Donnerstag, 5. April 2018

Wer tauend mal lügt…

Was für ein bizarrer Twist – der schlimmste Online-Hetzblog, Bergers Philosophia-Phimose – wettert gegen meinen Lieblingsminister Heiko Maas und ich kann es nicht in Bausch und Bogen verdammen, weil ein ganz kleines Körnchen Wahrheit in der ansonsten gewohnt bösartig-verlogenen Tirade liegt.

Es geht, wieder einmal um Wladimir Putin, den Helden der islamophoben Rechtsradikalen, die ihn nämlich als Verbündeten gegen Liberalität, Schwulheit und Atheismus ansehen.
Das ist natürlich alles großer Blödsinn, da Putin vermutlich weit weniger ideologisch und germanophil ist, als sich das Elsässer und AfD wünschen, aber RT lässt sich so schön dazu einsetzen, um die deutsche Regierung zu diskreditieren.

PP verlinkt auf den Compac-Autor Marc Dassen, der wutschnaubend und geifernd den Rücktritt des deutschen Außenministers fordert, da dieser in der leidigen Causa Skripal gelogen habe.

Dürfen Staaten töten? Fraglich
Hat Russland einen Mord befohlen? Möglich.

Unumstößliche Fakten sind nur der Giftanschlag auf Sergej Skripal und seine Tochter Yulia.
Sie ist außer Lebensgefahr und auch er scheint stabilisiert zu sein.
Das verwendete Gift Nowitschok ist identifiziert.

Alles andere sind Indizien, die Heiko Maas so ernst nimmt, daß ihm keine andere Urheberschaft als die Russlands plausibel erscheint.

Der Jurist Maas drückt sich dabei vorsichtig und korrekt aus.
Ja, es ist durchaus wahrscheinlich, daß irgendwer, irgendwann in Russland den Mord an Skripal befahl. Möglicherweise sollte ein Zeichen an andere potentiell abtrünnige russische Agenten gesetzt werden: Egal in welchem Land ihr euch versteckt, ihr werdet für den Verrat büßen.

Indem die Bundesregierung aber antirussische diplomatische Sanktionen Englands mitträgt, verhält sie sich politisch so, als ob die Schuld des Kremls bereits bewiesen wäre.

Das ist aber eben gerade nicht der Fall.

Ist gibt für alle Indizien Widersprüche und zu allen Thesen Gegenthesen.
Moskau sagt, es besitze kein Nowitschok mehr, aber 20 andere Staaten wären in der Lage es herzustellen.
Außerdem gäbe es in London und Washington ein großes Interesse Russland die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Auch das kann sein. Tatsächlich half das rabiate Vorgehen der britischen Regierung der Premierministerin May sehr. Ein dringend benötigter Boost für die Umfragewerte der in Bedrängnis Geratenen.

Seit Wochen behauptet London so ziemlich alles, das gerade noch unter der Schwelle eines Beweises liegt.

[….] Bei keinem anderen Land gebe es die Kombination aus Fähigkeit, Absicht und Motiv für eine Tat wie in Salisbury, sagte Premierministerin Theresa May am Montag. Es gebe Beweise, dass Russland den Einsatz chemischer Kampfstoffe für Attentate erforschen ließ. [….]

Wir haben zwar keine Ahnung, ahnen aber irgendwie, es könnte Russland gewesen sein, weil die das eigentlich hinbekommen müssten und ihnen das irgendwie in den Kram passt?

Nur der Mann, der in England phänotypisch am ehesten an Trump heranreicht, Boris Johnson, behauptet die britische Regierung habe einen Beweis gegen Putin.

Johnson spielt zwar in einer niedrigeren Liga, kann noch keine 2.500 dokumentierten Lügen wie der US-Präsident aufweisen.
Aber so dreist und häufig wie Trump lügt niemand.

Boris Johnson bemüht sich aber und hat immerhin den gesamten Brexit-Wahlkampf auf einer Lügenkaskade aufgebaut, behauptete beispielsweise immer wieder, ohne die EU-Mitgliedschaft könne London wöchentlich (!) 350 Millionen gesparte Pfund in den National Health Service (NHS) stecken.
Blanker Unsinn, von dem Lügen-Boris und seine Brexiteers einen Tag nach der entscheidenden Abstimmung wieder abrückten.
Johnson wurde stattdessen Außenminister und log weiterhin immer mal wieder öffentlich.

