Das ist heute wieder mal der emotional-politische Overkill,
kollektives Jubilieren der journalistischen Klasse und in keinem Bericht fehlen
die Schlüsselworte „Freude“, „Tränen“ und „Trabbi“.
So schreibt Olaf Wunder in einem mehrseitigen Artikel über
den Tag als nach dem Mauerfall über 100.000 Trabbis durch Hamburg rollten:
[….] Herzergreifend, mit was für einer Freundlichkeit die Gäste willkommen
geheißen werden! Viele, ob „Ossis“ oder „Wessis“, weinen vor Freude, aber niemand
schämt sich seiner Tränen.
„Was war das doch für eine Euphorie! Wunderbar!“, erzählt Freya Steps,
eine Frau aus Bahrenfeld, die damals in der Zentrale der Allianz-Versicherung
am Großen Burstah arbeitete. [….]
Natürlich gibt es diese einschneidenden politischen Daten,
an die man sich erinnert.
Mondlandung und 9/11.
Die Freude über den Mauerfall vor 30 Jahren ist allerdings
ein Ritual, bei dem verzweifelt Bedeutung suggeriert wird.
Zu keinem 09.Novemer fehlen die gnatschigen Hinweise auf die
nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West. Als ob das etwas
Schlechtes wäre! Vive la différence! Nordfriesen und Franken sind auch nicht
gleich, Hamburger und Niederbayern frönen einer völlig anderen Kultur. Zum
Glück!
Nur bezüglich der Ossis gilt auf einmal das Ideal der völligen Homogenität.
Nur bezüglich der Ossis gilt auf einmal das Ideal der völligen Homogenität.
Da aber alle Statistiken penibel Unterschiede auflisten,
gilt es in kollektiver Autosuggestion den 09.11.1989 als Jahrhundert-Glückstag
aufzubauschen.
Für viele war das selbstverständlich ein großer Tag, Hunderttausende
DDRler konnten das erste mal legal und angstfrei ihr kleines Land verlassen.
Aber wenn wir mal ehrlich sind, waren zumindest die meisten
Wessis herzlich desinteressiert. Ich zum Beispiel habe gar keine Erinnerung an
den Donnerstag im November, als „die Mauer aufging“.
(….) In jeder Generation gibt es
nur ein Handvoll Weltmedienereignisse, die sich so ins kollektive Bewußtsein
eingravieren, daß sich jeder daran erinnert wo er an dem Tag war.
In den letzten Einhundert Jahren
waren es das Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914, der Waffenstillstand von
Compiègne am 11. November 1918, der „schwarze Freitag“ am 25. Oktober 1929, die
„Reichskristallnacht am 09.November 1938, der Weltkriegsausbruch am 01.
September 1939, das Kriegsende am 08.Mai 1945, die Krönung Elisabeth II. am 02.
Juni 1953, das Kennedy-Attentat am 22. November 1963 und die Mondlandung 21. Juli 1969.
Es folgten die Maueröffnung am
09. November 1989 und schließlich der 09. September 2001.
Während ich den allerletzten
Termin außerordentlich genau erinnere, muß ich zu meiner Schande gestehen, daß
mein 09.11.89 von den aktuellen und bekannten Bildern überdeckt wird.
Was ich an dem Tag tat weiß ich
nicht mehr.
Dabei gibt es durchaus politische
Ereignisse, die ich sehr bewußt erinnere.
Ich saß am gemütlichen Montag,
den 03.Oktober 1988 mit einer Freundin im Café Cocteau unweit der Reeperbahn in
der Wohlwillstraße und soff Vodca, als der Wirt die Musik runterdrehte und
durchsagte, daß soeben Franz Josef Strauß an seinem Erbrochenen erstickt sei
und sich nun bei den „Barmherzigen Brüdern“ befände.
Darauf wurde erst einmal
angestoßen.
Donnerstag, den 17. Januar 1991 war
ich gerade aus Berlin kommend direkt zu einer privaten Party in der Talstraße,
ebenfalls direkt an der Reeperbahn, aufgeschlagen, als die Musik ausging und
wir erfuhren, daß soeben „Desert Storm“ begonnen hätte. Das war zwar nicht
wirklich überraschend, aber doch so empörend, daß ein Kumpel und ich für ein
Taxi zusammenlegten und mitsamt meiner dreckigen Klamotten, die ich noch aus
Berlin dabei hatte, zum US-Konsulat fuhren.
Es war mitten in der Nacht und
wir wurden schon 50m davor von der Polizei abgedrängt. Es trafen laufend mehr
Demonstranten ein, die vergeblich ihren Protest vorbringen wollten.
Irgendwann zückte ich meinen
US-Pass, hielt ihn den nächsten Polizisten ins Gesicht und sagte ihm auf
Englisch, daß ich sofort meinen Konsul sprechen müsse. Bizarrerweise klappte
das sogar. Die wütenden Leute um mich herum hörten sogar kurz auf zu
skandieren, als ich durch die Absperrung auf das Gelände des
US-Generalkonsulates geführt wurde.
