Montag, 28. August 2017

Abgehoben und weggeduckt gleichzeitig


Martin Schulz lebt offensichtlich in einer Zustimmungsblase, die ihn zu unangebrachtem Optimismus verleitet.
Er befindet sich täglich in Wahlkampfveranstaltungen, bei denen man ihm immer nur zujubelt. Die Termine sind gut besucht, man hat die Nase voll von Merkel.
Es ist schwer sich zu erden, wenn einem seit Monaten rund um die Uhr begeistert applaudiert wird.
Da übersieht man leicht, wie wenig repräsentativ das Bild ist. In Wahrheit vertrauen (bedauerlicherweise) viel mehr Menschen der Kanzlerin als dem Herausforderer; in allen Umfragen liegt die SPD weit abgeschlagen hinter einer schier uneinholbaren CDU.

[….] "Merkel hat keinen Plan" wirft Schulz der Kanzlerin mit Blick auf die Dieselaffäre vor, Merkel sei wegen der Wahlkampfführung ihrer Partei "abgehoben" und "entrückt" - unter anderem wegen des Umstands, dass sie dabei häufig Helikopter von Bundeswehr und Bundespolizei zu vergleichsweise niedrigen Preisen nutzt und Mitarbeiter des Kanzleramts per Minijob in der CDU aushelfen -, Merkel stehe wie Helmut Kohl in seinen letzten vier Kanzlerjahren für "Stagnation und Agonie". [….]

Es ist zum Verzweifeln. Merkel unterliegt paradoxer Metaphorik.

In der Höhe…..

 Einerseits schwebt sie weit abgehoben oben als Kanzlerpräsidentin über den schnöden Regeln des politischen Anstandes, wie weiland die Endloskanzler Adenauer und Kohl. „Star-Allüren einer Kanzlerin“ heißt es inzwischen.
Die mauschelt mit übelsten Diktatoren, wenn es gerade in den Kram passt, setzt den von den Steuerzahlern bezahlten Kanzleramtsminister Altmaier als CDU-Wahlkampfmanager ein, lässt den von den Steuerzahlern bezahlten Regierungssprecher Steffen Seibert CDU-Wahlkampfwünsche bei den Fernsehsendern aushandeln und fliegt mit den von den Steuerzahlern bezahlten Bundeswehrflugzeugen zu Wahlkampfauftritten.

In der Tiefe….

Anderseits taucht sie ganz tief ab, wenn es um Konzepte geht und würde sich niemals in politische Details einmischen. Die mogelt sich seit 12 Jahren planlos durch ihre Kanzlerschaft; stets underneath the radar. Dabei nutzt sie die generalisierte „German Angst“ vor dem Unbekannten aus. Sie weiß, daß jede Reform, jede Veränderung Unbehagen auslöst und verströmt die Aura des „es wird schon nicht so schlimm werden“.

Der Majorität gefällt der ewige Stillstrand offensichtlich.
Nur die blöden Linken geraten noch in Rage.

[….] Das In­sti­tut Al­lens­bach hat je­den­falls her­aus­ge­fun­den, dass an­nä­hernd die Hälf­te der Bun­des­bür­ger zwar ei­ner­seits nicht weiß, wen sie wäh­len soll – gleich­zei­tig aber fast eben­so vie­le der Mei­nung sind, die Wahl sei be­reits ge­lau­fen. Das er­scheint pa­ra­dox und lässt sich viel­leicht so er­klä­ren: Der Pa­ti­ent, den Al­lens­bach da un­ter­sucht hat, be­fin­det sich in Nar­ko­se. Frau Dr. Mer­kel, die Chefa­n­äs­the­sis­tin im Kanz­ler­amt, hat gan­ze Ar­beit ge­leis­tet.
Es heißt ja im­mer, Mer­kels Er­folgs­ge­heim­nis be­ste­he dar­in, dass sie nicht po­la­ri­sie­re. Bei mir funk­tio­niert das nicht. Die­se Frau macht mich wahnsinnig. [Mich auch! –T.] Sie ver­steckt ih­ren hoch­mü­ti­gen Spott hin­ter ei­nem ge­spiel­ten stoffeligen Gleich­mut. Sie ist wie ein grin­sen­des Stück Wat­te, und wenn man sie fas­sen will, ver­liert sie die Form.

