Sonntag, 22. April 2018

Verteidigung einer Religion – Teil II

Helmut Schmidt erzählte oft, daß er als Jugendlicher so aufwuchs, daß man „mit denen“ nicht verkehrt.
„Die“, das waren die Katholiken. Vor hundert Jahren waren die Konfessionen noch streng getrennt, beide Kirchen verboten Mischehen.
Eine völlig normale Sichtweise für eine Religion, die nach dem großen Schisma einen ganzen Kontinent weitgehend entvölkerte.

Die Trennung der Konfessionen war dabei mit Nichten nur ein Verwaltungsakt, nach dem man ähnlich wie CDU und CSU weiter zusammenarbeiten konnte.
Nein, die Vertreter der Nächstenliebe-Religion begannen fast sofort damit sich gründlich gegenseitig zu hassen und zu bekämpfen.
Nach 100 Jahren Streit kam es zur totalen Eskalation.
Europa wurde in ein 30 Jahre währendes Blutbad verwandelt.

"Hans Philipp Goßmann von Spachbrücken zu Tod geschlagen. Hans Gerhards schwangeren Frauen die Rippen entzweigeschlagen, dass sie bald gestorben. Jakob Hans Frau zu Tod geschändet. Hans Simon mit dem Gemächt ufgehängt und vollends erschlagen ... Summa: 18 Personen", endet die "Schadensliste", die man nach einem Überfall der kaiserlichen Soldaten auf das hessische Reinheim im Mai 1635 bei der zuständigen Obrigkeit einreichte.
Der Dreißigjährige Krieg zeigt sich in solchen Beispielen als Krieg schlechthin: erschlagene, gefolterte, vergewaltigte Unbeteiligte. Ausgebrannte Städte, verwüstete Dörfer, kahlgefegte Äcker. Hungersnöte, Seuchenzüge. Wer da noch lebte, lebte nicht mehr lange: "Wir Leut leben wie die Tier, essen Rinden und Gras", heißt es in einem Bibeleintrag aus den zerstörten Dörfern der Schwäbischen Alb gegen Ende des Krieges. Man ernährte sich von Eicheln und Kleie, briet Ratten, Katzen, Hunde und krepierte Pferde. [….]

In den letzten Tagen habe ich mich mal wieder etwas genauer in den 30-Jährigen Krieg (1618 bis 1648) hineingelesen.
Es war bekanntlich der schwerste Religionskrieg, der jemals in Europa tobte.
Protestanten und Katholiken haben so lange aufeinander eingedroschen bis das „heilige römische Reich deutscher Nationen“ entvölkert und verwüstet war.
Die Hälfte der Deutschen Gesamtbevölkerung wurde massakriert oder fiel Seuchen zum Opfer, die Zivilisation wurde um 100 Jahre zurück geworfen.
Die Bauernhöfe waren verwaist, der Viehbestand nahezu komplett ausgerottet.

Der Mega-Religionskrieg bescherte uns Begriffe wie „magdeburgisieren“.
Magdeburg war damals eine von den Bischöfen unabhängige Stadt mit 30.000 - 40.000 Einwohnern, die versuchte neutral und friedlich zu bleiben.
Das gefiel den Katholiken natürlich überhaupt nicht und so schickt im April 1631 die katholische Majestät Kaiser Ferdinand II den kaiserlichen Befehlshaber Tilly, der die Stadt bis auf die Grundmauern zerstört und seine Truppen anschließend so lange plündern, morden und vergewaltigen läßt, daß nach einer Zählung aus dem Jahr gerade noch 468 Magdeburger leben.

Es war aber auch nicht alles schlecht am 30-Jährigen Krieg.
Da es weit über 200 Jahre brauchte, bis die Bevölkerungszahl wieder auf den Stand vom Beginn des 17. Jahrhunderts angestiegen war, kam es zu einer großartigen Verwaldung der ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Die menschengemachte Monokultur verschwand zugunsten eines intakten Ökosystems aus Urwäldern.

Und wer hat Schuld am 30-Jährigen Krieg?

