Für
einen homo politicus wie mich sind alle Wahlabende große Ereignisse.
Groß,
aber selten gut.
Meistens
wird es noch schlimmer als ich es befürchtet hatte und dann muß man zu allem
Übel auch noch die Menschen, die man an wenigsten leiden kann beim Jubilieren
betrachten.
Gestern
kam es zu der angenehmen Variante, daß ich ein schlechtes Ergebnis erwartete
und es dann doch ganz prima ausging.
Das
schwere, dicke Damoklesschwert, das seit Monaten so bedrohlich über meinem Kopf
schwebte war schlagartig verpufft. Einfach weg. Sehr erleichternd.
Ich
kommentierte mit relativ wenig Häme und wollte das Thema „Bewerbung für die
Olympischen Spiele 2024“ schnell lad acta legen, weil es wirklich Wichtigeres
gibt.
Ja, die
Enttäuschung der Unterlegenen wurde etwas sehr ausgewalzt, aber dabei ging es
hauptsächlich um Sportler und die sind ohnehin nicht für ihre geistigen
Kapazitäten bekannt.
Heute
staune ich allerdings nicht schlecht über das Verhalten der Hamburger Presse.
Seitenlanges
Lamento und Schuldzuweisungen.
Immer
noch wird wie selbstverständlich die Position vertreten, daß man
vernünftigerweise nur FÜR Olympische Spiele sein könne.
Das Aus
für die Bewerbung wird ausschließlich als Schmach und Schande beschrieben. Offensichtlich
wurde das 52%-Dagegen-Ergebnis in den Zeitungsredaktionen als 99%-Zustimmung
uminterpretiert, die aber durch irgendeine Ungerechtigkeit des Satans nicht
zählte.
Der
Abendblatt-Chef Lars Haider ließ sogar wissen wie sehr man sich nun für Hamburg
schämen müsse. Es sei eine Blamage.
Hamburg, Helmut
Schmidts "schlafende Schöne", hat wieder kurz einmal im
Scheinwerferlicht gestanden. Die Stadt war die Hoffnung des deutschen Sports,
aber auch die Hoffnung der deutschen Politik. Niemand hätte es dort für möglich
gehalten, dass die Hanseaten diese Herausforderung nicht annehmen würden.
Jetzt, wo genau das geschehen ist, wird die Wahrnehmung und die Rolle Hamburgs
in Deutschlands eine andere sein. Man wird wieder viel über die
Selbstzufriedenheit der Hamburger lästern, aber auch über ihren fehlenden Mut.
Die Entwicklung der Hanse- zur Sportstadt wird stoppen, weil es kein
gemeinsames Ziel mehr gibt. […] Sagen
wir es, wie es ist: Von außen betrachtet hat sich Deutschland mit Hamburg in
einer Form blamiert, wie man es kaum für möglich gehalten hätte. […] In
die olympische Geschichte wird Hamburg eingehen als der Bewerber, der sich
selbst um eine große Chance gebracht hat.
Ich bin
einigermaßen verblüfft wie wenig Haider in der Lage ist über den Tellerrand
hinaus zu blicken.
Offensichtlich
lebt der Abendblatt-Chef in einem speziellen Biotop und begreift gar nicht, daß
die Mehrheit es eben nicht so sieht, sondern stolz darauf ist, daß sich die
Majorität der Hamburger eben nicht vor den Karren hochkorrupter
Multimilliarden-Lobbyisten spannen ließen.
Dabei hatte es der
Kampagne nicht an Unterstützung gefehlt: Mit Ausnahme der Linken standen alle
Bürgerschaftsfraktionen hinter der Bewerbung. Auch der Hamburger SV und andere
Profisportvereine trommelten. Und sogar lokale Medien warfen ihre neutrale
Beobachterposition über Bord und warben mit Sonderbeilagen, ganzen
Olympia-Zeitungen und einseitiger Berichterstattung für Olympia 2024.
