Sonntag, 31. Juli 2022

Autokratie, geil!

 

Nur etwas mehr als 45% der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie.

Dabei werden Demokratien global nicht etwa attraktiver. Das war die Annahme der US-Neocons um George W. Bush und wurde auch von den konservativen Ikonen Thatcher und Reagan so gesehen. Demnach müsste man ein kommunistisches oder anderes autokratisches Regime nur stürzen und anschließend strebe die Bevölkerung ganz natürlich zu einer parlamentarischen Demokratie, weil sie sich a) nach Freiheit sehnten und b) die Urdemokratien wie GB und USA als leuchtendes Vorbild dienten. Mit militärisch-chirurgische Präzision die Taliban absägen oder Saddam Hussein verjagen. Die Bevölkerung würde den Amerikanern dafür zujubeln, demokratische Staaten nach US-Vorbild erreichten und diese friedliche parlamentarische Republik Irak wäre so ein strahlendes Beispiel, daß alle NahOst-Nachbarstaaten wie die Dominosteine den gleichen Weg gingen.

Mit der Grundannahme funktionierte einst auch „Wandel durch Handel“: Wenn demokratische und autoritäre Staaten sich nicht mehr bekämpften und diplomatisch blockierten, sondern mehr wirtschaftliche Beziehungen eingingen, prosperierten beide Seiten, dadurch käme es zu vertiefteren Handelsbeziehungen und immer mehr Kontakten, bei denen die Bürger des autokratischen Landes die vielen Freiheiten und Vorteile der Demokraten erst kennenlernten und in Folge dessen auch für sich selbst anstreben würden.

In dieser Darstellung wirkt die westliche Sicht sehr überheblich, aber in der Tat war die sozialliberale Ostpolitik der 1970er Jahre sehr erfolgreich mit der Methode „Wandel durch Annäherung“.

Es ging nicht mehr nur um Gesichtswahrung und Hass, sondern die Welt wurde friedlicher und das Leben der Menschen verbesserte sich, indem beispielsweise BRDler endlich zu ihren verwandten DDRlern reisen konnten. Im Atomzeitalter war es wichtig, den Menschen des anderen Blocks ein Gesicht zu geben und so Spannungen abzubauen. Das ging nur, indem der Westen von seinem hohen Ross abstieg und die Interessen der Ostblockstaaten anerkannte.

Nur so konnte es zu dem berühmten Treffen des zweitmächtigsten Mannes der Erde, Leonid Breschnew, des Herrschers über da Warschauer-Pakt-Imperiums, in der bescheidenen Reihenhaus-Kellerbar des ehemaligen Weltkriegsoffiziers Helmut Schmidt kommen. Es kann gar nicht unterschätzt werden, wie wichtig diese erste längere echte persönliche Begegnung der beiden Staatsmänner aus Ost und West war. Als man sich gegenseitig die grauenhaften Erfahrungen des zweiten Weltkrieges erzählte und gemeinsam die feste Überzeugung teilte „diese Scheiße“ dürfe nie wieder passieren.

Bis zum Ende des sowjetischen Imperiums, insbesondere unter der Herrschaft des großen Michail Gorbatschow, wandelte sich die Welt tatsächlich zum Besseren.

Als schließlich 1990 all die kommunistischen Regime Osteuropas unter dem ökonomischen Druck des Westens kollabierten und sich immer mehr Teilrepubliken der riesigen Sowjetunion abspalteten, riefen die konservativen Vordenker der USA „das Ende der Geschichte“ aus. Na super. Der Westen hatte gewonnen und nun würde alles gut.

Tatsächlich gerieten aber die Neudemokraten zunächst einmal in gewaltige soziale Nöte. Es war Schluß mit der kostenlosen Gesundheitsvorsorge, Frauen verloren Rechte, viele Millionen Jobs gingen verloren, in Russland verhungerten die Menschen auf der Straße. Staatliche Löhne wurden nicht gezahlt und wenige Oligarchen rafften den gesamten Staatsbesitz zusammen. Schon bald gehörten sämtliche volkseigenen Betriebe (VEB) und die meisten Immobilien Westlern.

Wählen und reisen zu dürfen, keine Angst mehr vor der Staatssicherheit haben zu müssen, sowie freien Zugang zu allen Westprodukten vom Porno-Heft bis zum gebrauchten VW-Golf zu haben, war großartig.

Aber all das kostete Geld, das man schlecht verdienen konnte, als die Transformationen der Gesellschaften in Massenarbeitslosigkeit endeten.

Wahlrecht ist schon weniger attraktiv, wenn man in St. Petersburg beim Betteln auf der Straße erfriert und sich an die Sicherheit als Sowjetbürgerin zurück erinnert.

Diejenigen, die Demokratie für so überlegen halten, vergessen was Putin in seinen ersten Amtsjahren schaffte: Er beseitigte Chaos und Unsicherheit der Jelzin-Jahre. Niemand musste mehr verhungern, Löhne wurden wieder pünktlich gezahlt und die Renten kräftig erhöht. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Zudem erwiesen sich die westlichen Demokratien ohne das kommunistische Gegengewicht als erstaunlich dysfunktional. Die schlimmsten Karl-Marxschen Alpträume wurden wahr: Abenteuerliche Reichtumskonzentration und ganz offensichtlich konnten diese Superreichen den demokratischen Regierungen ihre Wünsche diktieren. Das Internet sorgte außerdem für die rasante Verbreitung von Verschwörungstheorien, Hass und Fehlinformationen. So konnte den beiden Urdemokratien massiver Schaden zugefügt werden. Nach Trump befinden sich die USA auf dem Weg in einen Bürgerkrieg. Nach Johnson/Brexit rutscht das Vereinigte Königreich in eine endlose Rezession.

Im ehemaligen Westeuropa bricht die Zeit der politischen Clowns an. Italien, Frankreich, Österreich, Dänemark wählten bereits rechtsextreme Populisten in die Regierung oder waren kurz davor.

Polen und Ungarn sind bereits verloren.

