Bah.
Baaaaaah. Ich bin irgendwie deprimiert.
Alles
ist so scheiße. Wo man auch hinsieht. Wir werden von Idioten regiert, die noch
nicht mal handwerklich in der Lage sind ein Gesetz zu verabschieden, weil sie zu amateurhaft durch den Tag stolpern.
Crazy
Horst sagt der gelernten DDR-Bürgerin Merkel durch die Blume sie habe die BRD in einen Unrechtsstaat verwandelt,
während Pest-Politiker aus der kraftstrotzenden AfD von Schießbefehlen auf Kinder und Frauen
faseln – was nicht etwa zu einem demoskopischen Absturz führt, sondern den
Urnenpöbel so begeistert, daß die AfD sogar noch stärker wird.
Außerdem
habe ich gerade noch Ärger der ganz unangenehmen Art, privat quasi, im
Zusammenhang mit einem Brief, den ich Monat vom Finanzamt erhielt.
Diese
Art Briefe, die man eigentlich nie bekommen möchte.
Eigentlich
hatte ich beschlossen nie mehr Geld auszugeben und zu dem Zweck für immer in
meiner Wohnung sitzen zu bleiben.
Lange
hielt ich allerdings nicht durch und ging heute Abend groceryshoppen zu den
Fußballern. Unglaublich, aber wahr, ausgerechnet ich Fußball-Hasser kaufe
regelmäßig im Laden des Ex-St. Pauli-Fußballtrainers Holger Stanislawski ein.
Der
Laden gehört ihm zusammen mit Ex-HSV-Profi Alexander Laas.
Stanislawski und Laas ist aber der große Supermarkt, den
ich mit dem Auto am praktischsten erreichen kann.
OK, der
neueste EDEKA-Niemerszein Lange Reihe ist wohl noch
etwas näher und sehr schick, aber da ist die Non-Food-Abteilung kleiner und ich
brauchte heute allerlei Putzmittel.
Außerdem,
das gebe ich zu, fühle ich mich in dem Edel-Niemerszein Lange Reihe irgendwie
seltsam, weil das ja die schwulste Straße Hamburgs ist – der Kern von St.
Gayorg.
Ich mag
Schwule sehr gern, aber als ich das letzte Mal in dem Laden war, kam ich mir
vor wie ein verlotterter aufgequollener Opa – anscheinend kaufen da nur Models.
Alle jung, alle makellose Haut, alle ohne ein Gramm Fett, alle muskelbepackt,
alle topmodisch.
Das ist
irgendwie schon ein „Problem“ an den Szene-Schwulen. Die sehen alle so
unfassbar gut aus, daß man selbst als jemand, der eigentlich nichts auf
Äußerlichkeiten gibt, eine leichte Verunsicherung spürt.
Aber die
Lange Reihe ist eben DIE Flaniermeile der Hippen. Erstaunlich. Als ich
studierte, vor Äonen, fuhr ich immer mit dem Bus durch die Lange Reihe. Da war
es da noch richtig finster. Straßenstrich und Drogenumschlagplatz. Abends wollte
man da wirklich nicht allein aussteigen. Und jetzt muß man da für eine
Eigentumswohnung mindestens 7.000 Euro den Quadratmeter hinlegen.
Gentrifizierung wie sie im Buche steht. Und die Homo-Dinks (Double Income No
Kids) mit ihrem Geld und Geschmack sind schon irgendwie ursächlich.
Hier
entwickelt sich wohl in der Tat eine der gefürchteten Parallelgesellschaften.
Selbst
wer noch nie in Hamburg war, hat vermutlich schon von der Reeperbahn gehört. Eine der berühmtesten Rotlichtgegenden der Welt.
Auch das ist eine Parallelgesellschaft. Ebenso wie der zu St. Georg („Gayorg“)
gehörende Steindamm. Das Abendblatt portraitierte ihn vor einigen Wochen als „Orient
am Steindamm in Hamburg.“
St. Georg. An syrischen Restaurants, türkischen
Imbissen, Barbieren und Shisha-Shops schieben sich Frauen mit Kopftüchern und
Männer mit dunklen Haaren vorbei. Alle paar Meter drehen sich die Dönerspieße,
es gibt Baklava, Apfeltabak und Minztee. Tausend und eine Nacht im Neonlicht
der Handyläden. Willkommen in Hamburg, willkommen am Steindamm.
Seitdem die Zahl der
Flüchtlinge im Sommer nach oben geschnellt ist, ist hier noch mehr Trubel als
ohnehin immer war. Wolfgang Schüler hat die Entwicklung genau beobachtet. Als
Quartiersmanager geht er den Steindamm fast jeden Tag auf und ab. [….]
