Dienstag, 6. März 2018

Willkommen in der Realität

Tragisch (griechisch τραγικός) heißt nach Aristoteles ein Ereignis, das zugleich Mitleid (mit dem Betroffenen), eleos, und Furcht (um uns selbst), phobos, erweckt. Es kann allgemein „erschütternd“ bedeuten, in der Literatur bezeichnet es aber die Tragik und die Form Tragödie.

Ein tragisches Ereignis muss einerseits ein Leiden sein, weil es sonst nicht selbst Leid wecken könnte; aber es darf nicht die gerechte Strafe eines wirklichen Verbrechens sein, denn dies würden wir zwar bedauern, aber nicht bemitleiden. Anderseits muss es furchtbar sein, weil wir es sonst nicht fürchten würden, und es muss willkürlich verhängt sein. Nur das unverdiente Leiden ist wirklich tragisch, einen „Schicksalsschlag des Lebens gegen den Menschen“. [….]


Das klang nach einer wüsten Kriminalstory, die gestern über die Hamburger Sender verbreitet wurde.



Schießerei in einem Ahrensburger Altersheim. Tote und Verletzte. Schockierend, diese brutale Gewalt gegen Alte. Wer ballert bitte sehr im Seniorenstift?
Greift Al Kaida an?


Heute, nachdem ein paar mehr Details bekannt geworden waren, veränderte sich die Tonlage der Berichte.
Nun war es nicht mehr die dramatische Räuberpistole, sondern ein fürchterlich tragische Story.
Ein erweiterter Selbstmord aus Liebe. Eine Verzweiflungstat eines Hochbetagten?
Eine Kapitulation vor der Demenz? Ein Opfer der Geißel Alzheimer?

[….] Der Fall hatte viele MOPO-Leser erschüttert: Der 98-jährige Ehemann hatte deshalb das Feuer auf seine 91-jährige Frau eröffnet, weil er ihr weiteres Leiden ersparen wollte.  [….]

Wie schrecklich tragisch. Ein fast 100-Jähriger konnte seiner Frau nicht mehr helfen. Und so griff er aus Liebe zur Waffe?

[….] Demenz, eine furchtbare Krankheit – für Betroffene, aber auch für Angehörige, die damit fertigwerden müssen, dass ein geliebter Mensch immer mehr entgleitet in die Welt des Vergessens. Herbert K. (98) war entschlossen, seine Frau zu erlösen – und sich selbst auch. Am Sonntag besuchte er sie in ihrem Heim in Ahrensburg und schoss. Eine tödliche Verzweiflungstat, die den Blick auf ein großes gesellschaftliches Problem lenkt.
Zuerst feuerte Herbert K. (Name geändert) auf seine 91-jährige Frau. In der festen Überzeugung, dass sie tot ist, richtete er die Waffe dann gegen sich. Er war sofort tot. Sie jedoch – und das verleiht der Geschichte zusätzliche Tragik – überlebte. Ihre Lage ist kritisch. Sie wird es wohl nicht schaffen.
Herbert K. (Name geändert) hat seine Frau inständig geliebt, erzählt Christian Potthoff (67), der Geschäftsführer der Berliner Heimbetreiber-Firma „inter pares“. Jeden Tag ist er ins Heim gefahren, um sie zu besuchen. [….]

Die BILD versah ihre Berichterstattung mit Warnhinweisen ….


…da Suizide immer noch als extrem tragisch gelten und alles dafür getan wird Suizide zu verhindern.
Was wäre es für ein Drama, wenn Robert-Encke-artig selbstmörderische Nachahmungstäter erst auf den Geschmack gebracht würden.