Dazu gibt es selbstverständlich ein ganzes Bündel Ursachen aus unterschiedlichen Machtinteressen.

Zwei Hauptschuldige will ich aber hervorheben.

Erstens der tiefsitzende Menschenhass der Horrorreligion des Katholizismus.
Es war die katholische Kirche, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollte und mit ihrer Marionette Ferdinand II ganz Europa rekatholisieren wollte.

Das Restitutionsedikt war eine von Kaiser Ferdinand II. am 6. März 1629 erlassene Verordnung, mit der ohne Einverständnis der evangelischen Reichsstände der Status quo des geistlichen Besitzstands im Reich wieder auf den Stand des Jahres 1552 gebracht werden sollte. Es setzte damit die katholische Interpretation des Augsburger Religionsfriedens (1555) durch.
(Wikipedia)

Die RKK war dermaßen blutrünstig, daß sie selbst nachdem schon der halbe Kontinent verwüstet war erbittert Propaganda gegen diejenigen betrieb, welche auch nur an einen Frieden dachten.
Insbesondere die Jesuiten und der Pater am Kaiserlichen Hof, Johannes Weingarten empörten sich ab dem Jahr 1633 über den katholischen Heerführer Wallenstein, der "den Krieg vernachlässige“ und nicht mehr die rechte Lust verspürte Protestanten zu massakrieren.

Als auch noch Gerüchte auftauchten Wallenstein wolle Friedensverhandlungen beginnen, hetzten die katholischen Geistlichen so gegen den Kriegsmüden, daß sie seine Ermordung durchsetzen konnten.

Die zurückhaltende Art seiner Kriegführung während des zweiten Generalates [Wallensteins], seine Friedenspolitik und die dadurch hervorgerufene Sorge um den Triumph der katholischen Idee ließen am Hofe bald eine starke Partei gegen ihn erstehen, an der Spitze der Sohn des Kaisers, der spätere Ferdinand III. Sie gewann im Laufe der Zeit einen entscheidenden Einfluß auf den schwachen und schwankenden Kaiser, zumal in ihr Männer wie der bayerische Kurfürst, der böhmische Oberste Kanzler Slawata, die Jesuitenpatres Lamormaini, der Beichtvater, und Weingartner, der Hofprediger, mit Leidenschaft gegen Wallenstein wirkten.
(Uni Giessen.de)

Die zweite Hauptschuld liegt in den Charakteren der handelnden Personen, die einfach keine netten Menschen waren.

Das betrifft die katholischen Heerführer und Kriegsverbrecher Johann t’Serclaes Graf von Tilly (1559-1632) und Albrecht Wenzel Herzog von Wallenstein, sowie auch den legendären Schwedischen König Gustav II. Adolf, (1594-1632).

Erst als Bundeskanzler lernte Schmidt durch seine großartige Freundschaft mit dem fast auf den Tag gleichaltrigen hochgebildetem Muslim und Friedensnobelpreisträger Muhammad Anwar as-Sadat die vielen Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum kennen, erfuhr, daß es sich um Schwesterreligionen mit einem gemeinsamen Stammvater Abraham handelte.

Helmut Schmidt, der dieses Jahr 100 geworden wäre, wuchs zu einer Zeit auf, als das Bildungssystem noch so mangelhaft war, daß man kaum über seinen Tellerrand hinausblickte mit normaler Schulbildung.
Man wußte nichts über vergleichende Religionswissenschaft. Und es gab auch so gut wie gar keine Muslime in Deutschland. Ebenso weinige wie Atheisten. Man war ein Christian-only-country, das all diese Megaverbrechen beging, die im Holocaust und der Ausrottung nahezu der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas mündete.
Schmidt stieß also bei seinen tiefen Gesprächen mit Sadat auf etwas Neues und da er sehr intelligent und wissbegierig war, lernte er nicht nur alles über das Judentum und den Islam; er sog auch alle Informationen über den Buddhismus und Hinduismus ein, wurde zu einem regelrechten Experten für den Konfuzianismus.