[…]  Die Demokratie ist nach einer aktuellen Studie zufolge weltweit auf dem Rückgang. Wie die britische "Economist"-Gruppe in ihrem jährlichen "Demokratieindex" ermittelte, lebten 2021 noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung in irgendeiner Form einer Demokratie. Das waren noch einmal deutlich weniger als 2020 mit 49,4 Prozent. In einer "vollständigen Demokratie" lebten sogar nur 6,4 Prozent, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (6,8 Prozent). Weit mehr als ein Drittel der Menschen leben in einer Diktatur – 37,1 Prozent bedeuteten ein leichtes Plus zu 2020. Der Anteil der autoritär regierten Staaten ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.

Die analytische Forschungseinheit der "Economist"-Gruppe (EIU) spricht von einem "weiteren düsteren Rekord" bei seinem Demokratie-Index. Es handelte sich demnach um den stärksten Rückschritt seit 2010 und das schlechteste Ergebnis seit Beginn der jährlichen Untersuchung 2006.   […]

(STERN, 10.02.2022)

Selbst wer das Glück hat, zu den 6,4% der Weltbevölkerung zu gehören, die in einer „vollständigen“ Demokratie leben, muss sich wie die Deutschen damit arrangieren, daß weite Teile der eigenen Bevölkerung diese Demokratie ablehnen, sich nach einem starken Führer sehnen.

So wichtig wie 1990 angenommen, ist den einst so unfreien Menschen das Wahlrecht offensichtlich nicht, wenn in den Ost-Bundesländern kaum noch 50% der Wahlberechtigten an Landtags- oder Europawahlen teilnehmen.

Über 100 Millionen wahlberechtigte US-Amerikanern wählen grundsätzlich nie, weil sie Washington verachten.

Die Demokratien schwächeln, während China gleichzeitig reicher/mächtiger und unfreier wird. Weniger Demokratie bedeutet also mehr ökonomische Prosperität?

Auch urdemokratische Unternehmer bewundern nicht nur heimlich die Effizienz in China, das Großprojekte wie Staudämme, Flugzeugträger, Hauptstadtflughafen, Staudämme oder ganze künstliche Millionenstädte in Zeiträumen erreichtet, die in Deutschland noch nicht mal für die Planung, geschweige denn Genehmigung reichen.

Die Demokratie verliert offenbar immer mehr an Strahlkraft. Das liegt auch an den freiwillig apathischen und bornierten Demokraten selbst, die schließlich nicht gezwungen werden für den Brexit, Trump, LePen, italienische Faschisten, FPÖ, AfD oder die Tories zu stimmen und so ihre eigenen Nationen sabotieren.

Sind die deutschen Covidioten und AfD-Wähler so verdummt, weil sie BILD und Facebook-Pegida-Seiten lesen? Oder hat die BILD einen so viel größeren ökonomischen Erfolg als die taz, weil die Deutschen so dumm sind?

Fast jeder hat in Deutschland freien Informationszugang im Internet. Wer zwingt sie eigentlich, statt seriöser Informationsportale, Schwurbler auf Telegram zu konsumieren? Diese Huhn-oder-Ei-Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Ganz offensichtlich haben die alten westlichen Demokratien aber nicht die Kraft, sich gegen Populisten und Hetzer zu behaupten, sondern werden eher von den Trumps verschluckt. Das sind gute Neuigkeiten für die Xis und Mohammed bin Salmans und Erdoğans und Le Pens und Putins und Orbáns dieser Welt. Menschen sehnen sich gar nicht so sehr nach Demokratie und wählen diejenigen gern wieder, die zuvor die unabhängige Justiz und Presse abschafften.

Samstag, 30. Juli 2022

Ukraine und größere Probleme

 

Wenn Habeck nun auch noch die Grünen davon überzeugt, für Atomkraft zu plädieren, wird er auch Kanzler.

So oder so ähnlich, lauten nun viele anerkennende politische Kommentare über die Grünen im Höhenflug.

Und ja, als jemand, der schon vor der Bundestagswahl von 2017 lautstark den Grünen riet, auf Habeck, statt auf Spitzenkandidatin Göring-Kirchentag zu setzen, fühle ich mich bestätigt.

Da die Grünen 2017 nicht auf mich hörten; auch nicht 2021 mit der falschen Spitzenkandidatin, dauerte es etwas länger. Habeck ist zweifellos einer der großen Aktivposten der Regierung und macht seinen Job so ausgezeichnet, daß die vorher so selbstbewußte FDP im Vergleich dazu geradezu erbärmlich absäuft.

Flexibilität ist gut. Es ist dumm, auf alten Dogmen zu beharren, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Tumb, wie die CDUCSU auf falschen Positionen zu beharren, ist Ideologische Politik.  „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – „Homoehe gefährdet das Kindswohl“ – „wir wollen keine Windkraft“ – „Abtreibung muss kriminalisiert werden“ – „freie Fahrt für freie Bürger“ – „Vermögenssteuer ist Blasphemie“ - „Cannabis muss kriminalisiert werden“ – all diese Konservativen Dogmen schaden Deutschland und müssen von Realpolitik ersetzt werden.

Es ist aber kein grundsätzliches Qualitätszeichen, heute das Gegenteil von dem zu tun, was gestern noch selbst gefordert wurde.

Während die Top-Journalisten gerade die Grünen dafür feiern, ihre alten Überzeugungen aufzugeben – plötzlich wollen sie Waffenexporte, Kohlekraftwerke und denken über AKW-Laufzeitverlängerungen nach – sollte man nicht so tun, als ob das mit den Mottenkistenpositionen von CDU, CSU und FDP zu vergleichen wäre!

Es ist nämlich nach wie vor richtig, aus der Kernenergie auszusteigen.

Es ist nämlich nach wie vor richtig, eine pazifistische Politik anzustreben.

Es ist nämlich nach wie vor richtig, Klimaschutz zu betreiben.

Es ist nämlich nach wie vor richtig, daß fossile Brennstoffe kurz- bis mittelfristig verschwinden müssen.

Im politischen Berlin wäre es ein klassischer intrakoalitionärer Handel: Die FDP opfert ihr Kernanliegen des unbeschränkten Rasens auf den Autobahnen, wenn die Grünen dafür ihren Widerstand gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten aufgäben.

Quantitativ sind nämlich beide Forderungen gleichwertig: Sie sind jeweils ein Markenzeichen einer ungefähr gleich großen Koalitionspartei.

