Gerade komme ich vom Groceryshopping bei meinem REWE.
Für
einen Supermarkt ist dieser REWE recht angenehm, weil er so groß ist, daß man
nicht mit anderen Kunden kollidiert und insbesondere, weil dort keine
Hintergrundmusik läuft.
Um 22.00
Uhr da zu sein ist besonders gut, weil dann auch keine lärmigen Kinder mehr
durch die Gänge toben.
Allerdings
begegnete ich einem entfernten Bekannten, der mir erklärte, ohne daß ich ihn
dazu aufgefordert hätte, wie ihn die vielen Stände mit Weihnachtsdekoration,
Glühwein und Stollen nervten.
Ich sah
mich kurz um; tatsächlich. Alles voll mit dem Zeug.
Offenbar
habe ich mir inzwischen einen derartigen Tunnelblick angewöhnt, daß ich die
saisonalen Dinge, die mich nicht interessieren, gar nicht wahrnehme.
Meine
Mutter fuhr vor ca 20 Jahren mal einen schwarzen Fiat Barchetta mit Hardtop.
Wirklich ein süßes Auto, das durch seine runden Formen so extravagant wirkte.
„So ein
kurioses Auto hast Du noch nie gesehen“ sagte ich zu einer Freundin, die ich
von der Arbeit abholte. Barchetta kannte sie nicht. Kurze Zeit später fuhr ein anderer Barchetta auf der
Nebenspur. Ich konnte es nicht fassen, weil ich annahm, meine Mutter fahre den
Einzigen weit und breit. Aber weit gefehlt. Wenn man drauf achtet, sieht man
die Dinger an jeder Ecke. Das war mir nur früher nie aufgefallen, weil mich
Autos nicht interessieren.
Genauso
erging es mir einst, als ich völlig geschockt ob meiner
MINUS-EIN-VIERTEL-DIOPTRIN-Diagnose vom Augenarzt kam, der mir empfahl mit
einem Optiker zu sprechen. Meine erste Brille wäre fällig. BRILLE? Optiker? Ich
kannte keine Optiker. Wie findet man so einen? Wo muss man denn da ganz
hinfahren?
Auf dem
kurzen Weg nach Hause dann die Überraschung – sage und schreibe fünf
Brillengeschäfte zählte ich beim Vorbeifahren. Die gibt es wie Sand am Meer.
Ich hatte nur nie vorher einen wahrgenommen, da ich selbst keine Brille trug.
Wenn mir
also nicht gerade in penetranter Lautstärke irgendwo in der Öffentlichkeit „Stille
Nacht“ vorgespielt wird, bemerke ich weihnachtliche Dekoration nicht.
Klar,
wenn man drauf hingewiesen wird, ist der REWE voll mit dem Zeug. Aber wen
wundert es? Schließlich ist morgen schon Nikolaus.
Offensichtlich
gibt es haufenweise Kinder und Eltern, die dem entsprechenden Konsumzwang
frönen.
Für mich
ist das aber zu lang her. Weihnachten, Silvester, Ostern und Co ignoriere ich
seit mehr als drei Dekaden.
Meine Mutter
pflegte auf die Frage „was machst du Weihnachten?“ zu antworten „da gehe ich
nicht hin!“
Wie
viele Menschen habe auch ich etwas rosige Kindheitserinnerungen an Weihnachten,
das wir bei meiner Oma mütterlicherseits begingen.
Meine
Oma starb aber 1982; der 24.12. 1982 war das erste Weihnachten ohne sie und
endete in allgemeiner Depression.
Wie sich
herausstellte, hing der Rest weniger an dem christlichen Fest, der Tradition
oder den Geschenken, denn an meiner Oma, die eine sehr besondere Stellung
innerhalb der Familie einnahm.
Sie wurde geliebt, war aber auch gleichzeitig Autorität. Mein Oma war eine extrem elegante und selbstbewußte Frau, die schon im 1. Weltkrieg einen Führerschein machte und in den 20er Jahren in einem Cabrio durch die Stadt düste; ihre beiden ältesten Kinder hinten auf dem aufgeklappten Notsitz.
Sie wurde geliebt, war aber auch gleichzeitig Autorität. Mein Oma war eine extrem elegante und selbstbewußte Frau, die schon im 1. Weltkrieg einen Führerschein machte und in den 20er Jahren in einem Cabrio durch die Stadt düste; ihre beiden ältesten Kinder hinten auf dem aufgeklappten Notsitz.
Sie
hielt die Familie, die längst nicht mehr zusammenwohnte, zusammen.
