Freitag, 18. August 2017

Realpolitische Kontakte.

Wladimir Putin genießt weltweit nicht gerade besonders viel Ansehen.
Aber internationale Umfragen bestätigen seit Monaten, daß ihm immerhin mehr vertraut wird als Trump.

[….] And yet, according to a new Pew survey of citizens in 37 countries around the world, more people have confidence in Putin to "do the right thing regarding world affairs" than say the same about Trump.
Now, it's not a huge margin; 27% say they have confidence in Putin while 22% say they have confidence in Trump. Those numbers pale in comparison to German Chancellor Angela Merkel, about whom 42% say they have confidence. [….]

Der Amoralist und chronische Lügner Trump bewegt sich demoskopisch immer weiter in den Keller. Russland war unter Gorbatschow hoch angesehen und wohlwollend betrachtet worden. Als Putin das erste mal Präsident wurde galt er ebenfalls als großer Hoffnungsträger, der das Chaos des Suffkopfs Jelzin aufräumte.
In der Tat sind Putins ökonomische Erfolge gewaltig. Die Versorgungslage in Russland besserte sich exponentiell, die Einkommen stiegen, die Wirtschaft boomte und insbesondere wurden auch „die kleinen Leute“ nicht vergessen. Staatsangestellte, die unter Jelzin Monate auf ihren Lohn warten mußten, wurde pünktlich bezahlt und völlig verarmte Rentner, die zuvor hungerten, erhielten kräftige Rentenerhöhungen.
Diese ökonomischen und sozialen Fortschritte darf man nicht außer Acht lassen, wenn man sich in Westeuropa über Putins Popularität wundert.
Darin liegt auch ein wesentlicher Grund wieso sich zuvor ukrainische Donbass- und Krim-Bewohner tatsächlich wünschten zu Russland zu gehören. Schlagartig wurden ihre Renten verdreifacht und die medizinische Versorgung sichergestellt.

Aus anderen Gründen wurde Putin aber zum Buhmann des Westens.
Vielfach wurde er von der EU vor den Kopf gestoßen, von der NATO herablassend behandelt und offensichtlich fühlte er sich auch im Stich gelassen von den eben noch eng verbündeten Staaten Frankreich und Deutschland.
Er orientierte sich neu, mußte sich auch im Inland radikalere Verbündete suchen, ging den Pakt mit der orthodoxen Kirche ein, die ihren Schäfchen empfahl/befahl Putin zu wählen. Im Gegenzug sicherte der Präsident kirchliche Pfründe und drückte homophobe Gesetze durch.

Nach der Krimkrise sank Putins internationale Ansehen ins Bodenlose.
Aber obwohl Putin, der in deutschen Medien fälschlicherweise synonym mit den Begriffen „Russland“ und „Kreml“ bezeichnet wird, der Mehrheit als unsympathisch und gefährlich gilt, käme wohl niemand auf die Idee ihn für dumm und ungebildet zu halten.

Putin ist ein Meistertaktiker, begnadeter außenpolitischer Strippenzieher und er verfügt über ein diplomatisches Chor, welches keine Fehler macht und bestens geschult ist.
Angesichts der letzten sieben Monate in Washington, wird die Putinsche Professionalität und Intelligenz zunehmend als wohltuend empfunden.
Der russische Präsident ist immerhin jemand, der garantiert nicht dampfplaudernd aus Versehen einen Krieg auslöst, weil er es nicht besser weiß.
Trump, der inzwischen den Krieg gegen die freie Presse zu seiner Hauptaufgabe gemacht hat, systematisch die Gesellschaft spaltet, Lügen verbreitet und internationale Krisen herbeiredet, erscheint vielen als die größere Gefahr für den Weltfrieden.
Es ist nicht Russland, das Sklavenhaltern huldigt, Todesstrafe praktiziert, aus dem Klimaschutzabkommen aussteigt und täglich illegale Drohenangriffe auf souveräne Länder ausübt.

Diese „lupenreiner Demokrat“-Zitataufsagerei kann ich nicht mehr hören.
Was für eine billige Polemik.

Wenig einfallsreich und auch nicht besonders intelligent ist es hingegen in jedem zweiten Leserbrief und fast jedem Artikel einen hämischen Schröder-Seitenhieb über den „lupenreinen Demokraten“ Putin zu lesen.

Das ist unfair.

Zunächst einmal ist das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. 
 Die Formulierung stammt von Reinhold Beckmann.