Qualitativ sieht es aber ganz anders aus: Eine Tempolimit kostet kein Geld, schadet nicht der Umwelt, wäre ohne jede Gegenfinanzierung und rechtlichen Probleme einführbar, würde Benzin sparen und ganz sicher auch zu weniger Toten und Verletzten führen. Es gibt also gar nichts, das vernünftigerweise gegen ein Tempolimit spräche. Deswegen gibt es auch fast überall auf der Welt Tempolimits.

Die Kernkraft ist hingegen nach wie vor völlig verantwortungslos und so teuer, daß sich noch nicht mal ein Betreiber finden ließe, der das Versicherungsrisiko trüge. Uran kommt aus Russland, Brennstäbe herzustellen ist langwierig. Kernenergie ist nicht für den Dauerbetrieb geeignet – in Frankreich sind derzeit mehr als die Hälfte der AKWs schon deshalb vom Netz genommen, weil die Flüsse entweder zu warm sind oder zu wenig Wasser führen. Tschernobyl, Fukushima. Leukämiefälle im Umkreis der AKWs, weltweit kein Endlager. Ein Terroranschlag mit einem Flugzeug à la 9/11 auf ein AKW würde das Leben in Deutschland auslöschen und zudem haben wir auch noch Krieg in Europa und man möchte sich keine verirrte belarussische Hyperschall-Rakete vorstellen, die in Neckarwestheim 2 einschlägt.

Andere Themen sind noch komplexer, lassen sich nicht so einfach gegeneinander aufrechnen. Ich bin überzeugter Pazifist, halte es für Wahnsinn, daß die Menschen weltweit jedes Jahr Billionen Euro für Rüstung ausgeben. Das muss enden.

Gleichwohl gibt es – LEIDER – Situationen, in denen es nicht ohne Militär geht. Der Völkermord von Srebrenica 1995 oder der Genozid an den Jesiden des Nordiraks von 2014 sind solche Beispiele.

Der Krieg in der Ukraine und insbesondere die mittelbar dadurch entstehenden massiven Energieprobleme Deutschlands dominieren hierzulande die gesamte Bundespolitik.

Ein Komapatient, der heute nach einem Jahr aufwacht, die Nachrichten einschaltet und dort sieht, wie grüne Minister massiv den Waffenexport in ein Kriegsgebiet fördern, bei homophoben misogynen Nah-Ost-Potentaten um Gaslieferungen betteln, AKWs anschalten wollen und auf Kohlekraft setzen, wird sicher denken, daß er weiterhin träumt.

Aber, auch wenn es kaum möglich ist, das ohne überheblichen Ton auszusprechen: Es gibt noch größere Probleme, als den Krieg in der Ostukraine.  Das sind erstens die Überbevölkerung und zweitens die Erderwärmung. Beides hängt zusammen und führt zu vielen weiteren Katastrophen wie Hunger, Migration, Artensterben etc.

Alle Maßnahmen, die jetzt unter der Überschrift „Hilfe für die Ukraine“ durchgehen, heizen das Weltklima aber dramatisch weiter an: Einsatz und Unterhalt schwerer Waffen, Kohleverstromung.

Millionen Menschen verhungern deswegen.

[….] Zuerst stirbt das Vieh. Dann sterben die Kinder

Die Regenzeiten fallen aus, viermal bereits. Millionen Menschen in Somalia, Kenia und Äthiopien könnten verhungern – doch Hilfsgelder fließen in andere Krisenregionen.  […]

(Fritz Schaap, 29.07.2022)

Sozialdemokratische und Grüne Positionen müssen dringend wieder aktive Politik werden. CDUCSUAFDP-Wünsche müssen hingegen verschwinden, wenn die Menschheit überleben soll.

Ich glaube nicht daran und halte es für wahrscheinlicher, daß sich Homo Sapiens in 100 Jahren entweder komplett selbst ausgelöscht hat, oder aber Bruchteile der heutigen Bevölkerung an wenigen verbliebenen bewohnbaren Orten in einer postapokalyptischen Welt vor sich hin vegetieren. Wir haben es nicht besser verdient und es wäre sicherlich nicht schade, um die destruktivste Tierart aller Zeiten. Aber wer Kinder oder Enkel hat, wird ihnen vielleicht eine andere Zukunft wünschen.

Die Grünen und Sozis sollten sich also nicht allzu sehr dafür feiern, jetzt das zu tun, das ihren früheren Überzeugungen widerspricht.

[….] Die »Verbalisten« (so Willy Brandt in seiner Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises) und Bellizistinnen pflegen einmal mehr die Untugend der Ungeduld kombiniert mit etwas Maulheldentum. Sie rufen nach schweren Waffen, um Putin zu bezwingen.

Aber: Nicht jedem Ruf nach Waffen ist anzumerken, dass diese, egal, wo sie eingesetzt werden, Leiden verursachen werden. Und nicht jeder Waffen-Rufer ist von der Einsicht durchdrungen, dass jeder Tote – ob Russe oder Ukrainer – einer zu viel ist. Und dass um jeden Soldaten irgendwann eine Mutter oder ein Vater weint.

An manchen Diskussionen erschreckt mich die Kälte, wenn militärische »Planspiele« fernab von Kiew, Odessa oder der Krim angestellt werden. Manch einer redet über den Kriegsschauplatz fernab wie über den Fußballplatz daheim.

Diese furchterregende Kälte hätte ich nach der dramatischen deutschen Kriegserfahrung nicht mehr für möglich gehalten. Und sie bestärkt mich darin, dass der Krieg immer zuerst an den Seelen frisst, dass der Krieg mit Lügen beginnt und mit Lügen endet. Ich staune über den kalten Ton der Talkshowgäste, die in ihren sauberen Anzügen fernab der Spur des Todes sitzen. Sie müssen ja nicht an die Front. Ich vermisse in den Debatten eine Gegenstimme gegen die Dominanz von Gewalt und Gegengewalt. [….]

(Stefan Berg, 30.07.2022)

Freitag, 29. Juli 2022

Blue Lives Don't Matter?

