Es gibt
eine Menge unschöne deutsche Metaphern für Pechsträhnen. Schwarzer Peter,
Scheiße am Schuh, ein Unglück kommt selten allein, Generalverschiss.
Manchmal
kommt so viel zusammen, daß man schon Unglücknornen walten sieht. Drei
verlorene Landtagswahlen für Schulz waren schon sehr schlimm und an den
Ergebnissen war nicht völlig unschuldig.
Für die
noch folgenden Katastrophen kann der arme Mann aber wirklich nichts.
Der Chef
seines Wahlkampfteams, Markus Engels muß acht Wochen vor der Wahl wegen einer
Erkrankung aufgeben. Der SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern,
Erwin Sellering, muß wegen einer Krebsdiagnose schlagartig zurücktreten, die Grüne Landtagsabgeordnete Elke Twesten
tritt zur CDU über, weswegen SPD-Ministerpräsident Weil seine Mehrheit verliert
und nun auch noch Gerd Schröders Rosneft-Engagement. Schulz
wirkt wirklich wie ein Pech-Magnet.
Insbesondere
ist es aber ein Pech für Politiker, wenn sich die Presse auf ein kollektives
Narrativ einigt.
Wer
einmal das Verlierer-Image an sich kleben hat, wird auch von der
Majorität der begleitenden Journalisten so beschrieben.
Peer Steinbrück,
Fipsi Rösler und Kurt Beck ging es schon so. Da wurden Petitessen zu „typisch
Beck“ aufgeblasen, als habe er an allem Schuld. Kleinigkeiten, die genauso in
Merkels Umfeld geschehen, ihr aber nie angekreidet werden.
Viel
mehr ehemalige CDU-Größen sind tief in den Wirtschaftslobbyismus verstrickt –
Wulff, Koch, Wissmann, Kohl und dazu alle ehemaligen Staatsminister aus Merkels
Kanzleramt. Das schadet ihr aber gar nicht, weil ihr kollektives Narrativ
vorsieht, daß sie die Bundestagswahl am 24.09. bereits strahlend gewonnen hat
und in der komfortablen Lage sein wird, sich einen willigen Koalitionspartner
auszusuchen.
Politiker
können auch positive Kollektiv-Narrative haben. Das beste Beispiel war
Karl-Theodor Baron Freiherr von und zu, der zwar politisch rein gar nichts zu Stande
brachte, noch nicht mal Meinungen vertrat, aber immer nur hymnisch gefeiert
wurde. „Die fabelhaften Guttenbergs“ titelte der SPIEGEL voller Verzückung über
den Lügenbaron.
Zu eben
jener Zeit schlug Kurt Beck vor, der als SPD-Chef das Image des provinziellen
Pfälzer Deppen mit sich herumschleppte, mit den afghanischen Taliban zu reden,
um aus dem kriegerischen Bahnen herauszukommen.
Die
gesamte Presse fiel über ihn her. Da könne man mal sehen was für ein Provinzler
ohne irgendeine außenpolitische Kompetenz Beck sei. Der Vorschlag sei purer
Unsinn, denn mit den Taliban könne man nicht reden, da diese Fanatiker wären.
Becks
Popularitätswerte sanken weiter.
Wenige
Wochen später schlug der strahlende neue Politstar Verteidigungsminister
Guttenberg vor, die Bundeswehr solle auch mit den Taliban verhandeln, um der
Gewaltspirale zu entkommen.
Giovanni
di Lorenzo und die anderen KTG-Fans konnten sich kaum halten vor Begeisterung.
Deswegen sei Guttenberg zu Recht so beliebt, weil er als Quereinsteiger wage
mutig zu denken und neue Wege zu beschreiten. Nur so könne man einen Konflikt
beenden, indem man mit den Gegnern spreche.
Einem
einmal anhaftenden Image entkommt man so gut wie gar nicht.
Noch
Monate nachdem Guttenbergs Lügen und Betrügereien enttarnt waren, stand er in
den Beliebtheitslisten ganz oben und bis heute mühen sich seine Fans in den
Chefredaktionen um ein Comeback.
Der ZEIT-Chef schrieb sogar ein ganzes Fan-Buch über ihn und startete einen
medialen Feldzug, um KTG nach Deutschland zurück zu holen.
Es geht nicht darum, wie viel der Baron verkraften
kann. Es geht um seinen Narzissmus. Der Guttenberg, den man hier wiedertrifft,
kreist um sich selbst - und liefert kaum Substanz. Denn wenn es um politische
Inhalte geht, sind die Äußerungen des Mannes, den sein Interviewer "zu den
größten politischen Talenten des Landes" zählt, dürftig, um es freundlich
zu formulieren.
(Jakob Augstein 01.12.11)
(Jakob Augstein 01.12.11)
Wieso läßt ein intelligenter Mann wie di Lorenzo Guttenberg alle seine dummdreisten Lügen und haltlosen Behauptungen durchgehen, ohne kritisch nachzufragen?
Wollte er ihn womöglich nur entlarven, indem er ihn reden ließ?
Dagegen spricht die Tatsache, daß di Lorenzo ihn noch mit als letzter verteidigte, bevor Guttenberg zurücktrat.
Dagegen spricht auch di Lorenzos Rechtfertigungsschrift in der nächsten Ausgabe der ZEIT.
Ob Martin
Schulz sich selbst aus der journalistischen Loser-Schablone befreien kann, wage
ich zu bezweifeln.
Dazu ist
er nicht mutig genug.
SZ-Co-Chef
Heribert Prantl beklagt das Rosneft-Engagement Schröders, bekennt aber, ihn
gelegentlich zu vermissen. Über Nacht wäre der Wahlkampf wieder spannend, wenn er statt Schulz anträte. Er
würde eine echte Alternative zu Merkel bieten und sich klar gegen Trump
positionieren.
