Dienstag, 28. Februar 2017

Schulterschluss

Es ist erfreulich zu sehen, daß es in Deutschland noch einen Grundkonsens zur freien Presse gibt.
Wird einer der ihren verfolgt, bedrängt, bedroht, helfen sich Journalisten gegenseitig, stehen für einander ein – auch wenn sie politisch völlig unterschiedlich ticken.
Der zutiefst konservative und schwer reiche Multimillionär Matthias Döpfner, Springer-CEO, stellte sich demonstrativ an die Seite des kleinen Jan Böhmermanns, als Recep Tayyip Erdoğan einen persönlichen Feldzug gegen den jungen Spartensender-Moderator begann.

Beeindruckend auch die große journalistische Front für Deniz Yücel, der in der Türkei verhaftet wurde.
Heute gibt es ganzseitige Anzeigen in mehreren Zeitungen, unter anderem in der teuren SZ, mit denen sich so ziemlich alle wichtigen Journalisten  mit Yücel solidarisieren.



Verantwortlich für die Aktion sind Jan Böhmermann, sowie die SPON-Kolumnistinnen Margarete Stokowski und Sibylle Berg.
In verschiedenen Städten fanden sogar Autokorsos für Deniz statt.

Für mich ist es immer noch eigenartig Yücel, vor 43 Jahren in Hessen geboren,  als „WELT-Korrespondenten“ firmieren zu sehen. Ich kenne ihn von „Jungle World“ und natürlich aus seiner taz-Zeit (2007-2013). Yücel ist einer von den wirklich Guten. Daher habe ich ihn immer wieder gern zitiert, wenn er als einer der Wenigen richtige und klare Worte fand.

Unabhängig davon für welches Presseerzeugnis Yücel gegenwärtig schreibt – die deutschen Medien halten zusammen, um die Pressefreiheit gegen autokratische Willkür zu verteidigen.

In Amerika ist das bedauerlicherweise nicht so.

Als vergangene Woche Sean Spicer den ungeheuerlichen Schritt ging, die Medien, die Trump kritisiert hatten vom Weißen Haus auszuschließen, gab es kaum Solidarität.

Trump, Bannon and Spicer scheinen irrigerweise zu glauben, das Weiße Haus gehöre ihnen persönlich und nicht dem Volk, so daß sie nach Lust und Laune Zutritt gestatten könnten.
Als Politico, CNN und Co verbannt wurden, blieben lediglich AP und das Time-Magazine aus Solidarität ebenfalls draußen.

Trump generell wohlgesonnene Medien wie das faschistische Verschwörungstheorie-Portal "Breitbart News", aber auch das One America News Network und The Washington Times sowie von ABC, CBS, The Wall Street Journal, Bloomberg und Fox News machten gemeinsame Sache mit der Trump-Administration und nutzten ihren umso exklusiveren Zugang zum Präsidenten.
Gäbe es bei FOX oder Breitbart noch einen Funken Anstand, hätten sie sich sofort solidarisch erklärt und Spicer allein gelassen, um sofort diesen diktatorischen Methoden einen Riegel vorzuschieben.

Deutschland, Du hast es besser.

Allerdings sind auch die geballten Mittel der deutschen Presselandschaft so gut wie wirkungslos gegenüber eines Neodiktators wie Recep Tayyip Erdoğan.

Um effektiv gegen die türkischen Methoden vorzugehen, bräuchten SPRINGER, SZ und SPIEGEL Frau Merkel an ihrer Seite.




Nach den Angaben der Tagesschau wurde Außenminister Gabriel deutlicher.
Der türkische Botschafter wurde heute fast eine halbe Stunde gegrillt.

[….] Nach der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel den türkischen Botschafter ins Auswärtige Amt gebeten. Sehr lange dauerte das Gespräch nicht: Genau 27 Minuten befand sich Kemal Aydin laut einem Tweet des ARD-Korrespondenten Matthias Deiß im Gebäude.
Diplomatische Zurückhaltung spielte in der Unterhaltung offenbar keine große Rolle - zumindest wenn man den Worten von Außenminister Sigmar Gabriel Glauben schenkt. Staatssekretär Walter Lindner habe in dem Gespräch klargemacht, dass die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze zwischen der Türkei und Europa mittlerweile sehr weit auseinander liege, so der Außenminister in einem anschließenden Pressestatement. [….]

Es ist allerdings schwer vorstellbar, daß Gabriel irgendetwas bewirkt haben könnte.
So lange die Bundeskanzlerin ihre Seele an Ankara verkauft, indem sie alle humanitären Grundsätze zur Seite schiebt und Erdoğan als ihren Türsteher bezahlt, ist Berlin von der Türkei erpressbar.

Merkel ändert aber eben offensichtlich nicht ihre Politik der Waffenexporte an alle Bürgerkriegsparteien gleichzeitig zur weiteren Anheizung der Krisen in Nahost.

Pech für Deniz Yücel.
Unter diesen Umständen verfüttert ihn seine Kanzlerin – Yücel  ist Deutscher – genau wie Böhmermann an einen Despoten.

[….] Protest ohne Trööt
[….] Die Justiz in der Türkei, formal unabhängig, hätte theoretisch Zeit. Ohne Anklage kann die Untersuchungshaft dort bis zu fünf Jahre dauern.
[….] Doch der Regierung in Berlin bleibt de facto derzeit kaum mehr als das Anmahnen eines fairen Verfahrens und der Versuch, die türkische Seite über diplomatische Kanäle zu überzeugen, den Fall Yücel doch noch zu einem verträglichen Ende zu bringen.
[….] Am Dienstag wurde der türkische Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, zu einem Gespräch mit Gabriels Staatsminister Walter Lindner ins Auswärtige Amt gebeten, um sich gegen Yücels Inhaftierung zu positionieren. Die Einladung zu einem solchen Gespräch ist die sanftere Form der Kritik. Ein wesentlich schärferes Instrument der Diplomatie ist eine förmliche Einbestellung des Botschafters.
[….] "Die Bundesregierung darf sich hier nicht kleinmachen - dem schwierigen Partner muss klargemacht werden, dass eine grundlegende Kurskorrektur notwendig ist", sagte der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Michael Brand (CDU), dem SPIEGEL. Bundesregierung und Landesregierung in Nordrhein-Westfalen müssten notfalls alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um einen Auftritt des türkischen Staatspräsidenten zu verhindern. [….]


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen