Mittwoch, 19. Oktober 2016

Focus on the issues.

Gibt es eigentlich für Panel-Fetischismus schon eine ICD-10-GM-Nummer; ist das offiziell als Krankheit anerkannt?
Ich habe das nämlich. Vollbild.
Ich bin hochgradig süchtig; kann nicht mehr aufhören mir manisch auf US-Newssendern Podiumsdiskussionen („Panels“) über die Präsidentschaftswahl anzugucken. Entweder ich ziehe mir das live auf CNN rein, oder ich suche mir solche Panel-Clips anderer Sender auf Youtube.
Dabei ist das im Gegensatz zu Pornosucht oder Kiffen höchst unangenehm.
Wenn Trumps Hühner, Kellyanne Conway oder  Scottie Nell Hughes loslegen und ihre braune stinkende Gülle über die Zuschauer ergießen, beiße ich vor Entsetzen in die Schreibtischplatte und suche meine Schubladen hektisch nach Benzodiazipinen ab.
Noch schlimmer wird es bei Trumps allgegenwärtigem Ex-Manager Corey Lewandowski, der mit einer nie dagewesenen Bosheit besticht.
Mein Panel-Fetischismus ist so ähnlich wie „Ritzen“. Es ist pervers und schmerzhaft, aber irgendwas muß man halt tun, um seinen geschockten Gefühlshaushalt zu erden.
Im ICD-10-Code ist das Kapitel XX.

XX. Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität (V01-Y98)
Vorsätzliche Selbstbeschädigung (X60-X84)
(….)
X79 Vorsätzliche Selbstbeschädigung durch stumpfen Gegenstand
X80 Vorsätzliche Selbstbeschädigung durch Sturz in die Tiefe
Inkl.: Vorsätzlicher Sturz von einer Ebene auf eine andere (….)
X83 Vorsätzliche Selbstbeschädigung auf sonstige näher bezeichnete Art und Weise
Inkl.: Vorsätzliche Selbstbeschädigung durch:
    - ätzende Substanzen, ausgenommen Vergiftung
    - elektrischen Strom
    - Luftfahrzeugunfall
X84 Vorsätzliche Selbstbeschädigung auf nicht näher bezeichnete Art und Weise.


Eine der unerträglichsten Schleifen wiederholt sich alle paar Minuten.
Trumps  schrumpfköpfige Epigonen graben irgendwelche Uralt-Vorwürfe gegen Bill Clinton aus den 1980er Jahren hervor und wenn dann mit Trumps Sexual-Assault-Band von 2005 gekontert wird, empören sich seine Jünger, daß das schon so lange her sei und Clinton das Band nur nutze, um abzulenken.
Die Wähler wünschten sich hingegen „focus on the issues.“

Das ist dreifach perfide.

1.   Ist es Trump, der sich beharrlich weigert konkret zu werden und stattdessen uralte Sexgeschichten über Bill Clinton ausgräbt.
2.   Kann man nicht ständig unter die Gürtellinie treten und dann beklagen die Wähler wollten nicht, daß unter die Gürtellinie getreten werde und
3.   Ist Trumps Charakter durchaus ein Thema (=issue). Kann man einen Typen ins Weiße Haus lassen, der ein pathologischer Lügner und Lustgreis ist?

„Focus on the issue“ einzufordern ist darüber hinaus auch noch eine Plattitüde, ein Standard-Satz zur Wählerumschmeichelung.
Der Wähler will sich natürlich nicht als notgeiler Sittenstrolch mit großen Interesse für Bettgeschichten angesprochen sehen, sondern als seriöser, an Faken orientierter, vernunftbegabter Souverän.

Das deutsche Pendant ist den Wähler als „klug“ zu umschmeicheln.
Auch das hört der Urnenpöbel so gern und auch das ist unwahr.