[….] Hat Boris Johnson im Fall des vergifteten Ex-Agenten Skripal gelogen? Der britische Außenminister muss sich peinliche Fragen gefallen lassen - und bringt die eigene Regierung in Bedrängnis. Wieder einmal.
[….] Gary Aitkenhead, Chef des Defence Science and Technology Laboratory, sagte am Dienstag über die Herkunft des bei der Attacke auf Skripal und dessen Tochter verwendeten Gifts: "Wir haben die genaue Quelle nicht identifiziert." [….] Für die britische Regierung ist diese Selbstverständlichkeit ein Problem - vor allem für Boris Johnson. Der Außenminister gehört zu jenen, die Moskau im Fall Skripal am heftigsten attackieren. Auf die Frage nach der Herkunft des Gifts hatte Johnson erst kürzlich in einem Interview mit der "Deutschen Welle" geantwortet, die Experten aus Porton Down hätten "keinen Zweifel".
Am Mittwoch wies zudem die russische Botschaft in London auf Twitter genüsslich darauf hin, dass das britische Außenministerium einen Tweet vom 22. März mittlerweile gelöscht hat. [….]

Zu allem Übel zeigte sich Johnson schon früher rabiat Russland-feindlich, ließ jede Diplomatie vermissen, verschlimmerte Englands Position immer wieder, indem er sich mit absurden Behauptungen um Kopf und Kragen redete.

[….] Boris-Johnson-Spruch über Libyen: „Unglaublich krass, kaltblütig, grausam“ Der britische Außenminister hat mit einer Bemerkung über Tote in Libyen Empörung ausgelöst. Er verglich die Stadt Sirte mit der florierenden Metropole Dubai - man müsse nur „die Leichen wegräumen“. [….]
(SPIEGEL ONLINE - 04.10.2017)

[….] Prosecco gegen Fish & Chips: Boris Johnson blamiert sich mit Brexit-Plänen. Der britische Außenminister will trotz Brexit vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt. Die Italiener lockt er mit angeblichen Vorteilen für ihren Prosecco-Absatz. [….]
(SPIEGEL ONLINE - 17.11.2016)

[…..] „Unglaublich unsensibel“: Johnson zitiert kolonialistisches Gedicht in Ex-Kolonie. Der britische Außenminister hat bei einem Besuch in der einstigen Kolonie Burma beinah einen diplomatischen Eklat provoziert. [….]
(SPIEGEL ONLINE - 30.09.2017)

[….] Tagelang weigerte sich der britische Außenminister, einen Fehler einzugestehen. Nun gab Boris Johnson im Parlament zu: Seine lapidare Äußerung über eine in Iran inhaftierte Britin habe ihre Lage verschlimmert. […..]
(SPIEGEL ONLINE - 13.11.2017)

[…..] Johnson wirft Russland Destabilisierung Europas vor. Schwerwiegende Vorwürfe - oder einfach nur lächerlich? Vor seinem Besuch in Moskau hat der britische Außenminister Johnson harte Anschuldigungen gegen die russische Regierung erhoben. [….]
(SPIEGEL ONLINE - 22.12.2017)

[….]  „Übel, militaristisch, undemokratisch": Mit harschen Attacken auf den Kreml hat der britische Außenminister Johnson seinen Besuch in Moskau begonnen. [….]
(SPIEGEL ONLINE - 22.12.2017)

Das ist nicht hilfreich nachdem es 2003 doch die britische Regierung war, die mit einer Lüge über angebliche Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein in den Irakkrieg anzettelte, damit den halben Nahen Osten in Flammen setzte, Hunderttausende Tote und Millionen Vertriebene verursachte.

Deutschland sitzt schön in der Patsche. England ist schließlich als EU-Partner (noch) und NATO-Partner einer der engsten Verbündeten und zudem als UN-Vetomacht und Atommacht außerordentlich wichtig.
Wie sollte sich ein deutscher Außenminister Maas, der erst wenige Tage im Amt ist, gegen England stellen?

Aber das May-Johnson-Britannien macht es ihm sehr schwer.

Compacs schäumender Maas-Hetzer Dassen, auf den Berger stolz verweist, verfügt natürlich auch über keine andere Informationen, erzählt lediglich das nach, was man auf Spiegel Online und anderswo lesen konnte: Daß Gary Aitkenhead, Chef des Defence Science and Technology Laborator anders als von Johnson behauptet, eben nicht die genaue Quelle des Giftes beweisen konnte.
Im Folgenden lügt Compac, daß auch Maas genau das behauptet habe.