(Benjamin
Knaak, SPON, 30.11.2015)
Was für
eine völlig absurde Wahrnehmung Sport wäre nur in Form von mit 11,2 Milliarden
Euro gepamperten IOC-Veranstaltungen möglich!
Es gibt
doch täglich Sportveranstaltungen, jedes Wochenende sogar sportliche
Großveranstaltungen. Das kann und wird auch weiterhin stattfinden.
Was für
eine völlig absurde Wahrnehmung Stadtentwicklung wäre nur möglich, wenn man
sich Termine und Art der Entwicklungen vom IOC bestimmen läßt.
Bis
gestern Abend hielt ich das Referendum noch für eine normale demokratische
Angelegenheit.
Heute
bekommt es aber doch noch einen ganz anderen Spin:
Die
geballte MACHT Hamburgs; Parteispitzen, Milliardäre, Funktionäre, ausnahmslos
alle Multiplikatoren aus der Medienwelt, Stars, Promis, Unternehmer und
Verbände hatten sich zusammengetan und waren ob dieser Kumulation sicher ihren
Willen durchzusetzen.
Daß sie
nun aber doch am Votum des Souveräns gescheitert sind, können sie offensichtlich
nicht glauben.
In Hamburg haben sich
die Politik, allen voran Bürgermeister Olaf Scholz, und ein Großteil der Medien
früh auf eine nahezu rückhaltlose Unterstützung der Bewerbung festgelegt. Seit
Wochen haben sie das Motto "Feuer und Flamme" durch die Stadt
getragen, gerade in den Zeitungen hatte das Züge einer Kampagne. Früher hätte
dies wohl Wirkung gezeigt, heute nährt so etwas eher Unbehagen.
Ein Unbehagen, das in
Deutschland möglicherweise noch etwas größer ist als anderswo. Und auch dadurch
gefüttert wird, dass die Erfahrungen, die man zuletzt mit Großprojekten gemacht
hat, nicht wirklich ermutigend sind. Stuttgart 21, die Elbphilharmonie, der
Flughafen BER in Berlin-Schönefeld - zuletzt bewiesen deutsche Planer vor
allem, dass sie es nicht können.
(Peter
Ahrens, SPON, 29.11.2015)
Olaf
Scholz hat gestern vorbildlich reagiert, indem er sagte, das Ergebnis
entspräche zwar nicht seinen Wünschen, sei aber eindeutig und zu akzeptieren.
Dazu
nannte er einige objektive Gründe, die zu dem Ergebnis geführt haben könnten.
DAS
hätte der Tenor sein müssen.
Stattdessen
erleben wir heute aber in der Hamburger Presse wütende Beschimpfungen. Das demokratische
Votum wird oftmals gar nicht akzeptiert. Die Leute hätten ohne Verstand und „aus
dem Bauch heraus“ entschieden.
Es wäre
dumm, provinziell, beschämend, etc.
"Ein Hamburger
Desaster" nennt Diskus-Olympiasieger Robert Harting den Ausgang des Votums
und fragt: "Welche Vision von sportlicher Zukunft verfolgen die Menschen
in dem Land, für das ich kämpfe überhaupt noch?"
Hockey-Olympiasieger
Moritz Fürste kann seine Enttäuschung nicht verbergen. "Sport in
Deutschland ist tot", schreibt er und zeigt sich enttäuscht von dem
kurzsichtigen Denken seiner Heimatstadt.
Die Olympia-Gegner
bekommen nun Wind von allen Seiten. Die verpasste Chance auf Olympia bringt die
Stimmung vielerorts zum Kochen. In den sozialen Netzwerken lassen die Nutzer
ihrem Frust freien Lauf. Harte Worte bleiben aber auch von den deutschen
Sport-Prominenten nicht aus.
Der Präsident des
Deutschen Volleyball-Verbandes Thomas Krone vergleicht den Ausgang des
Referendums mit einem „Dolchstoß für die Entwicklung des Hochleistungs- und
Breitensports unterhalb des Fußballs in Deutschland.“
Geht es
noch?
