Sehr geehrte Damen und Herren!
Wie lange ich schon die SZ abonniert habe, weiß ich gar
nicht genau. 30 Jahre? Ich war noch Student und es war für meine damaligen
finanziellen Verhältnisse eine kostspielige Angelegenheit. Aber letztlich
überzeugte mich Heribert Prantl, den ich unter dem Begriff „Edelfeder“
kennengelernt hatte und der so wohltuend auf viel höherem Niveau schrieb, als
ich das aus meinem sehr regionalen „Hamburger Abendblatt“ kannte.
Prof. Dr. Heribert Prantl (*1953), Jurist (Promotion
Magna Cum Laude), Staatsanwalt, Richter, Autor, Journalist, Publizist war ab
1988 SZ-Redakteur, von 1995 bis 2017 Chef des Ressorts Innenpolitik der
Süddeutschen Zeitung, 2018 bis 2019 Leiter des Ressorts Meinung und von 2011
bis 2019 war er Mitglied der Chefredaktion.
Das Abo habe ich nie bereut und schätze inzwischen viele
andere SZ-Autoren sehr. Aber da Prantl für mich der erste Anknüpfungspunkt war,
achte ich immer noch besonders auf seine Kolumnen am Wochenende und zu den
Christlichen Feiertagen.
Umso mehr schmerzt es mich natürlich, bei all der
Grundsympathie zu beobachten, daß Heribert Prantl offenbar zunehmend an
„Religiotie“ leidet, die im Schmidt-Salomon-Sinn bedeutet:
„Religiotie ist eine selten
diagnostizierte (wenn auch häufig auftretende) Form der geistigen Behinderung,
die durch intensive Glaubensindoktrination vornehmlich im Kindesalter ausgelöst
wird. Sie führt zu deutlich unterdurchschnittlichen kognitiven Leistungen sowie
zu unangemessenen emotionalen Reaktionen, sobald es um glaubensrelevante
Sachverhalte geht. Bemerkenswert ist, dass sich Religiotie nicht
notwendigerweise in einem generell reduzierten IQ niederschlägt: Religioten
sind zwar weltanschaulich zu stark behindert, um die offensichtlichen
Absurditäten ihres Glaubens zu erkennen, auf technischem oder strategischem
Gebiet können sie jedoch (siehe Osama bin Laden) hochintelligent sein. Wie es
„Inselbegabungen“ gibt (geistig behinderte oder autistische Menschen mit
überwältigenden mathematischen oder künstlerischen Fähigkeiten), so gibt es
offensichtlich auch „Inselverarmungen“ (normal oder gar hochintelligente
Menschen, die in weltanschaulicher Hinsicht völlig debil sind).
Religiotie sollte daher als
„partielle Entwicklungsstörung“ verstanden werden – ein Begriff, den der
Entwicklungspsychologe Franz Buggle schon vor Jahren vorgeschlagen hat, um die
spezifischen Denkhemmungen religiöser Fundamentalisten zu erfassen.“
(Keine
Macht den Doofen, s.42f)
(….)
(Das ewige Rätsel 23.04.2014)
Sicher, ich habe es leichter, weil ich säkular aufwuchs
und nicht wie Prantl wohlige Kindheitserinnerungen mit katholischen Riten
konnotiere. Von so etwas muss man sich erst einmal intellektuell befreien.
Aber dennoch sollten doch so umfassend belesene Menschen
wie Prantl einsehen, wie absurd und paradox das katholische Grundkonstrukt ist.
Noch einmal MSS dazu:
[…..] Ich glaube
nicht, dass die wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnisse, die wir
gewonnen haben, schwerer zu verstehen sind als die seltsamen Geschichten, die
uns von religiöser Seite nahegebracht werden. Ich frage Sie: Was ist schwerer
zu verstehen? Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass wir Teil eines
evolutionären Prozesses sind, der aus einfachen einzelligen Lebensformen
allmählich komplexere Organismen hervorbrachte? Oder der Glaube an einen Gott
mit multipler Persönlichkeitsstörung (Dreifaltigkeit), dessen erster Teil
(Gottvater) sich mit seinen Geschöpfen verkrachte, worauf er den zweiten Teil
seiner selbst (Heiliger Geist) aussandte, um eine Jungfrau auf nichtsexuelle
Weise zu schwängern, wodurch der dritte Teil seiner selbst (Jesus Christus) als
aufrechtgehender Trockennasenaffe geboren wurde, um von einer historischen
Besatzungsmacht hingerichtet zu werden und – ätsch – am dritten Tag wieder von
den Toten aufzuerstehen? Man muss sich doch mal überlegen, welche
intellektuellen Verrenkungen solche Glaubensinhalte den Menschen abverlangen. [….]
