Und
schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den
Blödmann des Monats zu küren.
Den
Titel bekommt im Oktober die Ideologie der Grenze.
Immer
mehr Europäer glauben 30 Jahre nach „Schengen I“ an die Wiedererrichtung von
Grenzanlagen, mit NATO-Draht bewehrten Zäunen und menschenundurchlässigen Sperren
als Allheilmittel.
Die
zugrundeliegende Idee des Grenzwahns ist die Fiktion man könne alles Fremde
aussperren und dann in einer homogenen Umgebung leben.
Wir
kennen das Prinzip als amerikanischen „gated communities“, in denen ein
dahergelaufener Schwarzer schon mal erschossen wird, weil er dort fremd ist.
Nicht
anders ist die zunehmende innerstädtische Abschottung zu verstehen. In Hamburg
werden Luxuswohnhäuser mit „Concierge“ geplant, so daß Fremde nicht
hereingelassen werden.
Die
Methode kann schon deswegen nicht funktionieren, weil die Definition des
Fremden subjektiv ist.
Da ich
über keine nationalen oder patriotischen Gefühle verfüge, ist mein Maßstab am
ehesten die Stadt Hamburg, die mir so vertraut ist wie kein anderer Ort.
Aber
auch hier empfinde ich vieles als im negativen Sinne „fremd.“
Dazu
gehören beispielsweise die vielen Bälger, die gestern in billigen REWE-Kostümen
hier klingelten, weil es irgendwelchen Marketingstrategen geschafft haben zur
Konsumankupplung den amerikanischen Halloween-Wahn nach Deutschland zu bringen.
Fremd
sind mir auch grölende Fußballfans oder Teenager-Kohorten, die wie Zombis auf
ihre Smartphone-Displays starrend durch die Straßen wanken.
Das sind
für mich fremde Einflüsse, die ich
nicht mag, aber selbstverständlich akzeptiere.
Hamburg
ist andererseits die Stadt mit den zweitmeisten Konsulaten der Welt; durch den
Hafen gibt es hier eine Jahrhundertealte Multikulti-Geschichte. 40% der
Hamburger haben einen „Migrationshintergrund“ – um da widerliche Wort zu
benutzen.
Ladeninhaber,
Architekten oder Kardiologen im UKE-Herzzentrum sind hierzulande sehr oft
relativ dunkelhäutig und mit komplizierten Nachnamen versehen. Das ist für mich
sehr vertraut und im positivsten Sinne fremd.
Björn
Höcke, Horst Seehofer und Lutz Bachmann sehen das sicher anders.
Was der
eine als fremd und ausgrenzungswürdig empfindet, ist für den nächsten ein
Wohlfühlfaktor. Ich finde es super, daß mein Blumenhändler und sein Ehemann
keine Spießer sind, daß meine Gemüseverkäuferin Litauerin ist und mir viel aus
dem Baltikum erzählt.
Grenzen
zu ziehen muß schon deswegen misslingen, weil man sich gar nicht darüber einig
werden kann, wen man eigentlich ausgrenzen möchte.
Säße ich
mit den Transitzonen-Adepten Seehofer, de Maizière und Spahn zusammen, würde
ich dafür plädieren Syrer, Iraner und Iraker einzugemeinden und dafür Sachsen
und Bayern auszusperren.
Paula
Wessely und Attila Hörbiger waren bis zu ihrem Lebensende die unumstrittenen
Stars des Wiener Burgtheaters.
Als sie
im Jahr 2000 im Alter von 93 Jahren starb, wurde ich von einer österreichischen
Freundin fast erschlagen, weil ich ihre NS-Propaganda-Vergangenheit erwähnte.
In dem anti-polnischer
Superkassenschlager-Propagandafilm „Heimkehr“ von Gustav Ucicky aus dem Jahr
1941 spielt Wessely zu Goebbels Freude eine der perfidesten NS-Rollen aller
Zeiten. Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hält „Heimkehr“ daher für den
übelsten Film überhaupt und widmete ihm ihr weltberühmtes Theaterstück „Burgtheater“.
Wesselys
ultraberühmter Monolog, als sie im Gefängnis von deutscher Homogenität
phantasiert, stellt für mich den ultimativen Alptraum dar.
Ich
möchte den Youtube-Link (1:41 Minuten) ungern verlinken, weil es sich dabei um
einen immer noch verbotenen Film handelt.