Im 21. Jahrhundert ist die Situation natürlich eine völlig andere.
2,7 Millionen erwachsene Muslime leben in Deutschland; alle Informationen zu den Religionen sind frei zugänglich, in unendlich vielen Büchern auf Deutsch publiziert und zudem auch seit Dekaden täglicher Gegenstand feuilletonistischer Debatten.
Für Erwachsene mittleren Alters des Jahres 2018 erfordert es anders als für die 1918 Geborenen schon eine gewaltige Portion Ignoranz und Borniertheit gar nichts über den Islam zu wissen.

Aber dafür haben wir in Deutschland die CSU-Politiker, deren Unwissen und Unwillen irgendetwas zu wissen nach wie vor unübertroffen ist.

Schwer vorzustellen, aber wahr, es gibt deutsche Spitzenpolitiker, die nach vielen Jahren als Minister immer noch tumb verbreiten, der Islam wäre irgendwas archaisch-mittelalterliches, das eben wie das Christentum vor 300 Jahren noch nicht durch die Aufklärung gegangen wäre.

Bei Alexander Dobrindt und Horst Seehofer bin ich sogar geneigt ihnen zu glauben, daß sie wirklich so ungeheuer verblödet sind und nicht etwa wider besseres Wissen dieses Zerrbild zeichnen, um ihre braune Basis zu triggern.

Zunächst einmal sollte man den CDUCSU-Herren erklären, daß die Aufklärung und die Werte der Demokratie, auf die man nun so stolz pocht, nicht etwa „aus dem christlich-jüdischen Erbe“ entstanden, sondern ganz im Gegenteil gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen durchgekämpft werden mussten.

Ein Treppenwitz, daß es zum Beispiel einer 1978 im Münsterländischen Ahlen geborene Muslimin bedarf, um Herrn Dorbindt die elementarsten Dingen zu erklären. Schließlich liest er auch nicht meinen Blog, in dem das ebenfalls seit immer thematisiert wird.

[….] Fakt ist: Die Entwicklungen in der islamischen Welt lassen sich nicht mit denen Mitteleuropas gleichsetzen. Die Ausgangspunkte sind gänzlich anders gelagert. Die Aufklärung ist nicht aus dem Christentum heraus entstanden, sondern im harten Ringen mit dieser Religion. Im Islam war diese Konfrontation so nicht nötig. Aussagen, wonach der Islam keine Phase der Aufklärung wie Europa gehabt und sich deshalb nicht im selben Maße weiterentwickelt habe, kommen daher nur zustande, wenn man ohne islamwissenschaftliches Hintergrundwissen durch eine sehr trübe christlich-abendländische Brille blickt.
Vernunft, Erkenntnis, Naturwissenschaft, Freiheit, Toleranz: Das waren Schlagwörter der europäischen Bewegung, die Immanuel Kant in diesem Satz auf den Punkt gebracht hat: “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ In diesem Sinne ist Aufklärung im Koran bereits enthalten, oder er widerspricht ihr zumindest nicht. Im Koran geht es stets darum, dass der Mensch lernen soll, mündig zu sein und sich vernünftig zu verhalten. [….]

Wegen dieser islamischen Grundeinstellungen konnten die Erkenntnisse der Antike überhaupt weiterentwickelt werden.
Während des 1000-jährigen dunklen christlichen Mittelalters hatte sich gezeigt, was „Kirche pur“ bedeutet: Reine destruktive Wissenschaftsfeindlichkeit.

(…..)Das Christentum ist eine derart destruktive Religion, daß es über 1000 Jahre alles zerstörte, was unsere Wurzeln ausmacht.
Wie verdanken das Wissen um unsere eigene Geschichte und unser geistiges Fundament ausdrücklich dem Islam, der rettete, als das Christentum nur zerschlug und vernichtete.

