Zugehörigkeitsgefühle
können sich aus sehr unterschiedlichen Quellen speisen.
Den
allermeisten Menschen ist es offenbar ein zentrales Bedürfnis sich zugehörig zu
fühlen. Bei mir ist dieses Verlangen allerdings völlig unterentwickelt.
War es
schon immer.
Ich habe
gewisse Anflüge von Lokalpatriotismus, in dem Sinne, daß mir Hamburg, die
Stadt, in der ich lebe ans Herz gewachsen ist.
Aber
wenn die Hamburger Schill und Beust wählen, verachte ich sie dennoch dafür.
Außerdem
ist mir jederzeit bewußt, daß ich zwar kaum in ein Dorf passe, daß mir aber andere
Städte in vergleichbarer Größe bestimmt genauso am Herzen lägen, wenn ich
zufälligerweise dort wohnen würde.
Vancouver,
Wien, Portland, Montreal, Barcelona, Kopenhagen, Amsterdam, St Petersburg oder Sydney
fände ich bestimmt genauso prima.
Ich habe
noch nie in einer Megacity wie London, Paris, Shanghai oder Rio gelebt (in NY
war ich noch ein Kind), aber auch diese Städte würde ich bestimmt mögen.
Mir ist
es aber grundsätzlich unwichtig einer Nation oder einer Religionsgemeinschaft
anzugehören. Im Gegenteil. Ich bin gern Sozialist/Sozialdemokrat/Humanist, weil
es sich dabei um inkludierende, weltweit gültige Werte handelt.
Die
sozialistische/kommunistische Hymne heißt „Internationale“, weil Solidarität
unter den Menschen, das Eintreten für Schwächere und Bedürftige ohne ethnische,
geschlechtsspezifische oder nationale Grenzen gilt.
Es rettet uns kein
hö’hres Wesen,
kein Gott, kein
Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu
erlösen,
können wir nur selber
tun!
Im
diametralen Gegensatz zur religiösen „wir-sind-besser-als-die“-Ideologie, die
grundsätzlich den eigenen Gott über alle anderen erhebt, betrachtet ein
Humanist oder Sozialist keinen anderen Menschen als prinzipiell wertloser oder
rechtloser.
Der
Sozialistischen Internationale (SI), gegründet 1951 in Frankfurt am Main, gehören
168 Parteien und Organisationen an. Ich fühle mich SI-Angehörigen in aller Welt
genauso zugehörig wie Atheisten aller Kontinente.
Religioten
und Nationalisten sind hingegen immer von ihrem eigenen Tellerrand begrenzt.
Es wird
unfreiwillig komisch, wenn sich Nationale verschiedener Länder treffen.
Am
21.01.2017 versammelten sich Rechtsradikale aus ganz Europa in Koblenz.
Internationale
Nationale?
Was soll
das werden, wenn sich diejenigen zusammenschließen, die sich per Definition
gegenseitig als minderwertig erachten?
Tatsächlich
gibt es unter Rechtsextremisten/Nationalisten/Religioten kurzfristige
Allianzen, wenn es gegen einen gemeinsamen Feind geht.
So waren
sich die drei zutiefst zerstrittenen abrahamitischen Religionen in der für alle
heiligen Stadt Jerusalem bemerkenswert einig, als es eine
gaypride-Demonstration geben sollte.
Schwule
hassen Muslimische, Christliche und Jüdische Geistliche gleichermaßen und so
geschah das Wunder von 2005 – alle waren sich einig.
[….] International gay leaders are planning a
10-day WorldPride festival and parade in Jerusalem in August, saying they want
to make a statement about tolerance and diversity in the Holy City, home to three
great religious traditions.
Now major leaders of the three faiths -- Christianity, Judaism and Islam
-- are making a rare show of unity to try to stop the festival. They say the
event would desecrate the city and convey the erroneous impression that
homosexuality is acceptable.
"They are creating a deep and terrible sorrow that is
unbearable," Shlomo Amar, Israel's Sephardic chief rabbi, said yesterday
at a news conference in Jerusalem attended by Israel's two chief rabbis, the
patriarchs of the Roman Catholic, Greek Orthodox and Armenian churches, and
three senior Muslim prayer leaders. "It hurts all of the religions. We are
all against it."
