Endlich,
auf den Röntgenbildern ist Knochenwachstum zu erkennen. Ich kann von 20 kg
Teilbelastung innerhalb von wenigen Wochen in die Vollbelastung übergehen.
Ich darf
aber aus rechtlichen Gründen immer noch nicht Auto fahren. Vermutlich könnte
ich es schon wieder ganz gut, weil ich Muskelkraft in der rechten Wade habe und
das Sprunggelenk fast voll beweglich ist.
Wenn
aber irgendein kleiner Unfall passierte, bei dem ich völlig unschuldig wäre,
könnte mir der gegnerische Anwalt einen Strick aus der bloßen Tatsache drehen,
daß ich Krücken dabei habe.
Heute
ließ ich mich also wieder einmal mit dem Taxi abholen, um die zehn Minuten ins
Krankenhaus zu fahren.
Leider
kam wie so oft eine Mercedes E-Klasse, die für meine Körpergröße ungeeignet
ist. Zwar ist die vordere Beinfreiheit sehr gut, aber die Karre ist einfach zu
niedrig, wenn man mit dem Hintern voran einsteigt. Das Autodach geht mir dann so
etwa bis zum Nacken und ich muß mich extrem krümmen um den Kopf hineinzuzirkeln.
Fehlkonstruktion, diese Dinger.
Meine
1,30 m langen Krücken passen auch nicht rein.
Zum
Glück erwies sich die Fahrerin, Anfang 30, groß, schlank, lockiges brünettes
Haar, gepflegte Erscheinung, als ausgesprochen fürsorglich und zugewandt.
Das „Wie
ist DAS denn passiert?“-Gespräch wickele ich inzwischen routiniert und humorig
ab; aber diese Dame war mit so starken Spiegelneuronen ausgestattet, daß sie
ernsthaft mitlitt und immer wieder „Oh Sie Armer!“, „Oh wie fürchterlich!“, „Das
muss ja wehtun!“ und „Sie sollten die BILD anrufen und sich beschweren!“
ausbrach.
Ja, klar
haben einige Ärzte und Schwestern auch mal etwas nicht ausgesucht höflich und
perfekt erledigt, aber wer wüßte nicht über den Pflegeschlüssel in
Krankenhäusern Bescheid und beklagt sich anschließend bei Springer
Haupthetzblatt, um gemeinsam mit Margot Käßmann und FJ Wagner Julian Reichelt
zu dienen?
Abwegig. Aber die Taxifahrerin war offenbar sehr ernsthaft um mich besorgt, so daß ich immer wieder beruhigend erklärte, die OP habe im Februar stattgefunden; das Schlimmste wäre vorbei.
Abwegig. Aber die Taxifahrerin war offenbar sehr ernsthaft um mich besorgt, so daß ich immer wieder beruhigend erklärte, die OP habe im Februar stattgefunden; das Schlimmste wäre vorbei.
In der
Röntgenambulanz angekommen, begann sie das große Kramen im Handschuhfach, weil
sie ihren Quittungsblock suchte. Da ich inzwischen aber genug aus dem
Nähkästchen geplaudert hatte und ob meiner Langsamkeit auch dringend aussteigen
musste, um den Termin einzuhalten, winkte ich ab. „Nein, ich brauche keine
Quittung.“ Auf die paar Euro käme es nun wirklich nicht mehr an und ob die
Krankenkasse das übernähme sei ohnehin sehr zweifelhaft.
Da legte
sich bei ihr ein Schalter um. Der Ton wurde schlagartig schrill, das
freundliche, mitfühlende Gesicht wurde eiskalt, die Gesichtszüge hart:
„Nein, das DÜRFEN SIE SICH NICHT BIETEN LASSEN!
Jeder Kanake aus Syrien und Afghanistan kann hier alle seine Cousins herholen, um die auf unsere Kosten operieren und behandeln zu lassen und Sie sollen noch nicht mal eine Taxifahrt ersetzt bekommen?“
Das kam
wieder mal so plötzlich; gerade dachte ich noch, das ist aber mal eine nette
Fahrerin und dann fällt mir der Xeno-Hammer auf den Kopf.
Ich
hätte bei der BILD-Bemerkung schon skeptisch werden sollen, aber da mumaßte ich
noch, sie wäre einfach nur etwas ungebildet.
Deswegen
fahre ich auch lieber allein im Auto und meide ÖPNV oder Taxis. Da trifft man
nur auf andere Menschen, mit denen man womöglich ins Gespräch kommt und das ist
meist gruselig.
Dem Volk
auf’s Maul zu schauen ist eine Vorform des politischen Populismus, wird aber
andererseits noch positiv konnotiert.
Ein
Politiker, dem attestiert wird, nicht
abgehoben zu sein, nicht vergessen zu
haben woher er kommt, bürgernah
zu sein und den Puls am kleinen Mann
zu haben, kann sich über gute Wahlergebnisse freuen.
Die
Wähler mögen es, wenn ein Minister die
Bürger da draußen, bzw den kleinen
Mann auf der Straße nicht vergessen hat, sondern weiß was ein Busticket
oder ein Viertelpfund Butter kostet.
Aus
diesem Grund lässt Frau Merkel das Bundespresseamt auch exzessiv Umfragen
erstellen. So lange sie genau weiß wie die Majorität der Deutschen tickt, kann
sie im Zweifelsfall immer das tun, was den meisten gefällt – und nicht etwa das
was RICHTIG wäre.
