Im Sommer 1987 reiste ich zusammen mit meinem Vater die Donau entlang – Bayern, Österreich, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien und dann über das Schwarze Meer nach Istanbul.
Freunde
im meinem Alter konnten nicht verstehen, wieso ich freiwillig in den Ostblock
gehe. Die Warschauer Pakt-Staaten hatte man damals überhaupt nicht auf dem
Zettel. Das war die bizarre Welt hinter dem Eisernen Vorhang, die auch immer so
bleiben würde. Eine Welt, die noch nicht einmal richtig negativ konnotiert war,
weil niemand einen Gedanken daran verschwendete.
Noch
absurder wäre es für jemanden meiner Generation in die DDR zu fahren. Das war
Terra Incognita. Kannte man nur als nerviges Buchstabenkürzel aus dem
Gemeinschaftskundeunterricht in der Schule.
Niemand
hätte sich 1987 vorstellen können, was 1989 passieren würde.
Umso
glücklicher bin ich natürlich alles noch vor der großen Zäsur gesehen zu haben.
Meine
Eindrücke waren einerseits die beeindruckende Landschaft und das gute Essen. Insbesondere mochte ich das Obst, das
nicht wie bei uns zuhause hochgezüchtet war. Birnen, Pflaumen, Tomaten und
Äpfel waren, klein, fest und hartschalig. Nicht so weich und saftig, wie sie
hier sein mußten, um verkauft zu werden. Da hatte man zu kauen, aber umso
intensiveren Geschmack.
Andererseits
ist mir der allgegenwärtige Geheimdienst immer noch präsent. Vielleicht wurden
wir als Amerikaner besonders streng beäugt, aber in Bulgarien und noch
schlimmer in Rumänien konnte man de facto gar nicht in Kontakt mit den normalen
Menschen kommen. Da gab es ganz offensichtlich Aufpasser und die Kellner oder
Verkäufer reagierten auch dementsprechend übervorsichtig auf uns.
In
Belgrad spürte ich gar nichts davon. Zwar war das auch irgendwie alles im
Ost-Schick, weil beispielsweise die Taxis Trabbis waren und man die enge
Kooperation mit der DDR erkannte, aber ganz klar war auch der Status als
blockfreies Land. Tito hatte sich ja nie von irgendjemand im Kreml etwas sagen
lassen und war so zu einer großen, geachteten Vaterfigur geworden.
Vielleicht
habe ich damals nicht genau hingesehen, aber mir sind auch die verschiedenen
Ethnien überhaupt nicht aufgefallen. Belgrad war einfach toll. Als Tourist auf
Stippvisite habe ich jedenfalls keinerlei Einschränkungen der Bürgerrechte
bemerkt. An zwei Abenden waren wir ziellos unterwegs und landeten jedes Mal in
so einem Lokal, das voller feiernder Menschen war, die es sich gut gehen
ließen, auf der Straße zu live-Musik sangen, soffen und lachten. Ein
fröhliches, sympathisches und herzliches Völkchen. Es wäre schwer gewesen Beograd
nicht zu mögen.
Was
dann ab 1991 geschah, daß die Jugoslawische Volksarmee Kriege gegen Slowenen, Kroatien,
Bosnier und Kosovo-Albaner führen würde, daß 1999 ganz Serbien von der NATO zu
Klump bombardiert wurde, daß Belgrad brannte, geht bis heute nicht in meinen
Kopf.
Budapest liebte ich von Anfang an. Eine großartige Stadt und sagenhafter Architektur. Ungarn war zwar ein Ostblockstaat, aber man merkte sofort was mit dem Begriff „Gulaschkommunismus“ gemeint war. Ja, man konnte wie auch in Rumänien gleich bemerken, daß es ein repressives Regime gab, aber die Ungarn schienen sich nicht sehr davor zu fürchten, sondern machten eher Witze drüber.
Budapest liebte ich von Anfang an. Eine großartige Stadt und sagenhafter Architektur. Ungarn war zwar ein Ostblockstaat, aber man merkte sofort was mit dem Begriff „Gulaschkommunismus“ gemeint war. Ja, man konnte wie auch in Rumänien gleich bemerken, daß es ein repressives Regime gab, aber die Ungarn schienen sich nicht sehr davor zu fürchten, sondern machten eher Witze drüber.