Abdel Aziz Bukhari, a Sufi sheik, added: "We can't permit anybody
to come and make the Holy City dirty. This is very ugly and very nasty to have
these people come to Jerusalem." [….]
Eine
ähnliche temporäre Allianz gibt es auf internationaler Ebene, wenN es gegen
Frauenrechte geht.
Auch das
haben die zerstrittenen Schriftreligionen alle gemeinsam: Frauen gelten als
minderwertig und dem Manne untergeordnet.
Wenn
sich die Weibsbilder erdreisten gleiche Rechte einzufordern, hält man zusammen.
So geschieht es beispielsweise bei der UN-Frauenrechtscharta.
[…..]
Die Kommission soll die Umsetzung der
Frauenrechtskonvention sicherstellen. Die überprüft, wie es bei gewissen Themen
in den Staaten aussieht, da werden Resolutionen verabschiedet. Letztes Jahr
gelang das nicht, weil es viele Länder gibt, die sehr rigide bis reaktionäre
Regierungen haben, die in der Frauenfrage keine Fortschritte wollen. Viele
wollen das, was in den 90er Jahren erreicht wurde, wieder abschwächen. Etwa dass
Frauen das Erbrecht haben, das Recht auf Landbesitz. Es geht auch um Zugang zu
Verhütungsmitteln, sichere Abtreibung. Und gleiche Rechte für Lesben. Da
versucht der Vatikan, der Beobachter-Status hat, Hand in Hand mit dem Iran,
Dinge zu verhindern. [….]
Solche
Temporären Allianzen gibt es auch aus der nationalistischen Ecke.
Wenn
rechte Demagogen eine andere Nation angiften und dort rechte Demagogen mit
gleicher Münze zurück giften, hilft es jeweils den eigenen Anhängern sehr. Rechte
und Religioten verachten tendenziell andere und freuen sich, wenn verbal auf
sie eingeschlagen wird. Das ist im Wahlkampf sehr nützlich.
[….] In den Niederlanden wird am kommenden
Mittwoch ein neues Parlament gewählt. Das verschärft die Auseinandersetzung,
wie sollte es anders sein. Das weiß auch die türkische Regierung. Rutte muss um
seine Wiederwahl fürchten; die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders könnte
stärkste Kraft werden. Wilders ist ein radikaler Islamhasser, der mindestens so
viele Beleidigungen und Faschismus-Vergleiche kennt wie Erdoğan. Bessere
Wahlwerbung als einen Auftritt türkischer Minister in den Niederlanden hätte er
sich gar nicht wünschen können.
[….]
Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass die
türkische Regierung die gegenwärtige Eskalation nicht nur in Kauf genommen,
sondern sie ausdrücklich gesucht hat. Man kann der Regierung in Ankara manches
unterstellen, aber nicht, dass sie naiv sei. Çavuşoğlu wusste, dass die
Reaktion der niederländischen Regierung vor der Wahl härter ausfallen musste,
als wenn er erst nach dem kommenden Mittwoch gekommen wäre. Aber je härter die
Reaktion, desto größer die Aufmerksamkeit und umso größer die Chancen für die
AKP, die eigenen Anhänger in den Niederlanden zu mobilisieren – das ist ganz
offensichtlich das Kalkül. [….]
Der türkische
Präsident steht vor einer wichtigen Abstimmung. Indem er auf andere Staaten
eindrischt und damit wütende Reaktionen provoziert, ist ihm in vielerlei
Hinsicht gedient.
Doppelte
Wahlkampfhilfe
[….]
Rotterdams Bürgermeister fand den Vergleich
mehr als unpassend. „Sie sollten sehr wohl wissen, dass ich Bürgermeister einer
Stadt bin, die von den Nazis bombardiert wurde“, sagte Ahmed Aboutaleb in der
Nacht zu Sonntag in Richtung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Und Erdogan sollte wissen, dass Rotterdams Bürgermeister in Marokko geboren
wurde, als Sohn eines Imams und dass der Sozialdemokrat Aboutaleb selbst
bekennender Muslim ist. Nützt alles nichts in diesen aufgeheizten Tagen.