Beckmann: "Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?"
Gerhard Schröder: "Das sind immer so Begriffe. Ich glaube ihm das und ich bin davon überzeugt, dass er das ist. Dass in Russland nicht alles so ist, wie er sich das vorstellt und gar wie ich oder wir uns das vorstellen würden, das, glaube ich, sollte man verstehen. Dieses Land hat 75 Jahre kommunistische Herrschaft hinter sich und ich würde immer gerne die Fundamentalkritiker daran erinnern, mal darüber nachzudenken, ab wann denn bei uns alles so wunderbar gelaufen ist."

Putin war damals Präsident und in der Konfrontation mit dem kriegslüsternen US-Präsidenten GWB ein absolut unverzichtbarer Alliierter.

Ich behaupte, der amtierende Bundeskanzler Schröder hätte in der Situation gar nicht sagen können und gar nicht sagen dürfen, er glaube Putin nicht den Weg der Demokratie einzuschlagen.

Das hätte unermesslichen diplomatischen und außenpolitischen Schaden zur Unzeit angerichtet.

Gerd Schröders Spruch stammt aus einer anderen Zeit, nämlich 2004.
Damals waren alle sehr froh darüber, daß die irren Autokraten um Boris Jelzin, der volltrunken mit dem Atomkoffer rumstolperte, von einem rationalen Mann ersetzt wurden. 

Tatsächlich hat Russland unter Putin ökonomisch gewaltige Fortschritte gemacht, wurde stabiler, verlässlicher und sichert nicht zuletzt unsere Energieversorgung.

Russland war vor zehn Jahren ein äußerst wichtiger Partner Deutschlands, um gemeinsam gegen den Irakkrieg zu arbeiten.

Das muß man Putin schon hoch anrechnen, daß er so klar für den friedlichen Kurs Frankreichs, Belgiens und Deutschlands gegen die USA, Polen, GB, Italien, Spanien, etc Stellung bezogen hat!

Rußland hat 1999 die Todesstrafe abgeschafft, während Merkels Christenfreund George W. Bush in seiner Amtszeit als Gouverneur 152 (sic!) Todesurteile unterschrieben hat. 

Der Staat Texas, dem GWB als Gouverneur diente hat in den letzten 30 Jahren sogar 22 Teenager hinrichten lassen

Auch geistig Behinderte werden in Amerika, dem land oft he free, hingerichtet.

2008 unterschrieb Bush noch als amtierender Präsident das Todesurteil gegen den Gefreiten Ronald Gray, einen US-Soldaten.

Tu quoque ist kein absolutes Argument und macht Putins Aktionen gegen Pussy Riot nicht besser. 

Aber wir sollten uns fragen, warum wir immer so hysterisch auf Russland losgehen und alle Augen bei Obama zudrücken.

Last but not least; Putin weiß scheinbar wie man regiert. Wer die Menschenrechte ohnehin für nicht so wichtig hält, läßt sich davon beeindrucken. Daher gibt es inzwischen unter US-Republikanern eine viel positivere Sicht auf Russland als unter US-Demokraten. Jetzt mögen die Rechten Russland.
Wer hätte das vor zehn oder 20 Jahren, oder gar zu Reagans Zeiten gedacht!

[….] Although confidence in Putin’s handling of foreign affairs is generally low, in many countries he is more trusted than American President Donald Trump. Confidence in Putin most dramatically outpaces that in Trump in Greece and Lebanon (both +31 percentage points) and Vietnam (+21 points). On the other hand, confidence in Putin lags significantly behind confidence in Trump in Israel (-28 points), Nigeria and Poland (both -19 points) and Kenya (-18 points).
[….] Political ideology is also linked to views of Putin. In 11 of the 21 countries in which respondents were asked about ideology, those who place themselves on the right of the political spectrum are more confident in Putin. This is especially the case in Italy, where 39% of those on the right look favorably toward Putin compared with 24% on the left; in Greece (62% vs. 47%); and in Australia (33% vs. 19%).[….] In the U.S., there is a partisan divide in views of Putin. Today, only 13% of Democrats express confidence in Putin, compared with about a third (34%) of Republicans. In 2015, there was almost no partisan gap: 20% of self-identified Democrats were confident in the Russian leader, compared with 17% of Republicans. [….]

Amerika, China und Russland sind als nukleare Supermächte ganz unabhängig von der persönlichen Sympathie für die jeweiligen Präsidenten außerordentlich wichtige internationale Player. In vielen Megakrisen geht nichts ohne die drei Großen.
Die mittelmächtigen Nationen wie Frankreich oder Deutschland brauchen unbedingt gute Beziehungen zu Moskau, Washington und Peking – unabhängig davon, ob man mit ihnen sympathisiert oder nicht.