(Michael Schmidt-Salomon)
Wie kann also ein so heller Kopf wie Prantl an so etwas
glauben?
Ein Klick zu Wikipedia hilft weiter.
[…] Heribert Prantl ist der
älteste von drei Söhnen seines gleichnamigen Vaters, der Oberamtsrat und
Stadtkämmerer sowie ehrenamtlicher Vorsitzender des Kolping-Werks war, und seiner
Mutter Julie Prantl, einer Schneidermeisterin. Nach seiner Darstellung war sein
Vater ein „gläubiger Mensch“, die Hochzeitsreise hatte die Eltern zum
Wallfahrtsort Altötting geführt, den auch die Familie später oft besuchte. Als
Jugendlicher engagierte er sich im Bund der Deutschen Katholischen Jugend und
schrieb bereits ab dem Alter von 15 Jahren fast täglich Berichte und Reportagen
für die Lokalzeitungen seiner Region. Er absolvierte 1973 sein Abitur am
Regental-Gymnasium Nittenau. Danach leistete er seinen Wehrdienst (letzter
Dienstgrad: Fähnrich der Reserve) in Regensburg und Idar-Oberstein ab. [….]
(Wikipedia/Prantl)
Der Jurist und Journalist Prantl war aber immer ein
liberaler Mann, dessen Ansichten ich stets respektierte.
Umso geschockter war ich, als Prantl 2012 zum inzwischen berüchtigten "Kölner
Beschneidungsurteil" den Juristen und Humanisten in sich
über Bord warf und sich der Religiot in ihm Bahn brach. Er plädierte deutlich dafür, Kindern und
Jugendlichen, medizinisch unsinnige schmerzhafte Genitalverstümmelungen antun
zu dürfen.
Zur Ausgießung des Heiligen Geistes, beschäftigt sich
Heribert Prantl (es war so sicher wie das Amen in der Kirche) natürlich auch mit Pfingsten und stellt (ebenso
sicher vorhersehbar) fest, wie wichtig dieses christliche Fest ist.
Garniert; auch das ist in jedem seiner Texte zu
katholischen Riten so; mit einer ordentlich Portion Larmoyanz im Subtext.
„Ach, so ein Jammer, daß
der Glaube nachläßt. Wäre es doch bloß wie früher in meiner Kindheit.“
Diese Leier kann ich inzwischen schon singen, lese die
Kolumne aber trotzdem, weil ich weiß, wie gebildet Prantl ist und warte
gespannt, welche historische Begebenheit oder welche literarische Vorlage er
wohl diesmal verwendet, um zu dem erwartbaren Schluß zu kommen, daß es mehr
Religion und mehr Rituale brauche.
Heute war es also der historische Händedruck des Juden
Jitzchak Rabin und des Sunniten Jassir Arafat, den er in einer hanebüchenen
Assoziationskette mit den Pfingstbildern von Tizian oder El Greco in einer
metaphysischen Aufwallung verrührt und daraus den Schluß zieht, der Heilige
Geist habe den Frieden gestiftet.
[….] „Zwei Jahre nach Pfingsten erschoss ein
religiöser Fanatiker den Ministerpräsidenten Rabin; der Friedensprozess hat
diesen Mord nicht überlebt. Rabins Tod war der Anfang vom Ende des
Friedensweges.“ (Prantl)
Da hat der Heilige Geist ja
super gewirkt. Warum hat der Heilige Geist nach dem Attentat nicht nochmal für
Frieden gesorgt? [….]
(Charlie, via AMB, 27.05.2023)
Damit verläßt Prantl aber nicht nur den Raum des Irdischen,
sondern auch den Raum der Realität und Ratio.
[…..] „Zwei Jahre nach
Pfingsten erschoss ein religiöser Fanatiker den Ministerpräsidenten Rabin.“ (Prantl)
Zwölf Jahre nach Ostern
hatte der verdummbibelte Prantl immer noch nicht begriffen, dass Zeitangaben
wie „sechs Monate nach Mitternacht“ oder „17 Wochen nach dienstags“ einfach nur
Ausdruck einer religiotisch verstrahlten Denkschwäche sind. [….]
