Da ich bei der
SPD-Mitgliederbefragung ebenfalls für das Team Klara Geywitz & Olaf Scholz gestimmt habe,
bin ich natürlich froh über den Sieg im ersten Wahlgang.
Außerdem nehme ich
die miesen Ergebnisse der linken „Raus-aus-der-Groko“-Paarungen (Lauterbach,
Stegner) mit Genugtuung zur Kenntnis.
Ein Kritiker der
Groko bin ich auch, oh ja, manchmal wirkt sie so erbärmlich, daß ich in die
Schreibtischplatte beißen möchte.
Aber sie ist bei
den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen und den stabilen Wahlumfragen die am
wenigsten schlechte Option.
Die CDU allein begeistert sich schon wieder für Kriegseinsätze und
will auch garantiert keine sozialen Verbesserungen. Die CDU/CSU wehrt sich gegen die Grundrente,
Schwarz und Gelb wollen Multimillionäre und Milliardäre steuerlich entlasten,
Geringverdiener wie Paketboten würden ohne Sozis im Kabinett keinerlei Schutz
erhalten.
Es wäre sehr
schäbig die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft im Stich zu lassen, indem
man sie der schwarz-braun-gelben Willkür überließe.
Der
durchsetzungsstärkste SPD-Politiker ist der deutsche Vizekanzler und insofern
ist es gut, ihn in guter Startposition für den Parteivorsitz zu wissen.
[…..] Offenbar ist vielen Genossen
die Sache mit dem Neuanfang aber auch gar nicht wichtig - das Ergebnis für
Scholz zeigt auch einen Wunsch nach Kontinuität, nach ordentlichem
Zu-Ende-Regieren in der GroKo und Machtperspektive für die Zeit danach.
Wenn es aber doch auf ein
personelles "Weiter so" hinausläuft, hätte die SPD Zeit und Kraft
nicht sinnvoller einsetzen können, etwa um Politik zu machen? Vielleicht, wenn
der Nahles-Rückzug ein normaler Abtritt in einer in sich ruhenden Partei gewesen
wäre. In einer existenziellen Krise ist aber nichts normal. Zumal der Umgang
mit Andrea Nahles auch erschreckende Einblicke gab in tiefe Grabenkämpfe,
Heckenschützentum, Intrigen und Misstrauen. [….]
Rosig ist die Lage
aber nicht für das einzige Schwergewicht der Bewerber, denn Scholz kam nur auf
23%.
Das ist noch ein
weiter Weg bis zu den 50%, die er beim zweiten Wahlgang braucht.
[….] Ja, Scholz mag mit seiner
Tandempartnerin Klara Geywitz die erste Runde im Mitgliedervotum der Partei
gewonnen haben, aber wer genau hinsieht, der erkennt: Das Ergebnis der beiden
ist ernüchternd. Mit 23 Prozent liegen sie nicht einmal zwei Prozentpunkte vor
den jenseits von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg weithin unbekannten
Favoriten der Jusos, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Und weil
überhaupt nur die Hälfte der SPD-Mitglieder abgestimmt hat, hat faktisch nur
jeder zehnte Sozialdemokrat für denjenigen gestimmt, der als Vizekanzler und
Bundesfinanzminister eine weit größere Bühne hatte als jeder andere im Feld.
Autsch. […..]
Aber was will man
schon erwarten von einer teilweise fanatisiert ideologischen Parteilinken, die
nahezu 20 Jahre nach der Agenda 2010, die ein großer Erfolg war, auf den man stolz
sein sollte, immer noch besessen davonist?
Sie ignorieren
Trump, Brexit, Kriege, rechtsextreme Mordanschläge, AfD-Faschisten in den
Parlamenten und eine schwere EU-Krise wegen einer sozialpolitischen
Entscheidung aus vergangener Zeit.
Dabei war die
Hartz-Gesetzgebung nicht nur richtig und daher auch maßgeblich von Gewerkschaftern
und anderen Arbeitnehmervertretern mit ausgearbeitet, sondern sie ist auch
populär. So populär immerhin, daß die einzige Partei, die immer noch dagegen
ist, die Linke, trotz der Megakrise der SPD verkümmert.
Mit „Hartz
abschaffen“ verliert man also offenbar massiv Wähler.
Die linke
Anti-SPD-Verschwörung hat die Partei infiziert, die Stimmung vergiftet.
[…..] Fast ein Vierteljahrhundert ist
es her, dass der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine seinen Amtsvorgänger Rudolf
Scharping wegputschte: "Wenn wir selbst begeistert sind", lautete
sein legendärer Ausruf auf dem Mannheimer Parteitag des Jahres 1995,
"können wir auch andere begeistern."
In diesen Tagen suchen die
Genossen wieder eine neue Führung. Diesmal aber folgen sie einer anderen
Lösung, das haben die Auftritte ihrer Kandidatenpaare bei den sogenannten
Regionalkonferenzen gezeigt. Die Sozialdemokraten wollen sich nicht begeistern,
sondern von sich selbst distanzieren, genauer: von der Agenda 2010 ihres
einstigen Kanzlers Gerhard Schröder. Dies habe "sozialdemokratisches
Profil gekostet", klagt Ralf Stegner. Sie habe in die "neoliberale
Pampa geführt", bemängelt Norbert Walter-Borjans. Und selbst Olaf Scholz,
der die Reformen einst mitentworfen hat, findet heute kein freundliches Wort
mehr für sie. Das Motto, mit dem das SPD-Spitzenpersonal den Neustart schaffen
will, lautet offenbar: "Wer sich selbst beschimpft, braucht nicht mehr
beschimpft zu werden."
Bei kaum einem anderen Thema
tritt die Partei derzeit so geschlossen auf wie bei der Verurteilung ihrer
eigenen Politik. Unsolidarisch, entwürdigend, schädlich: So hatte schon die
Linkspartei die Agenda niedergemacht, nun verwenden die Genossen gedankenlos
dieselben Begriffe. Es ist wie bei einem SED-Parteitag kurz nach dem Mauerfall:
Erst mal müssen alle bekennen, wie schlecht es früher war. So verzwergt sich
die Sozialdemokratie nicht nur selbst, es ist auch noch falsch. Die Agenda war
keine neoliberale Verirrung, sie war eines der erfolgreichsten wirtschaftlichen
Umbauprogramme der jüngeren Geschichte.
90 Prozent der deutschen
Ökonomen, so zeigen Umfragen, sind überzeugt: Die Hartz-Gesetze haben
wesentlich dazu beigetragen, aus dem "kranken Mann Europas"
("Economist") wieder eine bewunderte Exportmaschine zu machen. Die
Arbeitslosigkeit, die jahrzehntelang gestiegen war, hat sich innerhalb weniger
Jahre halbiert. Millionen Jobs wurden geschaffen, und zwar zum großen Teil
sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnisse. Kaum ein anderes Land
hat die tiefe Rezession nach der Finanzkrise so rasch und nachhaltig überwunden
wie Deutschland. Von einem "Beschäftigungswunder" sprechen globale
Organisationen wie die OECD oder der Internationale Währungsfonds.
Weltweit gelten ihre Reformen als
Erfolg, und wie reagiert die SPD? […..] (Michael Sauga, 24. Oktober 2019)
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