Zum Glück gibt's den Islam
 […]  Das echte "finstere Mittelalter" Europas lag etwa zwischen dem vierten und dem achten Jahrhundert nach Christus. Damals hatte das Christentum sich in weiten Teilen Europas verbreitet, und seine Verfechter und Verteidiger begannen mit etwas, das man heute eher mit den Taliban assoziieren würde als mit dem christlichen Abendland: der systematischen Vernichtung von Kulturgütern.
Christliche Herrscher und Kirchenführer sorgten beispielsweise dafür, dass in West- und Osteuropa massenweise Bücher verbrannt wurden, ganze Bibliotheken opferte man der höheren Ehre Gottes. Alles Wissen jenseits der Bibel und theologischer Abhandlungen galt als gefährlich, weil es den Glauben hätte in Frage stellen können. Viele Schriften griechischer Philosophen und Dramatiker, natur- und geisteswissenschaftliche Abhandlungen konnten nur überleben, weil Gelehrte in den Osten flohen, Wissen und Bücher mitnahmen. "Über diese verschlungenen Pfade sollten also Araber Aristoteles und all die Schätze der griechischen Wissenschaft erben", schreibt Peter Watson in seiner grandiosen Welt-Kulturgeschichte "Ideen".
Aristoteles' Dialektik etwa sei im christlichen Denken geächtet worden, "weil ein Dialog mit Gott schlicht als unvorstellbar empfunden wurde". So kam es, "dass Aristoteles' Werke - mit Ausnahme von zwei seiner Abhandlungen über die Logik - aus dem Abendland verschwanden und uns nur erhalten blieben, weil sie von arabischen Übersetzern gehortet wurden". Andere Werke verschwanden vollständig. Sophokles etwa hat wohl mindestens 123 Dramen geschrieben - ganz erhalten sind gerade einmal sieben davon, ebenso wenige von Aischylos.
Die christlichen Kulturvernichter leisteten ganze Arbeit, auch später noch einmal, als im Zuge des byzantinischen Bilderstreits im achten und neunten Jahrhundert massenweise Kunstwerke zerstört wurden, weil die aktuelle religiöse Doktrin sie als Götzenbilder verdammte. […] Hätten Araber und Perser nicht viele antike Schriften gerettet, noch weit mehr von der Geistesgeschichte des Abendlandes wäre verlorengegangen. Zu unserem Glück flossen die Ideen und das Wissen schließlich aus dem arabisch-persischen Raum zurück nach Europa. […] Anders als im christlichen Abendland herrschte in der arabischen Welt damals nämlich vergleichsweise weitgehende religiöse Toleranz. […]
Nichtmuslime standen sogar unter dem Schutz der jeweiligen Herrscher, solange sie sich an bestimmte Regeln hielten. […]

(…..) „Der Islam“ war tolerant und duldete nicht nur Andersgläubige, sondern fühlte sich verpflichtet sie aus Gastfreundschaft zu schützen.
Das berühmteste Beispiel dafür ist sicherlich die Maurische Hochkultur in Spanien, als unter Islamischer Kontrolle Wissenschaft und Kunst aufblühten, weil Christen und Juden akzeptiert waren. Dadurch konnten sich im schönsten Multikulti die Wissenschaften gegenseitig befruchten. Daher waren Astronomie, Mathematik und Medizin in Islamischen Herrschaftsbereich Jahrhunderte vor dem Christentum in Nordeuropa. (…..)

Auch diese Informationen werden seit Jahren öffentlich in Zeitungen, Podiumsdiskussionen, TV-Dokumentationen erörtert.
Man kann nur staunen wir völlig erkenntnisresistent AFDPCDUCSU-Politiker durch die Welt taumeln.

