Gestern legte ich die
seit Kriegsende andauernden Überschneidungen von Christdemokratie und
Rechtsextremismus dar.
Der erste
CDU-Bundeskanzler Adenauer holte mit Globke und Oberländer Nazis der übelsten
Sorte in seine Regierung.
Der dritte CDU-Bundeskanzler
Kiesinger war selbst NSdAP-Mitglied gewesen.
Der vierte CDU-Bundeskanzler
Kohl unterstützte ehemalige SS-Mitglieder.
Offensichtlich habe
ich in dieser Auflistung den zweiten Kanzler, den sogenannten „Vater des
Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard ausgelassen.
Dieser unglaubliche
dicke Mann mit der Zigarre ist den meisten Menschen heute als sensationell
erfolgreicher Wirtschaftsminister (1949 bis 1963) in Erinnerung, der aber erst
spät den Sprung zum Kanzler schaffte und in seiner kurzen Amtszeit 1963 bis
1966 nicht recht zu überzeugen wußte.
Erhard wird gern von Journalisten
bemüht, die sich über allzu große Härten der neoliberalen CDU-Wirtschaftspolitik
à la Merz echauffieren.
Diese radikalen Gegner
des Sozialstaates mögen sich doch daran erinnern, daß die erfolgreiche
Erhard-CDU für soziale
Marktwirtschaft stand.
Aber der 1897 in Fürth
geborene spätere Kanzler wird dabei enorm verklärt.
Er galt als genialer
Wirtschaftswissenschaftler, aber seine akademische Karriere war eher mau.
Mit Mühe promovierte
er. Weiter kam er nicht.
[….] Die Handelshochschule hatte seit
1931 das Habilitationsrecht, und Erhard versuchte sich an dem ambitionierten
Thema „Die Überwindung der Wirtschaftskrise durch wirtschaftspolitische
Beeinflussung“. Das Manuskript ist durch seinen Nachlass bewahrt geblieben.
Biograf Hentschel, selbst Wirtschaftshistoriker, meint, Erhard tauge dem
Habilitationsversuch zufolge nicht als wissenschaftlicher Nationalökonom, da
ihm die formale Strenge und die Fähigkeit fehlten, klare und schlüssige
Gedanken zu fassen und unter Hinweis auf die verwendeten Quellen argumentativ
miteinander zu verbinden. Die Ursachen der damaligen Weltwirtschaftskrise habe
Erhard logisch unschlüssig gedeutet, die Lösung der akuten Probleme sei
verfehlt gewesen. [….]
Richtig erfolgreich
wurde Erhard erst mit Kriegsbeginn, als er sich damit beschäftigte, wie man die
von Deutschland überrannten Gebiete ausbeuten konnte.
Er briet die Nazis bei
der wirtschaftlichen Annektierung Österreichs, Polens und Lothringens. Von 1942
bis zum Kriegsende führte er ein von der NS- Reichsgruppe Industrie finanziertes Institut,
in dem er Pläne zur Finanzierung des Krieges durch Arisierungen entwarf,
erstellte entsprechende Denkschriften für die SS.
Weniger bekannt ist,
daß er sich dabei auch selbst die Taschen vollstopfte.
1939 bis 1945 lebte er
ausschließlich von Aufträgen der Nationalsozialisten.
[….] Der Vater des Wirtschaftswunders wird bis heute gefeiert – dabei hat er
eng mit Gauleitern und NS-Behörden zusammengearbeitet und bestens verdient.
[….] Es
ist weithin unbekannt, dass Erhard ein Profiteur des NS-Regimes war und
hochbezahlte Gutachten für Gauleiter und Himmler-Behörden verfasst hat. [….]
Für [Gauleiter] Bürckel verfasste Erhard unter anderem eine Studie darüber, welche
„Gesichtspunkte“bei der „Verwertung des volksfeindlichen Vermögens zu beachten“
seien. Damit war das Eigentum von deportierten Juden und missliebigen
französischen Politikern gemeint.
1940 tat Erhard zudem einen
weiteren Großkunden auf – die „Haupttreuhandstelle Ost“, die im annektierten
Polen tätig war. Erhard sollte ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept
entwerfen, wie sich der „neue deutsche Ostraum“entwickeln ließe.
Im Sommer 1941 war der Vorbericht
fertig, in dem es nicht an rassistischen Klischees fehlte. So schrieb Erhard
beispielsweise: „Das polnische Volk hat weder die Gestaltungskraft noch den
Gestaltungswillen, die es zu so wahrhaft kultureller Leistung befähigt. “Erhards
implizite Botschaft lautete also: Die Polen konnten froh sein, dass sie von den
Deutschen unterworfen und enteignet worden waren, denn nun übernahm der
germanische Sachverstand.
Erhard dachte in völkischen
Kategorien, blieb aber dennoch pragmatisch: Für ihn war es schlicht
ineffizient, die Polen zu ermorden, zu vertreiben oder verhungern zu lassen,
wenn sie doch als Arbeitskräfte und als Kunden benötigt wurden. [….] .
