Ja, sicher, Putin hat doch völlig Recht: Die Angriffe des westlichen Staaten auf Afghanistan (2001), den Irak (2003) und Libyen (2011) haben zwar die Zentralmacht weggefegt, aber dann ein Machtvakuum produziert, das zu einer deutlich schlimmeren Situation als vor den amerikanischen Attacken führte.
Im Gegensatz
zu den Politblitzbirnen Merkel und Schäuble, die damals den Irakkrieg massiv
befürworteten, haben die Allermeisten genau die Folgen auch kommen sehen.
Besonders
abstrus ist die NATO-Sicht auf den Iran und seine angeblichen Versuche an
Atomwaffen zu gelangen.
Hat sich
denn niemand mal drei Minuten Zeit genommen, um vor den Attacken auf eine Karte
zu sehen?
Der schiitische Iran war bis 2001 eingeklemmt von Feinden: Im Osten das sunnitische Afghanistan und im Westen der irakische Erzfeind.
Der schiitische Iran war bis 2001 eingeklemmt von Feinden: Im Osten das sunnitische Afghanistan und im Westen der irakische Erzfeind.
Das
Weiße Haus sorgte aber dafür, daß beide Regime weggefegt wurden und erteilte anhand
von Irans beiden Co-Achse-des-Bösen-Mitgliedern eine klare Lektion: MIT
Massenvernichtungswaffen (Nordkorea) wird man nicht von der USA bombardiert,
OHNE Massenvernichtungswaffen (Irak) aber schon.
Ich
meine, dabei handelt es sich um Zusammenhänge, die ein Siebtklässler verstehen
kann.
Iraks
Nachbarstaat Syrien unterstützte während des von Amerika maßgeblich
provozierten Iran-Irak-Krieges (1980-1988) zwar den Iran, zu dem es
traditionell freundschaftliche Beziehungen pflegt, aber die Gesellschaften des
Iraks und Syriens wiesen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch viele
Ähnlichkeiten auf.
Beide
Länder wurden von der eher säkularen Baath-Partei regiert, die
Religionsfreiheit und somit auch die Rechte der Christen garantierte. Kaum eine
Frau trug in Damaskus oder Bagdad in den 1980er Jahren den Hidschab, beide
Staaten investierten enorm in die Bildung und Krankenversorgung. Syrer und Iraker
haben eine der niedrigsten Analphabeten-Quoten überhaupt.
Beide
Regime gingen außerdem scharf gegen Islamisten und insbesondere
Terrororganisationen wie Al Kaida vor. Bin Laden hatte überhaupt keine Chance
in Syrien oder dem Irak Fuß zu fassen.
Das
änderte sich fundamental mit dem Eingreifen der amerikanisch-britischen
Koalition, die Merkel so glühend unterstützte:
Christen
und andere Minderheiten wurden zu Freiwild, Islamisten erfuhren einen
ungeheuren Machtzuwachs, sunnitische Terrorgruppen setzten sich in beiden
Ländern fest; Al Kaida im Irak, anfangs eher die As Nusra-Front in Syrien.
Frauen
wurden entrechtet, Kinder gingen nicht mehr zur Schule.
Eine
ganze Generation Syrer fehlt jetzt im Bildungssystem.
Die
Zentralgewalten implodierten, Bürgerkriege folgten.
Seit
2011 wurde der Staat Syrien de facto zerschlagen.
Der IS,
der inzwischen weitgehend alle vorherigen sunnitischen Terrororganisationen
assimiliert hat, kontrolliert große Gebiete Syriens (und des Iraks). Von den 21
Millionen Syrern wurden in vier Jahren mindestens 250.000 Menschen, also mehr
als ein Prozent getötet. Über die Hälfte wurde zur Flucht gezwungen; 20 % der
Menschen haben das Land verlassen müssen, rund ein Drittel flüchtete innerhalb
Syriens vor den verschiedenen Akteuren des Bürgerkriegs.
Auf die
Größe Deutschlands bezogen hieße das: Eine Millionen Tote, 17 Million Menschen
ausgereist, 25 Millionen innerhalb Deutschlands auf der Flucht.
