Gefühlt hundertausendfach habe ich schon die bigotte Russlandpolitik Europas kritisiert.
Es muß
endlich aufhören, daß man Putin, Russland und den Kreml synonym verwendet.
Russland ist kein homogener Block, in dem jeder das will und tut was Putin
möchte.
Es muß
endlich aufhören, daß man Russlands Historie ignoriert. Kein einziges mal in
hunderten Jahren hat Russland den Westen angegriffen. Es war immer der Westen,
der in Russland einmarschierte. Als Deutschland das zuletzt tat, gab es 25 bis
27 Millionen Tote in der Sowjetunion. So einen Blutzoll hat noch keine andere
Nation gezahlt.
Es muß
endlich aufhören Russland wie eine x-beliebige Demokratie der EU zu betrachten.
Die Russen sind vom Zarenreich über die Bolschewisten bis zu Gorbatschow
Jahrhunderte lang von einer zentralistischen Diktatur beherrscht worden. Dann
kam in den 1990er Jahren unter Yelzin die Demokratie und zeigte sich als
Staatsbankrott, Hungersnot, explodierende Kriminalität und in Form des
Zusammenbruchs aller Sicherheiten. Zig Millionen Rentner und Beamte bekamen
kein Geld mehr und waren gezwungen zu hungern und/oder zu betteln. Als Putin
übernahm und die Zügel wieder fester in die Hand nahm, ging es dann ökonomisch
gewaltig bergauf.
Darin
besteht auch einer der Hauptgründe weswegen viele Menschen auf der Krim und in der
Ostukraine zu Russland gehören möchten: Putin hatte seit Jahren kontinuierlich
und großzügig die Rentenbezüge erhöht. Russen haben schlicht und ergreifend
sehr viel mehr im Portemonnaie als Ukrainer.
Es muß
endlich aufhören willkürlich verschiedene Maßstäbe anzusetzen.
Während
man (zu Recht) die Schwulenpolitik und die Medienpolitik Moskaus kritisiert,
ist Berlin eng verbandelt mit China und Saudi-Arabien. Das sind unsere engsten
Handelspartner, die von allen deutschen Politikern umschmeichelt werden.
Riad und
Peking sind aber noch Lichtjahre davon entfernt ihren Menschen so viel
Bürgerrechte wie den Russen zuzugestehen.
Es muß
endlich aufhören Regime-Change-Gedanken in die Diplomatie einzuweben.
Präsident
Putin sitzt sehr fest im Sattel, genießt die allerhöchsten Zustimmungswerte.
Also ist Putin auch der natürliche Ansprechpartner Obamas und Merkels. Ob die
Kanzlerin und der US-Präsident lieber einen anderen Chef im Kreml HÄTTEN, ist
irrelevant.
Es muß
endlich aufhören politische Differenzen mit Sprachlosigkeit und Boykotten zu
kontern.
Das ist
der diametral falsche Weg. Statt Putin zu schneiden, indem man ihn vom G8
auslädt und nun schmollend als G7 auf der Elmau hockt, müßte es nach den
Konflikten in der Ostukraine ganz im Gegenteil eine Intensivierung der Kontakte
geben. Man müßte gerade in solchen Zeiten permanent im Gespräch sein; auf allen
Ebenen, auch auf der Höchsten.
Es muß
endlich aufhören Fehler der russischen Seite triumphierend als Monstranz vor
sich her zu tragen: „Wieder ein Beweis für die Bösartigkeit Putins!“
Es muß
endlich aufhören den Versuch russische Befindlichkeiten zu verstehen, als
Schwäche oder linksideologisch zu diffamieren. Es sollte ganz im Gegenteil
gerade jetzt alles unternommen werden, um sich „in die russische Seele“
hineinzudenken.
Und nun
die Wellmann-Hysterie.
Der CDU-Politiker
Karl-Georg Wellmann hat nach seiner gescheiterten Einreise nach Russland mit
Unverständnis reagiert. Wellmann war am Wochenende bei der Passkontrolle in
Moskau abgewiesen worden und mit einem Einreiseverbot bis 2019 belegt worden.
