Montag, 18. November 2019

Unerträglich träge

Es ist über zehn Jahre her; da sah ich zum ersten mal eine ausführliche anderthalbstündige Dokumentation darüber wie eine englisch-finnische Familie mit zwei kleinen Kindern ihr Leben plastikfrei gestaltete.  Fertiggestellt wurde der Film im Jahr 2007.
Sie wurde Anfang 2009 im deutschen TV ausgestrahlt und blieb mir auch deswegen in Erinnerung, weil das Paar ausgesprochen sympathisch und wenig fanatisch war. Üblicherweise sind Reality-ähnliche TV-Formate von eitlen Selbstdarstellern bevölkert, denen man nicht begegnen möchte.
Ganz anders bei den Websters.

[….] The witty, thought-provoking film portrays Webster's awakening concern over global warming and his decision to put his family on a carbon diet. Not surprisingly, his wife Anu and two young sons are not so enthusiastic about his plans for them to get rid of their car and stop buying anything made of -- or packed in -- plastic. Life in the suburbs of Espoo without petroleum products is no picnic, they find.
The resulting tale veers from comedy to sermon, from reality TV to deadly-serious documentation of the causes and results of climate change. Along the way, there also revealing peeks into multi-cultural family life in Finland.
Webster is the 41-year-old son of two British academics who settled in Finland. He and his sister attended Swedish-language Steiner schools. Reflecting his background, the film is mostly in English with dialogue in Finnish and a bit of Swedish.
Completed in late 2007 and premiered last August, the film was a co-production by three small film companies in Finland and Denmark, with backing from YLE, Channel 4, CANAL+ and public broadcasters in Denmark, Norway, Canada and Israel. [….]

Vor zehn Jahren war ich längst soweit mich über die vielen Plastikverpackungen zu ärgern – schließlich gab es die Horrordokumentationen über in Plastikschnüren verendete Meerestiere, Wale mit Mägen voller Plastik und regelrechten Kunststoffdünen an den Stränden der Welt schon lange.
Greenpeace und anderen Umweltschutzorganisationen schlugen schon lange vor 2007 Alarm.
Außerdem kannte ich von meiner Studienzeit das an meiner Universität beheimatete „Sonderforschungsprojekt ZISCH“ (Zentrale Immission Schwermetalle in die Nordsee.)
Das war noch in den 1980ern. Es ging nicht nur um die berüchtigte Dünnsäureverklappung, sondern natürlich um alle Schadstoffe, die ins Meer gekippt werden.

Bis vor zehn Jahren hatte ich zwar allgemein versucht im Zweifelsfall kein Plastik zu benutzen – also lieber das Pulverwaschmittel in der Pappverpackung kaufen, statt des Flüssigen in der dicken Plastikflasche, lieber ein Stück in Papier eingeschlagene Seife, statt Flüssigseife im Plastikpack, Plastiktüten hatte ich schon längst aus meinem Haushalt verbannt – aber so richtig packte mich 2009 die Familie Webster.
A posteriori verstehe ich gar nicht, wieso ich nicht schon vorher viel konsequenter war, aber irgendeinen emotionalen Zugang benötigt man vielleicht.
Es war jedenfalls klar: Plastikmüll ist kein abstraktes Problem ist, sondern man muss bei sich selbst im Alltag anfangen und aufhören diese Kunststoffe zu kaufen.

Scheinbar ging es nicht nur mir so.
Weltweit nahmen sich Familien die Websters als Vorbild.
Überall luden Familien ihren plastikfreien Alltag in die sozialen Netze hoch, begannen Zeitungsredakteure die „ein Monat ohne Plastik-Challenge“ und dazu erschienen jede Menge Ratgeber-Bücher zum Thema.

Die österreichische Familie Krautwaschel wurde ebenfalls schon vor zehn Jahren mit dem Thema populär.

[…..] In a new book published in German, titled "Plastikfreie Zone," or "Plastic-Free Zone," Sandra Krautwaschl details how her family of five got rid of many of their plastic items and now rarely buys anything made of the petroleum-based material.
It began as a month-long experiment, but has since turned into a way of life, says Krautwaschl. During a 2009 vacation to Croatia, the 40-year-old physical therapist was struck by how often her three children asked where all of the trash on the beach came from. The experience led her to consider her own responsibility for the problem.
"Though we recycle in Austria, it doesn't work around the world. The fact that we still buy these things contributes to the continuation of their production," she told SPIEGEL ONLINE.
Shortly after the family vacation, Krautwaschl also saw the 2009 film "Plastic Planet," a documentary by Austrian filmmaker Werner Boote on how the glut of plastic produced around the world has become toxic to the environment. […..]

In Kalifornien ist es die Familie Jasper and Vjera Watts, die ihre „pastic-free journey“ erklärt.

Die Bewegung bekam so viel Zuspruch, daß es immer leichter wird plastikfrei einzukaufen.