Damit
ist eine der ältesten Kulturnationen der Erde kaputt. Völlig zerstört.
Seit
vier Jahren beschränkt sich „der Westen“ auf ein achselzuckendes Zusehen –
freilich nie ohne große Besorgnis auszudrücken.
Obama
postulierte einst, der Einsatz von Massenvernichtungswaffen sei die rote
Linie. Dann könne man nicht mehr tatenlos zusehen. Als Assad eines Tages dann
genau das tat, indem er Chemiewaffen abfeuerte, knickte Obama ein und sah
weiter zu.
In
Syrien gibt es keine sympathischen Akteure, die man gern unterstützen würde. Im
Wesentlichen sind es drei Gruppen, die Strippen ziehen.
1.
Die
Exilregierung der Assad-Rebellen wechselt nahezu wöchentlich, ist total korrupt
und kennt in ihrer Grausamkeit keine Skrupel.
2.
Baschar
al Assad pflegt einen skurrilen Personenkult und schreckt bewiesenermaßen auch
vor keiner Grausamkeit zurück.
3.
Dritter
im Bunde ist der IS, für dessen moralische Bewertung mir gegenwärtig die
Adjektive fehlen.
Der
Worst Case wäre wohl ein Sieg des IS, der dann vermutlich als nächstes auf den
Iran und den Kaukasus zugriffe.
Noch
viel mehr Millionen Menschen müßten fliehen. Die Welt könnte in Flammen stehen.
Auf die
Akteure 1 und 3 hat man ohnehin keinen Einfluss, es existieren zu niemand
politische Beziehungen.
Bei
Assad ist das immerhin anders. Er hat noch Freunde in Moskau und Teheran. Beide
Staaten unterstützen ihn und haben traditionell großen Einfluss.
Statt
nun wie die NATO dem Massenmord weiter tatenlos zuzusehen und Millionen
Fliehende ins Elend zu stürzen, ist die einzige kleine Hoffnung ein Mann namens
Wladimir Putin, der die Präsenz seiner Armee im russischen Marine-Stützpunkt Tartus
stärkt.
Was Moskau
genau vorhat, weiß man nicht, aber Washington und Berlin sind schon einmal
vorsorglich total dagegen.
Auf
massiven Druck der USA sperrte Bulgarien seinen Luftraum für russische
Flugzeuge, so daß auf dem Luftwege keine Lieferungen mehr nach Tartus gelangen.
(Der
russische Stützpunkt Tartus ist eine winzige Kaianlage im gleichnamigen
syrischen Mittelmeerhafen. Maximal sind dort wenige hundert russische Soldaten
untergebracht.)
Obama,
der in seiner ganzen Dummheit Russland maximal zu beleidigen suchte, indem er
es als „wenig bedeutende Regionalmacht“ verspottete, hat zwar auch keine Lösung
gegen den IS, hasst aber Putin persönlich, so daß er ihm einen Erfolg
missgönnt.
So
ähnlich sehen es konservative deutsche Kommentatoren, die in der
Funke-Mediengruppe oder bei Springer von „Putins Machtspielen“ orakeln. Er
wolle ja nur seine Machtbasis vergrößern, wieder an Einfluss gewinnen und aus
der Isolation entkommen.
Guten
Morgen. Willkommen in der Wirklichkeit. Das ist es was Staaten tun. Ihre
Interessen durchsetzen.
Will man
lieber den IS-Bürgerkrieg eskalieren lassen, als Putin einen diplomatischen
Erfolg zu gönnen?
Das wäre
doch ein geringer Preis für eine Perspektive der zig Millionen Menschen im Irak
und Syrien, die dem Terror ausgeliefert sind.
Falls es
Putin gelänge den IS zu stoppen, ist das auf jeden Fall positiv – ob er nun
zehn Nobelpreise dafür bekäme oder nicht.
Man kann sich aber seine
Gesprächspartner nicht aussuchen.
Was sollte denn die Alternative
sein?