Im ARD-Morgenmagazin
kritisierte er diesen Umgang. Es sei "nicht klug und unverständlich"
mit um Ausgleich bemühten Politikern so umzugehen, sagte er.
Das Geschrei
ist groß. Russland führe „schwarze Listen“ meinen die Grünen Russland-Hasser
Marie-Luise Beck und Rebecca Harms, die sich so demonstrativ mit Faschisten und
Antisemiten in Kiew solidarisieren.
Um alle Missverständnisse auszuräumen:
Ich finde das Einreiseverbot gegen Wellmann auch peinlich und schädlich.
Nicht zu
rechtfertigen.
Aber das
hasserfüllte Geifern von den Becks dieser Welt ist absurd.
Zum Inkrafttreten des
Gesetzes in Russland über „unerwünschte“ ausländische und internationale
Organisationen erklärt Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik:
Die zunehmende
Unterdrückung der Zivilgesellschaft steht in direktem Zusammenhang mit dem
aggressiven machtpolitischen Auftreten des Kremls in der europäischen
Nachbarschaft. Innerhalb und außerhalb Russlands werden Feindbilder erschaffen,
um diesem politischen Kurs die Legitimität zu sichern. Immer schärfer geht der
Staat dabei gegen diejenigen vor, die sich in grenzüberschreitender
Zusammenarbeit für ein demokratisches, weltoffenes Russland einsetzen.
(PM
Die Grünen 25.06.2015)
Was
treibt diese alternden Grünen dazu geradezu obsessiv Öl ins Feuer zu gießen,
während es bei der SPD gerade die Alten sind, die besonnen und konstruktiv
argumentieren?
NGOs
können nicht überall frei agieren. Das ist Mist, aber wirklich kein russisches
Alleinstellungsmerkmal.
Becks
heißgeliebtes Oligarchen-Regime in Kiew geht sogar noch viel weiter:
Das Parlament der
Ukraine hat aufgrund des Krieges im Osten des Landes die Menschenrechte in
Teilen außer Kraft gesetzt. Die Europäische Union hat sich zu diesem Vorgang in
der Ukraine noch nicht geäußert.
"Der Krieg (gegen
prorussische Separatisten) zwingt uns dazu", so die Vize-Chefin des
Parlaments, Oxana Syrojed.
(Shortnews
21.05.2015)
Diese
Meldung findet man nur ganz klein im hintersten Teil der Zeitung. Beck und
Harms äußern sich natürlich nicht dazu.
Sie
zürnen wie die Bundesregierung noch über die mutmaßliche „schwarze Liste“
Moskaus.
„Unverständlich und
inakzeptabel“ nannte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gestern den Vorfall.
„Die Bundesregierung erwartet die Aufhebung der Einreiseverweigerung.“ Der
deutsche Botschafter protestierte sofort persönlich im russischen
Außenministerium, die Bundesregierung beim Botschafter in Berlin.
Uniformierte hätten
ihm für mehrere Stunden seinen Diplomatenpass abgenommen, berichtete Wellmann.
„Die Nacht verbrachte ich im Transitbereich.“ [….]
Nach der Landung in
Berlin-Schönefeld sagte der Bundestagsabgeordnete unserer Zeitung: „Ich habe
kein Verständnis und keine Erklärung für dieses Vorgehen“. [….] Bereits im September war der Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms
(49) die Einreise nach Russland verweigert worden. Harms vermute, dass der
Kreml eine schwarze Liste über westliche Politiker führe – als Reaktion auf die
Sanktionen der EU.
Die
Erklärung für Moskaus Verhalten dürfte dabei recht simpel sein.
Es war
eine Retourkutsche für die schwarzen Listen der EU.
WIR
dürfen nämlich schwarze Listen führen und finden das völlig richtig. Rebecca
Harms hatte als EU-Abgeordnete für eine russische schwarze Liste gestimmt,
also russische Politiker, die man nicht mehr in die EU einreisen lassen darf.