Dass der Steindamm bei
vielen Hamburgern immer noch einen schlechten Ruf hat, kann er nicht verstehen.
"Anderswo würde man das einfach Little Italy oder China Town nennen und
damit werben. Wo ist denn das Problem?" [….] Er findet:
Im Moment läuft es richtig gut. "Auch durch die vielen Flüchtlinge, die
jeden Tag kommen, wird hier ein richtig gutes Geschäft gemacht. [….]
Dass die Straße mit
Flüchtlingen umgehen kann, habe sie schließlich schon mal gezeigt. "In den
Neunziger-Jahren war die Situation ähnlich", erinnert sich Schüler.
"Da kamen auch Tausende Menschen zusätzlich an den Steindamm, die heute zu
guten Nachbarn geworden sind. Und wenn man ehrlich ist, haben sie das Viertel
damals vor einem massiven Leerstandsproblem gerettet."
Ob die Zahlen der
geflohenen Menschen derzeit zu Problemen führe? Zu Gewalt, Auseinandersetzungen
verfeindeter Gruppen oder Diskriminierung? Schüler schaut, als würde man ihn
fragen, wann er das letzte Mal zum Mond geflogen ist. "Solche Probleme gibt
es hier nicht", sagt er. [….]
[….]
Der
Hamburger Steindamm IST zwar eine Parallelgesellschaft, allerdings verstehe ich
nicht, wieso Parallelgesellschaften jemand stören.
In den
meisten anderen großen Städten in Westeuropa und Amerika ist es ganz normal. In
New York gibt es das berühmte „Little Italy“ oder „Chinatown“ und sogar ein
deutsches Viertel.
Also für
mich geht das völlig OK.
Es gibt
ja vielfach in Deutschland reine Schwulenviertel, hier ist es St. Georg, das
Uni-Viertel (Rotherbaum, wo nur Studenten sind), das Alternativ-Viertel, wo die
Autonomen und Ökos abhängen (Schanze und
Karolinenviertel), das Ibero-Viertel vor der Speicherstadt, wo es all die
spanischen und portugiesischen Restaurants gibt, Villenviertel in Harvesterhude
und dann natürlich reine Rotlichtviertel
(Reeperbahn!) etc.
Warum soll
es kein Türken- oder Italiener-Viertel geben?
Das
Eigenartige ist in Hamburg, daß St Gayorg – dazu gehört auch der Steindamm –
ausgerechnet ein Kombi-Viertel für Schwule und Muslims ist.
Die
haben alle Toleranz gelernt. Kurioserweise ist MITTEN in der schwulsten Gegend
von St Georg überhaupt der katholische Mariendom, in dem unserer neuer
Erzbischof Stefan Heße hockt.
Katholiken
gibt es da so gut wie keine – nur Moslems und Homos.
Aber
irgendwie haben die sich offensichtlich arrangiert. So gut sogar, daß die
Gegend jetzt so gut funktioniert, daß die Mieten auch so explodieren, weil
jeder dahin ziehen will.
So etwas
Ähnliches gibt es auf der Hamburger Insel „VEDDEL“.
Das war
ursprünglich mal der ärmste Stadtteil Hamburgs für die Hafenarbeiter.
Dann
wurde es langsam zum reinen Ausländergetto und weil die Mieten in den anderen
Stadtteilen so steigen, sind in den letzten Jahren aber viele Studenten dahin
gezogen.
Die
Mieten sind auf der Veddel immer noch relativ günstig und viel los ist da auch
nicht, aber es gilt auch als absolut friedlich und tolerant.
Das hat
sich so rumgesprochen, daß auf einmal alle auf die Veddel ziehen wollen.
Stadtteile
verändern sich immer und wenn sich Parallelwelten bilden, finde ich das gut.
Stanislawski
und Laas liegt in Winterhude, aber dem nicht so schicken Teil des Stadtteils.
Es gibt dort in dem Markt noch weitere kleine Läden.
Als ich
da heute reinschlurfte, ging ich zuerst zu Shahram Pourkazemi, dem netten Inhaber von tabak lotto presse et cetera, um mir ein
Platinum-Rubbellos für zehn Euro zu kaufen. Meine Finanzsituation und so. Ich
muß da was unternehmen. Ich schätze Herrn Pourkazemi sehr, aber heute hatte er
einen miesen Tag und händigte mir eine totale Niete aus.
Mist,
die 500.000 Euro Hauptgewinn hatte ich schon fest eingeplant.
