 Millionen Euro, die Deutsche privat spendeten sogar noch übertroffen wurden.
Als im Juli und August 2010 fast zwei Millionen Pakistanische Häuser durch eine gigantische Flut beschädigt wurden, hielt die Weltgemeinschaft demonstrativ die Portemonnaies zu.
Wenn IS-Terroristen in Paris 130 Menschen abmurxen
finden wir es auch sehr schlimm. Logischerweise. Denn man kennt Paris. Die Bilder
sind sehr plastisch. Und Frankreich ist nahe.
Es wird
sich für immer in das kollektive westliche Gedächtnis als ultimatives Entsetzen
einbrennen, wie am 11.09.2001 die WTC-Türme in sich zusammensackten und 3.000 Menschen
starben.
Die
Bilder waren extrem spektakulär und es traf zudem einen extrem symbolträchtigen
Ort.
Das war
die Superpropaganda schlechthin. Damit konnte man noch Jahre später Politik
machen.
Daß in
Folge des US-Angriffs auf den Irak, der rein gar nichts mit dem 11.09.2001 zu
tun hatte, nicht 3.000, auch nicht 30.000, sondern eher 300.000 Unschuldige
starben, ist hingegen kaum einem Menschen bewußt.
So sind
wir.
Ungerecht
und unaufmerksam.
Es gibt
keine emotionale Gerechtigkeit.
Deswegen
halte ich es auch für höchst unsinnig, wenn politisch Hyperkorrekte auf die
ungerechte Verteilung des Mitgefühls bei den Anschlägen vom 13.11.2015
hinweisen.
Auf große Katastrophen
und Ereignisse folgt üblicherweise ein Facebook-Trend. Noch bevor die
Sachverhalte aufgeklärt sind, ändern User ihr Profilbild. Auch nach den
Attentaten in Paris können die Mitfühlenden ihr Foto jetzt blau-weiß-rot färben
und Haltung zeigen.
Facebook-Nutzer kennen
das schon: Sie sind Charlie. Oder, um die Ehe für alle zu unterstützen, können
sie die Regenbogenfahne über ihre Profilbilder legen. Nun ist es die
französische Flagge. Nur: Statt einer sozialen Bewegung wird hier gleich ein
ganzer Staat symbolisiert, was viele fraglos mitmachen.
Was ist
mit den vielen Opfern, die im Libanon und Syrien umkommen?
Wieso hat niemand sein Facebook-Profil in den russischen Nationalfarben eingefärbt, als zwei Wochen zuvor ein russisches Flugzeug mit 224 Insassen über der Sinai-Halbinsel gesprengt wurde?
Wieso hat niemand sein Facebook-Profil in den russischen Nationalfarben eingefärbt, als zwei Wochen zuvor ein russisches Flugzeug mit 224 Insassen über der Sinai-Halbinsel gesprengt wurde?
Doch kaum ist das
Profilbild umgefärbt, kommen die Nörgler. Diese Form der Solidarität sei
oberflächlich, die Unterstützung und Anteilnahme würde über ein paar hübsche
Farben und drei, vier Klicks nicht hinausgehen. Und überhaupt: Bei anderen
Anschlägen sei die Anteilnahme im Netz längst nicht so groß gewesen.
Der
Grund für die Ungerechtigkeit gegenüber syrischen und russischen Opfern ist,
daß wir Menschen bedauerlicherweise blöd sind und nie gerecht sind.
Wir
urteilen letztendlich gefühlig.
So
entscheidet der deutsche Urnenpöbel auch Wahlen.
Merkels „sie
kennen mich!“ hat ihr den Wahlsieg gesichert.
Das
wohlige Gefühl der Vertrautheit.
Deswegen
erscheinen auch Wahlplakate ohne Text.
Deswegen
haben Vernunft und Argumente immer das Nachsehen hinter dem Bauchgefühl für
eine Person.
Wir
interessieren und dafür, was wir kennen und was wir uns vorstellen können.
Verhungernde
Kinder im Kongo und dem Südsudan sind a) weit weg, haben b) eigenartige Namen
und c) auch noch eine sehr dunkle Haut.