(holey spirit, via AMB, 27.05.2023)
Es kann doch keinerlei Zweifel daran bestehen, daß gerade
im „Heiligen Land“ ganz offenbar nicht etwa zu wenig „Heiliger“ Geist, sondern
ganz im Gegenteil, viel zu viel Heiligkeit am Werke ist. Drei Weltreligionen
konzentriert, ergeben seit Jahrtausenden die tödlichste Gemengelage auf Erden.
Die einzige Chance auf Frieden besteht ganz eindeutig nur
in der Überwindung der Religiösen und der Religioten in Israel und Palästina.
Wir sehen es gerade in der Netanjahu-Regierung; je stärker der Einfluss der
Ultrareligiösen, desto weiter entfernt man sich vom Frieden. Das ist der
einenden Faktor der drei Abrahamitischen Religionen: Je stärker sie auf ihre
heiligen Überzeugungen und Geister pochen, desto mehr Krieg. Zu allem Übel
verquickt Prantl schließlich auch noch den Krieg in der Ukraine mit der Frage
des Heiligen Geistes, von dessen Kraft er gar nicht genug haben kann.
[….] Ist der Friede [in
Israel] so weit weg wie in der Ukraine? [….] Wichtig ist die Antwort
auf die Frage, wie Pfingsten wird: Was muss man dafür tun, welche Hindernisse
sind zu überwinden und wie gelingt das? Allein Waffen, Geschütze, Geschosse und
Kampflugzeuge überwinden die Hindernisse nicht. Sie führen nicht dazu, dass aus
einem zerstörten Land wieder ein Raum wird, in dem sich leben lässt. Man
braucht dazu einen Geist, der Kraft und Wille zur Verständigung schafft. Heilig
ist jeder Geist, der Frieden stiftet.
Wenn man an die Ukraine,
wenn man an den Nahen Osten denkt, dann wird einem bewusst, dass der Satz
"Der Friede sei mit euch" sehr viel mehr ist als ein ausgeleiertes
frommes Sprüchlein, das zu den religiösen Floskeln gehört. "Der Friede sei
mit euch": Es ist dies, so die Bibel, das erste Wort des auferstandenen
Jesus an seine Jünger. [….]
(Heribert Prantl,
SZ, Pfingstausgabe 2023)
Dabei ist es doch auch gerade in dem Fall klar, wer der oberste Aggressor und Rechtfertiger jeder tödlichen Gewalt
ist: Kyrill I., Patriarch von Moskau und der ganzen Rus
und Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche.
[….] Anfang voriger Woche traf die
Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) eine noch nie dagewesene Entscheidung: Sie gab
bekannt, dass die Diözese Berdjansk von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche an die
russische Kirche übertragen wird – und zwar unter der Autorität von Patriarch
Kirill. Berdjansk ist eine Stadt an der Küste des Asowschen Meeres in der
Region Saporischschja, die unter russischer Besatzung steht. In den russisch
besetzten Gebieten gibt es noch weitere Diözesen, die alle offiziell der
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche angehören, die wiederum lange dem Moskauer
Patriarchat unterstellt war. [….]
(Mikhail Zygar,
SPON, 27.05.2023)
Selbstverständlich erwarte ich als Atheist nicht, immer
mit religiösen Ansichten überein zu stimmen. Ich will auch keine Zeitung lesen,
die immer nur meine Meinung widerspiegelt. Ich möchte mich an den Kommentaren
und Kolumnen reiben und dort etwas lesen, das ich vielleicht nicht 100% genauso
sehe, aber doch die Argumente für eine andere Perspektive verstehe.
Nun aber ausgerechnet in den Palästina/Israel und
Ukraine/Russland-Kriegen mehr Heiliger Geist und weitere Pfingsttage herbei zu
schwärmen, ist so offensichtlich absurd, daß ich am Verstand des Autors
zweifele.
[….] Es wurde in jüngerer
Zeit hierzulande immer wieder überlegt, ob man den zweiten Pfingstfeiertag
nicht einfach streichen sollte. Wenn man den Sinn von Pfingsten verstanden hat,
wünscht man sich eher noch einen dritten Pfingstfeiertag. Die Kraft des Geistes
braucht Präsenz, Platz und Raum. [….]
(Heribert Prantl,
SZ, Pfingstausgabe 2023)
Ich mache mir Sorgen.
Mit freundlichen
Grüßen