Es kommt
immer wieder vor, daß ich mit Gleichaltrigen über unsere Schulzeit sinniere.
Damals
lief die Zeit bekanntlich viel langsamer. Man war beispielsweise sein halbes
Leben lang 15 und wartete ewig darauf 16 zu werden.
Zwischen
25 und 26 verrinnt die Zeit deutlich schneller. Das Jahr von 35 auf 36 ist in
einem Fingerschnippen erledigt und 45 oder 46 kann man gar nicht mehr als Unterschied
wahrnehmen, weil da die Jahre wie Sekunden wegtickern.
Da die
Teenagerzeit also subjektiv extrem lang war und sehr intensiv mit vielen
Veränderungen gelebt wurde, erinnert man sich in der Regel sehr gut daran.
Der
Schulunterricht ist mir noch extrem präsent; ich erinnere mich an alle Lehrer
und weiß teilweise sogar noch die Stundenpläne. Der grausige Donnerstag in
der SIII/SIV beispielsweise, als man in der Nullten Stunde English hatte, dann zwei
Freistunden, gefolgt von vierstündigen Naturwissenschaftsblock und erneut zwei
Freistunden bis schließlich am Nachmittag die unerträgliche Doppelstunde
Psychologie bei der ständig verwirrten Frau Kirchbuddler kam.
Eine
dieser abwesenden Lehrerinnen, die einem nach einer ausführlichen Stellungnahme
anlächelte und sagte „Entschuldigen Sie, ich habe gar nicht zugehört, könnten
Sie noch mal wiederholen was Sie gesagt haben?“.
In den
legendären 80er Jahren gab es zwar poppige Frisuren und spacige Mode, aber dafür
bei Weitem nicht den Komfort, den heutige Schüler genießen.
Klar,
wir kannten weder Computer noch Handy. Aber es gab auch keine Aufenthaltsräume,
keine Cafeteria, nichts.
Man
mußte einfach draußen vor den Oberstufenräumen warten. Und im Winter ist das
nicht so lustig – außer man wohnte zufällig so nah an der Schule, daß es sich
lohnte nach Hause zu gehen.
Ich fuhr
immer mit dem Bus ins nächste Einkaufzentrum. 12 Minuten Fahrt und dort ab ins Kaufhofcafé.
70er
Jahre Schick mit braunen abgewetzten Cord-Bänken und Plastikgeschirr.
Selbstbedienung,
extra trostlose Deko und der Becher Automatencafé für eine Mark.
Bei
einer Freistunde hatte man genau 20 Minuten Zeit bis man wieder zum Bus mußte,
um zurück zur Schule zu fahren.
Ich
könnte heute noch genau die Anordnung der Tische aufzeichnen.
An
manchen Tagen hockte man länger im Kaufhof-Café als in der Schule. Natürlich
mußte immer einer auf den Eingang gucken – für den Fall, daß ein Lehrer
reinkam, dessen Unterricht man zuvor geschwänzt hatte.
Die
lähmende Ödnis der Kaufhof-Gastronomie wirkte erstaunlicherweise immer noch
attraktiver, als wieder aufzubrechen, um zurück zu Schule zu fahren.
Oft
blieb man also einfach sitzen und beobachtete die anderen Gäste, welche diese
geilen Kümmelstangen mit Käse für Zweimarkfuffzich aßen.
Oder
Nudelsalat; Portion für zwei achtzig.
Als
Schüler waren die finanziellen Mittel allerdings begrenzt. Das gesamte Taschengeld
ging natürlich für Kaffee und Zigaretten drauf. Aber das stillte ja ohnehin den
Hunger. Man sparte sich das Geld für Sinnvolleres. Und ein Gramm Dope kostete
auch immerhin mindestens acht Mark.
Ich kann
mich sowieso nicht erinnern in meiner Schulzeit gegessen zu haben.
In der Schule
gab es nichts, im Einkaufszentrum war es zu teuer, VOR der Schule war es zu früh
und schon gar nicht hätte ich mir was zu essen in die Schule mitgenommen – das war
nur was für die echten Deppen.
Eigenartigerweise
erinnere ich mich nicht daran mich jemals gelangweilt zu haben.
Irgendetwas
heckte man immer aus, plante man.