Die SS machte dabei klare
„volkspolitische“ Vorgaben: Erhards neue Studie sollte davon ausgehen, dass
sämtliche Polen deportiert würden. Da Erhard das Warthegau mehrfach intensiv
bereist hatte, musste er wissen, dass es für die Polen den sicheren Hungertod
bedeutete, wenn sie in den Osten abgeschoben wurden. Dennoch war Erhard gern
bereit, eine Expertise für die Himmler-Behörde zu erstellen, und verlangte
dafür üppige 6000 Reichsmark. [….]
Noch erschreckender
als Erhards mieses Treiben ist die Vehemenz, mit der die CDU auch noch im Jahr
2019 Geschichtsklitterung betreibt und jede Nazi-Verstrickungen abstreitet.
Wie Roland Koch im
Jahr 1999 kennt die Perfidie kaum Grenzen. So wie die damalige Hessen-CDU von „jüdischen
Vermächtnissen“ sprach, als sie 20 Millionen Schwarzgeld bunkerten, stilisiert
die Erhard-Stiftung den Nazi-Freund gar als Widerstands-Mann. Absolut schamlos
gegenüber all der Widerständler, die dafür mit ihrem Leben bezahlt haben.
[….] Kann man ihn deswegen als
Profiteur bezeichnen? Nein, heißt es im Ludwig-Erhard-Zentrum in Fürth.
"Ein 'Profiteur' ist ein Nutznießer.
Und ein Nutznießer des NS-Regimes war Ludwig Erhard nicht. (…) Das Kerngeschäft
des Instituts und damit auch von Erhard war Marktforschung im Auftrag externer
Geldgeber. (…) Weil in der ohnehin immer stärker
dirigistisch-staatsinterventionistisch organisierten NS-Wirtschaft mit
Kriegsbeginn 1939 die Privatindustrie als Auftraggeber ausfiel, mussten die
Institutsleitung und damit auch Ludwig Erhard versuchen, Aufträge von
staatlichen Stellen zu bekommen." Prof. Daniel Koerfer, wissenschaftlicher
Kurator der Dauerausstellung im Ludwig-Erhard-Zentrum, Professor für
Zeitgeschichte und Wirtschaftsgeschichte an der Freien Universität Berlin
In der Dauerausstellung im
Fürther Ludwig-Erhard-Zentrum sind Erhards Wirtschaftsgutachten für die Nazis
im Original zu sehen. [….] In der
Ausstellung fällt das Foto eines schmalen Mannes mit ernstem Blick auf: Carl
Goerdeler – NS-Widerstandskämpfer, nach dem Attentat vom 20. Juli 1944
hingerichtet. [….] Ulrike Herrmann wirft Erhard vor, seine
lockere Bekanntschaft mit Goerdeler nach dem Krieg ausgeschlachtet zu haben.
Erhard sei ein "Lügner". Er habe sich "mit sehr viel
Fantasie" eine Widerstands-Legende "zusammen gelogen", sagt
Herrmann. [….]
Daniel Koerfer ist sich sicher:
Ludwig Erhard war kein Nazi. [….]
Der Mann, der sich bei
Arisierungen eine goldene Nase verdiente, wird heute noch als Ideal beworben.
Arisierung ist ein
euphemistischer Begriff, der wie eine Umbenennung und Umstrukturierung klingt.
Arisierung war aber
etwas anderes: Nämlich Menschen umbringen, die gesamte Familie in die Gasöfen
schicken und ihren Besitz rauben. Das ist es worin Bundeskanzler und CDU-Bundesvorsitzender
Erhard seine Finger hatte.
70 Jahre
Nachkriegskontinuität der CDU, 70 Jahre NS-Appeasement.
Seit 70 Jahren drücken
die Christdemokraten ihr rechtes Auge zu. Hans-Georg Maaßen ist die Apotheose
dieser Haltung.
[….]
Erhard hat die meisten seiner
Lügen wahrscheinlich selbst geglaubt, denn sie halfen ihm, schwere Niederlagen
zu verbrämen. Dies begann bereits mit seiner Habilitation. Später hat Erhard
behauptet, er hätte auf eine „akademische Laufbahn verzichten“ müssen, weil er
kein Nazi gewesen sei. Dem italienischen Premier Aldo Moro erzählte Erhard
beispielsweise, er sei zu Hitlers Zeiten „verfemt und geächtet“ gewesen und
habe „seine Professorentätigkeit nicht ausüben dürfen“.
Die Wahrheit ist weniger
schmeichelhaft: Erhards Habilitation scheiterte nicht am NS-Regime, sondern an
seiner eigenen Unfähigkeit. Er brachte zwar 141 Seiten zu Papier, aber der
Inhalt war so dürftig, dass Erhard das Werk lieber nicht einreichte. Die NSDAP
war jedenfalls nicht schuld, dass Erhard nicht zum Professor aufrückte.