Es gibt allerdings zwei Probleme:

1.) USA. Beziehungen lassen sich nicht mehr auf allen Arbeitsebenen pflegen, weil große Teile der US-Administration entweder aus Unfähigkeit oder aus Desinteresse verwaist sind. Viele deutsche Ministeriale haben schlicht und ergreifend keine Ansprechpartner. Hinzu kommt das erratische Verhalten der Regierungsspitze. Ob seiner groben Unkenntnis und gefährlichen Charakterschwäche gibt Trump in stetiger Folge verstörende Statements ab, die anschließend mühevoll von den Militärs, von Tillersons Leuten oder auch von Bannon oder Kelly persönlich wieder abgeschwächt oder ins Gegenteil verkehrt werden. Es gibt also keine verlässlichen Ansagen mehr.

2.) Russland. Hier ist der Fall umgekehrt. Putins Aussagen sind stringent, seine Diplomaten und Militärs sind auf Linie, vertreten nicht plötzlich ganz andere Thesen als der Kreml-Chef. In diesem Fall sind es die Europäer und Nordamerikaner, die nicht mit Russland sprechen wollen. Sie sagen Konsultationen ab, weisen Russen aus, kappen den Handel und schmeißen Putin aus internationalen Gremien.

Abgesehen davon, daß die Wirtschaftssanktionen gegen Putin nicht wirken und die falschen treffen – Russlands Wirtschaft wächst gegenwärtig wieder – können wir es uns schlicht und ergreifend gar nicht leisten Wladimir Putin zu ignorieren.
In einer Welt, die täglich Terror erlebt, in der Hungersnöte wüten, in der volatile kriegerische Konflikte ausgetragen werden, zig Millionen Migranten auf der Flucht sind, müssen wir mit allen Kräften so engen Kontakt halten wie nur irgendwie möglich.
Es mag Fälle geben, in denen Regierungskontakte nahezu unmöglich sind. Pjöngjang ist zu abgeschottet. Juba, Khartoum, Tripolis oder Mogadishu befinden sich in Auflösung.
Russland aber funktioniert.
Wir sollten unbedingt eng mit den exzellenten russischen Geheimdiensten zusammenarbeiten, um Informationen über Terrornetzwerke zu erhalten, wir sollten unbedingt eng mit den professionellen russischen Militärs zusammenarbeiten, um versehentliche Konflikte zu vermeiden, sowie in den Kriegsgebieten Syriens/Afghanistans/.. an einem Strang zu ziehen und wir sollten auch unbedingt eng mit den russischen Wirtschaftsunternehmen kooperieren, da Handel die Menschen zusammenbringt, Vorurteile abbaut.

Und jetzt kommt’s; ich weiß, mir wird kaum einer zustimmen:
Ich bin unbedingt dafür, daß Gerd Schröder einen Aufsichtsratsposten bei Rosneft annimmt.
Gerade weil es ein Konzern mit guten Verbindungen zum Kreml ist.
Wenn die binationale Diplomatie eingeschränkt, die gemeinsamen Treffen abgesagt und die Regierungsbeziehungen eiskalt sind, kann ein kurzer Draht über Schröder extrem wichtig sein.

Es ist also doppelt wichtig, daß ein (ehemals) führender Vertreter des Westens Russland auch symbolisch die Gemeinsamkeiten aufzeigt. Außerdem ist der direkte Gesprächsdraht zu Putin eine extrem wertvolle außenpolitische Ressource, die man nutzen MUSS. Das sieht sogar der eingefleischte Schröder-Feind Gregor Gysi so und schlägt daher eine naheliegende Aktion vor.

Die eskalierende Gewalt in der Ukraine hat international für Entsetzen gesorgt und einen ungewöhnlichen Vorschlag hervorgebracht: Der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, hält Altkanzler Gerhard Schröder für einen möglichen Vermittler in der Krise. Im Deutschlandfunk sagte er: "Wie wäre es mit Gerhard Schröder?". Ohne Moskau könne eine Lösung in der Ukraine nicht gefunden werden. Wegen seines guten Drahtes zum russischen Präsidenten Wladimir Putin sei Schröder ein guter Kandidat.

Recht hat er. Wir können froh sein Schröder zu haben und sollten das nutzen.

An dieser Stelle ein Wort an alle, die neidzerfressen bei jeder Gelegenheit Schröders Jobs nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt anprangern.
Bezüglich seines Pipeline-Engagements sagte Schröder einmal (sinngemäß), ja, er sei von Putin darum gebeten worden und gerade deswegen hätte er eigentlich gar nicht ablehnen können, da es um das gute Verhältnis Deutschlands zu einem amtierenden Präsidenten ginge und er außerdem dort die Chance habe die essentiellen deutschen Interessen nach Öl und Gas zu sichern.

Wir sollten heute, während der „Krimkrise“ mehr denn je dem ehemaligen Kanzler dankbar sein, daß er genau die Position ausfüllt.
Angesichts des imbezilen Sanktionsgeschreis „des Westens“ läge es fast nahe, daß Russland demnächst die Erdgaslieferungen drosselt.
Glücklicherweise hat da aber Schröder nun direkten Einfluß und kann zum Wohle der deutschen Wirtschaft eingreifen.
Schröders Annahme des Pipeline-Konsortium-Jobs erscheint mir heute weiser denn je.

Da Putin in Deutschland unbeliebt ist und es generell ehemaligen SPD-Politikern zutiefst missgönnt wird, wenn sie weit jenseits des Rentenalters „in der Wirtschaft“ Geld verdienen, hängt Schulz sein Fähnchen nach dem Wind und distanziert sich von Schröder.
Wieder spricht kein Mensch von den Millionen, die ehemalige Unions- und FDP-Minister kassieren. Rösler, Niebel, Wiesheu, Pofalla, Wissmann, von Klaeden, Kohl, Koch, Wulff.
Das schadet Frau Merkel kein bißchen. Aber wehe ein Sozi tut sowas.
Und da die SPD in jede Hose scheißt, die man ihr hinhält, kritisiert Schulz nun den letzten SPD-Kanzler.

[….] Der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz hat deutlicher als bisher das künftige Engagement von Altkanzler Gerhard Schröder für den russischen Ölkonzern Rosneft kritisiert. Schulz berichtete am Donnerstag, er habe mittlerweile mit dem Altkanzler gesprochen. "Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht machen würde, und dass man nicht jedes Angebot annehmen muss, das man bekommt", sagte Schulz in einem Interview von Deutschlandfunk und Phoenix. Er habe Schröder auch darauf hingewiesen, dass er als Bundeskanzler außer Dienst "immer nur bedingt ein Privatmann" sei. "Meine Ansage war klar", so der SPD-Chef. Schulz rückte damit auch von seiner eigenen ursprünglichen Äußerung ab, wonach die Entscheidung Schröders Privatsache sei und mit der Politik der SPD nichts zu tun habe. [….]

Ja, der Zeitpunkt.
Muss Schröder jetzt damit kommen?

Ich finde einige Argumente Schröders überzeugend.

[….] An Rosneft, dem grössten Erdölkonzern der Welt, ist laut Schröder «keineswegs nur Russland beteiligt, sondern auch Glencore, BP, Katar und weitere». Der Aufsichtsrat suche jemanden, der Erfahrung darin habe, solch unterschiedliche Aktionäre zusammenzubringen: «Ich wurde von CEO Igor Setschin und den internationalen Aktionären angefragt.» Es gebe jedoch auch politische Erwägungen: «Ich bin der Auffassung, dass die Integration Russlands in die Weltwirtschaft und die Integration der Energiewirtschaft Russlands von grosser Bedeutung ist. Zudem hat Rosneft erhebliche Interessen in Deutschland, speziell im Osten.»
[….] Schon seit langem bemüht sich der Sozialdemokrat, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Russland und der EU zu verbessern: «Die Entscheidung für Rosneft ist eine private Entscheidung von mir.» [….] Schröder war bewusst, dass seine Berufung zu reden geben werde. Er hätte jedoch nicht erwartet, dass darüber «mit dieser Einseitigkeit» berichtet wird: «Es ist eine politische Kampagne zugunsten von Frau Merkel. Man will ihr über die Diffamierung meiner Person helfen.» [….] Dazu Schröder: «Ich glaube nicht, dass ich mit dem Mandat meiner Partei schade. Die gezielte Instrumentalisierung der ‹Bild›-Zeitung wird keinen Einfluss auf die Wahlen haben. Die Deutschen haben ein grosses Interesse daran, vernünftige Beziehungen zu Russland zu haben.»
Was hält Schröder von den Sanktionen gegen Russland?
Nach der Annexion der Krim verhängten EU und USA Sanktionen gegen Russland, die auch den Rosneft-Konzern betreffen. «Diese Sanktionen erfüllen ihre Funktionen nur bedingt. Ich will das Verhältnis zwischen der EU und Russland verbessern helfen. Dazu braucht es beide Seiten – und ich will meinen bescheidenen Beitrag leisten.» [….]
(BLICK.ch 17.08.17)


NACHTRAG:

 Karacho Schröder!
Die große Aufregung um den möglichen neuen Russen-Job von Gerhard Schröder ist Unsinn. Warum sollte ein Sozi kein Geld verdienen? Und was spricht eigentlich gegen gute Beziehungen zu Russland? [….] [….]
 

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