Die niederländischen
Behörden hatten am Vortag erst dem Flieger des türkischen Außenministers Mevlüt
Cavusoglu die Landeerlaubnis entzogen, dann die türkische Familienministerin
Fatma Betül Sayan Kaya des Landes verwiesen. Per Helikopter wurde ihre
Limousine zur niederländisch-deutschen Grenze begleitet. Am Sonntagmorgen
reiste die Ministerin von Flughafen Köln-Bonn aus zurück in die Türkei. Erdogan
sah im holländischen Vorgehen „Nazi-Relikte“ am Werk. Und hatte mit Blick auf
die Niederlande erklärt: „Sie sind Faschisten.“
[….]
Ein Vorwurf, der schwer wiegt in den Niederlanden,
dem Land Anne Franks. Dem Land, in dem die deutsche Luftwaffe am 14. Mai die
Innenstadt Rotterdams in Schutt und Asche legte. [….]
Die zynische
Doppelmoral passt zur Stimmung in diesen Tagen. Nicht nur in der Türkei wird
Wahlkampf geführt, in den Niederlanden wird am kommenden Mittwoch gewählt.
„Schön. Ohne die PVV wäre dieser Beschluss nie gefasst worden“, twitterte Geert
Wilders, der Chef der radikal-rechten Freiheitspartei PVV. [….]
Es ist
also nicht schlau was die Dänische und Niederländische Regierung tun.
Man
sollte sich nicht provozieren lassen, gerade nicht seine eigene Rechtsordnung
über den Haufen werfen, sondern zu Redefreiheit und Demokratie stehen, auch
wenn dies außerordentlich unsexy und schwierig ist.
Gefühlte
99% der Deutschen wünschen sich derzeit aus Verärgerung über die Türkei es
Ankara mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Einreiseverbote,
Auftrittsverbote werden gefordert.
Das ist
populär.
Aber
auch falsch.
[…..] In
Erdogans Falle getappt.
Die Krise um die
Wahlkampfauftritte türkischer Politiker ist ein von Staatspräsident Erdogan
kalkuliertes Szenario. Er weiß, dass seine Landsleute nichts mehr erregt als
eine nationale Schmach. [….]
Die Bundesregierung
soll und muß Erdoğan in aller Deutlichkeit entgegentreten, ihm klar zu verstehen geben,
daß wir die Aushöhlung der demokratischen Rechte in der Türkei scharf ablehnen.
Sie soll aber nicht wie ein Kleinkind muksch die
eigenen demokratischen Rechte ebenfalls zerschlagen.
(…..) Erreicht die Bundesregierung womöglich das
Gegenteil, wenn sie mit gleicher Münze zurückzahlt? Wie wirkt es sich auf
inhaftierte Journalisten aus, wenn Erdoğan noch viel wütender wird?
Hilft es nicht
eher der eigenen Popularität in Deutschland, wenn Merkel oder Gabriel auf die
Türkei eindreschen?
Bewegen sie
sich nicht dann auf den gleichen Pfaden wie der Gescholtene?
Zu oft hört man
beim Bau einer DITIB-Moschee von deutschen Nachbarn, das solle nicht erlaubt
werden, weil man in Muslimischen Ländern schließlich auch keine Kirchen bauen
könne.
Das ist aber
gerade kein Argument. Wir relativieren unsere Freiheitliche Grundordnung nicht,
wenn andere Länder weniger frei auftreten.
Wir töten keine
straffälligen Amerikaner, weil in Amerika selbst die Todesstrafe herrscht.
Wir bestrafen
keine schwulen Sudanesen, weil Homosexualität im Sudan verboten ist.
Und natürlich
schränken wir nicht die Religionsfreiheit in Deutschland ein, weil es keine
Religionsfreiheit in Saudi-Arabien gibt.
Es wird wohl
nicht so schnell eine katholische Kirche in Riad gebaut werden. Wenn aber
Hamburger Iraner eine schiitische Moschee bauen wollen, erlauben wird das, weil
wir die Religionsfreiheit aller in diesem Land garantieren. (…..)
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