Das Desaster haben die Hamburger verhindert.
Das Desaster haben die Hamburger verhindert.
Angerichtet
haben das Desaster eben jene Sportfunktionäre, die jetzt am lautesten pöbeln.
Es sind
die im Akkord produzierten Sportfunktionärsskandale, die abschrecken.
DOSB, Fifa,
DFB, IAAF stehen symbolisch für Intransparenz und Korruption bei allen
Sportverbänden.
Davon
haben die Menschen nun – verständlicherweise – die Nase voll.
Das ist
übrigens mitnichten ein Hamburger Phänomen, wie der irrlichternde
Abendblatt-Chef Haider orakelt.
Solche
Megaveranstaltungen wie zum Beispiel die Winterspiele 2022 kann man nur per
order di mufti durchführen. Das Volk will das eben nicht mehr.
·
St.
Moritz/Schweiz 52,66 % Nein-Stimmen
·
München
52,1 % Nein-Stimmen
·
Stockholm/SWE
zu wenig öffentliche Unterstützung
·
Krakau/Polen
69,7 % Nein-Stimmen
·
Oslo/Norwegen
zu wenig öffentliche Unterstützung
Die
Herren Funktionäre Vesper, Hörmann und Rauball sollten also lieber mal in die
Spiegel gucken, statt öffentlich rumzunörgeln.
Wenn
eine Allparteien- und Allmedienkoalition statt einer Diskussion und
Argumentation nur noch auf Kampagnen setzt, in der andere Meinungen völlig
totgeschwiegen werden, macht das misstrauisch.
Damit
haben sich Bürgerschaft, Zeitungen und Verbände einen Bärendienst erwiesen.
A
posteriori machen sie es noch viel schlimmer, indem jetzt munter nachgetreten
wird, weil man ein Wahlergebnis einfach nicht akzeptieren will.
Die
Vespers und Hörmanns sollten ihre kapitale Selbsttäuschung und völlige
Entkopplung von der Realität mal lieber zum Anlass nehmen zurück zu treten und
nicht die Wähler beleidigen.
„Das ist eine Schmach für den Präsidenten des
Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland Alfons Hörmann. Noch vergangene
Woche hat er auf den entscheidenden Elan des deutschen Sports auf allen Ebenen
beharrt.“
(„Le
Figaro.fr“)
Stattdessen
kleben die Herren Funktionäre aller Ebenen förmlich auf ihren Sitzen und nehmen
noch nicht mal wahr, daß niemand ihnen noch vertraut.
Wahrlich
beschämend ist etwas anderes in Hamburg:
Während man in den überregionalen Zeitungen aus München, Berlin und Frankfurt abgewogene Berichterstattung über die Olympiabewerbung findet, in der auch gute Argumente der Gegner aufgelistet sind, gibt es an der Elbe leider keine gute und seriöse Presse.
Während man in den überregionalen Zeitungen aus München, Berlin und Frankfurt abgewogene Berichterstattung über die Olympiabewerbung findet, in der auch gute Argumente der Gegner aufgelistet sind, gibt es an der Elbe leider keine gute und seriöse Presse.
Die taz
erscheint zwar mit einem Hamburg-Regionalteil, aber die Zeitung findet man ob
der homöopathischen Auflage kaum.
Daneben
gibt es die stramm rechten Springer-Postillen „WELT“ und „BILD“, das stramm
konservative und zunehmend personell ausgeblutete „Abendblatt“ aus der
FUNKE-Mediengruppe und schließlich noch das Boulevardblättchen „Hamburger
Morgenpost“ (MoPo) von der Mediengruppe M. DuMont Schauberg.
Die Mopo
gilt als etwas liberaler, hat sich in der causa Olympiabewerbung allerdings von
der schlechtesten Seite gezeigt.
Soll das objektive Berichterstattung sein?
Daß
jemand auch zufrieden mit dem 52%-Ergebnis sein kann, wird von der Mopo noch
nicht einmal als Möglichkeit in Erwägung gezogen.