Aber
wenn man „Paula Wessely in "Heimkehr" 1941“ bei Youtube eingibt,
bekommt man den Ausschnitt sofort.
Vermutlich
ist das Verbot sogar gerechtfertigt, wenn man sich vorstellt, wie Höcke, Marcus Pretzell, Festerling und Co mit
genau diesem Denken reüssieren.
"... Ja da möcht
ich drauf schwör'n, daß das so sein wird Leute. Heimkommen werden wir bestimmt,
ganz bestimmt. Irgendwie werden wir heimkehren. Warum soll denn das nicht sein
?–, es ist doch alles möglich. Und das ist nicht nur möglich, das ist gewiß.
Zuhause in Deutschland, da sind sie ja jetzt nicht mehr schwach und den Leuten
dort ist es nicht egal wie's uns geht, im Gegenteil, ach das hat mir Fritz
immer gesagt, sie interessieren sich sehr für uns und warum sollten wir da
nicht heimkehren dürfen? –, wenn wir nur wollen!
Denkt
doch bloß Leute, wie das sein wird, denkt doch bloß, wenn so um uns rum lauter
Deutsche sein werden, und nicht wenn du in einen Laden rein kommst, daß da
einer jiddisch redet oder polnisch, sondern deutsch. Und nicht nur das ganze
Dorf wird deutsch sein, sondern ringsum rundherum wird alles deutsch sein. Und
wir, wir werden so mitten im Herzen sein von Deutschland. Denkt doch bloß
Leute, wie das sein wird. Und warum soll das nicht sein.
Auf der guten alten
warmen Erde Deutschlands werden wir wieder wohnen, daheim und zuhause. Und in
der Nacht, in unseren Betten, wenn wir da aufwachen aus dem Schlaf, da wird das
Herz in seinem süßen Schreck plötzlich wissen, wir schlafen ja mitten in Deutschland.
Daheim und zuhause.
Und ringsum ist die
tröstliche Nacht, und ringsum da schlagen Millionen deutsche Herzen und pochen
in einem fort leise; daheim bist du Mensch, daheim bei den Deinen. Und uns wird
ganz wunderlich sein ums Herz, daß die Krume des Ackers und das Stück Lehm und
der Feldstein und das Zittergrass und der schwankende Halm der Haselnußstaude,
die Bäume, daß das alles deutsch ist, die ja alle zugehörig sind zu uns, weil's
ja gewachsen ist auf den Millionen Herzen der Deutschen die eingegangen sind in
die Erde und zur deutschen Erde geworden sind. Denn, wir leben nicht nur ein
deutsches Leben, sondern wir sterben auch einen deutschen Tod.
Und tot bleiben wir
auch deutsch und sind ein ganzes Stück von Deutschland, eine Krume des Ackers
für das Korn der Enkel. Und aus unseren Herzen da wächst der Rebstock empor in
die Sonne. Und ringsum singen die Vögel und alles ist deutsch, alles, Kinder,
wie unser Lied. Woll'n wir's nicht singen grade jetzt, unser Lied, weil wir es
grade spüren, so wie wir es in der Schule gelernt haben, hm?“
(Monolog
der Marie Thomas im Gefängnis)
Das ist
die Apotheose eines eingegrenzten Landes, in dem völkische Homogenität
herrscht.
Und wir
wissen alle wie das endete.
Und heute träumen CDU und CSU von Transitzonen, die nichts anderes als
Internierungslager für alles Fremde sind und eine Totaleinzäunung Deutschlands
bedeuten.
Nach dem gescheiterten
Flüchtlingsgipfel hat der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner der
Union vorgeworfen, mit „Schäbigkeitswettbewerben“ nur Rechtsextremisten zu
nützen. „Die CSU will immer noch exterritoriale Transitzonen, die, egal wie man
das verbrämt, Internierungslager sind“, sagte Stegner am Sonntag.
Immerhin
muß man heute Sigmar Gabriel dankbar sein Seehofer und Merkel ein klares „Nein“
zu dem Plan entgegen geschleudert zu haben.
Neben
der Schwierigkeit sich zu einigen was genau man aus- und eingrenzen soll und
will, bleibt bei dem Thema ein gerüttelt Maß an Heuchelei.
Denn
diese Grenzen, von denen CDU, CSU, AfD und NPD träumen sollen ja nur für andere
Menschen gelten.