[……] In der islamischen Welt lebte der hellenistische Geist fort – mit konkreten Folgen: Während im mittelalterlichen Europa brutale inquisitorische Methoden die einzig wahre Lehre von Gott durchsetzen sollten, war in der islamischen Welt die friedliche Koexistenz unterschiedlicher religiöser Auffassungen ohne Bevorzugung einer einzigen gang und gäbe. Die Wissenschaft spricht hier von Ambiguitätstolerenz, ein Begriff, den Thomas Bauer von der Uni Münster geprägt hat: Keiner hatte die Hoheit über die Religionslehre. Streit im Guten, das Suchen nach Wissen: Das war Jahrhunderte lang Ausdruck islamischer Kultur – ganz anders als in Europa.
Auch in Sachen Toleranz irrt Alexander Dobrindt gewaltig. Im Vergleich zu Europa war die islamische Welt da geradezu vorbildlich. Daran ändert auch nichts, dass Andersgläubige von den höchsten politischen Ämtern ausgeschlossen waren. Welche frühe Kultur hätte jemals Andersgläubige in staatliche Spitzenämter gelassen? Juden zum Beispiel mögen in islamischen Ländern zwar durch die ihnen auferlegte Kopfsteuer (Dschizja) Bürger zweiter Klasse gewesen sein – aber immerhin waren sie Bürger. Ein Status, der ihnen im europäischen Mittelalter versagt wurde. Schlimmer: Dort wurden sie immer wieder brutal verfolgt. Unter der Herrschaft des Islams dagegen konnten jüdische und christliche Gelehrte in der Regel unbeschadet und geachtet wirken. [….]

Den Krieg trugen erst die christlichen Kreuzzügler in die Islamische Welt.
Sie lehrten die Welt Intoleranz.
Die Christen gingen dabei so nachhaltig zerstörerisch vor, daß man noch heute beispielsweise eine radikale und tödliche Homophobie in fast ganz Afrika erlebt, die keineswegs endemisch für den Kontinent ist. Ganz im Gegenteil, es waren die christlichen Missionare, die vor 200 Jahren voller Entsetzen über die Schwulentoleranz der afrikanischen Völker Mord und Todschlag einsetzten, um diesen Kulturen das Humane auszutreiben, sie zu versklaven und zu radikalen Homophoben umzuformen; kurz zusammengefasst: zu Christianisieren.

Was Dobrindt, Spahn und Seehofer sehen ist eine unfreie zunehmend islamistische Gesellschaft in den heutigen Golfmonarchien und nordafrikanischen Diktaturen.
Niemand kann bestreiten, daß Frauen- und Homorechte in Saudi Arabien oder Mauretanien unterentwickelter sind, als im christlich geprägten Europa.

Genauer gesagt gibt es in den säkulareren Ländern Europas die heute bejubelte Toleranz. Die Länder, die sich wie Russland, Ungarn und Polen wieder stark mit den christlichen Kirchen identifizieren, schaffen auch gleich wieder Schwulen- und Frauenrechte ab.

Diese „Rückständigkeit“ der heutigen islamischen Länder ist aber eben nicht grundsätzlich im Islam verwurzelt – die Geschichte beweist das Gegenteil.
Aber auch der Islam litt unter einem Schisma, welches die Christen insbesondere im 30-Jährigen Krieg ausfochten.
(In Nordirland ermorden sich Protestanten und Katholiken bis ins 21. Jahrhundert gegenseitig)

[…..] Ein halbes Jahrtausend des Glanzes bescheinigt de Bellaigue der islamischen Welt im Anschluss an Mohammeds Tod im Jahr 632. Der christlichen Zivilisation sei man in vielem voraus gewesen, habe nicht nur in der Mathematik, Medizin oder Baukunst brilliert. Doch die Spaltung in Sunniten und Schiiten leitete den Niedergang ein, es folgten die christlichen Kreuzzüge und damit der Zweifel an der Gunst Gottes. Die Konsequenz: der Verlust von "Originalität und Finesse" sowie eine selbst auferlegte Isolation, etwa durch das Verbot der aus Europa kommenden Druckerpresse. [….] Welche progressiven Geister die muslimische Welt dann jedoch im 19. Jahrhundert erlebte, als sie sich wieder Einflüssen von außen öffnete, führt de Bellaigue am Beispiel der Metropolen Kairo, Istanbul und Teheran vor. Erneuerer wie Rifaa al-Tahtawi, Namik Kemal oder Mirza Saleh dürfte hierzulande kaum jemand kennen, in Nahost trieben sie die Moderne entscheidend voran. Pioniere auf den Gebieten der Bildungspolitik, der freien Presse und der Frauenrechte, die etliche ihrer Ideen von Reisen nach Europa mitbrachten, sogar die Marseillaise ins Türkische und Arabische übersetzten. […..]
(SPON über „Die islamische Aufklärung: Der Konflikt zwischen Glaube und Vernunft“ von Christopher de Bellaigue, 21.04.2018)