"Ohne Risiko wird die SPD nichts reißen",
so Prantl.
Der öde
Nicht-Wahlkampf wäre vorbei, Merkel müßte wieder zittern.
Schröder
ist einer der ganz wenigen Politiker, der gegen sein (meist schlechtes)
Presse-Image ankämpfen kann und genügend Aufmerksamkeit erregt.
Dagegen
ist Martin Schulz nahezu unsichtbar und kann tun was er will; er wird doch
nicht anders rezipiert.
Ein
bißchen Schröder steckt auch in Sigmar Gabriel, den anderen ehemaligen
Niedersächsischen Ministerpräsidenten und SPD-Chef, der wir Schröder von seiner
eigenen Partei quasi entsorgt wurde.
Gabriel
ist ebenfalls mutig und auffällig. Nicht so wie der Ex-Kanzler, aber doch
deutlich wahrnehmbarer als Schulz.
Mit
sicherem Instinkt greift er heute die Gelegenheit beim Schopfe sich in der
Angelegenheit des in Spanien auf Druck der Türkei verhafteten deutschen
Schriftstellers Dogan Akhanli in Szene zu setzen.
Die
Türkei ließ den in Grenada urlaubenden deutsche Staatsbürgers Akhanli über
Interpol verhaften. Offensichtlich, weil der Autor sich in seinen Stücken mit
dem türkischen Völkermord an den Armeniern beschäftigt.
Ein neue
Ungeheuerlichkeit, die Recep Tayyip Erdoğan nur einen Tag nach seiner
Aufforderung nicht CDU, SPD oder grün zu wählen lostritt.
Ja, auch
Schulz verurteilt das und tut verbal das was er als Privatmann ohne Amt tun
kann.
[….]
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach
in der "Bild am Sonntag" ("BamS") von einem
"ungeheuerlichen Vorgang". "Das Verhalten von Präsident Erdogan
trägt inzwischen paranoide Züge", sagte er der Zeitung. "Es muss mit
aller Vehemenz darauf gedrungen werden, dass Herr Akhanli nicht in die Türkei
ausgeliefert wird und stattdessen schnellstmöglich freigelassen wird."
[….]
(SPON;
19.08.17)
Gabriel
aber ist effektiver und richtet sich auch brutal gegen seine Chefin Merkel,
deren Schwäche er ausnutzt. Merkels Türkei-Politik, ihr Erdoğan-Apeasement ist
spektakulär gescheitert. Sie steht vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen,
den sich so kurz vor der Bundestagswahl nicht ausgeleuchtet haben möchte.
So viele
Zugeständnisse an Erdoğan, so viele EU-Milliarden an die Türkei und dennoch
kann Merkel rein gar nichts erreichen, wenn der Präsident sich nun nach Deniz
Yücel und Peter Steudtner des dritten Deutschen bemächtigt.
Gabriel
tut ihr daher weh, indem er sich so vehement für Akhanli einsetzt und mit Erdoğan
bekriegt.
Während
die Kanzlerin gar nicht weiß wie ihr geschieht, hat sich Sigmar Gabriel in
Windeseile selbst eingeschaltet. Bevor die spanische Justiz über die
Auslieferung Akhanlis nach Ankara entscheidet, wies er schon die deutsche
Botschaft in Madrid an, die spanische Regierung zu bitten, auf eine Auslieferung
zu verzichten. Gabriel selbst telefonierte mit seinem spanischen Amtskollegen
Alfonso Dastis und holte das Thema somit auf die höchste Ebene.
Der
türkische Präsident schäumt.
[….]
Der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdogan hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in einer scharfen persönlichen
Attacke vor weiterer Kritik an der Türkei gewarnt. „Er kennt keine Grenzen“,
kritisierte Erdogan am Samstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede mit
Blick auf Gabriel. An die Adresse des deutschen Ministers fügte Erdogan hinzu:
„Wer sind Sie, dass Sie mit dem Präsidenten der Türkei reden? Beachten Sie Ihre
Grenzen!“
Des weiteren
kritisierte der türkische Präsident, dass Gabriel versuche, „uns eine Lektion
zu erteilen“. Wiederum an den Bundesaußenminister gerichtet fügte Erdogan
hinzu: „Wie lange sind Sie eigentlich in der Politik? Wie alt sind Sie?“
Mit seiner Kritik
reagierte Erdogan offenbar darauf, dass sich Gabriel wie andere deutsche
Politiker auch – jede Einmischung des türkischen Präsidenten in den deutschen
Wahlkampf verbeten hatte. Erdogan hatte türkischstämmige Wähler in Deutschland
am Donnerstag aufgefordert, bei der Bundestagswahl im September die Wahl von
CDU, SPD und Grünen zu boykottieren, worauf Sigmar Gabriel entsetzt reagierte. […]
(FAZ,
19.08.17)
Was
Gabriel hier tut, nämlich mit aller Macht Akhanlis Auslieferung in die Türkei zu
verhindern, ist nicht nur moralisch richtig und das was eine
deutsche Bundesregierung für ihre Staatsbürger in Not tun muss; es ist auch ein
guter Wahlkampfzug, der Merkel, die interessanterweise vom tobenden Türken gar
nicht erwähnt wird, schwach aussehen lässt.
Ein
Kanzler Schröder hätte sich mit Sicherheit in dieser Situation selbst mit Macht
in den Ring geworfen.
Merkel
nicht.
Aber
auch Schulz bleibt, trotz seiner Bemühungen, medial unbeachtet.
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