Der
Bundesaußenminister und Stellvertreter der Bundeskanzlerin verzichtete vor zwei Wochen auf zwei wesentliche
Macht-Instrumente. Das schönste Amt der Welt außer Papst (Müntefering), den Parteivorsitz
reichte er genau wie die Position des Kanzlerkandidaten an Martin Schulz
weiter.
Damit
ist es für ihn endgültig ausgeschlossen selbst einmal Regierungschef zu werden.
Dieses
machtpolitische Downsizing scheint aber ähnlich wie seine Magenband-OP vor
einem guten Monat durchaus erfolgreich zu sein.
Gabriel
wirkt schlanker und fitter, stürzt sich mit Verve ins Außenamt, stößt
Diskussionen an.
Er
widerspricht Wolfgang Schäubles fataler und EU-feindlicher Finanzpolitik,
sieht die Chancen in der russisch-amerikanischen Entspannung.
So
negativ Gabriels Umtriebigkeit und die abrupten Meinungswechsel für sein
Ansehen als Parteichef waren, so positiv und aufrüttelnd kann diese gedankliche
Flexibilität bei den festgefahrenen internationalen Beziehungen und der
ultraträgen EU-Außenpolitik sein.
Womöglich
werden Politikstudenten in 1000 Jahren lernen, daß Anfang des 21. Jahrhunderts
die kurze Übergangsphase, als sich eine Minderheit der Nationalstaaten als
Demokratien organisierten, zu Ende ging.
Demokratische
Regierungsformen werden einem dann als lächerlich ineffektiv und zum Scheitern
verurteilt erscheinen.
Nur zu verständlich, daß nach der Türkei und
Russland, nach Ungarn und Polen, auch die stärkste Demokratie USA ihre Transformation
zur Autokratie begann.
Umso
wichtiger, wenn mit dem deutschen Außenminister wenigstens einer die trägen
Restdemokraten etwas aufmischt.
England
hält bedauerlicherweise bereits direkten Kurs auf Präsident Bannons Mastdarm.
Die neue
personelle Umtriebigkeit der SPD hat mal wieder eins bestätigt:
Zu
behaupten es käme nur auf Inhalte an – über Personalfragen spreche man ganz am
Ende – ist reiner Unfug.
Der
Urnenpöbel liest keine Parteiprogramme und analysiert keine Koalitionstaktiken.
Der
Urnenpöbel ist voreingenommen und entscheidet aus dem Bauch.
Der
aufgeklärte, informierte und rational entscheidende Wähler ist bloß ein Mythos.
Die SPD
sieht seit vielen Jahren in Umfragen so schlecht aus, weil Gabriel unter Generalverschiss (Kubicki) stand.
Ob gerechtfertigt oder nicht. Er konnte machen was er wollte, die Wähler mochten
ihn nicht.
Mit
seinem Kandidatenrücktritt gibt es nicht einen Millimeter neue Inhalte bei der
SPD, aber es zeigt sich eine demoskopische Volatilität, die ich nicht für
möglich gehalten hätte.
In der
Kanzlerfrage, der Disziplin, in der Merkel seit zehn Jahren nach Belieben jeden
dominiert, liegt sie plötzlich hinten.
Auch die
Werte für die Partei SPD, die man gen „Projekt 18“ schwinden sah, schießen
hoch.
29% sagt das konservative Emnid-Institut heute voraus.
Als im
Juni 2016 der SPD-Vize Olaf Scholz verkündete „SPD kann 30 Prozent plus x
schaffen“ wurde er noch allgemein ausgelacht. Was für ein Unsinn. Daran glaubte
niemand.
Vier
Jahre lang stand die CDU stabil fast doppelt so stark wie die SPD da; auf einmal
nähern sie sich an und Merkel wirkt sehr, sehr nackt
[…..]
Gabriel nämlich hat die Figur aus dem
Spiel genommen, die Merkel unbesiegbar scheinen ließ: sich selbst. Indem er die
Bahn für Schulz frei machte, hat er einen anderen Blick auf Merkel freigegeben:
auf eine Kanzlerin, der von ihrer eigenen Partei und aus ihrem eigenen
politischen Lager über anderthalb Jahre straflos härtester Widerstand
entgegengesetzt wurde. Früher galt sie mal als gefährlich. Angeblich
pflasterten die Leichen ihrer Gegner ihren politischen Weg. Horst Seehofer hat
diesen Ruf zerstört. Keine noch so große Demonstration von Einigkeit der
Schwesterparteien im Wahljahr kann das ungeschehen machen. So wenig wie Merkel
ungeschehen machen kann, dass sie seinerzeit Horst Seehofer nicht in ihre
Entscheidung eingebunden hat, die Flüchtlinge ins Land zu lassen – und der
damit auch seine Loyalität entfesselte. Schiffbruch mit Tiger. [….]
Schön
für Sigmar Gabriel, der als SPD-Chef und Kanzlerkandidat im Herbst 2017
vermutlich aufgrund eines katastrophalen Ergebnisses der Politik den Rücken
gekehrt haben würde.
Nun
sieht es eher so aus, als ob er entweder in einer GroKo oder unter einem
Kanzler Schulz ab 2018 mindestens das mächtige Außenministerium behalten wird.
Die
neuen SPD-Freunde; es gibt Tausende Parteieintritte; stammen hauptsächlich aus
dem Fleische Linker und Grüner.
Aber es
ist auch möglich, daß einige verblödete AfD-Fans zu Schulz überlaufen, wenn sie
denken damit Frau Merkel noch heftiger eins auswischen zu können.
Die
fromm-konservative Liane Bednarz gruselt sich schon.
[….]
Rein parteipolitisch betrachtet ist das
aus liberal-konservativer Sicht kein Grund zur Freude, denn ein Selbstläufer
ist die Wiederwahl der CDU-Parteivorsitzenden damit nicht (mehr). Zwei andere
Aspekte, die sich aus der hohen Zustimmung für Schulz ergeben, sind jedoch sehr
wohl zu begrüßen. Der erste ist demokratietheoretischer Natur. Nichts
verspricht den weiteren Aufstieg der AfD, die ihre Gegner auf
antipluralistische Weise verächtlich macht, mehr zu stoppen, als die Aussicht
auf einen spannenden Wahlkampf mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Auch wenn es
zwischen Martin Schulz und Angela Merkel gewiss eine größere programmatische
Nähe als zwischen, sagen wir Manuela Schwesig und Jens Spahn gibt, sind die
Unterschiede gleichwohl beträchtlich, namentlich im Bereich der Wirtschafts-
und Sozialpolitik. Das verspricht Kontroversen. Der anstehende Wahlkampf wird
die Unterschiede zwischen CDU und SPD wieder deutlicher zu Tage bringen, als
dies bei einem aus Sicht der SPD von vornherein recht aussichtslosen und somit zu
wenig Motivation führenden Wahlkampf mit Sigmar Gabriel an der Spitze der Fall
gewesen wäre. Ein lebhafter Wahlkampf
wird es der AfD schwerer machen, ihr Lieblingsfeindbild der „Altparteien“,
„Konsens“- bzw. „Kartellparteien“ vor sich herzutragen. [….]
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