Nürnbergs NS-Bürgermeister Eickemeyer wollte ihn sogar ohne Habilitation mit
dem Titel ehren, stieß jedoch auf den Widerstand des standesbewussten
bayerischen Kultusministeriums. [….]
[….] Besonders eng arbeitete Erhard mit Josef Bürckel zusammen, der erst
Gauleiter in Wien und dann in Lothringen war. Zwei Expertisen stechen heraus: [….] Auch
die zweite Expertise hatte mit diesem Themenkomplex zu tun: In den enteigneten
Betrieben waren NS-Manager eingesetzt worden, die sich oft als extrem korrupt
und unfähig erwiesen, so dass Erhard nun die „Problematik der kommissarischen
Verwalter“ beleuchten durfte. Erhard war also bestens über die Judenverfolgung
informiert – und gedachte davon zu profitieren, indem er Gutachten einwarb.
Nach dem Krieg verbreitete Ludwig Erhard die Legende, er habe in Lothringen nur
die Glasindustrie untersucht.
1940 tat Erhard zudem einen
weiteren Großkunden auf – die „Haupttreuhandstelle Ost“, die im annektierten
Polen tätig war. Mehrfach bereiste Erhard diese Gebiete und sprach dort mit den
„verschiedensten und maßgebendsten Stellen“, wie er in einem Brief an Nürnbergs
NS-Bürgermeister Eickemeyer herausstrich. Erhard kannte also das Grauen, das
sich in Polen abspielte.
[….] Zudem konnte Erhard familiäre Bande nutzen: Seine Schwester war mit dem
Hauptgeschäftsführer der Reichsgruppe Industrie verheiratet, und dieser
Schwager organisierte nun die Mittel, damit Erhard sein eigenes Institut für
Industrieforschung gründen konnte. Dieses Institut bestand zwar nur aus Erhard
und seiner Sekretärin, wurde aber üppigst dotiert. Jährlich wurden 150.000
Reichsmark bewilligt. Ein Arbeiter, zum Vergleich, verdiente damals knapp 2.000
Reichsmark im Jahr. Zudem musste sich Erhard nicht überarbeiten: So weit man
weiß, hat er nur ein paar Erhebungen durchgeführt und eine größere Denkschrift
verfasst.
[….] Erhard konnte sein Gewissen auch mühelos ausschalten, wenn es galt,
Beraterhonorare zu kassieren. Nach dem Krieg erhielt er jährlich 12.000 D-Mark
von der weltbekannten Porzellanfirma Rosenthal AG, die zu den „arisierten“
Unternehmen gehörte. Als Firmenerbe Philip Rosenthal sich nach dem Krieg
bemühte, den väterlichen Betrieb zurückzuerhalten, schrieb Erhard am 20. Juni
1949 einen höchst ungewöhnlichen Brief an die US-Militärregierung: Er legte den
Amerikanern nahe, „den im Dritten Reich eingesetzten Vorstand der Rosenthal
A.G. nicht abzusetzen“. Erhard wollte also genau jene Manager retten, die ab
1934 die Firma gewaltsam „arisiert“ hatten. [….]
80 Jahre nach
Kriegsbeginn hat die CDU offenbar noch nicht viel dazu gelernt, robbt sich
insbesondere in Ostdeutschland an völkische Demagogen und Faschisten heran.
Unter der fünften
CDU-Bundeskanzlerin Merkel sieht es also bezüglich der Nazis auch nicht besser
aus als vor 70 Jahren.
[….] Wie geschichtsblind müssen Christdemokraten sein, die davon träumen,
eine solche Partei von Rechtsaußen einhegen zu können?
[….] Die Thüringer Kommunalpolitiker fordern, dass ihre Partei auch mit der
AfD sprechen solle, um auszuloten, ob und wie in Thüringen eine stabile
Regierung gebildet werden könne. [….]
Es gibt dort in der zweiten und
dritten Reihe eine Offenheit gegenüber der AfD, die auf Unkenntnis, politischer
Naivität und manchmal auch inhaltlicher Nähe zu dieser Partei gründet. [….] Die AfD
sieht ihre politischen Konkurrenten nicht als Gegner, sondern als Feinde. Jeder
kann das im Bundestag und in den anderen Parlamenten sehen. Auch reicht im
Grunde ein kurzer Ausflug auf Webseiten der AfD, die von Hass und
Respektlosigkeit gegen Minderheiten, aber auch gegen die Kanzlerin geprägt sind
- jene Frau, die seit zwei Jahrzehnten das Gesicht der CDU ist.
Wie naiv muss ein Christdemokrat
sein, der glaubt, mit dieser Partei könne man einen Dialog führen über eine
vielleicht etwas andere Politik? Und wie geschichtsblind muss jemand sein, der
davon träumt, eine solche Partei von Rechtsaußen einhegen zu können? [….]
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