Macht
nichts, nebenan bei den herzlichen Türken von „Feinkost Kaya“ wurde ich wie
immer freudestrahlend begrüßt und sofort animiert alles Mögliche zu probieren.
Die Jungs da sind nicht zu bremsen. Und jedes Mal, wenn man zu Hause seine
Kaya-Tüte auspackt, haben sie einem noch zusätzliche Köstlichkeiten geschenkt.
Im
eigentlichen Markt diskutierte ich dann mit Frau Wagner aus Kasachstan, der
Käse-Dame, darüber wie man „Alter Schwede“ heiß macht. Sie tut den in die
Mikrowelle. Ach Du Schreck. So etwas wage ich nicht. Dafür habe ich ihr aber
noch einmal genau erklärt, wie man meinen berühmten amerikanischen
Roquefort-Blumenkohl-Dip macht. Hatte ich ihr schon vor einigen Wochen mal
erklärt, aber sie mußte noch mal nachhaken.
Da sie
allein war, mochte ich nicht so lange wie üblich im Plausch verweilen, weil neben
mir schon andere Kunden warteten. Eine junge blonde Frau, die mich aus dem
Augenwinkel an die Tochter einer Freundin erinnerte.
Sie
schmiegte sich an ihre dunkelhaarige Freundin, Fröhlich glucksend steckten sie
die Köpfe an der Auslage zusammen und debattierten, was sie noch zu Hause
hätten und was gekauft werden müsse.
Ich
glaube, es war ein lesbisches Paar. Aber wer weiß das schon so genau heute?
Vielleicht waren es auch sehr vertraute Freundinnen, die zusammen wohnen.
Inzwischen
fragte ein Mann links neben mir nach, ob ich den Blumenkohl wirklich roh äße.
Ja, natürlich! Das ist das Geheimnis! Den isst man nur roh.
Man
kommt auch in so einer Normalogegend schlecht voran, wenn man sich einigermaßen
freundlich benimmt und dadurch in viele Gespräche verwickelt wird.
An der
Kasse steuerte ich auf meine Lieblingskassiererin zu, von der ich
peinlicherweise nicht den Namen weiß. Normalerweise gebe ich mir immer so große
Mühe Menschen mit ihrem Namen anzureden. Aber diese Kassiererin, eine richtig
schwarze Kubanerin ist immer so herzlich zu mir, daß ich immer das Gefühl habe
wir kennen uns schon ewig und wären befreundet. Da ist der Punkt irgendwie
verpasst, an dem man noch fragen kann „wie heißen sie eigentlich?“.
Wir
stimmten gerade voller Verve darüber überein wie gut es wäre in einer Gegend
der Welt zu leben, die über Jahreszeiten verfüge. Wie albern es doch sei
schlechtes Wetter zu beklagen, es wäre doch langweilig immer die gleiche
Witterung zu haben. So wie in Kalifornien. Schrecklich.
Allerdings
stimmten wir auch darin überein, daß Tropennächte großer Mist sind. Wenn die
Stadt nicht abkühlt nachts im Hochsommer und man deswegen nicht schlafen kann.
Das fand
dann auch der Mann, den ich schon an der Käsetheke gesehen hatte, der seinen
Freund dabei kichernd in die Seite buffte.
Auf dem
Rückweg dachte ich daran, wie sich ein Mitschüler von mir mit 16 geoutet hatte
und was das für ein Donnerwetter bei seinen Eltern gab. Auf dem Pausenhof haben
sich einige meiner Freunde und ich immer schützend in seine Nähe gestellt, weil
doch recht unfreundliche Kommentare dazu kamen.
So
scheiße heute alles ist, aber wenn ich mich heute beim Einkaufen so umsehe, muß
ich sagen, daß wir Kinder der 80er es weit gebracht haben.
In einer
völlig durchschnittlichen Gegend ohne Glamour laufen abends Lesben, Schwule,
Schwarze, Iraner und sogar ich umher – und es interessiert keinen Menschen.
Keiner guckt komisch, wenn Männer Händchen halten und die Menschen um einen
herum haben alle Hautfarben, die man sich denken kann.
Die
Apotheke von Dr. Behrouz Effat Parvar, in der ich noch
etwas Lavendelöl kaufte, ist die freundlichste, die man sich denken kann. Niemand
quakt rum, weil die Inhaber Kopftuch tragen.
Für
Seehofer, Petry, Scheuer, Höcke, Kuby, Kelle, Beverfoerde, Berger, Söder und
Gauland mag das alles ein Alptraum sein, aber ich finde es klasse.
Ich
möchte nicht mehr in einer homogen-weißen-hetero-deutschen-Christengesellschaft
leben.
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