Üblicherweise
lebe ich sehr gern in Hamburg, aber die täglich neuen Dramatisierungen des G20-Gipfels im Juli nerven ganz schön.
Zigtausende
Polizisten, 200.000 Gegendemonstranten, Verbarrikadierung der halben Stadt.
Das wird
eine Monsterkonferenz.
Der "Gruppe der
Zwanzig" gehören 19 Staaten sowie die Europäische Union an. Die Länder
sind: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich,
Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland,
Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und die USA.
Die G20-Staaten
erzielen etwa 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, gemessen am
kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP).
[…..] Drei Viertel des Welthandels werden von den
Staaten der G20 getätigt. Die vier größten Exportnationen sind China, die USA,
Deutschland und Japan. […..]
Rund zwei Drittel der
Weltbevölkerung leben in den G20-Mitgliedsländern.
[…..] Darüber
hinaus nehmen an den G20-Treffen auf Einladung der jeweiligen Präsidentschaft
regelmäßig auch Internationale Organisationen teil. Dazu gehören die
Internationale Arbeitsorganisation (ILO), der Internationale Währungsfonds
(IWF), der Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board - FSB), die Weltbank
(WB), die Welthandelsorganisation (WTO) und die Organisation für
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie die Vereinten
Nationen (UN). Die deutsche G20-Präsidentschaft hat 2017 zudem die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeladen.
[…..]
An den G20-Gipfeln nimmt Spanien als
ständiger Gast teil. Darüber hinaus kann die Präsidentschaft Vertreter von
Regionalorganisationen und Gäste zur Teilnahme am G20-Gipfel einladen. Die
deutsche Präsidentschaft hat Norwegen, die Niederlande und Singapur als
Partnerländer zum G20-Prozess eingeladen sowie die Afrikanische Union
(AU),vertreten durch Guinea, die durch Vietnam vertretene Asiatisch-Pazifische
Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) und die Neue Partnerschaft für die Entwicklung
Afrikas (NEPAD), vertreten durch Senegal.
(G20.org)
Auf die
Gefahr hin nach einem Klischee-St. Florian zu klingen; aber muß das
ausgerechnet in der Hamburger Innenstadt, „nur einen Steinwurf entfernt“ vom
linksautonomen Schanzenviertel stattfinden?
Natürlich
ist es sinnvoll, wenn sich die G20-Regierungen austauschen und genau
kennenlernen. Natürlich ist es sinnlos, daß der G8 schmollend Putin ausschloss und sich zum
G7 machte. Als ob Russland von der Weltkarte verschwände, wenn man nicht mehr
mit der Regierung spricht.
Weltdiplomatie
auf Sandkasteniveau.
Mit
Freunden kann jeder sprechen. Viel wichtiger ist es sich mit den Gegnern
auszutauschen.
Ob dafür
aber so ein Monstergipfel mit Myriaden Delegierten taugt?
Ganz
sicher hatte sich Helmut Schmidt das nicht so vorgestellt, als er die G6 ins Leben rief.
Es
sollte, im diametralen Gegenteil, eine Möglichkeit sein frei von Zeitdruck und
protokollarischen Zwängen ausführlich auf Augenhöhe diskutieren zu können.
Auf Giscards Einladung
trafen sich die Regierungschefs der Vereinigten Staaten, Japans, Englands,
Italiens und der Bundesrepublik Mitte November auf Schloß Rambouillet in der
Nähe von Paris, dazu die Finanz- und Außenminister der sechs Staaten. Das
Schloß war angenehmerweise nicht allzu geräumig, die Konferenz fand in einem
relativ kleinen Saale statt, die Schlafzimmer der Chefs lagen eng beieinander,
und Presse und Fernsehen waren weit weg außerhalb des Parks – Valéry hatte es
verstanden, eine nachbarschaftliche, freundschaftliche Atmosphäre herzustellen.
Er leitete das Gespräch mit Courtoisie und elegant mit leichter Hand; Aus der
Rückschau erscheint mir als das wichtigste Ergebnis nicht etwa die Liste der
von ihr getroffenen positiven Verabredungen, sondern vielmehr die Tatsache, daß
sie einen Rückfall der ganzen Welt in beggar-my-neighbour-Politiken abgewendet
hat. Es wurde verhindert, daß die beteiligten Regierungen sich den
Verblendungen des Protektionismus und des Inflationismus hingaben.
Natürlich zahlte sich
Rambouillet nicht nur in der Verhinderung weltwirtschaftlichen Unfugs aus,
sondern es trug nebenher innenpolitisch zum Ansehen des Gastgebers bei. Beides
war Grund genug für Gerald Ford, 1976 zu einem zweiten Treffen dieser Art
einzuladen, diesmal unter Beteiligung Kanadas durch meinen Freund Pierre
Trudeau. [….]
