Montag, 9. November 2015

Wie es hier so läuft – Teil VI

Die erbärmliche Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, die abscheulichen Nachrichten aus Sachsen und Bayern, das kollektive außenpolitische Versagen, die Krisenunterfütterung durch noch mehr Waffenexporte, die rasant zunehmende xenophobe Gewalt, der von den C-Parteien gepushte Siegeszug der AfD und die allgemeine Anfälligkeit für Verschwörungstheorien der krudesten Art – all das weckt in mir den Wunsch nach sehr starken Antidepressiva.

Da muß man zur eigenen psychischen Gesundheit bewußt auf die wenigen Dinge blicken, die ausnahmsweise ganz gut funktionieren.

Während sich Regierungschefs anderer Bundesländer mit Dummheit und dreisten Sprüchen gegenseitig überbieten, können wir Hamburger nach wie vor recht zufrieden sein mit Olaf Scholz.


In Hamburg wird bei den Flüchtlingsunterbringungsproblemen nicht inszeniert, sondern regiert.

[….] MOPO: Sehen Sie ein Limit? Gibt es einen Punkt X, an dem man sagen muss: Das kann Hamburg nicht mehr schaffen?

Scholz: Die Frage stellt sich nicht. Die Verfassungslage in Deutschland ist eindeutig: Diejenigen, die Schutz vor politischer Verfolgung, vor Krieg suchen, bekommen diesen Schutz. [….]

MOPO: Warum gibt es keine Fotos von Ihren Besuchen in Flüchtlingsunterkünften?

Scholz: Ich gucke mir die Unterkünfte immer wieder an – man muss gesehen haben, wie es ist. In den Messehallen, in den Zelten. Aber es geht darum, Eindrücke zu gewinnen. Und nicht um Politiker-PR. [….]

Während CDU’ler noch von Abschiebungsorgien phantasieren und die Grenzen Europas so abschotten wollen, daß Schlepper noch viel reicher und Flüchtlinge noch viel toter werden, ist der Hamburger SPD-Senat schon zehn Schritte weiter und bemüht sich ernsthaft darum, die hier Angekommenen würdig zu behandeln, indem sie beispielsweise ihren Berufen nachgehen können.

Im September kamen 10.100 Flüchtlinge nach Hamburg; im Oktober 2015 waren es 10.437. Bisher sind wir in diesem Jahr bei insgesamt 45.458 Menschen.
Das sind mehr Menschen aus Kriegsgebieten, als England und die USA zusammen im ganzen Jahr aufnehmen.
Für eine Stadt allein bedeutet das selbstverständlich eine große logistische Herausforderung. Da die CDU-Regierung von 2001-2011 den kompletten sozialen Wohnungsbau eingestellt hatte, leidet Hamburg ohnehin unter knappen Wohnraum, obwohl seit dem Amtsantritt Olas Scholz‘ in der ganzen Stadt wie verrückt gebaut wird.
Wenn man aber pro Monat zusätzlich 10.000 Menschen unterbringen muß, und das schnell, weil wir November haben und Notlager und Zelte ob der zu erwartenden Temperaturen keine Option mehr sind, wird die Stadtverwaltung richtig gefordert.

Die auf 15-Komma-irgendwas geschrumpfte CDU erklärte gestern, wie sie sich ihren Beitrag zur Lösung der Probleme in Hamburg vorstellt:
Sie sitzt schmollend in der Ecke, lehnt alles ab, was der Senat tut und verweigert jede Zusammenarbeit.

Nach Klagen und Protesten von Anwohnern gegen Unterkünfte will die CDU nun die Zusammenarbeit mit dem rot-grünen Senat in der aktuellen Krise einstweilen ganz beenden. Das jedenfalls schlägt CDU-Landeschef Roland Heintze seiner Partei vor – und begründet dies damit, dass der Senat die Möglichkeiten des Asylkompromisses nicht ausreichend nutze, Polizeirecht zur Beschlagnahme von Unterkünften anwende, die Bürger nicht genügend bei der Planung einbeziehe und kaum Ausreisepflichtige abschiebe.

Ich hoffe, die CDU scheitert bei der nächsten Hamburger Wahl an der 5%-Hürde.

In dieser Situation macht die SPD etwas Großartiges, das ich an dieser Stelle ausdrücklich loben will:
Sie setzt nicht nur auf kopflose kurzfristige Maßnahmen, sondern pusht massiv den Bau von „richtigen Unterkünften.“
Drei- bis vierstöckige Wohnsiedlungen mit modernen komfortablen Wohnungen, die auf Dauer bewohnt werden sollen. Es entstehen Blocks für bis zu 4.000 Menschen, die aber ausdrücklich nicht durch eigene Schulen zur Ghettoisierung führen sollen. Die Kinder sollen in den umliegenden „normalen“ Schulen und Kindergärten mitbetreut werden.
Es gibt nur zwei Unterschiede zum herkömmlichen Wohnungsbau:
Zum einen die Belegung.
Es werden etwa doppelt so viele Menschen wie in üblichen Sozialwohnungen pro Quadratmeter untergebracht.
Zum anderen wird ein neues Bebauungsplanverfahren entwickelt, das eine sehr viel schnellere Fertigstellung der Häuser ermöglicht.