Aber die meis­ten mei­ner Mit­bür­ger schei­nen in­zwi­schen so schläf­rig zu sein, dass man al­les mit ih­nen ma­chen kann. [….] Es gäbe so viel zu tun. Aus dem Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um kommt ge­ra­de die Nach­richt, dass die rea­len Brut­to­löh­ne der un­te­ren 40 Pro­zent der Lohn­emp­fän­ger im Jahr 2015 zum Teil deut­lich nied­ri­ger wa­ren als 1995. Ob­wohl so vie­les auf dem Spiel steht, ist die Stim­mung so, als gin­ge es um nichts. [….]
(Jakob Augstein, Im Zweifel Links, 27.08.2017)

Mit Merkels Strategie wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Macht erhalten und die 16 Jahre vollmachen.
Ein enormer Erfolg für die Union.
Aber auch ein enormer Misserfolg für Deutschland.
Merkels Schlafwagen-Minister fügen diesem Land schweren Schaden zu, den die Kanzlerin aus purer Machtgier achselzuckend hinnimmt. Nach ihr die Sintflut. Merkel ist eben keine geheimnisvolle Sphinx, wie es viele Kommentatoren immer wieder schreiben, sondern sie ist im Gegenteil, sehr eindimensional: Sie mag halt gern Kanzlerin sein. Mehr ist da nicht zu verstehen.
Dabei wendet sie durch ihre Untätigkeit systematisch Schaden dem deutschen Volk zu.

[….]  Eines muss man Alex­an­der Do­brindt las­sen: Er hat völ­lig neue Stan­dards bei der Be­wer­tung von Bun­des­mi­nis­tern ge­setzt. In sei­ner nur vier­jäh­ri­gen Amts­zeit hat er es tat­säch­lich ge­schafft, dass fast alle von ihm ver­ant­wor­te­ten Be­rei­che zum Sa­nie­rungs­fall wur­den. Ein Ein­trag in die Ge­schichts­bü­cher dürf­te ihm si­cher sein.
Da eine voll­stän­di­ge Lis­te des Schei­terns den Rah­men die­ses Tex­tes spren­gen wür­de, hier nur eine klei­ne Aus­wahl: Die deut­sche Au­to­in­dus­trie steckt in der tiefs­ten Kri­se ih­res Be­ste­hens. Bei der Luft­fahrt hängt Air Ber­lin seit der In­sol­venz am Tropf des Staa­tes. Das Be­mü­hen, end­lich mehr Gü­ter auf der Schie­ne trans­por­tie­ren zu las­sen, ist ge­schei­tert. Auch das Ziel, Deutsch­land mit ei­nem be­herz­ten Breit­band­aus­bau fit für die di­gi­ta­le Zu­kunft zu ma­chen, wur­de weit ver­fehlt.
Da­für ver­fügt die Re­pu­blik nun über eine Pkw-Maut, die Aus­län­der tref­fen soll, aber auch In­län­der be­trifft und au­ßer den Res­sen­ti­ments ei­ni­ger baye­ri­scher Bür­ger nie­man­dem dient. Dass Do­brindts Mi­nis­te­ri­um den Bund im Auf­sichts­rat des Pan­nen­flug­ha­fens BER mit­ver­tritt, macht die Bi­lanz nicht bes­ser. [….] Am ekla­tan­tes­ten aber ist das Ver­sa­gen in der Au­to­mo­bil­po­li­tik. Das einst von der Kanz­le­rin forsch ver­kün­de­te Ziel, wo­nach bis 2020 eine Mil­li­on Elek­tro­au­tos fah­ren soll, ist auch an An­ge­la Mer­kels chro­ni­scher Halb­her­zig­keit ge­schei­tert. Elan zeig­te aber auch Do­brindt nicht. Nun ist das Ziel nicht mehr zu er­rei­chen. Der­zeit kur­ven nicht mal 50 000 E-Au­tos auf un­se­ren Stra­ßen.
Der Mi­nis­ter glaub­te, der größ­ten deut­schen In­dus­trie durch Kum­pa­nei zu hel­fen – und mach­te da­durch al­les schlim­mer. [….] In Chi­na und den USA freut man sich die­bisch dar­über, dass Deutsch­land die Zu­kunfts­chan­cen sei­ner Vor­zei­ge­in­dus­trie ver­spielt. Glei­ches gilt für die Di­gi­tal­po­li­tik. Statt auf die schnel­len Glas­fa­ser­ka­bel setz­te Do­brindt – zur Freu­de der Te­le­kom – auf das ver­al­te­te Kup­fer­ka­bel. Vie­le Re­gio­nen des Lan­des sind noch im­mer breit­band­freie Zo­nen. Mit der Fol­ge, dass sich Un­ter­neh­men mit Ver­weis auf die di­gi­ta­le In­fra­struk­tur lie­ber im be­nach­bar­ten Aus­land nie­der­las­sen. [….]
(Markus Feldenkirchen, SPIEGEL-Leitartikel, 27.08.2017)

Merkel griff nie ein. Was sollte sie Deutschlands Zukunft scheren? Jedenfalls war ihr eine derartige Petitesse nicht wert sich mit Crazy Horst anzulegen und Dobrindt zu entlassen.

