Schulpolitik kann die Wähler bei Landtagswahlen extrem
ärgern.
Wenn da viel schiefgeht wie in NRW unter Rotgrün, oder in BW
unter Schwarzgelb, kann das durchaus mal eine Landesregierung aus dem Amt
fegen.
Wenn die Bürger glauben ihr Nachwuchs werde durch schlechte
Ausbildung um die Chancen gebracht, werden sie garstig.
Der erbärmliche deutsche Föderalismus verhindert nachhaltig
die Zukunft der Kinder sinnvoll zu gestalten.
Seit Jahrzehnten gibt es Myriaden Lehrer zu wenig und an den
Grundschulen jobben Quereinsteiger, die nie Pädagogik studierten, weil
irrlichternde Landesregierungen annehmen bei den Jüngsten käme es nicht so
drauf an.
Von Schulpolitik verstehe ich nicht so viel. Das hängt
sicher damit zusammen, daß ich keine Kinder habe und sehr lange keine Schulen
mehr von innen gesehen habe.
Meine Schulzeit war wenig aufregend; Grundschule Gymnasium,
fertig, keine zusätzlichen Wechsel.
Die Gymnasialjahre verliefen a posteriori betrachtet fast
ohne Stress. Da waren zwar einige wirklich schlechte Lehrer, mit denen ich mich
in den Haaren hatte, aber auch einige sehr Gute und viele Mittelmäßige.
Ungerechterweise genoss ich große Narrenfreiheit, konnte so
viel schwänzen wie ich wollte, weil ich eine tolerante Tutorin und sehr gute Noten
hatte.
Mein Problem war eher, daß ich mein Studium schon mit 18
anfing. Da war ich noch viel zu unreif, um mich richtig zu entscheiden. Für
mich wäre so ein amerikanisches College-System besser gewesen. Also noch ein
paar weitere Jahre Schul-ähnlicher Betrieb, bei dem man seine Interessen
breiter auffächert, bevor man sich für die eine Sache entscheidet, die man dann
an der Uni ganz gründlich lernt. Ich konnte schon als 14-Jähriger Fächer
auswählen, beendete nach der zehnten Klasse den Französisch-Unterricht, weil
ich darin a) nicht besonders gut war und b) den Lehrer, der in der 11. Unterrichten
würde nicht mochte.
Heute bin ich schlauer. Damals hatte ich aber keinerlei
Vorbereitungen, keine Beratung, keine Eingangstests. Ich wußte gar nicht was „Uni“
ist.
Man schrieb sich als Teenager für irgendetwas ein, das dann
den Rest des Lebens bestimmen sollte.
Von eben auf jetzt sollte man ganz selbstständig sein.
In den ersten Semestern jobbte ich natürlich – wie die
meisten Studenten.
Auch da hatte ich Glück, konnte an der Uni selbst etwas Geld
verdienen und gab außerdem Nachhilfe.
Dabei kamen mir erstmals große Zweifel am Schulsystem.
Bis dahin dachte ich alle Abiturienten würden in etwa das
gleiche wie ich lernen.
Aber weit gefehlt. Nachhilfeschüler auf Wirtschaftsgymnasien
und Aufbauschulen hatten noch in der 11., 12., 13. Klasse keinerlei Grundlagen
in Mathe und Physik.
Ich erinnere mich an einen, der Abitur machte, dem ich
erklärte was ein Platzhalter in einer mathematischen oder physikalischen Formel
ist. Ich konnte es nicht fassen.
Und ich erlebte Schüler, die wirklich schlechte Lehrer
hatten; nicht die Sorte, die ich an meiner Schule für schlecht hielt, sondern
echte Sadisten, die unter Aufsätze schrieben „Fabian, Du kannst wirklich gar
nichts! Du kannst nur Hilfsarbeiter werden!“
Als ich noch studierte lernte ich eine Lehrerin kennen und
fragte wie es eigentlich angehen könne, daß Schüler ohne irgendwelche
Grundlagenkenntnisse versetzt werden und andere, die sich sichtbar Mühe gaben
offenbar mit Wonne gedemütigt wurden.
Ihre simple Antwort: Das hinge vom Stadtteil ab. Sie hätte
jahrelang auf einer katholischen Schule in den Hamburger Walddörfern (konservative
Vorortgegend) unterrichtet und sei nun nach Wilhelmsburg (Problemviertel!)
versetzt. Wenn sie dort die Maßstäbe ansetze, wie an der alten Schule, müsse
sie alle durchfallen lassen, keiner wäre besser als „vier“.
Nun gäbe sie Schülern schon mal ein „gut“, die an ihrer
vorherigen Schule gerade mal ausreichend bekommen hätten.