Man brachte mich bis zu einem
Nebeneingang, in dem ein Vertreter des Generalkonsuls auf mich wartete. Ich
sagte ihm, daß ich hiermit offiziell gegen die US-Kriegspolitik George Bushs
protestieren wolle und wurde zurück gebracht. Eine Aktion von 120 Sekunden und
total sinnlos. (…..)
Ich erinnere den 27. September 1998 als ob es
gestern wäre, als endlich nach der gefühlten Kohl-Ewigkeit eine rotgrüne Bundesregierung
gewählt wurde.
Ich werde sich auch nie vergessen, als 4.
November 2008 der erste schwarze US-Präsident gewählt wurde.
Aber diese schwülstigen 89er Erinnerungen sind aufgepropft
und überhöht.
Wie friedlich war denn die Revolution für die in der DDR
lebenden Vietnamesen und Mosambikaner, die nun auf den Straßen gejagt wurden?
Sind wir mal ehrlich; die DDR war wirtschaftlich am Ende,
wie alle anderen kommunistischen Diktaturen auch.
Sie war bereits seit 1982 in gewaltigen Zahlungsschwierigkeiten
und überlebte nur noch dank der D-Mark-Milliarden, die der CSU-Chef Franz-Josef
Strauß nach Ostberlin pumpte.
Die Christenunion war die Retterin der kommunistischen
Diktatur. Und dafür gab es einen Grund: Der bayerische Ministerpräsident war
schlicht und ergreifend zu blöd; ein echter Tölpel hatte sich von den
schlaueren SED-Genossen austricksen lassen.
[…..] Franz Josef Strauß rettete die DDR 1983 mit einem Milliardenkredit, im
Gegenzug baute das Ost-Regime Selbstschussanlagen ab - so die Legende. Doch
SPIEGEL-Recherchen zeigen nun: In Wahrheit hat Erich Honecker den CSU-Chef
ausgetrickst. [….] Die DDR stand 1983
vor der Zahlungsunfähigkeit, und ausgerechnet der lautstarke Antikommunist
Strauß half ihr aus der Klemme. Kurz vor seinem Besuch bei Honecker vermittelte
der bayerische Ministerpräsident einen Milliardenkredit westlicher Banken. [….]
Die gängige Version, die sich in
Geschichtsbüchern, Strauß-Biografien, Nachschlagewerken und TV-Dokumentationen
findet, ist die: Strauß habe seinem Verhandlungspartner Honecker
"menschliche Erleichterungen" abgetrotzt, etwa bei
Familienzusammenführungen oder Ausreisen. Vor allem aber habe er erreicht, dass
die DDR danach die etwa 60.000 barbarischen Selbstschussanlagen des Typs SM-70
an der innerdeutschen Grenze abbaute. [….] Strauß sei gegenüber der DDR-Führung "an die äußersten
Möglichkeiten" gegangen, lobte sein einstiger Adlatus Peter Gauweiler.
Auch Tochter Monika Hohlmeier verbreitete diese Deutung der Geschichte - nur
leider ist sie falsch.
Denn der große Verhandlungserfolg war keiner. Zwischen Milliardenkredit
und Abbau der Selbstschussanlagen besteht kein direkter Zusammenhang. Der
einstige Dachdeckerlehrling Honecker hat den "Jahrhundertpolitiker
Strauß" (CSU-Chef Horst Seehofer) einfach ausgetrickst.
Das zeigen Dokumente, die nun der SPIEGEL ausgewertet hat. Die Papiere
stammen von der Stasi oder sind vom Auswärtigen Amt und dem Bundesarchiv
veröffentlicht worden, teilweise schon vor längerer Zeit.
Danach war Honecker bereits vor den Verhandlungen über den
Milliardenkredit entschlossen, die Todesautomaten abzubauen. Er hatte damit offenbar
auch bereits begonnen. Und beides war in Bonn bekannt. Honecker hatte es selbst
erzählt, am Montag, dem 13. September 1982. […..]
Verglichen mit der Wirtschaftsleistung der BRD war die DDR
klein und schwach, aber mit Klugheit konnten sie in einigen Bereichen den
Erzkonkurrenten im Westen weit übertrumpfen.
Das galt für jedermann sichtbar im Sport, aber das
DDR-Politbüro konnte manches mal den Westen austricksen, der DDR-Devisenbeschaffer
Alexander Schalck-Golodkowski war seinen westlichen Verhandlungspartner geistig
weit überlegen und insbesondere der Geheimdienst war extrem erfolgreich;
gehörte international zu den Großen, während der westliche BND eine reine
Lachnummer war, über die sich Agenten aller anderer Nationen bis heute
kaputtlachen.
Es fällt heute leicht über die unbedarften, unmodischen,
unwissenden Ossis des Jahres 1989 zu lachen.
Denen konnte man den ganzen Schrott andrehen, den hier
keiner mehr haben wollte und insbesondere mit Pornoheftchen konnte man Ossis
gefügig machen wie einst die Conquistadores Urvölker mit Glasperlen.
[….] Der Einzelhandel verdiente gut an den Ost-Besuchern. [….]