Ich bewunderte sie grenzenlos und wußte wohl schon als Kind instinktiv, daß wir nachfolgenden Generationen verglichen mit ihr alle Proleten waren; nie so viel Haltung zeigen könnten.
Ich bewunderte sie grenzenlos und wußte wohl schon als Kind instinktiv, daß wir nachfolgenden Generationen verglichen mit ihr alle Proleten waren; nie so viel Haltung zeigen könnten.
Haltung
in vielfachem Sinne. Im ganz hohen Alter saß sie immer kerzengerade, hätte
niemals gejammert oder sich gehen lassen.
In den
1930ern ging sie bewußt im hellen Tageslicht zu ihren jüdischen Schneidern, denen
die Familie seit Generationen verbunden war.
Es ging ihr womöglich gar nicht so sehr darum ein Zeichen zu setzen oder der Gestapo zu trotzen. Aber ihr persönlicher Anstand erforderte es zu ihnen so höflich wie immer zu bleiben.
Es ging ihr womöglich gar nicht so sehr darum ein Zeichen zu setzen oder der Gestapo zu trotzen. Aber ihr persönlicher Anstand erforderte es zu ihnen so höflich wie immer zu bleiben.
Es gab
dann einige anonyme Anzeigen gegen sie, weil die Deutschen nun mal zu gerne
denunzieren. Aber auch das Nazi-Regime zeichnete sich durch eine gewisse
Willkür aus, so daß sich meine Oma immer wieder herausreden konnte.
So eine
Frau war meine Oma und nach dem Weihnachten 1982 ohne sie, sagte meine Mutter
aller weiteren Weihnachtsfeiern für den Rest ihres Lebens ab.
Ich fand
das nur konsequent. Die Generation meiner Oma, die noch im 19. Jahrhundert
geboren wurde, war ausgestorben.
Einige Jahre später; ich wohnte zum erstem mal allein, studierte, wurde mir erstmals bewußt, wie viel Glück im Unglück ich hatte.
Einige Jahre später; ich wohnte zum erstem mal allein, studierte, wurde mir erstmals bewußt, wie viel Glück im Unglück ich hatte.
Freunde,
die in anderen Ländern oder Städten studierten, kamen über Weihnachten nach
Hamburg, riefen mich an, wunderten sich, wie ich die Tage ganz allein
verbringen konnte. Bis zum 25.12., spätestens 26.12. – da riefen sie wieder an,
auf der Flucht vor ihrer eigenen Familie.
„Kann
ich vorbei kommen? Ich halte das hier nicht mehr aus. Du machst es richtig!“
Ich
begann mich privilegiert zu fühlen.
War das
ein Glück, daß ich diesen Kaufrausch, das Singen und „festliche Beisammensein“
nicht mitmachen musste.
Das Wort
„chillen“ war noch lange nicht erfunden, aber tatsächlich chillte ich in diesen
Tagen. Zu keiner anderen Zeit im Jahr hat man als Großstadtbewohner in einem
Mietshaus mit kleinen Wohnungen so eine Ruhe.
Schließlich
wohnen in den umliegenden Wohnungen fast nur Singles, die zu diesem
Familienfest ihre Verwandten in größeren Behausungen aufsuchen.
Drei
Tage völlige Ruhe. Kann es etwas Schöneres geben?
Inzwischen
habe ich vergessen, daß es familiäre Zwänge, gesellschaftliche Konventionen und
christliche Riten gibt, die eine Weihnachtsfeier
erfordern.
Seit
einiger Zeit lese ich allerdings wieder in den sozialen Netzwerken Postings wie
dieses.
Angeblich
soll es zur Feier von Christi Geburt die meisten Suizide geben, weil den
Menschen ihre Einsamkeit so schmerzlich bewußt wird.
Ich
konnte dafür keinen klaren Beleg ergoogeln.
Aber
scheinbar gibt es selbst in einer Stadt wie Hamburg, in der mehr als 50% der
Wohnungen Singlehaushalte sind, massenhaft Menschen, die sich durch diese
Feiertage sozial derartig unter Druck gesetzt fühlen, daß sie bei Nichterfüllen
des angemessenen Festprogramms schon Wochen vorher in Depressionen versinken.
Ich
verstehe es aber nicht. Wir haben das Jahr 2017, das Internet, leben weitgehend
säkular und selbstbestimmt.
Wie kann
das Nichtfeiern eines Festes, das dem
Konsum huldigt und heidnische Bräuche mit einer Ekelreligion verquickt,
Menschen so verunsichern?
Macht
Euch frei von Weihnachten.
Kein (erwachsener)
Mensch braucht das.
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