Wenn Moskau das auch tut, ist es aber „empörend,
inakzeptabel und skandalös“.
Das
deutsche Auswärtige Amt und Herr Wellmann kennen offenbar nicht Wikipedia,
sonst könnten sie dort nachlesen:
Von den USA wurden am 17. März 2014 Einreiseverbote gegen 7 russische Personen verhängt, Vermögenswerte eingefroren und Bürgern und Unternehmen der USA verboten, Geschäfte mit den Sanktionierten zu machen. Ebenso wurde gegen 4 ukrainische Personen Beschränkungen durch das US-Finanzministerium verhängt.
Der Rat der
Europäischen Union setzte am 17. März insgesamt 21 Personen auf eine
Sanktionsliste, mit der Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Geldern und
wirtschaftlichen Ressourcen verbunden sind.
Am 20. März wurden von
Seiten der USA weitere Personen und Unternehmen auf die SDN-Liste gesetzt. [….] Am
21. März publizierte die EU eine zusätzliche Sanktionenliste mit den Namen von
12 weiteren Personen, am 28. April eine Liste mit 15 weiteren Personen. Am 12.
Mai wurden die Sanktionen auf die zwei von den Behörden der Autonomen Republik
Krim konfiszierten Unternehmen Tschernomorneftegas und Feodosia ausgeweitet
sowie weitere 13 Personen hinzugefügt.
Am 25. Juli erweiterte
die Europäische Union ihre Sanktionsliste um 15 Personen und 18 Einrichtungen.
Am 30. Juli kamen weitere 8 Personen und 3 Einrichtungen hinzu. Am 8. September
erfolgte die Verlängerung und Erweiterung der Sanktionen. Dabei wurden zum 12.
September 24 zusätzliche Personen auf die Sanktionsliste gesetzt.
An Wellmann
statuierte Moskau offensichtlich ein „Wie du mir, so ich dir“-Exempel.
Das ist
nicht sehr erwachsen, aber auch kein Skandal.
Wieso
traf es ausgerechnet den braven Karl-Georg Wellmann rätselte Stefan Braun in der
SZ-Ausgabe von gestern.
[….]
Nun ist Wellmann nach den üblichen Kriterien
keine Berühmtheit. Und der 62-jährige CDU-Politiker gehört auch auf Berliner
Boden nicht zu denen, die sich auf ihr Amt besonders viel einbilden. Aber er
ist Bundestagsabgeordneter und besitzt einen Diplomatenpass, weil er im
Auswärtigen Ausschuss seinen Platz hat. Deshalb ist das, was ihm am Sonntag
nach der Landung in Moskau passierte, ein diplomatischer Affront erster Güte.
[….]
Geschockt wirkt der Russland- und
Ukraine-Experte der Unionsfraktion dennoch nicht. Eher ernüchtert. Wellmann ist
kein politischer Tänzer für die Galerie und die Medien. Aber er spricht gerne
aus, was er denkt, auch wenn das seinen Preis hat. [….]
So
rätselhaft ist der Wellmann-Bann in Moskau allerdings nicht:
·
Wellmann
ist Außenpolitiker, der laut und deutlich allein Moskau die Schuld für die
Krimkrise in die Schuhe schiebt.
·
Wellmann
ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe.
·
Wellmann
arbeitet für die „Agentur für die Modernisierung der Ukraine.“
Die Einrichtung wird
vom ukrainischem Oligarchen Dmytro Firtasch (50) mitfinanziert. Firtasch war
2014 aufgrund eines US-Haftbefehls wegen Bestechung und Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung in Wien verhaftet und nach einer
125-Millionen-Euro-Kaution auf freien Fuß gesetzt worden.
Alles
keine Entschuldigungen, aber eben auch keine „neue Provokation“ Russlands,
sondern eine eher harmlose REAKTION auf EU-Verhalten.
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