Rita Süssmuth, 82, mag heutigen Teens und Twens kaum noch
ein Begriff sein, aber uns Kindern der 1980er war sie außerordentlich präsent
als das gute Antlitz des Konservatismus.
Hatte sie doch als Bundesgesundheitsministerin in den Zeiten
der AIDS-Krise nie Dagewesenes gewagt. Sie sprach über Schwule und startete
Kondomkampagnen.
Das war angesichts des Massensterbens und der nicht
vorhandenen Heilungsmöglichkeiten zwar alternativlos, aber man vergisst wie tabuisiert
das Thema noch war. Homosexuelle wurden strafrechtlich anders als
Heterosexuelle behandelt und die konservativen Regierungschefs jener Zeit, etwa
Reagan oder Kohl, nahmen noch nicht mal solche Worte wie „AIDS“ oder „homosexuell“
in den Mund.
Süßmuth wurde zum Star, galt bis ins liberale Lager hinein
als wählbar. Bundeskanzler Helmut Kohl musste Angst vor ihr haben. Zum Ende der
1980er wurde er immer unbeliebter und hätte durchaus beim inzwischen legendären
Bremer Parteitag von Geißler/Späth/Süßmuth fallen können.
Er räumte seine Konkurrentin aus dem Weg, indem er sie nach
oben weglobte auf den in der Hierarchie vorm Bundeskanzler stehenden Posten der
Bundestagspräsidentin.
Das hohe Amt übte sie zehn Jahre bis 1998 aus, als die SPD
den Zugriff erhielt.
Weiter aufsteigen konnte sie nie, weil sie durch die
berüchtigte „Dienstwagenaffäre“ von 1991 unwiderruflich befleckt war.
[….] Am 1. März bestellte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth den Amtschef
der Parlamentsverwaltung, Joseph Bücker, zu sich und eröffnete dem 64jährigen
mit dem schmucken Titel eines "Direktors beim Deutschen Bundestag",
daß sie ihn kurz vor Erreichen der Altersgrenze wegen Unfähigkeit feuern wolle.
Die Präsidentin sah den internen Parlamentsbetrieb durch Ausfälle des
christdemokratischen Direktors erheblich beeinträchtigt, die auch bedingt waren
durch Bückers Neigung zu geistigen Getränken. Sie sagte ihrem Verwaltungschef
zu, für einen glatten Übergang in die Pension sorgen zu wollen.
Eine gute Woche später (Bücker: "Ich weiß nicht, wer daran gedreht
hat") wartete der Stern mit Durchstechereien auf, die an den Iden des März
die Hohe Frau beinahe zu Fall gebracht hätten.
Gespickt mit mancherlei Angaben und Akten aus der Bücker-Behörde
bauschte die Illustrierte eine, wie der Amtschef jetzt sagt,
"Petitesse" aus dem Bonner politischen Alltag zum Skandalheuler auf:
Ritas Ehemann, der Geschichtsprofessor Hans Süssmuth, sei als
Aushilfs-Chauffeur der Präsidentin in einem der insgesamt drei ihr zur Verfügung
stehenden Mercedes-Dienstlimousinen des Deutschen Bundestags widerrechtlich
auch privat durch die Lande kutschiert. [….]
Von dem Bücker-Schlag erholte sie sich nie wieder
vollständig, weil es die erste (aber keineswegs die Letze!) derartig Affäre
Deutschlands war.
Vorher hatte noch kein Mensch über die Nutzung von Dienstwagen,
geschweige denn über möglicherweise mitfahrende Eheleute nachgedacht.
Und nun hatte ausgerechnet Süßmuth, das menschliche Antlitz
der CDU so gemauschelt? Sich bereichert. Die Wähler betrogen.
Wir konnten es nicht fassen.
Warum tat so eine Lichtgestalt wie Süßmuth das? Die
moralische Fallhöhe war doch so groß. Sie konnte doch nicht so doof sein, ihre
große Karriere wegen solcher Petitessen zu gefährden.
In vielen Artikeln kursierte der Spin, die Frau wäre ob
ihrer Popularität wohl etwas abgehoben, dachte, sie könne sich alles erlauben.
Vielleicht habe man Helmut Kohl, dessen Provinzialität und
Bräsigkeit man so verachtete, doch Unrecht getan.
Er mochte ja ein Langweiler aus der Provinz sein, der
intellektuell nicht gerade brillierte und kein Englisch konnte, aber den
Steuerzahler um ein paar Hundert Mark betrügen? Das täte er eben nicht. Das war
dann doch der Unterschied. Kohl würde kleinlich genau jeden Pfenning abrechnen.
Ihm ging es ja nicht um Geld, sondern er wollte Bundeskanzler sein.
Es gab ja genügend richtig schmierige CDU-Typen. Dregger,
Kiep, Koch, Barschel, Stoltenberg, Lummer, Schäuble, Bohl – denen war alles
zuzutrauen.
Aber Kohl war ja ganz oben angekommen, schwebte über Allem. Der
hätte es ja wohl nicht nötig in die Kasse zu greifen.
Obschon es nie direkt geschrieben wurde, gab es genügend
Geraune über seine Sekretärin Juliane Weber, daß man um Kohls lockere Auffassung
von ehelicher Treue wußte. Natürlich hatte auch Kohl Frauengeschichten. Wie
alle sehr mächtigen Männer, deren Ehefrauen weit weg sind.