Das ist großer Unsinn, Maas hatte sich auf die Britische Regierung bezogen und gesagt, er verfüge über keine andere plausible Erklärung als die Urheberschaft Russlands.
(Eine durchaus bestehende Möglichkeit).
Er hat aber eben nie behauptet es gäbe Beweise – anders als Johnson.

Daß die rechte Alternativmedienmaschine aber überhaupt einen Angriffspunkt findet, um gegen die eigene Regierung zu agitieren, liegt natürlich an der höchst dubiosen Handlungsweise der Briten und womöglich auch an der gelungenen PR Moskaus.
Für Maas gab es da keinen sauberen Weg hinaus.
Die Bundesrepublik trägt zwar die Sanktionen ihrer Partner USA und GB mit, weist aber tatsächlich mit drei Diplomaten so wenige aus, daß die Arbeit der russischen Botschaft kaum eingeschränkt wird.

[…..] Vor wenigen Tagen fragte ein russischer Bekannter: Christina, was macht ihr eigentlich da im Westen? Er meinte das Vorgehen im Fall des vergifteten früheren Doppelagenten Sergej Skripal. Die Stimmung gegenüber den europäischen Ländern werde immer schlechter, klagte der Bekannte, selbst bei jenen wie ihm, die dem System von Wladimir Putin kritisch gegenüberstehen. Letztendlich spiele der Westen dem Präsidenten in die Hände, der sich einmal mehr als Beschützer seines Volkes inszenieren könne. Der Bekannte klang resigniert.
Leider hat er recht. Denn vier Wochen nach dem Anschlag auf Skripal und seine Tochter fragen sich auch in Russland viele, welche Belege es für die Schuld Moskaus denn nun eigentlich genau gibt. Außer der öffentlichen Erklärung, man habe nach geheimdienstlichen Erkenntnissen den Eindruck gewonnen, dass eine andere Erklärung nicht plausibel sei. [….]

Wir sehen hier exemplarisch in welchen Abgrund uns die Politiker neuen rechten Typs wie Johnson und Trump reißen:
Sie verstricken sich so in ihre Lügenmärchen, daß ihre Verbündeten in Teufels Küche kommen und ihre Gegner leichtes Spiel haben.


Nachtrag:

[….] Chinesen zufrieden: Plan, Skripal zu vergiften, um Russland und Westen gegeneinander zu hetzen, geht voll auf
"Operation Nowitschok war die beste Idee seit Langem!" – mit gegenseitigen Gratulationen hat die Spitze der Regierungspartei der Volksrepublik China heute den Erfolg ihrer geheimen Pläne gefeiert, Russland und den Westen gegeneinander aufzubringen. Auch Staatspräsident Xi Jinping ist vollauf zufrieden.
Zuvor hatte der für "Operation Nowitschok" zuständige Geheimdienstkoordinator Lang Zhen gegenüber den wichtigsten Funktionären der Kommunistischen Partei dargelegt, wie es China mit einfachsten Mitteln gelang, seine beiden größten militärischen und wirtschaftlichen Konkurrenten bis an den Rand eines Krieges zu treiben. [….]

[….] Gerhard Schindler, ehem. Präsident Bundesnachrichtendienst:
"Ich glaube, die Sachlage ist sehr komplex und lässt viele Fragen offen und die Beweislage ist nach meiner Auffassung nicht so robust wie die getroffenen Maßnahmen vermuten lassen."

Bekannt ist bis dato nur  der Ursprung der Nowitschok:  der Wissenschaftler Mirsanjov machte das geheime Programm der Sowjets in den 90er Jahren öffentlich.
Russland hat  aber bis 2017 alle Chemiewaffen vernichtet. Offiziell gibt es also keine Nowitschoks mehr.
Aber: auch westliche Staaten haben offenbar zu Schutzzwecken an Nowitschoks geforscht, etwa die USA – und Großbritannien in diesem Militärlabor, erklärt der weltweit anerkannte Chemiewaffenexperte Ralf Trapp.

Ralf Trapp, Chemiewaffenexperte:
 "In Fachkreisen wurde immer davon ausgegangen als die Strukturen der Nowitschoks Anfang der 90er Jahre in die Öffentlichkeit kamen, dass einige der Labors im Westen und auch anderswo sicher, zu Schutzzwecken an diesen Stoffen gearbeitet haben". […..]

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