Das politische Motto der US-Republikaner lautet schon seit etwa zehn Jahren „Every day a new Low“. Mit dieser seit 20 Jahren praktizierten Schäbigkeit, haben sie die USA an den Rand der Unregierbarkeit und einen beginnenden Bürgerkrieg geführt.

Seit Trump Präsident und religiöser Führer der GOP wurde, erschöpfte sich die Phantasie der Demokraten. Wie könnte das Low noch unterboten werden von dem Mann der schon vor seiner ersten Kandidatur 2016 log wie gedruckt, rassistisch hetzte, sich mit Marco Rubio ein Duell über seine Penislänge lieferte, öffentlich Behinderte nachäffte, Dutzende Untersuchungen wegen sexueller Übergriffe über sich ergehen ließ und schließlich noch mit seinem „Grab’em by the pussy“-Video für jeden offensichtlich als widerlicher Sexist geouted war?

 Aber er lieferte. Wurde jeden Tag noch abscheulicher, log immer mehr, blamierte sich, würgte die Wirtschaft ab. Interessierte sich nicht für einen halbe Million Covid-Tote in den USA, ruinierte das internationale Ansehen, umgab sich mit Kriminellen und führte schließlich einen blutigen Coup an, um seinen Vize hängen zu lassen, die demokratischen Abgeordneten zu massakrieren und die US-Verfassung zu zerschlagen. Aber natürlich ging es schlimmer: Bis auf zwei einsame GOP-Abgeordnete, die sich gegen Trump stellen, sind alle, die am 06.01.2021 um ihr Leben bettelten, sich in Todesangst von ihren Familien verabschiedeten und am 07.01.2021 Trump verdammten, wenig später eingeknickt und kriechen nun wieder als rückgratlose Amöben nach Mar A Lago, um ausführlich Trumps Hintern zu küssen. 



Voller Verachtung hetzten sie gegen das zehnköpfige Komitee, welches die Vorgänge und Hintergründe des 06.01.2021 untersucht. Nichts verachten Republikaner mehr als Fakten.

 Einen außerordentlich schäbigen Twist bekommt das Verhalten der Roten (Rot ist die Parteifarbe der Ultrarechten, die liberaleren Demokraten firmieren unter Blau), weil die Hauptleidtragenden des Trump-Mobs Polizisten waren. Hunderte wurden verletzt, es gab insgesamt fünf tote Beamte, darunter einige PTBS-bedingte Suizide. Traditionell verstanden sich die Republikaner immer als Schutzpatronin der Uniformierten, indem sie beispielsweise der „Black Lives Matter“ ein ätzendes „Blue Lives Matter“ entgegenstellten (in dem Fall Blau als Symbolfarbe für die dunkelblauen Polizei-Uniformen). Republikaner ließen sich Jahrzehntelang keine Gelegenheit entgehen, zusammen mit Uniformierten zu posieren, bedingungslos die Anliegen der Soldaten und Polizisten zu verteidigen. Das richtete sich gleichzeitig gegen die Friedensbewegung oder das BLM-movement. Aber ihre Treue zum orangen Messias überstrahlt alles und so fielen alle Republikanischen Abgeordneten (außer Kinzinger und Cheney) der Capitol Police in den Rücken. Sie kamen nicht zu den Beerdigungen, sprechen ihnen Leid und Verletzungen ab, blockieren politische Unterstützung.

Zumindest in der Capitol Police werden wohl viele der vorher treu republikanisch wählenden Beamten, bei der nächsten Wahl ihr Kreuz bei den Demokraten machen.

Noch enger sind die Bande zwischen GOP und Militär. Bedingungslose Unterstützung der Soldaten gehörte zur republikanischen DNA. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wurde reflexhaft „we appreciate your service to our country“ aufgesagt und jeder Rüstungswunsch von den Lippen der Generäle abgelesen. Damit konnte man sich nicht nur so schön als Patriot und Nationalist präsentieren, sondern auch gleichzeitig dem Waffenwahn huldigen, sowie den Demokraten unterstellen, sie wären vaterlandslose Gesellen.

Aber auch das ist nun vorbei.

Auf widerlichste Art fielen die Republikaner gestern den Army-Veteranen in den Rücken und feierten sich anschließend im Senat mit Fist-Bumps, als sie erfolgreich den bei Auslandseinsätzen durch Giftgase verletzten, bzw „Burn Pits“ (Fäkalien-Brandgrube) exponierten Soldaten die medizinische Versorgung strichen.

Republicans' brazen hypocrisy and shameless trolling on display:

Ted “Support Our Troops” Cruz's celebratory fist bump after depriving veterans of health benefits last night:

(@BettyBowers, 29.07.2022)

[… ] In der Nacht zum Donnerstag haben Republikaner überraschend den von beiden Parteien im US-Senat ausgehandelten und mit 84 gegen 14 Stimmen verabschiedeten «PACT Act» blockiert. Das Gesetz stellt bis zu 280 Milliarden Dollar für die Behandlung, Erfassung und Erforschung der katastrophalen Auswirkungen von «Burn Pits» bereit und wurde in seltener Kooperation von Demokraten wie John Ossoff aus Georgia und Republikanern wie Marco Rubio aus Florida eingebracht.

Doch nun sprangen Dutzende von Republikanern bei der endgültigen Verabschiedung ab, für die eine Mehrheit von 60 der 100 Stimmen im Senat notwendig war. Politische Beobachter sehen dies als «Racheakt» für die sensationelle Einigung über ein massives Paket von Steuererhöhungen und Investitionen in nachhaltiges Wirtschaften, die der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, mit seinem Fraktionskollegen Joe Manchin Mittwochnacht vorgestellt hat.

Entsprechend harsch fällt die Kritik an den Republikanern seitens der Demokraten aus: Es sei absolut verantwortungslos, Militär-Veteranen auf diese Weise im Stich zu lassen. [….]

(Tacheles, 29.07.2022)


[….] Prominent Republicans—a group that included Senators Ted Cruz of Texas and Steve Daines of Montana—were caught on camera fist bumping on the Senate floor after blocking a procedural vote that would clear a path for a vote on legislation to expand benefits for veterans who were exposed to toxic burn pits while in combat zones in Afghanistan and Iraq.  Burn pits are a common waste disposal practice at military sites outside the United States but have been the subject of controversy because burning solid wastes in an open pit generates numerous pollutants that cause different types of cancers, respiratory disorders, high blood pressure, autoimmune disorders and even birth defects. [….]