100 Mark Begrüßungsgeld, damit kam ein DDR-Besucher nicht sehr weit.
Zumal überall in der Stadt die Geschäftemacher lauerten: Juweliere lockten mit
angeglichenen Super-Rabatten, Kaufhäuser holten Ladenhüter aus dem Lager und
machten sie zu Geld. Den unerfahrenen Ostdeutschen konnte man eben noch alles
andrehen. [….]
Besonders große Anziehungskraft auf DDR-Bürger hatte die Reeperbahn.
Das Beate-Uhse-Kaufhaus war voll mit Männern aus dem Osten, die beim Blättern
in diversen Magazinen Stielaugen bekamen. Der Kassierer der Live-Peep-Show
stand kurz vorm Nervenzusammenbruch. Während er sonst mit seinem Lautsprecher
verzweifelt Kunden anlockte, musste er jetzt versuchen, des Ansturms Herr zu
werden. „Nein, nicht zu dritt in eine Kabine“, brüllte er. „Nervt doch woanders
rum, wenn ihr kein Geld mehr habt.“ […..]
Aber niemand kann im Ernst behaupten, es handelte sich um
eine spezifisch ostdeutsche Grunddämlichkeit.
Wäre Deutschland im Jahr 1945 entlang anderer Grenzen
geteilt worden, so daß beispielsweise Bayern und Baden-Württemberg eine
sowjetisch besetzte Zone geworden wären und dafür Brandenburg und Meckpomm von
den USA und Westeuropa als Bollwerk gegen den Warschauer Pakt gepampert worden,
würden sie heute über die Südis lachen, die sich alle 1989
übers Ohr hauen ließen.
Generell mögen es Menschen in Diktaturen zu leben, da
Demokratie anstrengend ist. Pluralität schafft Verunsicherung. Nicht jeder mag
Selbstverantwortung.
Auch in den Demokratien ist der Ruf nach einem „starken Mann“
populär; das zeigen die Wahlergebnisse in den USA, in Brasilien, in Russland,
in der Türkei, auf den Philippinen, in Israel.
Demokratische Werte wie Minderheitenschutz, Redefreiheit
oder liberaler Strafvollzug sind unpopulär.
Große Teile der Bevölkerung rufen gern nach „schärferen
Gesetzen“, ersehnen Verbote, schreien „Kopf ab“ und haben keine Lust sich um
Transgender oder ethnische Minderheiten zu sorgen.
Sie haben gern Ordnung, Polizei, die durchgreift und
Richter, die streng und schnell alles wegsperren.
Auch das ist eine Form der „Ostalgie“ – damals war alles so
geordnet und sicher und homogen. Keine Streiks, keine schrägen CSD-Umzüge,
keine Existenzsorgen.
Die totale Planwirtschaft funktioniert aber offenbar
wirtschaftlich nicht sehr gut.
Wenn man wie in Vietnam oder China als „kommunistisches“
Land mit strenger Überwachung und allmächtiger Parteiführung dennoch marktwirtschaftliche
Methoden zuläßt, kann man prächtig gedeihen – ohne Menschenrechte und ein paar
Tausend Regimegegner weniger, die jedes Jahr geköpft werden.
Die andere Möglichkeit ist sich wie Nordkorea abzuschotten.
Das fiel der DDR aber im Gegensatz zu anderen
Warschauer-Pakt-Diktaturen extrem schwer, da es stets ein zweites Deutschland
nebenan gab, dessen Fernseh- und Radiowellen empfangen werden konnten, deren
offenbar steinreiche Bewohner das Land bereisten.
Rumänien und Polen hatten hingegen kein prosperierendes
West-Rumänien und West-Polen als Dauerkonkurrenten im Blick.
Diese perfide Konkurrenz-Situation, der Geldmangel und insbesondere der ideologische Verlust des
großen Bruders „Sowjetunion“ brachten die DDR schließlich zu Fall.
Es wäre früher oder später ohnehin dazu gekommen.
Lange vor den Ossi-Dissidenten in Leipzig und Dresden hatten
schon die Polen und Ungarn ihre Regime in den Grundfesten erschüttert.
Beim Prager Frühling hätten freiheitsliebende Tschechen um Alexander
Dubček beinahe schon 1968 die sozialistische Diktatur abgeschüttelt; sie konnte
sich nur durch sowjetische Panzer behaupten.
Auch Josip Tito in Belgrad lockerte sein Land
lange vor der DDR und nebenan in Ungarn herrschte lange der sogenannte „Gulaschkommunismus“
– ja man war zwar Teil des Ostblocks, aber nahm die Partei auch nicht allzu
ernst.
Die SED saß hingegen besonders fest im
Sattel, weil das deutsche Volk sich gern unterordnet und zudem traditionell
große Freude an der Denunziation hat.
Da muckt man nicht so auf. Aber irgendwann
musste es halt doch kommen.
Ob da ein paar mehr oder weniger Menschen in
irgendwelchen ostdeutschen Kirchen Lieder sangen oder nicht, ist irrelevant.
Unter den Bedingungen musste das Regime
irgendwann kollabieren.
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