Das
Richtige zu tun, ist eine Methode, die Gerd Schröder anwendete und das bestrafen
die Wähler.
(….)
Wie wir unter anderem der letzten SPIEGEL-Ausgabe entnehmen konnten,
richtet sich Merkel in ihrem Regierungshandeln weitgehend nach Umfragen.
Millionen Euro gibt das Bundespresseamt für
wöchentliche genaue Befragungen nach den Befindlichkeiten der Wähler aus.
Schon 200 exklusiv nur der Kanzlerin zugänglichen
Umfrageanalysen unterschiedlicher Institute nutzt die Frau für ihr
Herrschaftswissen.
Das was ihr die Chefs der Institute als
Mehrheitsmeinung des Urnenpöbels aufschreiben, verwendet sich bisweilen
wortwörtlich in ihren Regierungserklärungen.
Bis auf wenige Ausnahmen ist es Merkel ziemlich egal
WAS entschieden wird; es soll nur a) möglichst geräuschlos passieren und b)
niemand im Wahlvolk verunsichern.
Die große Koalition ist daher Merkels natürlicher
Lebensraum, wenn auch zu vermuten ist, daß sie lieber einer rechtere und
illiberalere Agenda durchsetzen würde. (….)
Vor
allem SPON-Leser kennen inzwischen CIVEY sehr gut,
[….]
Wir ermöglichen repräsentative Umfragen
im Internet. Dabei sehen erstmals alle die Ergebnisse. Kostenlos und in
Echtzeit.
Wir stellen spannende
Fragen zu aktuellen Themen. Egal ob Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft: Ihre
Meinung zählt. Stimmen Sie ab und zeigen Sie, was Sie denken. Wir
sortieren die Meinungen im Internet und gewichten sie. Mit unserer neuen
Technologie berechnen wir ein repräsentatives Ergebnis, in dem alle Meinungen
berücksichtigt werden
[….]
Natürlich
ist es verlockend dort registriert zu sein und bei Fragen mit mehreren
Hunderttausend ist man tatsächlich geneigt eine gewisse Repräsentativität zu
unterstellen.
Wer
länger durch Civey-Ergebnisse scrolt, stellt fest, daß ökonomische Fragen
meistens kein eindeutiges Meinungsbild ergeben. Offensichtlich sind die
Zusammenhänge zu kompliziert, um die Denken der Deutschen in eine Richtung zu
beeinflussen.
Fragen
nach Personen, also beispielsweise der Bewertung einzelner Minister sind
ähnlich divers. Immer gibt es gute zehn Prozent, die ihn sehr gut und gute zehn
Prozent, die ihn sehr schlecht finden. Dazwischen fächert es sich auf. Je
bekannter Politiker sind, desto positiver werden sie bewertet.
Auch die
Frage nach Parteivorlieben ergibt das übliche zersplitterte Bild
Es gibt
aber auch Themenkomplexe, bei denen die Deutschen ausgesprochen einheitlich
ticken.
Dazu
gehören alle Aspekte, die mit Ausländern, Abschiebungen, doppelter
Staatsbürgerschaft und geschlossenen Grenzen zu tun haben.
Da sind
die Ergebnisse eindeutig. Die Deutschen können Ausländer einfach nicht leiden. Die Flüchtlinge sollen nicht reingelassen werden, bzw schnell abgeschoben
werden.
Die
Obergrenze ist extrem populär, das barmherzige Kirchenasyl wird radikal
abgelehnt und Abschiebungen mitten in Kriegsgebiete stören die angeblich ach so
christlichen Deutschen gar nicht.
Die
Majorität der Deutschen ist klar xenophob, kaltherzig und missgünstig.
Ganz
offensichtlich bespielen Politiker fast aller Parteien, von Gauland über
Dobrindt, Spahn und Lindner bis Wagenknecht deswegen so gern die ausländerfeindliche Karte.
Hier ist
ihnen kostenlose und große Zustimmung sicher.
Es
kostet ja nichts „Härte gegen Flüchtlinge“ zu fordern, das ist keine Frage der
Finanzierung und das angebräunte Volk stimmt diesem Kurs mit weit überwiegender
Mehrheit zu.
Interessanterweise
gibt es aber auch einen weiteren Themenkomplex, bei dem die Antworten sehr
einseitig und eindeutig sind.
Immer
wenn es um Verbraucherschutz oder Umweltschutz versus Industrielobbyismus geht,
schlagen sich die Deutschen sehr klar auf die sympathischere Seite gegen die
Multimilliardenkonzerne.
Bei
Glyphosat, Kükenschreddern oder Massentierhaltung verfügen dieselben Politiker,
die bei xenophoben Themen so gern dem Volk nach dem Maul reden, über
erstaunliches Rückgrat und stemmen sich eisern gegen die überwältigen
Mehrheitswillen der Bevölkerung.
Der
Grund liegt auf der Hand. Die Schwachen, Ausländer, Flüchtlinge,
Heimatvertriebene haben keine starke Lobby – da folgt Politiker der
Massenmeinung.
Ganz
anders bei der Auto-, Banken, Energie-, Landwirtschafts- oder Pharmaindustrie.
Deren Lobby ist so zahlungskräftig und spendet so fleißig an Parteien, daß die
Bundestagsparteien hartnäckig Volkes Willen widerstehen.
Das gilt
auch für die Kirche, die ihre Anliegen von der Maximalen unnötigen Qual am
Lebensende offenbar ebenfalls problemlos gegen die überwältigende Mehrheit der
Bundesbürger im Bundestag durchsetzen kann.
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