(Alan Herrera, 29.07.2022)

Donnerstag, 28. Juli 2022

Lindner lindnert.

 

Der devote Porsche-Befehlsempfänger Lindner scheint endlich die Flitterei auf Sylt beendet zu haben.

 Zurück nach Berlin zu kommen, wird ihm nicht gefallen. Zum Einen gibt es in der Hauptstadt Menschen, die keinen Porsche und keine Rolex besitzen, die noch nicht mal zum Essen ein paar Magnum-Champagnerflaschen köpfen. Unter dem billigen Plebs fühlt sich der Millionär generell unwohl.

Zum Anderen sind da die aktuellen Umfragen, in denen die FDP-Performance eindeutig bewertet wird.

FORSA misst 6% für die FDP und 25% für die Grünen.

So hatte sich das der schöne FDP-Chef in den Tagen der Citrus-Harmonie aber nicht vorgestellt, als Gelbe und Grüne vor den offiziellen Ampel-Koalitionsverhandlungen stylische Instagram-Bilder posteten, Ämter verteilten und ihre Einflußsphären absteckten. Vor einem halben Jahr noch, wurde die FDP als Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen gefeiert. Sie habe sich mit Bildung, Verkehr, Finanzen und Justiz im Verhältnis zu ihrem Wahlergebnis überproportional viel Relevanz erobert, bearbeite damit die wichtigen Zukunftsthemen, während die Grünen eher unwichtige Ämter und die SPD die schwierigen Jobs bekommen hätte.

Es war sicher nicht geplant, bereits im Sommer die 5%-Hürde vor Augen zu haben und mehr als viermal so starke Grüne von der Presse gefeiert zu sehen.

In der letzten Merkel-GroKo war Finanzminister Scholz neben der Kanzlerin eindeutig die dominierende Kraft der Regierung, führte seine Partei auf Platz 1 und ins Kanzleramt. So ähnlich hatte der Hepatitisgelbe sich das als Finanzminister auch vorgestellt. Als Wirtschaftsminister wäre Vizekanzler Habeck in einem schwachen Ressort, könnte nichts entscheiden und fremdele mit der Materie. Die Außenpolitik würde ohnehin im Kanzleramt gemacht, so daß Greenhornin Baerbock wie Westerwave und Maas unter die Räder käme, während er, Lindner, die Fäden ziehe und sich so in Szene setzen könne, daß 2025 der Umzug ins Kanzleramt anstünde. Regierungschef! Wichtigster Mann Deutschlands! Bundeskanzler Lindner. Als Dienstwagen einen schwer gepanzerten Porsche Panamera. Champagnerpartys mit heißen Springer-Journalistinnen in der Kanzlerwohnung. Alle Bodyguards würden knallenge Maßanzüge tragen. Drei-Sterne-Köche würden ihm das Frühstück an Kanzlerbett bringen. Bald läge ihm die Welt zu Füßen, weil man in Washington und Peking voller Neid auf den jungen dynamischen Deutschen mit der goldenen Hand für die Ökonomie blicke.

Was sich da für Kontakte knüpfen ließen! Dann wäre endlich Schluß mit dem Dasein als bloßer Millionär, der Aufstieg in die Gates-Buffett-Bezos-Musk-Liga wäre unweigerlich. Und dann die Weltherrschaft!

Statt dessen aber, vom Oktober 2021 fast forward zum Juli 2022: Alle FDP-Minister sind unbeliebt, „Lindner stürzt ab“.

[….] Habeck führt Beliebtheitsskala an, Lindner stürzt ab

[….] Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hielt die Spitzenposition. [….]  Auf Platz zwei liegt Annalena Baerbock (Grüne) [….] Besonders deutlich hat sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) verschlechtert, der nach 0,4 vor zwei Wochen jetzt nur noch auf minus 0,1 kommt. Deutlicher im Minus-Bereich liegen CDU-Chef Friedrich Merz mit minus 0,4 (minus 0,1) und die Linke Sahra Wagenknecht mit minus 0,6 (minus 0,7).  […]

(Web.de, 15.07.2022)

So hatte sich der Porschefahrer das sicherlich nicht vorgestellt.

Aber immerhin scheint der Finanzminister nicht realitätsblind zu sein und erkennt, wie nah er sich am Abgrund befindet. Für eine Partei, die wie die FDP ohne Programm und ohne fähiges Personal in eine Regierung geht, wiederholt sich die Geschichte von 2009-2013. Nach der Regierungsbeteiligung dürfte es direkt wieder in die außerparlamentarische Opposition gehen.

Hohe Zeit, noch Pflöcke für die reichen Parteispender einzuschlagen, so lange er noch an den Fleischtöpfen der Macht sitzt.

Also geht es an eine Steuerreform. Wir kennen schließlich alle das dramatische Auseinanderdriften der sozialen Schere. Die Superreichen werden immer schneller immer superreicher, weil sie durch bloßes Rumsitzen und Nichtstun als (Immobilien-)Besitzer von ganz allein jedes Jahr Milliarden dazu geschaufelt bekommen, während immer mehr Arme in immer größere Bedrängnis geraten, weil sie durch die acht Prozent Inflation kaum noch die Wohnnebenkosten und Lebensmittel bezahlen können. Sie werden auf kalt duschen und frieren eingeschworen. Tafeln schließen, weil der Andrang zu groß wird.

Einen Neoliberalen wie Lindner, der sich privat auf Luxus-Sausen amüsiert, freut es.

Also plant er Steuersenkungen für die Topverdiner, damit sie reicher werden, während die untere Hälfte der Verdienstpyramide leer ausgeht, weil sie ohnehin keine Einkommenssteuer zahlt.