Klinker-Fassaden, begrünte Innenhöfe und  eine aufgelockerte Bebauung mit vielen  Einzelgebäuden. Ein typisches Neubau-Gebiet am Hamburger Stadtrand? Von wegen! Hinter diesen Rotklinkern verbirgt sich ein Flüchtlings-Quartier. Die Häuser sollen schon in einem Jahr in Billwerder stehen und 3.400 Menschen beherbergen.
Dass die neuen Quartiere so aussehen würden, damit hatte wohl niemand gerechnet. Unterscheiden sie sich doch so fundamental von den Holzhäuschen und Containern, in denen Flüchtlinge und Obdachlose in Hamburg sonst oftmals untergebracht werden. Und auch von früheren Sozialsiedlungen wie dem Osdorfer Born sind sie weit entfernt.
Rund 20 dieser drei- bis viergeschossigen Gebäude sollen auf einer Grünfläche nahe der S-Bahn-Station Mittlerer Landweg entstehen. Zu den 780 Wohnungen kommen vier Kitas hinzu, acht Gemeinschaftsräume für Sprachkurse etc. und die Büros für die Flüchtlings-Betreuung durch den städtischen Betreiber fördern und wohnen. Eine Schule bekommt das Quartier bewusst nicht, die Kinder sollen in die umliegenden Schulen gehen, damit es zu keiner Abschottung kommt.


Ein mittelständiges Unternehmen wurde gefunden, welches in Eigenregie diese Klinkersiedlung für 130 Millionen Euro errichten wird.
Die Stadt stellt lediglich das Grundstück, schafft die Voraussetzungen für sehr viel schnelleres Bauen und wird dann die Wohnungen für die Flüchtlinge mieten.
Die Wohnungen werden dann allerdings zugeteilt; auch nicht miteinander verwandte Menschen müssen sich eine Wohnung teilen.
Im Laufe der Zeit, je nachdem ob noch mehr Flüchtlinge kommen und ob diese jetzt hier Lebenden inzwischen Jobs haben und Geld verdienen, werden aus den „Flüchtlingsunterkünften“ dann ganz normale “Eigene Vier-Wände“ oder Mietwohnungen für jedermann.

Der riesengroße Vorteil dieses Plans ist, daß nicht sinnlos Millionen für temporäre Lösungen wie Zelte, klapprige Pavillons und Container ausgegeben werden, die spätestens in einigen Jahren nicht mehr bewohnbar sind und ohnehin nicht auf dem „normalen Wohnungsmarkt“ verwendbar sind.
Hier werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und dabei steht Hamburg auch noch für Großzügigkeit, Nachhaltigkeit und Mitmenschlichkeit.

Einen Nachteil gibt es allerdings: Sofort keimt eine Neiddebatte auf.
Andere arme Familien in Hamburg wollen auch in schicken Neubauwohnungen leben.
Diese (sinnlose) Diskussion muß der Senat aushalten, denn es hätte keinen Sinn auf nachhaltigen Wohnungsbau zu verzichten, das Problem Wohnraummangel nur aufzuschieben und Kriegsvertriebene à la CDU künstlich zu schikanieren, nur damit der deutsche Michel nicht neidisch wird.
Sich vor Neiddebatten zu fürchten und aus Angst vor dem Urnenpöbel rechtslastig zu plappern, stärkt am Ende nur die AfD. Die Methode kennen wir von CDU-Politikern.

Die Bausenatorin, die allein in Billwerder innerhalb eines Jahres 800 solcher Wohnungen fertigstellen lassen will, tut was ihr möglich ist, um die Gemüter zu beruhigen.

[….] Die Häuser sollen in der ersten Phase zur Unterbringung der Flüchtlinge genutzt werden. Es werden Wohnungen gebaut, die über Jahrzehnte für alle Hamburger als Wohnraum zur Verfügung stehen. Es geht doch darum, denjenigen Flüchtlingen, die eine langfristige Bleibeperspektive haben, auch eine Unterkunft zu bieten, die ihnen eine Integration ermöglicht.
[….] Sie werden zunächst vom städtischen Träger „Fördern und Wohnen“ als öffentlich-rechtliche Folgeunterkunft belegt. Das heißt, dass dort nur Menschen einziehen können, die eine langfristige Bleibeperspektive haben, weil sie beispielsweise als Flüchtling anerkannt worden sind.
[….]  Nach der ersten Phase zur Unterbringung von Flüchtlingen werden diese Sozialwohnungen dann dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen.
[….]. Solange diese Häuser als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden, werden sie auch viel dichter belegt. In den Sozialwohnungen dort wohnen dann gut doppelt so viele Menschen wie sonst üblich. Darüber hinaus werden wir in wenigen Wochen ein Sofortprogramm für die vordringlich Wohnungssuchenden in Hamburg vorstellen.
[….]. Wir denken von Anfang an alles mit: Gemeinschaftsräume, Quartiersmanagement, Kita, Schule, Räume für Sprach- und Integrationskurse oder auch Spielplätze und Platz für Sportangebote.

Neben dem neuen 800 Wohnungen im Flüchtlingsstadtteil am Gleisdreieck Billwerder  mit je zwei bis vier Zimmern in einer Größe zwischen 50 und 85 Quadratmetern, will der Rotgrüne Senat im Jahr 2016 etwa 5.600 Wohnungen auf diese Weise bauen lassen – zusätzlich zu dem ohnehin ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm, das Scholz sofort 2011 initiierte.


Der FeWa-Geschäftsführer Kurt-Ove Schroeder zeigte sich beeindruckt von der schnellen Arbeit des Bezirksamtes. Er sei zuversichtlich, dass die Häuser Ende 2016 stehen – inklusive Pfahlgründung und mehr als 120.000 Kubikmetern Sand und Kies, die für den Bau der Häuser aufgeschüttet werden müssen.
(Bergedorfer Zeitung, 07.11.2015)

Unnötig zu erwähnen, daß die CDU im Bezirk Hamburg-Bergedorf natürlich gegen den Plan stimmte und stattdessen auf konsequente Abschiebungen setzt.

Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Seehofer hetzt und poltert Scholz nicht; beteiligt sich nicht an Hysterie-Debatten.
Stattdessen löst er Probleme.


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