Die Morgenpost gibt sich sogar noch mehr Mühe, druckt ein Interview mit einer Alzheimer-Expertin („So schlimm ist Demenz für Angehörige“!), die bahnbrechende Erkenntnisse von sich gibt:

[….]  In ihr Befinden spielen viele Gefühle mit hinein. Die Trauer, einen geliebten Menschen nicht mehr so wie früher zu haben. Dazu die Wut, ausgerechnet selbst betroffen zu sein. Wut, nicht mehr mit dem betroffenen Menschen sprechen zu können. Daraus kann sich eine große Verzweiflung entwickeln. [….] Einsamkeit kann zu einer Überforderung der Angehörigen beitragen.
[….] Ganz wichtig ist das Gefühl, nicht allein mit der Belastung dazustehen. Dabei hilft Austausch – mit Beratungsstellen, aber auch mit anderen Betroffenen. Wir können jedem empfehlen, sich Unterstützung zu holen. Denn häufig haben sich die Angehörigen kaum mehr selber im Blick, weil sie sich nur noch um ihre Liebsten kümmern. [….]

Eine perfide Form des Nachtretens.
Der dumme Opi aus Ahrensburg hat sich halt keine Hilfe geholt.
Und eine idiotische Form des Nachtretens, denn bei einem 98-Jährigen mit Demenzproblematik ist das Ende der Seereise erreicht – da können noch so viele Beratungsgespräche und Aufklärungsveranstaltungen von Vereinen nicht helfen.

Was ist bloß los mit den Menschen?
Offenbar scheinen Journalisten immer noch zu glauben, daß nicht alle Menschen sterben müssen.
Sterben ist nicht tragisch, sondern das Normalste und Elementarste, das es gibt.

Das Leben ist eine durch Geschlechtsverkehr übertragene Krankheit, die zu 100% tödlich endet.
Oder wie der Amerikaner sagt:

    „Life sucks – and then you die“

Wir sterben also alle und zwar auf jeden Fall.
Seltsamerweise bildet sich der kleine Homo Sapiens ein durch intensives Ignorieren und Verdrängen die absolute Sinnlosigkeit des eigenen Seins ausblenden zu können.

Niemand will an sein eigenes Ende denken.
Daß man endet ist klar, aber WIE man endet, ist außerordentlich vielfältig. So unterschiedlich, daß man dabei glatt vergessen könnte, daß man ja doch stirbt und demnach alles egal ist was man tut.

    Ich möchte im Schlaf sterben wie mein Großvater, nicht schreiend und heulend wie seine Beifahrer im Wagen.
    (Will Shriner)

Dank der wunderschönen Website WORLDOMETERS erfährt man das menschliche Sterben in Echtzeit.



Jemand, der 98 Jahre geworden ist und offenbar bis zum Schluss eine glückliche Ehe führte hat ziemlich viel Glück gehabt in seinem Leben.

Es ist nicht tragisch, sondern klug und umsichtig die Umstände zu analysieren und das Unvermeidliche selbst in die Hand zu nehmen, um das Elend abzukürzen.

Das tote Ehepaar in Ahrensburg (sie ist mittlerweile auch verstorben) sollte nicht als tragischer Fall betrachtet werden, sondern als Anklage an die schweren Religioten im deutschen Parlament, die entgegen des Wunsches der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung selbstbestimmtes Sterben verweigern und in bösartiger Weise den Menschen dadurch vermeidbares Leid zufügen.

Es ist erbärmlich, daß in Deutschland ein 98-Jähriger gezwungen wird zur Waffe zu greifen, wenn er seine Frau liebt.
Verfügten Nahles, Griese, Thierse und all die CDUCSU-Christoban über einen Funken Anstand, würde man Menschen in so einer Notlage helfen und sie nicht kriminalisieren und im Stich lassen.

Man würde offen über den Fall sprechen und schließlich medizinisch assistieren, um einen sanften, schmerzfreien Tod auf Wunsch zu ermöglichen.

Hospize, Palliativpflege, Alzheimerberatung, Depressionstelefone muss es natürlich geben, aber Nahles und Co sind vollkommen geistesgestört, wenn sie glauben dadurch den Tod vermeiden zu können.
Irgendwann sterben wir doch alle – egal wie viel Käßmann betet und wie sehr Alzheimer-Vereine einem Mut zusprechen.

Mitfühlende Politiker würden sich dieser ultimativen Realität stellen und Möglichkeiten schaffen, daß man ruhig und würdevoll sterben kann und nicht gewungen wird sich mit 98 Jahren einen Revolver zu besorgen.

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