Neben
den Schulbüchern befand sich in der Schultasche eigentlich immer nur eins
dieser dicken Din-A4-Ringbücher mit kariertem bräunlichem Umweltschutzpapier.
Daran klemmten ein oder zwei schwarze GeHa-Inkys, mit denen man quasi ununterbrochen
irgendetwas kritzelte, schrieb, zeichnete, ausmalte.
Darauf
verfasste man Aufsätze, rechnete Matheaufgaben, konstruierte neue Schimpfworte,
malte Karikaturen und notierte alles Wissenswerte.
Wenn man
sich so in seine eigene Schulzeit zurückfallen läßt, ist es nahezu unvermeidbar
sich mit den Möglichkeiten der heutigen Jugendlichen auseinanderzusetzen.
Durch
iPhones und Internet muß ihr Leben ungeheuerlich vereinfacht sein. Ein einziges
Zuckerschlecken. Aber diese technischen Möglichkeiten bringen auch eine
unermessliche Menge von Ablenkungen und zusätzlichen Stressfaktoren mit sich.
Man
vergleicht sich wohl nicht mehr nur mit den anderen Gören, die man im Bus oder
dem Kaufhofcafé sieht, sondern buchstäblich mit der ganzen Welt.
Wenn ich
mir die Homepage meines alten Gymnasiums ansehe, erkenne ich kaum etwas wieder.
Unglaublich, was die Schüler dort inzwischen alles haben. Eine Aula. (Zu meiner
Zeit fanden alle Versammlungen, Theateraufführungen, Treffen in der sogenannten
„Pausenhalle“ statt. Ein einfacher Pavillon mit 2m Deckenhöhe ohne die
geringste Einrichtung, ca 10 mal 20 m groß und chronisch überfüllt). Ein
Computerraum. Ein Oberstufenraum, eine Cafeteria, ein Hausarbeitsraum. Ein
kleiner Kaufladen. Vermutlich gibt es auch ein Dutzend tamilische WC-Butler,
die den Schülern die Hintern mit Watte abtupfen.
Was für
Waschlappen! Über die heutige Jugend und ihre Luxusansprüche kann ich nur
staunen – wohlwissend, daß ich nun genauso klinge wie die Omen und Open, über
die ich damals verächtlich den Kopf schüttelte, wenn sie einem darlegten wie
einfach man es im Vergleich zu den Kriegszeiten hatte.
Haben
Sie überhaupt gedient?
Die
stark zunehmende Zahl seelischer Erkrankungen Jugendlicher, das Komasaufen,
Millionen verschriebenen Ritalindosen, der Markenterror, die große Zahl der
Schulabbrecher weist aber daraufhin, daß trotz der offensichtlichen enormen
Vereinfachungen des Schülerlebens von 2014 die Stressfaktoren nicht
ausgestorben sind. Sie haben sich nur verlagert.
Wie die
alten Säcke, die ich zu meiner Jugendzeit verachtete, weil sie immer meinten
wir hätten es viel zu einfach und es täte uns gut mehr zu arbeiten, neige ich
jetzt auch dazu mehr Druck auf Schüler zu verlangen.
Es kann doch
nicht richtig sein, daß Jugendliche aus den Schulen in ein Arbeitsleben
entlassen werden, die laut der Arbeitgeber zu über 50% gar nicht
ausbildungsfähig sind.
In den
MINT-Fächern der Universitäten müssen erst einmal Mathematikgrundlagen
vermittelt werden, weil heutige Abiturienten keine Zinsen und Prozente kalkulieren können.
Sie
benehmen sich schlecht, können kein englisch, haben nicht zu entziffernde
Handschriften und Rechtschreibung scheint langsam als spinnertes Hobby der
deutschen Geronten angesehen zu werden.
Wir wurden
noch angehalten falsches Deutsch sofort zu verbessern. Wies man jemand auf den
Unterschied zwischen Genitiv und Dativ, die korrekte Verwendung von „trotzdem“
und „obwohl“ oder die Bedeutung von „das und daß“ hin, bedankte sich der
Korrigierte.
Das
gemeinsame Ziel richtiges Deutsch zu sprechen und zu schreiben, wurde nie in
Frage gestellt.
Die
heutigen Schüler scheinen den Unterschied von „das“ und „dass“ nicht mehr zu
kennen. Sofern ich einen in den sozialen Netzwerken treffe und das Thema
anspreche, werde ich bloß ausgelacht.