Aber anders ginge es gar nicht, wenn man den Schulbetrieb
nicht zusammenbrechen lassen wolle. Schließlich liebe sie ihren Beruf und wolle
die Schüler nicht demotivieren.
Als kurz nach dem Anschluss der DDR die Debatte begann, ob
man nicht die Gymnasialzeit verkürzen sollte, hielt ich das für völlig
verrückt. G8 statt G9? Noch weniger Schulzeit, obwohl deutsche Schüle
offensichtlich ohnehin schon verblödet waren?
Was für ein Unsinn! Heute wünsche ich mir, ich hätte G11
oder G12 genossen. Es fällt meiner Gerontenbirne so schwer Sprachen zu lernen.
Warum hat man mich nicht mit 14 gezwungen den verdammten Französischunterricht
noch drei Jahre länger zu machen und am besten noch Spanisch oder Italienisch
dazu?
Das wäre mir verglichen mit heute so leicht gefallen.
Und wieso konnte ich durch meine gesamte Schulzeit rutschen
ohne eine einzige Stunde Religionsunterricht zu haben? Ich erfuhr nichts über
die Kirche und schon gar nichts über andere Glaubens-Konstrukte. Das musste ich
mir alles autodidaktisch erarbeiten.
Nach meinem Eindruck ging es bei der G8 oder G9-Debatte
weniger um das Wohl der Schüler, sondern um einen Standortvorteil einzelner
Bundesländer.
Es war die CDU mit ihrem Leitbild Leistung, die auf das
Turbo-Abi drängte. Deutsche Schüler wären viel zu alt beim Berufseinstieg.
Das müsse alles schneller gehen und man könne auch viel Geld
an Schulen sparen, wenn die Kinder schneller durchgeschleust würden. Endlich
Lehrpläne entrümpeln
Meine rudimentären Erkenntnisse von all dem, was schief geht
an deutschen Schulen, fand ich in Philipp Möllers „Isch
geh Schulhof“ bestätigt.
Die Lehrerausbildung verläuft katastrophal falsch und das
Schulsystem krankt an der Unstetigkeit. Die allermeisten Änderungen der 16
einzelnen Kultusminister sind durchaus sinnvoll, oder zumindest gut gemeint,
aber sie kommen so häufig, daß die Lehrer keinerlei Elan mehr aufbringen alles
umzusetzen.
(….) Es dürfte sogar noch viel
schlimmer werden, wenn die asozialen und desintegrierten gegenwärtigen
Klein-Bälger erwachsen werden.
Lehrer berichten von unfassbaren
Zuständen an den Schulen.
„Pinsel und Malutensilien werden verteilt – und die Klopperei beginnt!
Es wird laut, Kinder müssen ihrem Nachbarn ins Gesicht schreien, dass sein Bild
doof (das Wort war ein anderes) ist.“
„Einige werden maulig, geben unpassende Kommentare ab und antworten auf
Fragen von Frau G. mit Fäkalsprache.“
„Wir malen noch einmal auf dem Fußboden der Sammlung – eigentlich eine
tolle Erfahrung für Kinder. Freud- und anstrengungslose Versuche vieler Kinder,
Striche aufs Papier zu bringen.“
„Endlich stehen alle, da trampeln Kinder mit dreckigen Schuhen über die
Bilder! Absichtlich! Am nächsten Tag wird mir ein Kind erklären, dass ihm
langweilig war – und dass es dann ja wohl klar ist, dass es das tun kann.“ „Ältere Herrschaften steigen über
Butterbrotpapiere, Rucksäcke und Kinder. Den Kindern kommt das nicht einmal
komisch vor. Als ich sie auffordere, Platz zu machen, schauen sie mich
verständnislos an – und essen in Ruhe weiter!“
„Die Mitschüler werden angeschrien, geboxt, getreten und Rucksäcke
umhergeschleudert. Ein älterer Herr bekommt auch einen ab. Eine Entschuldigung
ist nicht zu erwarten.“
„Kinder lassen die Hälfte ihrer Sachen liegen in der Erwartung, dass es
ihnen schon jemand hinterhertragen wird.“
„Es ist für die Kinder nicht einsehbar, dass wir in dem wuseligen
Hauptbahnhof dicht zusammenbleiben müssen. Ich komme mir vor wie ein
Schweinetreiber.“
„In der Bahn plötzlich vertraute Geräusche. Rülpsen! Kein Versehen,
sondern volle Absicht. Wer kann es am lautesten? Sie denken: Die redet sicher
von meinem Nachbarn? Falsch: Gehen Sie davon aus, dass ich auch von Ihrem Kind
spreche – es gibt nur sehr wenige Ausnahmen!“
[…] „Kinder
kommen bereits um 8 Uhr früh gut gefüllt mit einer Stunde Super RTL,
gewalttätigen und blutrünstigen Gameboy-Spielen und einem beachtlichen
Blutzuckerspiegel in die Schule.“
„Sie springen mit erhobenen Fäusten wie Ninjakämpfer in die Klasse,
semmeln erstmal drei Mitschüler über den Haufen und merken es nicht einmal.“
Und wenn man Philipp Möllers brillantes und lehrreiches Buch „Isch geh
Schulhof“ gelesen hat, möchte man sich bei dem Gedanken an
die Zukunft gleich erschießen.
