Dutzende
SPD-Parteimitglieder haben ihre Parteibücher zurückgegeben, weil sie so
wütend sind.
Grund
ihres Zorns ist Petra Hinz, 54, seit 2005 Bundestagsabgeordnete aus Essen, die
dreist ihren Lebenslauf frisiert hatte.
Sehr
unangenehme Geschichte für die Genossen, die schon genügend Ärger mit Zickzack-Sigi haben,
der sich zuletzt mit der Edeka-Affäre und der sinnlosen Elektroauto-Prämie
blamierte. Letzteres scheint sich zum Totalflopp auszuweiten.
Frau
Hinz gab inzwischen ihre Parteiämter ab, kommt aber nicht dem Wunsch der SPD
nach auch auf ihr Bundestagsmandat zu verzichten.
Sie
meldet sich krank, ihr Büro ist verwaist, aber ihren Sitz und die Diäten behält
sie.
In den
sozialen Netzwerken wächst sich das natürlich zum Anti-SPD-Shitstorm aus.
Wieder
so eine raffgierige nutzlose Politikerin, die sich nur auf Steuerzahlerkosten
bereichern will, tönt es auf Twitter und Co.
Das ist
Wasser auf die Mühlen der AfD.
Der
Anti-Hinz-Shitstorm zeigt dabei zweierlei.
Der
Urnenpöbel denkt Geld in Dienstwagen-Einheiten.
Wenn
Politiker sich Vorteile von ein paar Tausend Euro verschaffen, ist das genau
die Größenordnung, in der die meisten Wähler auch denken können.
Da wird
der eigenen Phantasie kaum etwas abverlangt und die Aufregung über „die Raffkes“
ist enorm.
Dabei
sind die Diäten der Frau Hinz nur winzige Beträge im Vergleich zu den
Milliarden, die zum Beispiel Energie-intensive Industrie oder dem Atom-Oligopol
zugeschoben werden.
Die
Milliarden, die Milliardären und Millionären durch die niedrige Kapitalertragssteuer
zugeschanzt werden, die von der Bundeswehr durch Rüstungslobby-freundliche
Verträge verlorenen Milliarden, die Milliarden für „notleidende Banker“, die
200 Milliarden Euro, die durch Steuerflucht verloren gehen verloren, weil
einfach keine Steuerfahnder eingestellt werden, um nach Schwarzgeld zu fahnden
und vieles andere mehr, stören den modernen Facebooker offensichtlich gar nicht.
Zweitens
zeigt die Aufregung um Frau Hinz eine massive Unkenntnis unserer Verfassung.
Parteien
können unliebsamen Parlamentariern nicht das Mandat entziehen. Zum Glück!
"Was aber tun,
wenn Hinz einfach bleibt? Die Antwort ist einfach: Dann bleibt sie. Die
Fraktion müsste sie zwar verlassen. Sie würde aber als fraktionslose
Abgeordnete in den hintersten Reihen des Bundestages einen Einzelplatz
zugewiesen bekommen. Sie würde ihr Büro behalten und noch ein Jahr länger ihre
Abgeordnetendiäten bekommen.
Viele empfinden das
als ungerecht. Hinz hat mit einem falschen Lebenslauf ihre Wähler betrogen. Hat
eine Kompetenz vorgegaukelt, die sie - zumindest auf dem Papier - nicht hat.
Das müsste doch Grund genug sein, ihr das Mandat zu entziehen. Für jeden
Arbeitnehmer wäre es ein Kündigungsgrund, wenn er gegenüber dem Arbeitgeber im
Lebenslauf falsche Angaben macht.
Mag sein. Ein
Abgeordnetenmandat aber ist eben kein normaler Job mit geregelten Arbeitszeiten
und Vorgesetzen, die einem sagen, was zu tun und zu lassen ist. Das Mandat ist
vom Grundgesetz besonders geschützt. Wer es durch Wahl erwirbt, der behält es
mindestens bis zur nächsten Wahl.
Hinz
schadet der Demokratie und insbesondere auch der SPD. Deswegen sollte sie
unbedingt gehen.
Ich will aber nicht, daß eine Partei
das Recht bekommt einzelne nicht mehr genehme Abgeordnete aus dem Parlament zu
entfernen.
Das wäre schlimmer, als in diesem einen Fall so eine Person weiter erdulden
zu müssen.
Unter den Zehntausenden Abgeordneten, die in bundesrepublikanischen
Parlamenten saßen, gab es immer mal wieder Totalausfälle.
Solche Vögel wie Erika Steinbach, Norbert Geis oder Heinrich Lummer sollten
lieber nicht im Bundestag zum allgemeinen Mitschämen aktiv (gewesen) sein.
Aber unsere Demokratie kann das besser aushalten, als eine Erdogansche Abstrafung
von Parlamentariern, die aus der Reihe tanzen.
Neu ist das im Übrigen nicht.
Kurt Neumann (1996 aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen) und Carl-Eduard von
Bismarck (ab 2003 mehrere Jahre für die CDU als Phantomabgeordneter im
Bundestag, ohne jemals zu einer Parlamentssitzung zu erscheinen oder im
Wahlkreis erreichbar zu sein) waren noch viel peinlicher.
Hinz hat wenigstens fleißig gearbeitet.
Jürgen Möllemann behielt sein Bundestagsmandat bis zu seinem Suizid im Juni 2003, nachdem er im Februar aus der FDP und der Fraktion ausgetreten (worden) war.
Peter Gauweiler galt Jahre als faulster Abgeordneter, hatte die geringsten
Anwesenheitszeiten und gleichzeitig mit über einer Million Euro jährlich die
höchsten Nebeneinkünfte bis er im März 2015 doch noch sein Bundestagsmandat
abgab.
Martin Hohmann war selbst der CDU zu rechtsradikal und wurde 2003 aus der
Partei ausgeschlossen, blieb aber dennoch bis zur Bundestagswahl 2005 einfach
im Bundestag sitzen.
Das sind ärgerliche Fälle.
Aber ich halte als Demokrat lieber ein halbes Dutzend von solchen faulen
Äpfeln aus, als daß ich irgendwelchen Parteigremien das Recht gebe nach ihrem
Gutdünken Volksvertreter aus dem Parlament zu schmeißen und den §38 GG opfere.
Grundgesetz für
die Bundesrepublik Deutschland. Art 38
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden
in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie
sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und
nur ihrem Gewissen unterworfen.
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