Das
interessiert nicht.
Das ist
bedauerlich für diejenigen, die unserer Solidarität womöglich viel mehr
bedürfen, als das relativ reiche und zivilisierte Frankreich.
Aber
wenn wie bei solidarischen Gefühlen auch noch auf Gerechtigkeit pochen, geht
das im Grunde anständige Gefühl des Mitleids am Ende ganz flöten.
Daher
lasst den Menschen bitte ihre tricolorierten Facebook-Profilbildchen.
Die
Klage des 26-Jährigen libanesischen Arztes Elie Fares*, ob uns Europäern und
Nordamerikanern arabische Leben weniger wert wären, ist im Grunde eine
Rhetorische.
Ja, andere
Leben sind uns weniger wert.
So sind
wir eben.
Ich
glaube nur nicht, daß das aus purer Bosheit passiert, sondern aus Dummheit und
Ignoranz. Das liegt an der christlichen Prägung, die eben keinen universellen
Humanismus kennt, sondern uns ein gruppenbezogenes „Wir sind besser als die“
einimpft.
*Sind arabische Leben
weniger wert?
[….]
Je länger ich las, desto höher stieg die
Zahl der Toten. Es war schrecklich; es war entmenschlichend; es war völlig und
unwiderruflich hoffnungslos: 2015 endete so, wie es begonnen hatte - mit
Terroranschlägen, die im Libanon und in Frankreich beinahe zur selben Zeit
stattfanden - ausgeführt von verrückten Kreaturen, die Hass, Angst und Tod
verbreiteten, wohin sie auch gingen.
Heute Morgen bin ich
aufgewacht und zwei Städte waren zerbrochen. Meine Freunde in Paris, die noch
gestern gefragt hatten, was denn in Beirut passiert sei, lernten nun plötzlich
die andere Seite kennen. Unsere beiden Hauptstädte waren zerbrochen und
vernarbt. Für uns hier waren das vielleicht alte Nachrichten, für sie aber
Neuland.
Mehr als 128
unschuldige Zivilisten aus Paris sind nicht länger bei uns. Am Tag zuvor waren
45 unschuldige Zivilisten aus Beirut nicht länger bei uns. Die Opferzahlen
steigen, aber wir lernen offenbar nie dazu.
[….]
Als meine Leute am 12. November auf den
Straßen Beiruts in Stücke gesprengt wurden, lautete die Schlagzeile:
"Explosion in Hisbollah-Hochburg", als könnte der politische
Hintergrund einer urbanen Gegend den Terror irgendwie in einen Kontext
einordnen.
Als meine Leute am 12.
November auf den Straßen Beiruts starben, standen die Führer der Welt nicht auf
und verurteilten das. Es gab keine Statements, in denen Sympathie mit dem
libanesischen Volk ausgedrückt wurde [….]
Es gab keine weltweite Empörung darüber,
dass unschuldige Menschen, deren einziger Fehler war, zur falschen Zeit am
falschen Ort zu sein, nie so etwas passieren sollte oder dass ihre Familien
niemals auf solche Weise zerstört werden sollten. Religion oder politischer
Hintergrund eines Menschen sollten nicht darüber entscheiden, ob man
erschrocken ist, dass sein Körper auf dem Zementboden verbrennt.
[….]
Als meine Leute starben, hielt es kein
Land für nötig, seine Sehenswürdigkeiten in den Farben seiner Flagge zu
beleuchten. Nicht einmal Facebook hielt es für nötig, dass meine Leute sich als
"sicher" markieren konnten, so banal das auch sein mag. Hier ist euer
Facebook-Safety-Check: Wir haben, zum jetzigen Zeitpunkt, alle Terrorangriffe
in Beirut überlebt.
Als meine Leute
gestorben sind, hat das die Welt nicht in Trauer gestürzt. Ihr Tod war nicht
mehr als ein irrelevanter Tupfen im internationalen Nachrichtenzyklus, etwas,
das eben in diesen Teilen der Welt passiert.
[….] In einer Welt, die sich nicht um arabische
Leben schert, stehen Araber in der vordersten Frontlinie.
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