Dabei ist das Unfassbare, daß wir
sehenden Auges in die Katastrohe schlittern. Wir wissen wie man es besser
machen kann; Möller hat das in seinem Buch alles dargelegt. Wir wissen auch aus
den PISA-Spitzenländern, warum ihre Schulen so viel besser als die Deutschen
sind. Aber Kleinstaaterei, Phlegma und Ideologie verhindert, daß Deutschland
endlich was ändert.
Dabei wäre es viel zu simpel „der
Politik“ dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Denn der Stillstand ist vom Volk
gewollt. (….)
Inzwischen gibt es fast flächendeckend G8, die CDU hat ihren
Willen bekommen und endlich könnte etwas Ruhe einkehren. Da fällt der
mittlerweile auf 14% abgestürzten Hamburger CDU mangels anderer Themen und
mangels anderer Kandidaten in Gestalt des debakulierenden Fraktionschefs Trepoll
ein das Faß wieder aufzumachen.
Die Elb-CDU will alles wieder rückgängig machen und auf G9
umstellen.
Just nachdem endlich so etwas wie Burgfrieden an den
Hamburger Schulen eingetreten ist.
[….] Rathaus-Zoff um G9-Plan „Schulfrieden“ in Gefahr: CDU zettelt
Bildungsstreit an. [….]
Das schafft nur Chaos hilft niemand, aber G9 ist populär.
So kommt die CDU mal wieder in die Presse.
Absolut verantwortungslos, diese
Partei!
[….] Nein, nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal für eine Verkürzung der Schulzeit eintreten würde. Als G8 – also das achtjährige Gymnasium – eingeführt wurde, war ich absolut gegen diese Reform. Aber jetzt appelliere ich: Lasst uns bei G8 bleiben! Denn ausgerechnet die CDU, die uns das alles eingebrockt hat, will die Reform jetzt zurückdrehen. Und das nicht nur aus Überzeugung, sondern aus wahltaktischen Gründen.
[….] Nein, nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal für eine Verkürzung der Schulzeit eintreten würde. Als G8 – also das achtjährige Gymnasium – eingeführt wurde, war ich absolut gegen diese Reform. Aber jetzt appelliere ich: Lasst uns bei G8 bleiben! Denn ausgerechnet die CDU, die uns das alles eingebrockt hat, will die Reform jetzt zurückdrehen. Und das nicht nur aus Überzeugung, sondern aus wahltaktischen Gründen.
Hamburgs Parteien finden sich plötzlich in einer paradoxen Situation
wieder: Grüne und SPD, die das Turbo-Abi ursprünglich gar nicht gut fanden,
wollen es jetzt erhalten. Und die CDU, die es eingeführt hat, möchte die Uhr
zurückdrehen. Vielleicht jedenfalls. [….] Ich habe meine Meinung in der Sache nicht geändert. Ich halte es nach
wie vor für unsinnig, dass Schüler weniger Zeit zum Lernen und Reifen haben,
damit sie dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen. Das Ergebnis ist bei
vielen, dass sie nach dem Abitur erst mal eine Auszeit nehmen oder sich durchs
Studium bummeln. Oder mit 22 Jahren einen Master in BWL haben und als
Unternehmensberater Firmenchefs coachen wollen, die mehr als doppelt so alt und
lebenserfahren sind wie sie. [….] Die
CDU triumphiert derzeit über eine Forsa-Umfrage im Auftrag des „Hamburger
Abendblatts“, laut der 76 Prozent der Hamburger für eine Rückkehr zu G9 sind.
Aber das ist eine Zahl, die vor jeder öffentlichen Diskussion in der Stadt
erhoben wurde. Wenn CDU-Fraktionschef André Trepoll G9 zum Wahlkampfthema
macht, könnte eine aktuelle Befragung ganz anders ausfallen. Insbesondere, da
die politischen Gegner ihm immer wieder unter die Nase reiben werden, dass er
das Thema für Wahlzwecke missbraucht. Und das dürfte kräftig an der
Glaubwürdigkeit der Partei nagen. [….]
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