Es ist
erfreulich zu sehen, daß es in Deutschland noch einen Grundkonsens zur freien
Presse gibt.
Wird
einer der ihren verfolgt, bedrängt, bedroht, helfen sich Journalisten
gegenseitig, stehen für einander ein – auch wenn sie politisch völlig unterschiedlich
ticken.
Der
zutiefst konservative und schwer reiche Multimillionär Matthias Döpfner,
Springer-CEO, stellte sich demonstrativ an die Seite des kleinen Jan
Böhmermanns, als Recep Tayyip Erdoğan einen persönlichen Feldzug gegen den
jungen Spartensender-Moderator begann.
Beeindruckend
auch die große journalistische Front für Deniz Yücel, der in der Türkei
verhaftet wurde.
Heute
gibt es ganzseitige
Anzeigen in mehreren Zeitungen, unter anderem in der
teuren SZ, mit denen sich so ziemlich alle wichtigen Journalisten mit Yücel solidarisieren.
Verantwortlich
für die Aktion sind Jan Böhmermann, sowie die SPON-Kolumnistinnen Margarete Stokowski und
Sibylle Berg.
In
verschiedenen Städten fanden sogar Autokorsos für Deniz statt.
Für mich
ist es immer noch eigenartig Yücel, vor 43 Jahren in Hessen geboren, als „WELT-Korrespondenten“ firmieren zu sehen.
Ich kenne ihn von „Jungle World“ und natürlich aus seiner taz-Zeit (2007-2013).
Yücel ist einer von den wirklich Guten. Daher habe ich ihn immer wieder gern zitiert, wenn er
als einer der Wenigen richtige und klare Worte fand.
Unabhängig
davon für welches Presseerzeugnis Yücel gegenwärtig schreibt – die deutschen
Medien halten zusammen, um die Pressefreiheit gegen autokratische Willkür zu
verteidigen.
In
Amerika ist das bedauerlicherweise nicht so.
Als
vergangene Woche Sean Spicer den ungeheuerlichen Schritt ging, die Medien, die
Trump kritisiert hatten vom Weißen Haus auszuschließen, gab es kaum
Solidarität.
Trump,
Bannon and Spicer scheinen irrigerweise zu glauben, das Weiße Haus gehöre ihnen
persönlich und nicht dem Volk, so daß sie nach Lust und Laune Zutritt gestatten
könnten.
Als Politico,
CNN und Co verbannt wurden, blieben lediglich AP und das Time-Magazine
aus Solidarität ebenfalls draußen.
Trump
generell wohlgesonnene Medien wie das faschistische Verschwörungstheorie-Portal
"Breitbart News", aber auch das One America News Network und The
Washington Times sowie von ABC, CBS, The Wall Street Journal, Bloomberg und Fox
News machten gemeinsame Sache mit der Trump-Administration und nutzten ihren
umso exklusiveren Zugang zum Präsidenten.
Gäbe es
bei FOX oder Breitbart noch einen Funken Anstand, hätten sie sich sofort
solidarisch erklärt und Spicer allein gelassen, um sofort diesen diktatorischen
Methoden einen Riegel vorzuschieben.
Deutschland,
Du hast es besser.
Allerdings
sind auch die geballten Mittel der deutschen Presselandschaft so gut wie
wirkungslos gegenüber eines Neodiktators wie Recep Tayyip Erdoğan.
Um
effektiv gegen die türkischen Methoden vorzugehen, bräuchten SPRINGER, SZ und
SPIEGEL Frau Merkel an ihrer Seite.
Die
Kanzlerin hatte aber im Fall Böhmermann schon mehr als deutlich gezeigt,
daß ihr Freiheitsrechte im Zweifelsfall egal
sind.
Nach den
Angaben der Tagesschau wurde Außenminister Gabriel deutlicher.
Der
türkische Botschafter wurde heute fast eine halbe Stunde gegrillt.
[….]
Nach der Inhaftierung des
"Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel hat Bundesaußenminister Sigmar
Gabriel den türkischen Botschafter ins Auswärtige Amt gebeten. Sehr lange
dauerte das Gespräch nicht: Genau 27 Minuten befand sich Kemal Aydin laut einem
Tweet des ARD-Korrespondenten Matthias Deiß im Gebäude.
Diplomatische
Zurückhaltung spielte in der Unterhaltung offenbar keine große Rolle -
zumindest wenn man den Worten von Außenminister Sigmar Gabriel Glauben schenkt.
Staatssekretär Walter Lindner habe in dem Gespräch klargemacht, dass die
Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze zwischen der Türkei und Europa
mittlerweile sehr weit auseinander liege, so der Außenminister in einem
anschließenden Pressestatement. [….]
Es ist
allerdings schwer vorstellbar, daß Gabriel irgendetwas bewirkt haben könnte.
So lange
die Bundeskanzlerin ihre Seele an Ankara verkauft, indem sie alle humanitären
Grundsätze zur Seite schiebt und Erdoğan als ihren Türsteher bezahlt, ist
Berlin von der Türkei erpressbar.
Merkel ändert aber eben offensichtlich nicht ihre Politik der
Waffenexporte
an alle Bürgerkriegsparteien gleichzeitig zur weiteren Anheizung der Krisen in
Nahost.
Pech für
Deniz Yücel.
Unter diesen
Umständen verfüttert ihn seine Kanzlerin – Yücel ist Deutscher – genau wie Böhmermann an einen
Despoten.
[….]
Protest ohne Trööt
[….]
Die Justiz in der Türkei, formal
unabhängig, hätte theoretisch Zeit. Ohne Anklage kann die Untersuchungshaft
dort bis zu fünf Jahre dauern.
[….]
Doch der Regierung in Berlin bleibt de
facto derzeit kaum mehr als das Anmahnen eines fairen Verfahrens und der
Versuch, die türkische Seite über diplomatische Kanäle zu überzeugen, den Fall
Yücel doch noch zu einem verträglichen Ende zu bringen.
[….]
Am Dienstag wurde der türkische
Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, zu einem Gespräch mit Gabriels
Staatsminister Walter Lindner ins Auswärtige Amt gebeten, um sich gegen Yücels
Inhaftierung zu positionieren. Die Einladung zu einem solchen Gespräch ist die
sanftere Form der Kritik. Ein wesentlich schärferes Instrument der Diplomatie
ist eine förmliche Einbestellung des Botschafters.
[….]
"Die Bundesregierung darf sich hier
nicht kleinmachen - dem schwierigen Partner muss klargemacht werden, dass eine
grundlegende Kurskorrektur notwendig ist", sagte der Vorsitzende des
Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Michael Brand (CDU), dem SPIEGEL.
Bundesregierung und Landesregierung in Nordrhein-Westfalen müssten notfalls
alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um einen Auftritt des türkischen
Staatspräsidenten zu verhindern. [….]
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