Sie
nahmen die Staatsmacht nicht richtig ernst und/oder schimpften öffentlich über
die Zustände. Die Budapester kamen mir vor wie die Anarchisten des Warschauer
Paktes.
Erstaunlich
viele Ungarn sprachen deutsch und kamen besonders offenherzig auf einen zu,
wenn sie merkten, daß man aus dem (westlichen) Ausland stammte.
Abgesehen
davon, daß Ungarisch im Gegensatz zu allen romanischen Sprachen, denen ich 1987
begegnete für mich völlig unverständlich ist (oft stand ich vor irgendwelchen
Hinweisschildern und konnte wirklich überhaupt nicht erahnen worum es ging),
wäre Budapest die Stadt gewesen, in der ich gerne gelebt hätte.
Ungarn
wurde daher meine Lieblingsnation und daß die Ungarn, die sich ja schon beim
Volksaufstand von 1956 als äußerst aufmüpfig und freiheitsliebend gezeigt
hatte, auch im Jahr 1989 als erstes die Grenzen öffneten, um die Ossis
durchzulassen, passte nur zu gut in mein positives Vorurteil. Die hatten keinen
Bock auf Reglementierungen und fürchteten sich nicht vor sowjetischen Panzern.
[….] Der Vorhang für die Tragödie fiel am 23. Oktober 1956 während einer
friedlichen Demonstration in Budapest. Das ungarische Volk protestierte damals
für freie Wahlen und Pressefreiheit, außerdem verlangte es den Abzug der
sowjetischen Besatzungstruppen. Das war mutig, denn die Sicherheitskräfte
eröffneten sofort das Feuer gegen die Teilnehmer. Es kam zu Straßenkämpfen und
letztlich zu einem Volksaufstand, der von Sowjettruppen blutig niedergeschlagen
wurde. Zehntausende Ungarn flüchteten aus ihrer Heimat. Ihren Höhepunkt
erreichte die Massenflucht am 4. November 1956, als sich viele Soldaten den
Aufständischen anschlossen und sich Ungarns Grenze öffnete. Gut 200 000
Menschen machten sich auf den Weg in Richtung Westen.
[….]. Ähnlich wie heute kamen die Menschen über Österreich nach Bayern, gut
80 000 Menschen mussten auf die Schnelle untergebracht werden.
Positive
Einstellung zu den Flüchtlingen
[….] Die ersten Ungarn kamen am 16. November 1956 im Berchtesgadener Land
an. "Als der Sonderzug mit 10 Minuten Verspätung langsam in den Bahnhof
einlief, erhoben sich zahllose Hände zu herzlichem Willkommen, Kameras surrten,
Fotoverschlüsse klickten. Gesichter erschienen an den Fenstern, die
sorgenvollen Mienen der Flüchtlinge aus dem Grauen der letzten Tage erhellten
sich . . ." [….] Auch 1956
mussten auf die Schnelle Auffanglager und Unterkünfte bereitgestellt werden.
Als Sammelstellen für Ungarn-Hilfen eingerichtet wurden, gingen in kurzer Zeit
fünf Millionen Mark ein, in jener Zeit eine gewaltige Summe. [….] (Hans Kratzer, 18.09.15)
Denke
ich 2015 an Ungarn, kommt mir die Begeisterung, die ich vor knapp 30 Jahren für
das Volk empfand, wie eine Nachwehe eines bizarren Traumes vor.
Ungarn,
nur knapp größer als Bayern, etwas unter 10 Millionen Einwohner (Bayern 13 Mio)
ist seit 1999 NATO-Staat und wurde 2004 EU-Mitglied, ist jetzt also „einer von
uns“, konnte von der ganzen Welt profitieren, sich touristisch präsentieren und
erhält jährlich etwa vier Milliarden Euro Finanzhilfen aus Brüssel. Sind das
nicht beste Voraussetzungen, verglichen mit dem viel ärmeren und
rückständigeren Polen, Bulgarien, Tschechien und Rumänien?
Wie
konnte es passieren, daß zwei Drittel der Bevölkerung 2010 nach einer eher
läppischen Affäre der bis dahin regierenden Sozialdemokraten die
rechts-nationale Fidesz des Viktor Orbans wählten und zudem auch noch die
Nazi-Partei Jobbik ins Parlament schickten, die neben dem immer noch mit
absoluter Mehrheit herrschenden Orban bei den letzten nationalen Wahlen (2010)
20,5% erreichte?
Wie kann es sein, daß in ganz Ungarn offen Jagdszenen auf Juden und Roma stattfinden?
Wie kann es sein, daß in ganz Ungarn offen Jagdszenen auf Juden und Roma stattfinden?
Ungarn
ist heute der Paria Europas. Mit Regierungschef Orban treffen sich nur noch
üble rechte Populisten – Horst Seehofer zum Beispiel.
Viktor
Orbán in Bayern: Die CSU und ihre Spezln von rechts
Schon mehrfach fiel die CSU damit auf, dass
sie umstrittene internationale Politiker einlud. Schon Silvio Berlusconi stand auf der
Gästeliste, auch der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider war einst als
Gast im Gespräch. Kritik an ihrem Vorgehen perlt an der CSU ab.
Ungarns
Regierung verhält sich derart repressiv, daß anderen EU-Regierungschef der diplomatische
Kragen platzt.
Mit
ungewöhnlich scharfen Worten hat der österreichische Bundeskanzler Werner
Faymann sein EU-Nachbarland Ungarn kritisiert. Er verglich die
Flüchtlingspolitik von Ministerpräsident Viktor Orban mit der NS-Zeit.
"Flüchtlinge
in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woandershin fahren, weckt
Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents", sagte Faymann dem
Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Es sei unerträglich,
"Menschenrechte nach Religionen zu unterteilen". Der ungarische
Regierungschef Orban betreibe "bewusst eine Politik der
Abschreckung".
(Tagesschau 12.09.2015)
In
Serbien sieht man die Selbstabgrenzung Ungarns mit Unbehagen. Man fürchtet
Massenabschiebungen, der serbische Innenminister Aleksander Nikoli ist besorgt:
"Ich bin mir nicht sicher, ob wir für die Rückführung von Flüchtlingen aus
Ungarn bereit sind."
Auch
die umliegenden Länder, auf die die Flüchtlinge nun ausweichen könnten, rüsten
sich. In Kroatien, Slowenien und Rumänien bereitet man die Errichtung von
provisorischen Aufnahmelagern vor.
Die
serbischen Medien machen keinen Hehl aus ihrer Meinung über Orban. "Ein
schlechter Nachbar" schreiben sie. Und "Faschist aus dem Herzen Europas"
steht da über eine Bild von Viktor Orban. "Schande, Orban". "Der
selbst ernannte Hüter Europas bedroht mit seinen miesen Methoden alles, was er
angeblich verteidigt.", schreibt die serbische Zeitung "Blic".
Der
serbische Premier Aleksandar Vucic will keine Zäune aufstellen, er erinnert
sich nur 20 Jahre zurück, an die Zeit, wo viele Serben selbst auf der Flucht
vor dem Jugoslawien-Krieg waren: "Vor uns stehen zahlreiche Probleme. Aber
wir werden keine Mauern errichten, sondern Serbien wird seinen Teil der
Verantwortung übernehmen."
(Heute.at 14.09.2015)
Der
Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter hat die harte Haltung des
ungarischen Regierungschefs Viktor Orban scharf kritisiert: «Herr Orban ist
eine Schande als Regierungschef für jedes Land, aber er ist eine Schande für
Europa, denn er tritt die europäischen Werte mit Füßen.»
«Und
es ist grotesk, dass er sich aufs Christentum beruft bei seinen Maßnahmen. Das
ist eine Beleidigung für jeden, der gläubig ist», sagte der Grünen-Politiker im
ZDF-«Morgenmagazin».
(Welt 04.09.2015)
Am
Abend hatte bereits EU-Ministerratspräsident Jean Asselborn kritisert, dass
Ungarn keine Muslime aufnehmen will. Im ZDF-"heute journal" sagte er:
"Der sagt ja, er will nur Christen haben, aber wenn Orban ein Christ ist,
dann ist Kim Il Sung auch ein Christ."
(dpa 04.09.2015)
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