Samstag, 11. März 2017

Amerika ist böser als Linker denkt.

Der gute Jakob Augstein entgleitet mir zunehmend. Er ist zwar nie so brillant und intelligent wie seine Schwester Franziska, aber seine Kolumnen im SPIEGEL und bei SPON habe ich immer gern gelesen. Ich lese sie auch noch, natürlich.
Aber während ich früher nur gelegentliche Unvernünftigkeiten feststellte und ihn generell mutig fand, weil er sich als einer der wenigen gegen den Journalistischen Mainstream stellt, wird er nun zunehmend seichter und greift öfter daneben.

In seiner aktuellen Kolumne sieht Augstein fünf Gründe zur Dankbarkeit für die Trump-Präsidentschaft.

[…..] Der US-Präsident hat in nur sieben Wochen die Welt verändert. Nicht nur zum Schlechten. Trump erzeugt Widerstand - das belebt die Demokratie. Plötzlich gibt es Hoffnung: Vielleicht hat der liberale Westen doch eine Zukunft. […..]

Der orange Lügner macht ihn so glücklich, weil so wieder der Wert der Freiheit erkannt werde, Liberale gegen Autoritäre aufstünden, der Journalismus so gut wie nie wäre, die EU aufblühe und schließlich die AfD eingedämmt werde.

Es ist nicht ganz abwegig diese Auswirkungen zu diagnostizieren, aber sie sind doch eher Hoffnungen, denn Realität.
Ich befürchte Augstein ist Opfer seiner optimistischen, aber eingeschränkten Informationsblase.
Ja, einige amerikanische Zeitungen recherchieren mehr, haben Abonnenten hinzugewonnen. Aber vor allem fluten die autoritären Lügner aus Trumps Dunstkreis die US-Newssendungen. Und wenn sie noch so oft der Hetze und Lüge überführt wurden, so treten sie ungehindert immer wieder auf. Radikal-rassistische Verschwörungs-Journalisten wie die Breitbart-Bande gewinnen enorm an Einfluss. Und in Deutschland beruft Augstein den 75-jährigen CDU-Mann Jürgen Todenhöfer, der sich gerade scharf gegen Böhmermann und auf die Seite Erdoğans stellte zum Herausgeber des FREITAG. Zudem wird der freie Journalismus in der Türkei, in Russland, in Polen und Ungarn gerade komplett abgeschafft.
Es geht journalistisch eher bergab. Augstein sieht es aber so.

[…..] Der Journalismus findet wieder zu sich selbst. Die Profession, die durch das Netz in eine Sinnkrise gestürzt war, nutzt die Gelegenheit, sich selbst und der Welt ihren Wert zu beweisen. Politischer Journalismus war - vielleicht weltweit - niemals besser als heute. […..]

Ich kann ebenfalls nicht erkennen inwiefern sich Liberale und Freiheitsliebende im Aufwind befinden.
Es gab nur in Spanien, dem einzigen EU-Land ohne nennenswerte rechtsradikale und nationalistische Parteien eine größere Demonstration für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen. Spanien ist aber ein liberaler Solitär. Alle anderen europäischen Länder, inklusive Deutschland, betrieben hingegen das Gegenteil von freiheitlicher und liberaler Flüchtlingspolitik. Mauerbau, Frontex, Zäune, Abschiebungen, Internierungslager und Massensterben der Heimatvertriebenen.
Augstein diagnostiziert das diametrale Gegenteil.

[…..] Die rechte Revolution hat die politischen Grenzen verschoben und dadurch eine neue Solidarität der Demokraten geschaffen.[…..]  Die öffentliche Debatte erlebt eine neue Blüte - der Streit, das Gespräch, das Argument. […..]

Das leichte Abschmelzen der demoskopischen AfD-Zahlen hat anders als Augstein schreibt, in Wahrheit wohl wenig mit Trump zu tun, sondern einerseits mit dem Auftauchen eines Kanzlerkandidaten, der erstmals seit vielen Jahren eine realistische Alternative zu Merkel darstellt und andererseits damit, daß innerhalb der AfD die ganz, ganz Rechtsextremen wie Höcke, Poggenburg und Gauland in den letzten Monaten deutlich überzogen. Positiv über Hitler zu sprechen und vom 1000-Jährigen Reich zu orakeln schreckt in Deutschland (glücklicherweise noch) einige konservative Wähler ab.

Es wäre schön, wenn in den USA und Europa mehr und mehr Menschen für die Zivilgesellschaft aktiv würden und sich gegen autoritäre Tendenzen stellten.

[…..] Das Erstarken der Rechten ist das Fieber der Demokratie. Die Zivilgesellschaft ist ihr Immunsystem. Und wir Einzelnen, die wir uns fragen, was ist unsere Aufgabe, was unser Auftrag, unser Ort - wir sind die Abwehrkörper. Wir müssen dorthin, wo die Infektion sich ausbreitet. Und den Kampf aufnehmen.

Sicher gibt Trump den Bürgerrechtsaktivisten Auftrieb, aber Augstein scheint völlig zu übersehen, wie fest die GOP im Sattel sitzt!

Die Republikaner stellen 33 und die Demokraten 16 Gouverneure. Trumps GOPer haben als mehr als doppelt so viele Regierungschefs in den Ländern. Eine Zweidrittelmehrheit.
Die Landkarte nach politischen Farben sieht verdammt rot aus.

Im US-Senat (100 Sitze) verfügen die Republikaner mit 52 Senatoren über die absolute Mehrheit (Demokraten 46)

Auch im wichtigen US-Repräsentantenhaus stellt Trumps Partei mit 237 von insgesamt 435 Sitzen eine sichere absolute Mehrheit. Die Demokraten dümpeln bei 193 Abgeordneten weit dahinter.

Darüber hinaus baut Trumps Administration gerade die gesamte Justiz um und wird in Kürze überall ultrakonservative Juristen installiert haben.

[…..] Alle 46 US-Bundesanwälte, die während der Amtszeit Barack Obamas ernannt worden waren, sollten zurücktreten. So hat es die Regierung Donald Trumps gefordert. Preet Bharara, prominenter Bundesanwalt in Manhatten, weigerte sich offenbar und wurde jetzt nach eigener Aussage bei Twitter gefeuert. [….]

Wesentlich dramatischer könnten Trumps Ernennungen für den Supreme Court sein, da auch zukünftige Präsidenten diese nicht rückgängig machen können. Die obersten Richter amtieren auf Lebenszeit und so könnten die Weichen für Dekaden auf ultrakonservativ gestellt werden.

Kommen wir schließlich zu den Beliebtheitswerten Trumps. Verglichen mit anderen Präsidenten zu Beginn ihrer Amtszeit sieht es zwar mau aus, aber was bedeutet das schon in einem Land, in dem höchsten die Hälfte zur Wahl geht und ein Mann wie Trump mit drei Millionen Stimmen weniger als seine Konkurrentin Präsident wurde?
Nur jeder fünfte Amerikaner stimmte für ihn. 20% aller Amis reichen.
Da sind seine 40-50% Zustimmung eine solide Basis, weil diese Fanatiker auch alle wählen gehen.


Die Trump-Wähler sind immer noch von ihm begeistert; vielleicht sogar noch mehr als vor der Wahl.
Indem Trump sie mit seinen Lügen-Tweets bei der Stange hält, sichert er also ausreichend seine Macht.

Anders als Augstein mutmaße ich also, daß wir allen Grund zum Pessimismus haben. Ich sehe keinen Grund mich über Trump zu freuen.
Und schon gar keine fünf Gründe.

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