Wie bei anderen Mächtigen, die zu lange regieren, nimmt Merkel inzwischen immer weniger Rücksicht auf Gewaltenteilung und Pressefreiheit.
Sie verwechselt sich selbst mit dem Amt und der Regierung.
Setzt sich mehr und mehr über Regeln hinweg. Was die Presse gern möchte – zwei TV-Duelle mit verschiedenen Interviewern, ein Format mit Publikum oder gar eine Sendung nach US-Vorbild, bei der sich die Kandidaten frei im Studio bewegen können – ist ihr egal. Wenn die gesammelte Presse nicht genau das täte, was Merkel will, komme sie eben nicht. Devot nickten die Chefredakteure die Wünsche der Kanzlerin ab.

[….] Mer­kels Me­di­en­be­ra­te­rin Eva Chris­ti­an­sen und Re­gie­rungs­spre­cher Stef­fen Sei­bert lehn­ten Pu­bli­kum ka­te­go­risch ab.
Drei­mal saß man im ZDF-Haupt­stadt­stu­dio zu­sam­men, je­weils bis zu zwei Stunden lang. Dass der Re­gie­rungs­spre­cher für Mer­kel die Ver­hand­lun­gen führ­te und kein Ver­tre­ter der Par­tei­zen­tra­le, be­frem­de­te die Sen­der­ver­tre­ter – wenngleich das auch schon in frü­he­ren Jah­ren der Fall ge­we­sen war. Die Fron­ten verhär­te­ten sich. Die Mer­kel-Sei­te mach­te un­miss­ver­ständ­lich deut­lich, dass die Kanz­le­rin nur an ei­nem Du­ell nach her­kömm­li­cher Art teil­neh­men wer­de – und dem For­mat an­sons­ten fern­blie­be. „Kanz­le­rin­nen­keu­le“ heißt das seit­her bei den Sen­dern. So wur­den die Ver­hand­lun­gen auch zu ei­nem Bei­spiel für Mer­kels Medienverständnis: Im Kanz­ler­amt wer­den ihre Auf­trit­te vor al­lem da­nach aus­ge­sucht, wie sehr sie sich kon­trol­lie­ren und steu­ern las­sen. [….] Nicht nur sei­ne frü­he­ren ZDF-Kol­le­gen emp­fan­den Sei­berts Auf­tre­ten als schroff und ar­ro­gant. „Zäh­ne­knir­schend“ habe man ein­ge­lenkt, heißt es aus Sen­der­krei­sen. „Es war eine Friss-oder-stirb-Si­tua­ti­on.“
Der frü­he­re ZDF-Chef­re­dak­teur Ni­ko­laus Bren­der spricht of­fen aus, was die jetzigen Ver­ant­wort­li­chen nur hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand sa­gen: „Die Ei­ni­gung ist un­ter Er­pres­sung durch das Kanz­ler­amt zu­stan­de ge­kom­men. Sol­che Vereinbarun­gen nennt man sit­ten­wid­rig.“ Die Ab­sicht da­hin­ter sei glas­klar. „Das Kanzleramt ver­langt ein Kor­sett für die Kanz­le­rin, in dem sie sich nicht be­we­gen muss. Und zu­gleich ei­nes für Schulz, in dem er sich nicht be­we­gen darf.“ Brenders Ur­teil ist hart: „Als Fern­seh­for­mat ist das eine Miss­ge­burt.“ [….]
(DER SPIEGEL, 27.08.2017, s.33f.)

Natürlich können die deutschen Wähler Merkels verheerende Bilanz und ihre Methoden wissen.
Aber es ist so ähnlich wie mit Trumps Lügen. Seine Basis weiß, daß er unehrlich ist, aber es ist ihnen egal.
Ähnlich ist es bei der deutschen Mittelschicht. Sie wissen, daß wir mit Merkel unter Wert regiert werden, daß sie nahezu alles Notwendige verschläft und gewaltige Probleme anhäuft, statt sie rechtzeitig anzugehen.
Wir wissen jetzt schon wie sehr Merkels Schlafmützigkeit der Autoindustrie geschadet hat, daß wir den Nachbarn bei der Digitalisierung Jahre hinterher hängen, daß wir alle Klimaziele reißen, daß die Bundeswehr ein einziges Chaos ist, daß die deutschen Großbanken von Global Playern zu krüppeligen Finanzrisiken geworden sind, daß die Infrastruktur überall bröckelt, daß wir keine Großbauten mehr hinbekommen, weil hier noch wie im letzten Jahrtausend Zettelwirtschaft veranstaltet wird, daß deutsche Schulen und Unis international nicht mithalten können und daß sich die soziale Schere immer mehr öffnet, weil einseitig die Superreichen protektioniert werden.
Aber, so what?
So ist Mutti eben und die können wir wenigstens einschätzen. Außerdem hat der Sozi so einen doofen Bart.

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