[….] Bettina Maidment hasn’t emptied the kitchen bin since the beginning of November. The time before that was in August. “You can reduce your rubbish a lot,” she insists, pointing to her recycling and food compost bins. “I have two kids and they’re pretty anti-plastic – I am their mother after all – but it is do-able.”
Maidment, 38, is the founder of Plastic Free Hackney, a campaign to rid the east London borough of single-use plastic and has been serious about committing her family to plastic-free, zero-waste living for two years now. First to go was milk cartons. “That was an easy switch, we got a milkman.”
Then came bamboo toothbrushes, swapping out supermarket shopping for the local greengrocer, and making deodorant, cleanser, moisturiser and handsoap at home. [….]

Das ZERO WASTE MOVEMENT ist rund um den Globus eine große Sache.


Inzwischen klärt schon die Sendung mit der Maus Kleinkinder über das Thema auf.
Plastic-free-shops sprießen aus dem Boden, Friendsoftheearth erklärt wo man sie findet.


Vor drei, vier Jahren kam in weiterer weltweiter Megatrend hinzu: Müll sammeln.
Auch da gibt es seit Jahrzehnten Pioniere, zu denen zum Beispiel der großartige Schriftsteller David Sedaris gehört, der seit vielen Jahren praktisch seine gesamte Freizeit damit zubringt mit einem Piekser durch die Landschaft zu laufen, um menschlichen Plastikmüll einzusammeln.
Nun ist das zur Touristenattraktion geworden.
Überall an den Stränden dieser Erde finden sich Urlauber zusammen, die die kontemplative Kraft des Müllsammelns entdecken.

(….)Was ich lange Jahre nur von als sehr verschroben geltenden Sonderlingen kannte, daß sie sich wie David Sedaris privat daran machen Wald und Watt aufzuräumen, wird neuerdings zum echten „Movement“.
Mehrere Jahre später sprang sogar die Hamburger CDU auf den Trend auf und inszenierte sich für ihre hinter dem Mond lebende Anhängerschaft als moderne Großstadtpartei mit Ökogewissen.

[…..] Plogging heißt der Trend aus Schweden, mit dem die CDU den Elbstrand sauberer machen will. [….]

Etwas erbärmlich natürlich, wenn die Mitglieder der Partei, die am hartnäckigsten ökologische Politik in Deutschland behindert in ihrem Habitat, dem teuersten Stadtteil Hamburgs, am Blankeneser Strand, vor der Kamera einer konservativen Zeitung posierend diese offensichtliche Inszenierung abzieht, aber immerhin.

Auch das deutsche Mülltrennen bringt nicht viel, wenn wir weiterhin Europameister im Müllproduzieren sind, aber es ist dennoch wichtig das geschaffene Problembewußtsein der Menschen zu erhalten.[…..]

Was bringen nun diese weltweiten Megatrends in Deutschland ein?
Wir müssten doch eigentlich schon nahezu plastikfrei leben, oder?

Aber da verkennen wir die völlig phlegmatische Natur der Deutschen und die Beharrungskräfte der Regierung Merkel, die tief im Hintern der Verpackungsindustrie sitzend gar nicht daran denkt einzuschreiten.

Das erbärmlich träge Teutonenvolk produziert mehr Verpackungsmüll als je zuvor. So viele Aktivisten es auch geben mag, der großen Majorität ist Klimaschutz genauso egal wie die Umwelt.
Sie kaufen Billigfleisch, fliegen mehr denn je mit dem Flugzeug und interessieren sich offenbar kein bißchen für Nachhaltigkeit.

Nach uns die Sintflut, lautet das Motto Merkels und ihres Volkes.

[….] Deutsche produzieren so viel Verpackungsmüll wie nie zuvor
[….] Die Menge an Verpackungsmüll in Deutschland ist erneut auf ein Rekordhoch gestiegen. Im Jahr 2017 fielen insgesamt 18,7 Millionen Tonnen davon an, wie das Umweltbundesamt am Montag mitteilte. Das entspricht drei Prozent mehr als noch im Vorjahr. Insgesamt ergibt sich aus der Müllmenge ein Verpackungsaufkommen von 226,5 Kilogramm pro Person - private Verbraucher haben daran einen Anteil von 107 Kilogramm pro Kopf. 47 Prozent aller Verpackungsabfälle fallen also unmittelbar im Haushalt an.
Gründe für das steigende Müllaufkommen sind dem Umweltbundesamt zufolge unter anderem der anhaltende Trend, sich Produkte aller Art vor die Haustür liefern zu lassen. Hinzu komme, dass sich Verbraucher trotz aller Sensibilisierung weiterhin kleine Portionen Essen und Trinken in Einwegboxen und -bechern aushändigen ließen, statt auf langlebigere Mehrwegbehälter zurückzugreifen. Die Umweltbehörde macht außerdem gewisse Konsumgewohnheiten für die Zunahme verantwortlich, beispielsweise den Wunsch nach zusätzlichen Funktionen der Verpackungen wie Wiederverschließbarkeit oder Dosierhilfen. Diese seien häufig unnötig aufwendig ausgeführt, was wiederum den Materialverbrauch erhöhe und das Recycling schwieriger mache. [….]  

Menschen im Allgemeinen sind offenbar unbelehrbar und borniert.

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