Auch
nach der Abstimmung werden quasi nur Olympia-Befürworter zitiert.
Ich habe
keinerlei Anlass Mopo, Abla oder gar die Welt zu verteidigen.
Aber
generell ist es ein riesiges Problem, wenn sich die ohnehin auf dem absteigenden
Ast befindliche Printpresse durch Schlampigkeit und Lobbyistenhörigkeit ohne
Not noch unglaubwürdiger macht.
Andere Zeitungen beweisen ja, daß man auch ausgewogen und hintergründig über die Probleme einer
Olympiabewerbung berichten kann.
Es sind aber leider ausgerechnet alle Hamburger Blätter, die mit ihren aufgesetzten Scheuklappen versagen.
Es sind aber leider ausgerechnet alle Hamburger Blätter, die mit ihren aufgesetzten Scheuklappen versagen.
Wenn
immer mehr Menschen pauschal (und falsch) behaupten, man könne „der Presse“
generell nicht trauen, tragen Bild-HH, Welt-HH, Mopo und Abla Mitschuld durch
ihre Unterperformance.
Da passt
es, daß einer der blödsinnigsten Kommentare zum Thema auch von einem Hamburger
Erzeugnis kommt; nämlich dem STERN:
Mit dem "Nein" zu Olympia zeigen die vermeintlich vorausschauenden Gegner, dass ihr Horizont kurz hinter dem eigenen Gartenzaun aufhört. Natürlich hätte ein "Ja" nicht bedeutet, dass die Spiele anschließend auch an die Elbe gegangen wären. Garantiert ist in diesen unsicheren Zeiten nämlich wenig. Aber wer nicht lebt, wird nichts erleben.
Hamburg sei das Tor
zur Welt, heißt es, aber die Bürger haben dieses Tor verriegelt und den
Schlüssel weggeworfen. Die traurigste Erkenntnis daran ist nicht, dass sie den
Schlüssel womöglich nicht wiederfinden werden. Sondern dass sie ihn überhaupt
nicht wiederfinden wollen.
(Tim
Sohr, STERN, 30.11.15)
Genau
umgekehrt wird ein Schuh draus.
Die
Hamburger haben entschieden sich lieber den 50.000 Flüchtlingen in der Stadt zu
widmen; ihnen die Türen und Herzen zu öffnen. Nach wie vor ist die
Unterstützung für die Heimatvertriebenen enorm in Hamburg.
Da ist
das Geld besser eingesetzt, als bei ohnehin steinreichen Sportvermarktern.
Sohr,
setzen, sechs.
Nachtrag:
Jetzt
erst entdecke ich einen sehr schönen Kommentar von Guido Pauling, den ich
dringend noch empfehlen möchte; bitte lesen!
Darin
heißt es unter anderem:
[….]
Ganz gleich ob man nun für oder gegen
Olympische Spiele im Norden ist; man muss feststellen: Die Mehrheit der
Bürgerinnen und Bürger hat sich nicht beeinflussen lassen von dem
Dauergetrommel der lokalen und überregionalen Medien, von nahezu überall
prangenden Olympia-JA-Wahlplakaten, von einer Dauerberieselung pro Olympia, die
selbst vor Feuer-und-Flamme-Parolen auf dem Kassenzettel des Supermarkts nicht
halt gemacht hat.
[….]
Und das ist die zweite überraschende
Erkenntnis: Dass die Eliten in der Stadt, der Hamburger Senat, die Politiker
nahezu aller Parteien, viele herausragende Köpfe der hanseatischen Gesellschaft
die Wähler so falsch eingeschätzt haben.
Von gewaltiger
Enttäuschung, sogar von einem Scherbenhaufen ist die Rede, als ob die Hamburger
etwas kaputt gemacht haben. Hier zeigt sich eine Kluft zwischen den
Meinungsführern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und der
"normalen" Bevölkerung, die nachdenklich stimmen sollte. [….]
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