Wähler wollen umschmeichelt werden.
Deswegen sagen Politiker auch in jeder zweiten Talkshows den Satz: „Die Wähler sind viel klüger als wir denken!“

Wer gewählt werden möchte, hat sein Volk zu loben. Außerdem betont man in jedem Falle wie sehr man gerade die Gegend, in der sie leben, liebt.
Das sind allgemeingültige Regeln für erfolgreiche Wahlkämpfer.
Dazu gibt es nationale Besonderheiten. So darf kein deutscher Politiker für Tempolimit 100 auf Autobahnen oder teurere Spritpreise eintreten. Kein amerikanischer Politiker darf sich als Atheist outen.
Natürlich wäre es ausgesprochen sinnvoll nur noch 100 km/h zu gestatten, den CO2-Ausstoß durch Verteuerung von Erdölprodukten zu reduzieren und endlich mal keinen Frömmler ins Weiße Haus zu schicken.
Aber sinnvoll ist nicht das was der Wähler will.

Der Grund ist, daß der Wähler eben auch nicht klug, sondern ausgesprochen doof ist.

Das ist Demokratie. Die Wähler verlangen Ehrlichkeit von ihren Politikern, wählen aber lieber die Lügner.
So bringen es von und zu Guttenberg oder von der Leyen sehr weit. So kommt Frauke Petry auf Rekordwerte.

Da gab es mal eine Roseanne-Epidode, als die Familie Connor Fernseh-Testfamilie zur Ermittlung der Einschaltquoten wurde.
Fortan guckte man, in dem Bewußtsein das gewählte Programm werde statistisch erfasst, nur noch Bildungsfernsehen. Der Fernseher lief rund um die Uhr mit Hochkultur und seriösen Diskussionen.
Allerdings allein, denn darauf hatte die Familie Connor keine Lust und traf sich unterdessen in Dans kalter Garage beim winzigen Zweit-TV, um dort Titten-Shows und Monstertrucks zu glotzen.

Angeblich Seriöse versuchen angeblichen Unseriösen deren Unseriosität durch Unseriosität zu beweisen – ohne sich einzugestehen, was unseriöse Argumentation über die eigene Seriosität aussagt.

Ein Beispiel von heute: Die ach so seriöse JU-München zieht über die unseriöse rot-rot-grüne Option her. Die wären nicht fähig das Land zu führen. Belegen will das die CSU-Jugendorganisation mit extra dümmlichen Bildchen.



Beim Panel-Surfen landet man gelegentlich übrigens auch in Runden, in denen die Trumpidioten ordentlich verhauen werden.
Es gibt in Amerika auch sympathische Journalisten und Polit-Analysten.
In dieser Runde sind gleich drei – Van Jones, Bakari Sellers und Host Don Lemon:


Das hat schon was, wenn Trump-Gegner Trump zitieren und Trump-Fans dann empört antworten, das können man aber nicht ernst nehmen, weil Trump ja nicht das meine und tue, was er sage.

Die meisten Kommentatoren sind sich einig, daß Trumps stündlich perfider werdende Hetze natürlich die teebeutlerische Basis begeistert, daß aber genau die seine Basis ethusiasmierende Polterei gemäßigte Wähler abschrecke. So vergrößere Trump nicht seine Wählerschaft.

In den letzten Tagen jammert Trump nur noch.
Wenn er nicht gewänne, liege das selbstverständlich nicht an ihm, (nein, denn er macht nie Fehler!), sondern daran, daß das ganze System „rigged“  wäre. Die Medien und Hillary Clinton und die Demokratische Partei steckten unter einer Decke; hätten ich gegen Trump verschworen.

Ja, Cry Baby Trump hatte es so schwer im Leben. Alle waren immer gegen ihn.


Der pathologische Irre Trump kollidiert mit der bitteren Realität – er könnte die Wahl verlieren und Verlieren ist in seiner Selbstsicht nicht vorgesehen.
Ein Trump verliert nur, wenn die anderen unfair spielen und finstere Mächte gegen ihn agitierten.

Der Demokrat Barack Obama verlässt daraufhin auch den Pfad der Issues und greift Trump an, wo es wehtut, kratzt an dessen gewaltigem Ego.
Trump solle aufhören zu weinen und nicht alle die Schuld bei allen anderen suchen, er solle lieber kämpfen, statt schon Wochen vor der Wahl aufzugeben.


Der schwarze Demokrat bezichtigt das Mega-Ego als weinerlich und ruft ihm zu sich zusammenzureißen und zu kämpfen.
Das muß Mr. Superwichtig richtig wehtun.

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