Wäre man mal lieber nicht Untertan einer Religion gewesen.
Historisch betrachtet halte ich den Islam für besser als das Christentum.
Aber deswegen ist er noch lange nicht gut.
Gut kann nur eine religionsfreie Gesellschaft sein.

Endgültig den Garaus machten die Christen der islamischen Liberalität dann Anfang des 20. Jahrhunderts, als sie alle Länder unter islamischer Dominanz zerschlugen, ausraubten und nach purer westlicher Willkür neue Grenzen in den Wüstensand zeichneten.
Das Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916 halte ich immer noch für eine der ganz großen Ursünden der christlichen Welt.
Ein, oder vielleicht das entscheidende christliche Verbrechen gegen den Islam, von dem Herr Dobrindt aber offensichtlich ebenfalls nicht die geringste Ahnung hat.
Voller Ignoranz legten Europa und die USA den gesamten Nahen Osten für die nächsten hundert Jahre potentiell in Flammen.

Die muslimischen Menschen mussten zusehen, wie ihre Welt zerschlagen wurde von den Kräften, die sich als Demokratien verstanden und westliche Werte predigten.
Es gab nur eine einzige Opposition gegen die westlichen Verbrechen – angeführt von den Muslimbrüdern.

[…..] De Bellaigue nennt den Ersten Weltkrieg eine "Wasserscheide in der Geschichte der islamischen Aufklärung". Die Begeisterung für liberale Werte und einen säkularen Staat endete jäh, stattdessen formierten sich reaktionäre Gegenbewegungen - etwa zu Atatürks Reformen, die mit der Gründung der Republik Türkei eine Trennung von Religion und Staat vorsahen. Den Islamismus als radikale Form des politischen Islam sieht de Bellaigue so als Folge der Zerstückelung des Osmanischen Reichs.
Den Modernisierungsprozess des Islam vergleicht De Bellaigue mit einem Tier, das eine Lobotomie erlitten hat: Äußerlich scheint alles in Ordnung, innerlich leidet es unter schweren Störungen.
Zugleich begeht der Autor aber nicht den Fehler, die Entwicklung der islamischen Welt allein im Hinblick auf ihre Aneignung christlich-europäischer Werte zu beurteilen. Sein historischer Blick macht vielmehr deutlich, wie der Westen gerade durch die Einmischung den Nationalismus stärkte: Ägypten etwa habe sich nach dem Ende der britischen Besetzung 1922 in einen arabischen Chauvinismus geflüchtet; denn der Liberalismus war durch die Kolonialmacht diskreditiert. Islamismus geriet so zur "Widerstandsideologie". [….]
(SPON über „Die islamische Aufklärung: Der Konflikt zwischen Glaube und Vernunft“ von Christopher de Bellaigue, 21.04.2018)

Wie alle Religionen lässt sich auch „der Islam“ hervorragend zur Herrschaft und zu Gehorsam instrumentalisieren.
Das konnten wir in der Tat in den letzten hundert Jahren zur Genüge erleben.

Aber auch im 20. Jahrhundert waren islamische Länder Deutschland noch in der Frage der Frauenemanzipation voraus.

Konservative deutsche Politiker mögen die Türkei nicht.
Vor allem wegen der Türken.
Die sind so rückständig.
Frauen dürfen da nicht in der ersten Reihe der Politik mitmachen.
 In Deutschland wurde hingegen FRAU Merkel Kanzlerin.
(Das war im Jahr 2005 - also nur 17 Jahre nachdem im islamischen Staat Pakistan Benazir Bhutto Regierungschefin wurde und 12 Jahre nachdem in der islamischen Türkei Tansu Çiller Ministerpräsidentin wurde.) [….]

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