Sich
selbst wollen die Grenzbesessenen ausnehmen und weiterhin reisen, ohne irgendwo
in einem Zwischenlager interniert zu werden.
Und
schon gar nicht sollen diese neuen Grenzen für all die Methoden gelten, mit
denen wir Deutschen anderen Länder ausbeuten und die Gründe zu fliehen
exportieren.
Warum können
Produktionsstätten, Finanzströme und Märkte alle Grenzen überwinden, nur
Menschen und Arbeitskräfte nicht?
Und
selbst das Menschen-Aufhalten klappt in der modernen Zeit nicht mehr.
Wir
treiben damit Unschuldige, Darbende und Versehrte ins Meer und sehen zu wie sie
ersaufen.
Oder
aber wir machen Schlepper reich, die für genügend Geld Papiere und Flugtickets
besorgen.
Was also spricht,
jenseits des Notstands, für offene Grenzen? Seit den Achtzigerjahren wird die
Idee in drei Versionen diskutiert und propagiert, in einer radikalen, einer
wirtschaftlichen und einer ethisch-politischen Version. Die radikale
Auffassung, um mit ihr zu beginnen, verlangt schlicht, die Grenzen vollständig
aufzuheben.
Die Gründe: Migration
sei nie zu verhindern, egal welche Zäune und Mauern man errichtet. Mit dem
Wegfall der Kontrolle müsste keiner mehr die Flucht mit dem Leben bezahlen.
Zugleich entfalle das kriminelle Schlepperunwesen und auch jede inländische
Grauzone der Illegalität. Die befürchtete Masseninvasion sei eine Einbildung -
historische Beispiele (Wegfall der deutschen Mauer, Öffnung der Grenze zwischen
Indien und Nepal, europäische Freizügigkeit) zeigten, dass nach einem erstem
Ansturm der Strom abebbt. Offene Grenzen erlaubten Migranten, problemlos
zwischen Zielland und Heimatland zu reisen, sie müssten sich also nicht mehr an
das einmal erreichte Zielland klammern.
Es sind
praktische, technische und ökonomische Gründe, die gegen die Errichtung von
Grenzen sprechen. Auch die Sozialethik verbietet es uns das zu tun, was die
ganze CSU so vehement fordert: Ausgehungerten Frauen und weinenden frierenden
Kinder die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Dahinter
steckt eine höchst fragwürdige Moral, die aus der christlichen Religion stammt:
Eine „Wir sind besser als die“-Ideologie, die mit größter
Selbstverständlichkeit davon ausgeht, daß einem selbst etwas zusteht, das einem
Bedürftigen auch mit Gewalt zu verweigern ist.
Einziges
Kriterium dafür ist offenbar der Zufall der Geburt.
Weil
Horst Seehofer mit weißer Haut in Ingolstadt geboren wurde, nimmt er sich das
Recht die damit verbundenen Vorzüge einem anderen Menschen, der zufällig mit
dunklerem Teint in Aleppo geboren wurde zu verweigern.
Dabei
ist Seehofers Verdienst an seinem Geburtsort genauso wenig vorhanden wie sein
Anteil an seiner Augenfarbe oder Heterosexualität.
Am unnachgiebigsten
argumentieren jene, die allein auf die Universalität der fundamentalen Moral-
und Rechtsgrundsätze pochen. Exemplarisch ist die berühmte Abhandlung von
Joseph H. Carens aus dem Jahr 1987 unter dem Titel "Aliens and Citizens:
The Case for Open Borders", auf die sich heute viele beziehen: Ethisch
gesehen, gebe es keinen Unterschied zwischen "Fremden" und
"Bürgern". Das Bürgerschaftsrecht, das man in westlichen Demokratien
mit der Geburt erwerbe, sei das moderne Äquivalent zum feudalen Geburtsprivileg
- und ebenso wenig zu rechtfertigen.
Für mich
sind das bei weitem ausreichende Gründe auf Grenzschutzanlagen zu verzichten –
auch wenn dafür schwere ökonomische Verwerfungen drohen.
Tatsächlich
ist aber wohl eher das Gegenteil der Fall.
Zuwanderung,
Migration, kulturelle Vermischung sind ein ökonomischer Segen.
Wäre man
gläubig, sollte man Gott für die vielen Menschen danken, die zu uns kommen
wollen.
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