Wladimir Putin hängt
nicht an Assad persönlich. Er will für Russland eine aus seiner Sicht
angemessene Rolle in der Welt. Und er hat Angst davor, dass der islamistische
Terror des IS auch sein Land heimsucht.
All das könnte für
Washington, Moskau, Teheran und die Europäer eine Gesprächsbasis schaffen, sofern
es gelingt, die gemeinsamen Interessen - Beendigung des Krieges, Schutz gegen
IS, Perspektiven für die Flüchtlinge - vor die trennenden Gegensätze zu
stellen. Hier kommt Berlin ins Spiel. Ukrainekrise und Atomabkommen haben
gezeigt: Derzeit gibt es kein anderes Land, das in den USA, in Russland und in
Iran als Vermittler und Übersetzer der jeweils anderen Sichtweisen höheres
Ansehen genießt als Deutschland. Das kann man mögen oder nicht. Aber eine
Regierung, die seit Monaten über Verantwortung redet, muss diese Verantwortung
jetzt annehmen.
Wer mit Assad redet,
spricht ihn nicht frei. Niemand vergisst seine Gräueltaten. Und Putin erhält
durch Gespräche keine Carte blanche für seine Ziele. Aber es ist bitter nötig,
in dieser Krise die Prioritäten zu ändern: Zuerst muss über Waffenstillstand
und Schutzzonen gesprochen werden, dann über Assads Zukunft.
Von CDU-
und CSU-Politikern erwarte ich beim Thema Nahost-Politik und bei
Flüchtlingspolitik jede Eselei. Davon haben wir genug gesehen.
Weswegen
aber Außenminister Steinmeier auch sofort auf Konfrontation zu Russlands
angeblicher Initiative geht, statt sofort nach Moskau zu reisen , um zu fragen,
wie man helfen kann, bleibt mir ein Rätsel.
[…]
Der
deutsche Außenminister spricht sich gegen etwaige militärische Aktivitäten
Russlands im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien aus.
"Es kann nicht sein, dass jetzt wichtige Partner ... auf die militärische
Karte setzen", äußerte Frank-Walter Steinmeier zu Berichten, denen zufolge
Moskau seine Lieferungen von Kriegsgerät an die syrische Regierung stark
ausweite und womöglich eigene Militäroperationen gegen den IS plane. Russland,
das in der Weltpolitik zur Zeit allgemein seine Positionen stärkt, hat in den
vergangenen Monaten auch seine Syrien-Aktivitäten beträchtlich ausgeweitet und
ist jetzt dabei, eine Allianz gegen den IS unter Einschluss der Regierung von
Bashar al Assad zu schmieden. Sollten die Bemühungen erfolgreich sein, würde
Moskau dem Westen damit eine empfindliche diplomatische Niederlage bereiten. […]
Mittlerweile
zeichnet sich dies auch im Syrien-Krieg ab. Seit Januar organisiert Russland
immer wieder Gespräche mit der syrischen Opposition, darunter zunächst vor
allem Organisationen, die in Syrien selbst tätig sind, den bewaffneten Aufstand
jedoch ablehnen. Inzwischen haben sich auch Vertreter der zerstrittenen
Exilopposition, die bislang recht eng mit dem Westen kooperierten und den
Bürgerkrieg befeuern, zu Verhandlungen in Moskau aufgehalten. […]
Gibt es
im Außenamt nicht noch irgendwo ein Exemplar von „Diplomatie für Dummies“, in
dem Steinmeier mal nachschlagen könnte, daß man sich seine Gesprächspartner
nicht aussuchen kann? Daß man gerade mit denen sprechen muß, mit denen man
einen Dissens hat?
Haben wir nicht spätestens unter GWB gelernt was für eine Sackgasse es ist alle Länder auszuschließen, die einem nicht 100% zustimmen?
Haben wir nicht spätestens unter GWB gelernt was für eine Sackgasse es ist alle Länder auszuschließen, die einem nicht 100% zustimmen?
Daß man
insbesondere dann auf andere hören muß, wenn man selbst seit Jahren nicht das geringste
Konzept hat und sich alles nur kontinuierlich verschlimmert?
Go,
Putin!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen