Mittwoch, 4. April 2018

Taxiweisheiten

Endlich, auf den Röntgenbildern ist Knochenwachstum zu erkennen. Ich kann von 20 kg Teilbelastung innerhalb von wenigen Wochen in die Vollbelastung übergehen.
Ich darf aber aus rechtlichen Gründen immer noch nicht Auto fahren. Vermutlich könnte ich es schon wieder ganz gut, weil ich Muskelkraft in der rechten Wade habe und das Sprunggelenk fast voll beweglich ist.
Wenn aber irgendein kleiner Unfall passierte, bei dem ich völlig unschuldig wäre, könnte mir der gegnerische Anwalt einen Strick aus der bloßen Tatsache drehen, daß ich Krücken dabei habe.
Heute ließ ich mich also wieder einmal mit dem Taxi abholen, um die zehn Minuten ins Krankenhaus zu fahren.
Leider kam wie so oft eine Mercedes E-Klasse, die für meine Körpergröße ungeeignet ist. Zwar ist die vordere Beinfreiheit sehr gut, aber die Karre ist einfach zu niedrig, wenn man mit dem Hintern voran einsteigt. Das Autodach geht mir dann so etwa bis zum Nacken und ich muß mich extrem krümmen um den Kopf hineinzuzirkeln. Fehlkonstruktion, diese Dinger.
Meine 1,30 m langen Krücken passen auch nicht rein.
Zum Glück erwies sich die Fahrerin, Anfang 30, groß, schlank, lockiges brünettes Haar, gepflegte Erscheinung, als ausgesprochen fürsorglich und zugewandt.
Das „Wie ist DAS denn passiert?“-Gespräch wickele ich inzwischen routiniert und humorig ab; aber diese Dame war mit so starken Spiegelneuronen ausgestattet, daß sie ernsthaft mitlitt und immer wieder „Oh Sie Armer!“, „Oh wie fürchterlich!“, „Das muss ja wehtun!“ und „Sie sollten die BILD anrufen und sich beschweren!“ ausbrach.
Ja, klar haben einige Ärzte und Schwestern auch mal etwas nicht ausgesucht höflich und perfekt erledigt, aber wer wüßte nicht über den Pflegeschlüssel in Krankenhäusern Bescheid und beklagt sich anschließend bei Springer Haupthetzblatt, um gemeinsam mit Margot Käßmann und FJ Wagner Julian Reichelt zu dienen?
Abwegig. Aber die Taxifahrerin war offenbar sehr ernsthaft um mich besorgt, so daß ich immer wieder beruhigend erklärte, die OP habe im Februar stattgefunden; das Schlimmste wäre vorbei.
In der Röntgenambulanz angekommen, begann sie das große Kramen im Handschuhfach, weil sie ihren Quittungsblock suchte. Da ich inzwischen aber genug aus dem Nähkästchen geplaudert hatte und ob meiner Langsamkeit auch dringend aussteigen musste, um den Termin einzuhalten, winkte ich ab. „Nein, ich brauche keine Quittung.“ Auf die paar Euro käme es nun wirklich nicht mehr an und ob die Krankenkasse das übernähme sei ohnehin sehr zweifelhaft.
Da legte sich bei ihr ein Schalter um. Der Ton wurde schlagartig schrill, das freundliche, mitfühlende Gesicht wurde eiskalt, die Gesichtszüge hart:

„Nein, das DÜRFEN SIE SICH NICHT BIETEN LASSEN!
Jeder Kanake aus Syrien und Afghanistan kann hier alle seine Cousins herholen, um die auf unsere Kosten operieren und behandeln zu lassen und Sie sollen noch nicht mal eine Taxifahrt ersetzt bekommen?“

Das kam wieder mal so plötzlich; gerade dachte ich noch, das ist aber mal eine nette Fahrerin und dann fällt mir der Xeno-Hammer auf den Kopf.
Ich hätte bei der BILD-Bemerkung schon skeptisch werden sollen, aber da mumaßte ich noch, sie wäre einfach nur etwas ungebildet.

Deswegen fahre ich auch lieber allein im Auto und meide ÖPNV oder Taxis. Da trifft man nur auf andere Menschen, mit denen man womöglich ins Gespräch kommt und das ist meist gruselig.

Dem Volk auf’s Maul zu schauen ist eine Vorform des politischen Populismus, wird aber andererseits noch positiv konnotiert.
Ein Politiker, dem attestiert wird, nicht abgehoben zu sein, nicht vergessen zu haben woher er kommt, bürgernah zu sein und den Puls am kleinen Mann zu haben, kann sich über gute Wahlergebnisse freuen.
Die Wähler mögen es, wenn ein Minister die Bürger da draußen, bzw den kleinen Mann auf der Straße nicht vergessen hat, sondern weiß was ein Busticket oder ein Viertelpfund Butter kostet.

Aus diesem Grund lässt Frau Merkel das Bundespresseamt auch exzessiv Umfragen erstellen. So lange sie genau weiß wie die Majorität der Deutschen tickt, kann sie im Zweifelsfall immer das tun, was den meisten gefällt – und nicht etwa das was RICHTIG wäre.
Das Richtige zu tun, ist eine Methode, die Gerd Schröder anwendete und das bestrafen die Wähler.

(….) Wie wir unter anderem der letzten SPIEGEL-Ausgabe entnehmen konnten, richtet sich Merkel in ihrem Regierungshandeln weitgehend nach Umfragen.
Millionen Euro gibt das Bundespresseamt für wöchentliche genaue Befragungen nach den Befindlichkeiten der Wähler aus.
Schon 200 exklusiv nur der Kanzlerin zugänglichen Umfrageanalysen unterschiedlicher Institute nutzt die Frau für ihr Herrschaftswissen.
Das was ihr die Chefs der Institute als Mehrheitsmeinung des Urnenpöbels aufschreiben, verwendet sich bisweilen wortwörtlich in ihren Regierungserklärungen.
Bis auf wenige Ausnahmen ist es Merkel ziemlich egal WAS entschieden wird; es soll nur a) möglichst geräuschlos passieren und b) niemand im Wahlvolk verunsichern.
Die große Koalition ist daher Merkels natürlicher Lebensraum, wenn auch zu vermuten ist, daß sie lieber einer rechtere und illiberalere Agenda durchsetzen würde. (….)

Vor allem SPON-Leser kennen inzwischen CIVEY sehr gut,

[….] Wir ermöglichen repräsentative Umfragen im Internet. Dabei sehen erstmals alle die Ergebnisse. Kostenlos und in Echtzeit.
Wir stellen spannende Fragen zu aktuellen Themen. Egal ob Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft: Ihre Meinung zählt. Stimmen Sie ab und zeigen Sie, was Sie denken.   Wir sortieren die Meinungen im Internet und gewichten sie. Mit unserer neuen Technologie berechnen wir ein repräsentatives Ergebnis, in dem alle Meinungen berücksichtigt werden [….]

Natürlich ist es verlockend dort registriert zu sein und bei Fragen mit mehreren Hunderttausend ist man tatsächlich geneigt eine gewisse Repräsentativität zu unterstellen.

Wer länger durch Civey-Ergebnisse scrolt, stellt fest, daß ökonomische Fragen meistens kein eindeutiges Meinungsbild ergeben. Offensichtlich sind die Zusammenhänge zu kompliziert, um die Denken der Deutschen in eine Richtung zu beeinflussen.

Fragen nach Personen, also beispielsweise der Bewertung einzelner Minister sind ähnlich divers. Immer gibt es gute zehn Prozent, die ihn sehr gut und gute zehn Prozent, die ihn sehr schlecht finden. Dazwischen fächert es sich auf. Je bekannter Politiker sind, desto positiver werden sie bewertet.
Auch die Frage nach Parteivorlieben ergibt das übliche zersplitterte Bild

Es gibt aber auch Themenkomplexe, bei denen die Deutschen ausgesprochen einheitlich ticken.
Dazu gehören alle Aspekte, die mit Ausländern, Abschiebungen, doppelter Staatsbürgerschaft und geschlossenen Grenzen zu tun haben.
Da sind die Ergebnisse eindeutig. Die Deutschen können Ausländer einfach nicht leiden. Die Flüchtlinge sollen nicht reingelassen werden, bzw schnell abgeschoben werden.
Die Obergrenze ist extrem populär, das barmherzige Kirchenasyl wird radikal abgelehnt und Abschiebungen mitten in Kriegsgebiete stören die angeblich ach so christlichen Deutschen gar nicht.
Die Majorität der Deutschen ist klar xenophob, kaltherzig und missgünstig.








Ganz offensichtlich bespielen Politiker fast aller Parteien, von Gauland über Dobrindt, Spahn und Lindner bis Wagenknecht deswegen so gern die ausländerfeindliche Karte.

Hier ist ihnen kostenlose und große Zustimmung sicher.
Es kostet ja nichts „Härte gegen Flüchtlinge“ zu fordern, das ist keine Frage der Finanzierung und das angebräunte Volk stimmt diesem Kurs mit weit überwiegender Mehrheit zu.

Interessanterweise gibt es aber auch einen weiteren Themenkomplex, bei dem die Antworten sehr einseitig und eindeutig sind.
Immer wenn es um Verbraucherschutz oder Umweltschutz versus Industrielobbyismus geht, schlagen sich die Deutschen sehr klar auf die sympathischere Seite gegen die Multimilliardenkonzerne.








Bei Glyphosat, Kükenschreddern oder Massentierhaltung verfügen dieselben Politiker, die bei xenophoben Themen so gern dem Volk nach dem Maul reden, über erstaunliches Rückgrat und stemmen sich eisern gegen die überwältigen Mehrheitswillen der Bevölkerung.

Der Grund liegt auf der Hand. Die Schwachen, Ausländer, Flüchtlinge, Heimatvertriebene haben keine starke Lobby – da folgt Politiker der Massenmeinung.
Ganz anders bei der Auto-, Banken, Energie-, Landwirtschafts- oder Pharmaindustrie. Deren Lobby ist so zahlungskräftig und spendet so fleißig an Parteien, daß die Bundestagsparteien hartnäckig Volkes Willen widerstehen.


Das gilt auch für die Kirche, die ihre Anliegen von der Maximalen unnötigen Qual am Lebensende offenbar ebenfalls problemlos gegen die überwältigende Mehrheit der Bundesbürger im Bundestag durchsetzen kann.

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