[….] Die von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner vorgeschlagenen Steuersenkungen könnten einem Bericht zufolge Topverdienern besonders viel bringen. Würden etwa alle Tarifeckwerte in der Einkommensteuer um sechs Prozent verschoben, müsste ein Single mit 600.000 Euro Bruttojahreseinkommen 1100 Euro weniger Steuern zahlen, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" unter Verweis auf Berechnungen der Arbeitnehmerkammer Bremen. Dagegen würde eine vierköpfige Familie mit 40.000 Euro Jahresbrutto nur um 300 Euro entlastet. Eine allgemeine Steuersenkung, so das Fazit von Studienautor Tobias Peters, käme "primär Besserverdienenden zugute und würde sie stärker entlasten als Menschen mit kleinen Einkommen". [….]

(NTV, 28.07.2022)

So ist’s konsequent; wenn die FDP schon in die <5%-Hölle stürzt, dann wenigstens noch mal kräftig von unten nach oben umverteilen.

Deutschlands degenerierte EU-Stellung

 Willy Brandt war Europäer, Internationalist, multilingualer Friedensnobelpreisträger für die europäische Aussöhnung. Er war von 1976 bis 1992 Präsident der Sozialistischen Internationale; dem Zusammenschluss aus 147 Parteien, sowie ab 1977 bis zu seinem Tod, Chef der Nord-Süd-Kommission (der Regierungsmitglieder aus 20 Staaten angehörten.)

Helmut Schmidt leite Jahrzehnte als international angesehenster deutscher Staatsmann das Interaction Council. Er war Architekt des Euro, des G7, des Nato-Doppelbeschlusses und etablierte die französisch-deutsche Achse.

Helmut Kohl war im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern kein Intellektueller und zudem persönlich nicht integer. Er kam also nach 1998 nicht für internationale Aufgaben oder als Ratgeber in Frage. Dennoch, Kohl und Hans-Dietrich Genscher, nahmen Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer Länder, engagierten sich für die EU. Kohls bester politischer und in seinen letzten Jahren offenbar auch persönlicher Freund war der Anti-Europäer Viktor Orbán. Ihn wollte der Oggersheimer auch als Trauerredner 2017, während die von ihm verachteten Söhne genau wie der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin fern bleiben sollten.

[…] Helmut Kohl war neben und trotz aller historischen Leistungen auch ein sehr kleinlicher, patriarchalischer Mensch mit einem Elefantengedächtnis, dessen er sich selbst rühmte. Wer einmal bei ihm in Ungnade gefallen war, aus welchem Grund auch immer, ob Politiker, Journalist oder Familienmitglied, hatte so gut wie keine Chance, wieder an seinem Hof zugelassen zu werden. Diese Rachsucht wollte er offenbar über seinen Tod hinaus vermachen, ausgeführt von seiner Witwe Maike Kohl-Richter.

Demnach hat Kohl angeblich verfügt, dass Angela Merkel, die amtierende Kanzlerin, nicht bei seiner Trauerfeier reden soll. Denn Merkel hatte sich Ende 1999, auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre, öffentlich von ihm losgesagt und erklärt, weshalb er trotz seiner großen Verdienste für die Partei nicht mehr deren Ehrenvorsitzender sein konnte. Das verzieh ihr Kohl nie. Genauso wenig wie Wolfgang Schäuble, dem Kohl verübelte, dass dieser ihn vor der Wahl 1998 zum Rücktritt drängen wollte, weil Kohl seinen politischen Zenit längst überschritten hatte.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sollte nach Kohls Willen angeblich nicht reden. Denn der hatte nach dem Regierungswechsel 1998 öffentlich kritisiert, dass in den sogenannten Bundeslöschtagen brisante Akten im Kanzleramt beseitigt worden waren. Damit beschäftigte sich später ein Untersuchungsausschuss des Bundestags. Kohl fühlte sich offensichtlich in seiner Ehre gekränkt. Reden sollte stattdessen ausgerechnet Viktor Orbán, ein Anti-Europäer, der die Grundrechte und die demokratische Freiheit in Ungarn mit Füßen tritt. Kohl, der Ur-Europäer, hat ihn trotzdem schon vor Jahren zu einer Art politischem Ziehsohn gemacht. Vielleicht weil beide das antikommunistische Denken teilten, vielleicht aber auch nur, weil Orbán, nach dem Umbruch von 1989/90 politisch heimatlos, Kohl als Vorbild erwählte.

Welch verrückte Vorstellung: Dass der ungarische Premier beim Staatsakt statt der Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten Kohl rühmen sollte – es hatte vermutlich nur einen einzigen Grund: Kohl wollte es seinen alten Gegnern heimzahlen. Diese persönliche und politische Kategorie stand für ihn schon immer über vielem anderen. [….]

(ZEIT, 24.06.2017)

Gerd Schröder und Joschka Fischer reparierten die Wunden. Unter Schröder erreicht Deutschland höchstes internationales Ansehen.

(….) Joschka Fischer und Gerhard Schröder waren 1998 auch keine fertigen Außenpolitiker, aber sie hatten sich Jahre lang intensiv vorbereitet, ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessert, waren auf Reisen gegangen, hatten Fachbücher verschlungen.

Fischer ist heute ein international gefragter Experte, der eine Gastprofessur für internationale Wirtschaftspolitik an der Woodrow Wilson School der amerikanischen Princeton University zur „Internationale Krisendiplomatie“ innehatte.   Er ist Gründungsmitglied und Vorstand des European Council on Foreign Relations und Senior Strategic Counsel der Albright Group, LLC. Die ehemalige Professorin, UN-Botschafterin, US-Außenministerin und internationale Politikexpertin Madeleine Albright mag ohne den Rat ihres Freundes Joschka Fischer nicht auskommen.

Gerhard Schröder entwickelte sich ebenfalls zu einem extrem erfolgreichen Außenpolitiker, der 2001-2003 weltweit die Opposition gegen den Bush-Blair-Kriegswahn organisierte und exakt das Chaos vorhersah, das auch eintraf.   Unter Schröder genoss Deutschland vermutlich das beste internationale Ansehen seiner Geschichte.