Kopfrechnen
und Rechtschreibung sind heute doch überflüssig heißt es dann. Das macht die
Autokorrektur im Schreibprogramm und bei Facebook verstehen doch auch alle so
was gemeint ist.
Das
Argument ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aber ich glaube trotzdem, daß
es falsch ist.
Die
Grundfertigkeiten Lesen, Rechnen, Schreiben sind nämlich ein Ausweis der Kultur
und führen zu analytischem Denken.
Wer in
formalen Dingen schlampt muß auch inhaltlich nicht so gründlich nachdenken.
Meinungen werden nicht mehr entwickelt, sondern reproduziert.
Argumente
werden nicht mehr überlegt, sondern gegoogelt.
Glaubwürdigkeit
wird extern eingeholt.
Man muß
nur fertige Meinungen „liken“.
Kampagnen
anklicken und Onlinepetitionen virtuell abzeichnen für ein gutes Gewissen.
Die
Auswirkungen scheinen mir in einer zunehmenden Denkfaulheit offensichtlich zu
sein.
Man
wählt Merkel wegen ihres legendären Satzes „Sie kennen mich!“
Das muß
reichen. Gläubig zu sein ist „in“, weil Franziskus so bescheiden ist. Und gegen
Putin ist man, weil er ein homophobes Gesetz unterstützt. Und TTIP ist schlecht
wegen des Lobbyeinflusses. Und Gerd Schröder ist böse wegen HartzIV.
An allen
diesen Statements ist ein bißchen Richtiges.
Aber
deswegen Urteile zu fällen ist extrem unterkomplex.
Die
jeweilige Umstände, die möglichen Alternativen und die eingeengten
Handlungsspielräume werden gar nicht mehr bedacht.
Man
urteilt, ohne sich ein Urteil bilden zu können.
Weil das Denken outgesourced ist.
Man hat
ja auch ein Rechtschreibprogramm.
In diesem
Zusammenhang wende ich mich auch entschieden gegen Projekte, die Schüler von Anfang an nur auf dem Laptop
lernen lassen.
Ich
befürchte, daß viele Fertigkeiten, die nur mit gewisser Mühe zu erlernen sind,
dadurch verkümmern und letztendlich das ganze Denken simplifiziert wird.
Sich
gegen Computer in der Schule zu positionieren ist ein aussichtsloser Kampf,
aber das entsprechende Hamburger Pilotprojekt widerstrebt mir in extremer
Weise.
[…] Der Einsatz von digitalen Medien könnte den
Unterricht in der Hansestadt schon bald revolutionieren: Laptops sollen Tafeln,
Hefte und Schulbücher vom Sommer an zunächst in sechs Hamburger Schulen
weitgehend ersetzen. Der Pilotversuch "Start in die nächste
Generation", den Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Dienstag vorstellte,
sieht vor, dass insgesamt rund 1300 Schüler künftig vor allem anhand digitaler
Lernmaterialien unterrichtet werden und dafür im Klassenraum ihre eigenen
Laptops, Tablet-Computer und Smartphones nutzen. Wer kein eigenes Gerät
besitzt, wird von der Schule ausgestattet. Die Lehrer sollen ihren Unterricht
stark auf digitale Medien abstellen und interaktive Lernsoftware einsetzen wie
beispielsweise Programme zur Simulation von naturwissenschaftlichen
Experimenten. Ziel ist es, die Schüler auch im sinnvollen Umgang mit Medien zu
schulen.
Für den Schulversuch
erhalten alle Klassenräume der Gymnasien Ohmoor, Altona und Osterbek sowie der
Stadtteilschulen Humboldtstraße, Oldenfelde und Maretstraße drahtlose
Internetverbindungen.
[…] Das
Interesse der Schulen hat selbst Senator Rabe überrascht: 21 hatten sich für
das Pilotmodell beworben, die Finanzmittel – insgesamt 892.000 Euro – reichen
aber nur für sechs Schulen, deren Schulkonferenzen dem Pilotversuch unter
Einbindung der Elternvertreter zustimmen mussten. […]
Es tut
mir Leid, aber ich bin zu alt und zu konservativ, um mich mit dem Gedanken
anzufreunden, daß nun Handschrift, Rechtschreibung und Kopfrechnung ganz
aussterben werden.
Ich bin
dagegen!
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