Mit der
damaligen Atmosphäre wird die Hamburger Tagung am 07. Und 08. Juli gar nichts
mehr zu tun haben. Man trifft sich auf 46 Hektar Fläche des Messegeländes bei
Planten und Blomen.
Der Gipfel ist eine
diplomatische Großveranstaltung mit mehr als 6000 hochrangigen Delegierten und
über 3000 nationalen und internationalen Medienvertretern. Hinzu kommen
unzählige Helfer. Zusätzlich werden mehrere tausend Sicherheitsbeamte im
Einsatz sein. [….]
Mit wie
vielen von insgesamt rund 10.000 Teilnehmern kann man wohl reden innerhalb von
48 Stunden?
Zwei
Tage Gesprächsmarathon mit Extrem-Delegationshopping.
Da kann
jeder jedem mal schnell guten Tag sagen und muß sich dann sehr beeilen, um noch
ein Bild davon in die Presse zu bekommen.
Das wird
wieder ein Festival der starken Blasen und Schlafabstinenzler.
[…..] Bei Shakespeare können die Könige nicht schlafen, aus Sorge, dass
das Reich zerfällt oder die Feinde sie stürzen. Stalin ließ sein Büro nicht
dunkel werden. „Im Kreml brennt noch Licht“ bedeutete: Stalin arbeitet
immer, er braucht keinen Schlaf, er ist nicht von dieser Welt. Die Konkurrenz
der Mächtigen darum, wer weniger Schlaf braucht, gibt es seit Ewigkeiten.
Tony Blair sagte Merkel einmal, Politiker stürzten
manchmal, weil ihnen in der Krise die entscheidenden zwei Stunden Schlaf
fehlten.
Viele Politiker geben in Interviews damit an,
dass sie mit wenig Schlaf auskämen. In Amerika hat der Präsident so gut
wie keine Abendtermine, dennoch sagte Obama immer, dass er nur fünf
Stunden schlafe. Es scheint, als wäre Schlaflosigkeit ein anderes Wort
für Disziplin.
Merkel sei ein „Nachttier“, sagt jemand, der oft
bei langen Verhandlungsnächten im Kanzleramt dabei ist. Er sagt: „Sie
gibt nie als Erste auf.“ Bei Koalitionsverhandlungen wolle Gabriel
meist früh zurück nach Goslar. Ein wenig später sage Volker Kauder manchmal:
„Das war ein harter Tag, wollen wir Schluss machen?“ Von Merkel ist so etwas
nicht überliefert. [….]
(DER SPIEGEL, 12/2017 s.21)
Was für ein Unsinn.
Politiker demonstrieren Stärke durch
physische Pein?
Was kommt als Nächstes, bekommt
derjenige das beste Verhandlungsergebnis, der den brutalsten Bußgürtel trägt
und sich am längsten mit der Neunschwänzigen geißelt?
Ich plädiere dafür diese Gipfel extrem umzugestalten.
1.)
Jeder Regierungschef soll mit maximal fünf Beratern anrücken.
2.)
Die Treffen finden abgeschirmt und
nicht inmitten von 3.000 Kamerateams statt.
3.)
Gipfelort wird nicht mehr eine maximal
aufmerksamkeitserheischende Großstadt, sondern eine abgelegene Insel, oder ein
Schiff.
4.)
Statt 48 Stunden bekommen die Delegierten
zwei Wochen Zeit. Genug, um zwischendurch auch zu schlafen.
5.)
Die Tagesordnung wird so entrümpelt,
daß jedes Thema ausreichend detailliert besprochen werden kann.
In so einem Rahmen wäre es sinnlos für
Trump, Putin und Erdogan sich als starker Max zu inszenieren. Sie könnten sich
nicht vor der Twittergemeinde aufblasen, sondern müßten auf ihre Argumente
setzen.
Selbst wenn inhaltlich nichts, oder
kaum etwas erreicht würde, so wäre ein intimes und genaues Kennenlernen von
Wert.
In so einer Klausur-Atmosphäre würde
man die handelnden Personen genau einzuschätzen lernen.
Und selbst wenn einer wie beispielsweise
Trump sich intellektuell als untauglich und charakterlich destruktiv erwiese,
wäre es für die anderen eine wichtige gemeinsame Erfahrung dies zu erkennen.
Für die Zukunft könnte man sich ersparen dem US-Präsidenten etwas zu erklären
und andere Allianzen bilden.
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