Das Gespann Fischer/Schröder war die einzige Regierung, die im Nahen Osten gleichermaßen Respekt bei allen Parteien genoss. Sie initiierten einen Ost-West-Dialog mit Paris, Warschau und Moskau, waren die treibenden Kräfte in der EU.    Schröder-Deutschland erarbeitete sich so viel Vertrauen, daß der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Schröder sich sogar gegenseitig bei EU-Gipfeln vertraten. Chirac  stimmte für Deutschland ab und Schröder für Frankreich.   Gleichzeitig näherten sie sich Russland und der Türkei so weit an, daß echtes Vertrauen herrschte. Nie war Russland auf einem so demokratischen pro-westlichen Weg wie 2001, als Putin im Bundestag auf Deutsch sprach. (…)

(Außenpolitische Positionierung, 24.05.2021)

2001 klingt aus heutiger Sicht wie Utopia. Die Türkei und Russland werden immer noch von denselben Figuren regiert (Erdoğan wurde 2002  Ministerpräsident, Putin 2000 Präsident). Zu trauen ist ihnen nicht mehr, eine EU-Mitgliedschaft für die Türkei oder eine NATO-Mitgliedschaft Russlands sind vom Tisch.

Wandel durch Handel funktioniere eben nicht, halten nun 99% der Journalisten hämisch der Merkel-Regierung vor. Steinmeier, Merkel und Maas hätten eben bezüglich Russland alles falsch gemacht, wissen sie nun a posteriori. Vor dem 24.02.2022 war ihnen das allerdings noch nicht aufgefallen.

Richtiger ist „Wandel NUR durch Handel“ funktioniert nicht. Russland nur als gleichermaßen zuverlässigen, wie billigen Rohstofflieferanten zu betrachten, der ansonsten tun kann was er will, war offenbar falsch. Der 69-Jährige Putin ist sicherlich nicht mehr der Putin im Alter von 49. Ich glaube eher nicht, daß es zwangsläufig so kommen musste, weil das alles in seinem Charakter vorbestimmt gewesen wäre. Es war eher eine komplexe multikausale Entwicklung, die auch nicht allein von Angela Merkel abhing. Aber das ist eine müßige Diskussion, da man weder das eine, noch das andere rückwirkend beweisen kann.

Klammert man aber die aus deutscher Sicht außenpolitischen Desaster Türkei und Russland aus, sieht man in vielen anderen Staaten auch erschreckend radikale, nationalistische antieuropäische Strömungen. Das Vereinigte Königreich verließ die EU, in Polen und Ungarn regieren Rechtspopulisten. Fast wäre das dieses Jahr auch schon in Frankreich passiert. In Italien ist ein Wahlsieg der Putin-freundlichen Faschisten sehr wahrscheinlich. In weiten Teilen Süd- und Osteuropas ist Brüssel extrem unbeliebt.

Merkel ist nicht für Putins Charakter verantwortlich, aber sehr wohl trug sie als über 16 Jahre mächtigste Führungsfigur Europas zur Erosion der EU bei.

Anders als alle Amtsvorgänger im Bundeskanzleramt, fühlte sie sich nie der europäischen Idee verpflichtet. Es gibt keine wesentliche politische Initiative, die auf sie zurück ginge. Für Merkel reichte es in Brüssel immer aus, in Marathon-Nachtsitzungen den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.

Leidenschaft konnte sie nicht entwickeln. Es wurden nicht die besten Deutschen nach Brüssel geschickt, sondern die Trottel wie Oettinger, die sie im hiesigen Wahlkampf nicht mehr brauchen konnte.

(….) Die PiS ist eigentlich so rechtsradikal, daß sie in die Nazi-Fraktion "Identität und Demokratie" (Vlaams Belang, Rassemblement National RN, Wahre Finnen, Lega, AfD, FPÖ,..) gehört, wie es sich der ID-Chef Marco Zanni von der italienischen Lega-Partei wünschte, aber die meisten europäischen Rechtsradikalen sind durch Millionenkredite aus Moskau sehr Russland-hörig. Hier nimmt die traditionell Russland-feindliche PiS eine Sonderstellung ein.  Sich in diesem Sumpf eine Mehrheit für eine EVP-Kandidatin zu suchen, kann nicht elegant sein und so verzeihe ich den europäischen Regierungschefs das Gekungel um von der Leyen, die aufgrund ihrer Verwurzelung in fundamental-christlichen rechtsradikalen Schwulenhasser-Kirchen viele Fürsprecher bei Fidesz und PiS hat.  Mauscheln ist in diesem Fall unumgänglich. Schwer zu ertragen ist aber die Personalie von der Leyen an sich. Sie hat als Ministerin ihre Unfähigkeit vielfach bewiesen und mit der Finanzierung von evangelikalen „Homo-Heilern“ bewiesen wie weit rechts sie in Wahrheit steht.   Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reist auf radikal-evangelikalem Ticket und kam mit Stimmen der rechtsextremen Babiš, Orbán und Morawiecki ins Amt, bei denen sie sich auch sofort erkenntlich zeigte, als in ihren Ländern die Rechtsstaatlichkeit weiter abgebaut wurde.(…)

(EU-Personal 11.09.2019)

Bei zwei Großkrisen, für die sich Brandt, Schmidt und Schröder voll engagiert hätten und für die Kohl zumindest die Brieftasche geöffnet hätte, beendete Merkel die europäische Solidarität.

Erst bei der Finanzkrise, als sie ihren antieuropäischen Finanzlaien Wolfgang Schäuble erbarmungslos deutsche Austeritätspolitik durchprügeln ließ. Aber natürlich nur bei den armen Ländern. In Deutschland selbst tat sie das Gegenteil und legte Konjunkturprogramme auf. Dabei waren Länder wie Griechenland hauptsächlich durch aberwitzige Importe aus Deutschland, die mit Krediten deutscher Banken abgesichert waren, total verschuldet. In der Folge wurden die deutschen Banken „gerettet“, damit Millionen Deutsche, die hochverzinste südeuropäische Staatsanleihen gekauft hatten und von den Zinsen gut lebten, nichts verloren, während in Athen und Madrid über 50% der unter 30-Jährigen arbeitslos wurden. Merkel heizte zudem auch in Deutschland die antieuropäische Stimmung an, indem sie öffentlich log, die Griechen arbeiteten weniger und machten länger Urlaub als die Deutschen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie spielte mit antieuropäischen Stimmungen.

Mit Blick auf die Merkel-Regierung, ließ Kauder den Rest der EU triumphierend wissen, es werde wieder deutsch gesprochen in Brüssel.