Aber wir waren ja aufgeklärt, keine konservativen Spießer. Es ging uns ja nichts an, wie Top-Politiker ihre amourösen Angelegenheiten regelten. Im Gegenteil, wir waren stolz darauf, daß derartige „schmutzige Wäsche“ im Gegensatz zu den USA keine Rolle spielte.
Aber wir waren ja aufgeklärt, keine konservativen Spießer. Es ging uns ja nichts an, wie Top-Politiker ihre amourösen Angelegenheiten regelten. Im Gegenteil, wir waren stolz darauf, daß derartige „schmutzige Wäsche“ im Gegensatz zu den USA keine Rolle spielte.
Sich aber geldwerte Vorteile abzugreifen, war eine andere
Sache. Das war kriminell.
Das würde Kohl eben nie tun.
Als zum Ende des Jahrzehnts, Kohl war gerade abgewählt, die gewaltige CDU-Spendenaffäre in Hessen losbrach, war man geschockt. 21 Millionen Schwarzgelder wurden verschoben und perfide als „jüdische Vermächtnisse“ deklariert.
Als zum Ende des Jahrzehnts, Kohl war gerade abgewählt, die gewaltige CDU-Spendenaffäre in Hessen losbrach, war man geschockt. 21 Millionen Schwarzgelder wurden verschoben und perfide als „jüdische Vermächtnisse“ deklariert.
Was für ein Abgrund. Aber die Personen im Zentrum des
Sumpfes – Koch, Schäuble, Kanther, Wallmann, Kiep, Casimir Prinz Wittgenstein
und Finanzberater Horst Weyrauch waren auch genau die, denen man solche dunklen
Machenschaften zutraute.
Schließlich kam das Jahr 1999, als wir alle, die Kohl
ohnehin schon 20 Jahre lang verachtet hatten, ihm aber aufgrund seiner
geistigen Unbeweglichkeit gar keine Großkriminalität zutrauten, in dieser
Hinsicht geirrt hatten.
Helmut Kohl würde sich eben nicht nur „auch“ an diesen
Finanz-Mauscheleien beteiligen, sondern er saß sogar wie eine dicke Spinne im
Zentrum des Megaskandals und sollte nach 16 Jahren als Bundeskanzler bis zu
seinem letzten Atemzug rechtsbrüchig bleiben.
Kohl war auf einmal nicht mehr nur der träge, tumbe Pfälzer,
sondern nun auch noch ein Charakterschwein, der sich offensichtlich wohl dabei
fühlte das Gesetz zu brechen.
Inzwischen habe ich selbstverständlich jede Naivität
abgeworfen und traue auch Toppolitikern potentiell alles zu.
Es gibt zudem diesen neuen niederträchtig-bösartigen
Politikertypus, der wie Trump gar keine Skrupel mehr kennt.
Aber bei ihm geht es auch um Milliarden, um Freiheit oder
Knast.
Eigenartiger erscheint mir zu sein, wenn Politiker der
obersten Spitze, wie zum Beispielsweise Bundespräsident Christian Wulff wegen
Petitessen alles riskieren.
Muss man nicht in so einer Lage das Risiko aufzufliegen und
alles zu verlieren abwägen gegen den Vorteil mal ein Hotelzimmer bezahlt zu
bekommen oder sich um die Bezahlung eines Bobbycars zu drücken?
Wenn ich versuche mich an die Stelle eines Konservativen an der politischen Spitze zu versetzen, würde ich doch strikt alle kleinen Ungereimtheiten vermeiden.
Wenn ich versuche mich an die Stelle eines Konservativen an der politischen Spitze zu versetzen, würde ich doch strikt alle kleinen Ungereimtheiten vermeiden.
Boris Johnson ist mies wie Trump, aber nicht dumm wie IQ45.
Der Mann stammt aus den besten Kreisen britischer Eliteunis, ist hochgebildet.
Der Mann stammt aus den besten Kreisen britischer Eliteunis, ist hochgebildet.
Wieso wird so einer derartig ausfallend, daß sogar seine
Geschwister sich öffentlich ehrlich entsetzt von ihm distanzieren?
Prolet Trump hat nie Manieren gelernt, wußte sich nie zu
benehmen, mäanderte Jahrzehnte durch die Halbwelt von Pornosternchen und
Schönheits-Shows.
Vermutlich wollte er auch die längste Zeit seines Lebens
nicht US-Präsident werden. Kein Wunder, daß er Frauen an die Pussy grabbed.
Aber wieso tut der zielstrebige Johnson, der schon lange auf
den Regierungschefposten ausgerichtet ist, sowas?
[…..] Als sei der Brexit-Irrsinn nicht genug, häuften sich in den vergangenen
Tagen Berichte darüber, dass Boris Johnson in der Vergangenheit in der
Gegenwart von Frauen zudringlich geworden sein soll. Und diese Vorwürfe, auch
wenn sie bislang nicht bewiesen sind, haben das Zeug dazu, ihn zu Fall zu
bringen.
In Manchester, wo Johnsons konservative Partei seit Sonntag ihren
jährlichen Parteitag abhält, entgeht praktisch kein Regierungsmitglied
peinlichen Fragen nach dem Chef. […..]
Wieso? Wie kann man nur so undiszipliniert sein und solche
Dinge riskieren als Toppolitiker?
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