(…..) Wie verkündete es neulich der CDU-Fraktionschef und Heckler-und-Koch-Lobbyist Kauder?
In Brüssel wird wieder deutsch gesprochen. Und leider spricht man in Deutschland auch deutsch.  Deutsch der ekelhaftesten Sorte. (….)

(Fakten und Fiktionen, 11.07.15)

Ja, da freut man sich in den anderen Staaten. Wenn Macron einen Vorschlag nach dem nächsten macht und Berlin alles nur tumb und bräsig aussitzt.  Unter der Mithilfe Kauders sitzen nun immer mehr Deutsche in den Schaltstellen der Brüsseler Macht.  Eine tolle Sache, wenn man Europa endgültig zum Stillstand zwingen möchte.

[….] Warum nennen wir die EU nicht gleich Deutsch-Europa?

[….] Mittlerweile sind wir Deutschen dabei, Anspruch auf so ziemlich alle Posten in der EU zu erheben. Ein gefährlicher Trend.

[….] Phänomenale Deutschenvermehrung in Spitzenpositionen. [….]

    Von einem Deutschen wird seit Jahren der riesige Euro-Rettungsfonds ESM gemanagt: Klaus Regling, der qua Amt möglicherweise wichtigste Mann in der kommenden Krise. Das ist der, der lange Jahre die EU-Wirtschaftsabteilung geführt hat.

    Bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) steht mit Werner Hoyer ebenfalls einer aus Deutschland an der Spitze.

    Die Chefin des Europäischen Bankenabwicklungsfonds ist: eine Deutsche - Elke König.

    Und der Präsident des Europäischen Rechnungshofs heißt Klaus-Heiner Lehne - aus dem Land, nach dem sein Name klingt.

[….]     Als oberster Beamter der EU gilt der Generalsekretär der Kommission: Martin Selmayr, aus Sie-wissen-schon.   Im EU-Parlament heißt der Generalsekretär Klaus Welle.    Und die Generalsekretärin beim Europäischen Auswärtigen Dienst ist Helga Schmid. Germany.    Die wichtigste Fraktion im Europaparlament wird derweil seit Jahren von einem Landsmann geleitet, das Parlament lange Zeit von einem gewissen Martin Schulz.   Selbst der Noch-Kommissionschef Jean-Claude Juncker aus dem schnuckeligen Luxemburg wäre das nicht geworden, so Quatremer, wenn er nicht von der deutschen Kanzlerin dort hingeschickt worden wäre. Es gehört ein ausgeprägtes Verständnis von der Selbstverständlichkeit Deutscher in Spitzenjobs dazu, jetzt noch einen EU-Kommissionschef aus Germany einzufordern. Oder einen deutschen Chef für eine in Deutschland sitzende Notenbank mit quasi-deutschen Statuten. Warum die EU dann nicht gleich in Deutsch-Europa umbenennen? Oder Deutsch-Brüssel? [….]

 (Thomas Fricke, 28.06.19)

Und dann schließlich die Flüchtlingskrise.

Die großen Migrationsbewegungen nach dem (von Merkel stark befürwortetem) Irakkrieg 2003 und dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2010 trafen auf die Länder die südlichen und östlichen EU-Außengrenzen.

Im Dublin-II-Abkommen wurde geregelt, daß die Erstaufnahmestaaten für das Asylverfahren eines Asylantragsstellers aus einem Drittstaat zuständig waren. Griechenland und Co gerieten schnell an ihre Grenzen, bettelten immer wieder um Europäische Solidarität.  Merkel ließ die Südstaaten eiskalt allein, wies auf Dublin II und freute sich über die geographische Lage Deutschlands – weit weg vom Mittelmeer.

Zweimal hatte Deutschland sich von seiner häßlichen Seite gezeigt, Solidarität verweigert. 2015 wollte Merkel dann selbst Solidarität und versuchte die Regeln, auf deren Einhaltung sie zuvor pochte, zu Gunsten Deutschlands ändern.

Nun ist es Bundeskanzler Scholz, der auf Solidarität der anderen Europäer hoffen muss, wenn hierzulande das Gas knapp wird.

Putin weiß, wie schwierig das wird, nachdem Merkel-Deutschland Solidarität als Einbahnstraße verstanden hatte.

[….] Sanktionen haben die Eigenart, dass sie Gegensanktionen nach sich ziehen. Insofern kann man die russische Gaspolitik als Antwort auf den Strafkatalog des Westens interpretieren, der wiederum als Antwort auf den Ukraine-Überfall erlassen wurde. Wenn nun also der Gasfluss aus Russland nachlässt und möglicherweise ganz versiegt, dann nutzt alles Zetern und Hadern nichts: Wladimir Putin antwortet auf den Druck aus dem Westen mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.  Diese Mittel schaden Europa sehr, Russland hingegen nur wenig. Gas trägt nicht nennenswert zum Budget des Landes bei. [….] Europas Albtraum beginnt erst, denn die Energieabhängigkeit verlangt nach einem verlässlichen Lieferanten. Russland will aber nicht mehr verlässlich und vertragstreu sein, weil es exakt diese Unberechenbarkeit ist, aus der Albträume gemacht sind. Deswegen also sinkt nun die Füllmenge in Nord Stream 1, vielleicht steigt sie in der Pipeline "Bruderschaft", vielleicht sinkt sie auch dort wieder und steigt in der Jamal-Röhre, die seit Monaten schon leer ist. Jede der Pipelines endet in einem anderen Land, jede Situation wird neue Rivalitäten, Verteilungskämpfe und EU-Streitigkeiten auslösen. So war es von Putin geplant, so wird es kommen. [….]  Russland bringt jetzt Nord Stream 2 unter dem Vorwand einer technischen Überlegenheit als Ersatz für Nord Stream 1 ins Spiel, deutet auf Turbinen-Probleme und verweist großzügig darauf, dass die Röhre ja bereits gefüllt sei. Das ist natürlich ein vergiftetes Angebot, der perfideste Köder seit Troja. [….] Der russische Präsident sitzt nicht nur am Rohstoff-Regler, sondern auch am politischen Druckventil. [….]

(Stefan Kornelius, 27.07.2022)