Samstag, 29. April 2017

Alte Denkmuster.

So ein Zufall; daß in muslimischen Ländern so viele muslimische Kinder geboren werden und daß evangelikale Christen weitüberwiegend christliche Babys gebären.
Offensichtlich ist Religion gar keine Glaubensangelegenheit, sondern einer Frage der Kultur, in die man hinein geboren wird.
Daher ist es wahrscheinlich, daß ein japanisches Kind rohen Fisch lieber mag als blauschimmeligen Käse, während es bei Franzosen umgekehrt ist.

Wenn ein Junge, wie der kleine Krzysztof Charamsa, 1972 in Gdingen an der polnischen Ostseeküste geboren wird und ihn eine Mutter aufzieht, die „was Kirchen und Religionsausübung betraf, in geradezu hysterischer Weise fundamentalistisch war“ (Charamsa), ist es wenig verwunderlich, daß er katholisch-religiös wird.

Das gilt generell. Wer mit seiner Muttermilch aufsaugt, daß Juden Brunnen vergiften, daß Schwarze Vergewaltiger sind, Zigeuner klauen, Schwule mit dem Satan paktieren und Frauen minderwertig sind, glaubt dies zunächst einmal.
Bleibt man in so einem Umfeld und wird möglichst effektiv von anderen Meinungen abgeschirmt, erhalten sich diese Vorurteile.
Deswegen sind ultraultraorthodoxe Juden in Israel so extrem darauf bedacht ihre Kinder von säkularen Zeitungen, höherer Bildung und dem Internet abzuhalten.
Je besser dies gelingt, desto wahrscheinlicher bleibt ihre Brut ultraultraorthodox.
Amish-Jugendliche legen vor ihrer Taufe, die sie nur als Erwachsene und aus eigenem Willen empfangen (lobenswert!) ein Jahr des „Herumspringens“ ein, in dem sie in die Welt hinausgehen und sich alles ansehen können, was ihnen vorher verborgen blieb.
Ohne diese Experimentierphase gäbe es heute viel mehr Amish, weil weniger gegen ein amishes Leben entschieden.

Wer aus nicht ganz so eingeengten Verhältnissen wie homegeschoolten evangelikalen Amerikanern kommt, wird irgendwann seine mitgegebenen Vorurteile hinterfragen.
Daher treten Erwachsene, die als Säuglinge in Deutschland von ihren Eltern zwangsgetauft wurden, oft aus der Kirche aus.
Sie lernen, daß man Homosexuelle nicht als „Schwuchtel“ beschimpft und finden heraus, daß Schwarze genauso klug wie Weiße sind.
Die Welt ist in dem Sinne wirklich offen, daß ein jeder sich mit wenigen Klicks über Gewohnheiten auf der anderen Seite der Erde informieren kann.
Daher gibt es auch in Frankreich Suhsi-Restaurants und Asiaten fangen an Milchprodukte zu importieren.
Nachdem Deutsche durch ihre „Gastarbeiter“ Pizza und Döner kennenlernten, gaben sie den ausschließlichen Genuß von Grünkohl und Eisbein auf.

Der kleine Krzysztof Charamsa wuchs aber nicht nur mit seiner dörflichen Indoktrination auf, sondern verblieb auch als Erwachsener in einer römisch-katholischen Struktur, die bezüglich der Homosexualität eindeutig war.

[…..] „Die Beichte ist ein Sakrament, das unter der krankhaften Sexbesessenheit der, die sie abnehmen, leidet. Wenn ich aufrichtigen Herzens die Beichte ablegte, schlug mir vonseiten der Gewissenspolizisten nichts anderes als Homophobie entgegen.“ [….]
(Krzysztof Charamsa im STERN, 27.04.2017)

Als jemand, der noch nie gebeichtet hat, erinnert mich das frappierend an die Erzählungen meines Vaters, der als kleiner Junge nach der Erstkommunion das erste Mal beichten mußte und ab dem Zeitpunkt wöchentlich von Lustgreisen nach Masturbation und möglicher Masturbation mit anderen Jungs ausgequetscht wurde – lange bevor er überhaupt geschlechtsreif war und eine Ahnung hatte was das überhaupt sein könnte.
Die Masturbationsbesessenheit des Priesters führte schließlich dazu, daß er sich Sünden ausdachte. Bald erklärte er wöchentlich im Beichtstuhl seiner Mutter einen Dollar aus dem Portemonnaie genommen zu haben – nur um eine Strafe zu bekommen, die den Priester davon abhielt von Penissen und Ejakulationen zu phantasieren.
Die Sache hatte einen positiven Nebeneffekt. Während er sich eigentlich nicht für die Beichte bereit fühlte, da er keine Schuld empfand (wofür ist ein Achtjähriger moralisch schuldig?), konnte er anschließend erhobenen Hauptes den Beichtstuhl verlassen. Endlich fühlte er sich wirklich schuldig, da er ja den Priester angelogen hatte wegen des Dollarscheins.

Als mein Vater als Teenager in NY auf ein College ging, teilte er mit einem jüdischen Jungen das Zimmer, der anders als erwartet ganz normale Füße und nicht etwa Hufe hatte.  Die „Negros“ stanken auch nicht. Die Konsequenzen waren klar. Als mein Alter Herr 18 wurde, trat er aus der Kirche aus.

Charamsa wurde vielleicht nicht in so einen multikulturellen Schmelztiegel wie mein Vater geworfen, aber da er zufällig schwul ist, kam er auf andere Weise mit der Kirchenlehre in Konflikt.

Das hielt ihn allerdings nicht davon ab trotz all seiner Reisen und internationaler Kontakte 12 Jahre so konservativ zu sein, wie es im Vatikan nur geht – als Inquisitor in Kardinal Müllers Glaubenskongregation.
Er übernahm den Schreibtisch von „il bel Giorgio“, als dieser 2005 seinem geliebten Ratzi als „Privatsekretär“ in den päpstlichen Palast folgte. Auch als Papst vergaß der Bayer nicht den Adonis aus Polen; am 6. Juli 2008 gab Ratzi ihm den päpstlichen Ehrentitel Kaplan Seiner Heiligkeit mit der Anrede Monsignore.

Ratzi und offenbar viele andere Kardinäle stehen auf hübsche junge Männer in Soutane.
Benedikt holte sich nicht nur den schönen Georg Gänswein als persönlichen Diener ins Gemach, sondern Ratzi war es auch, der den außerordentlich attraktiven Krzysztof Charamsa in seine Lieblings-Präfektur, die Inquisitionsbehörde beförderte.
Gänsi und Karamba! Für alternde rechtslastige Theologiban ist der Vatikan doch ein Paradies.

[….] „Gerüchte über eine "cordata", eine Seilschaft Homosexueller innerhalb der vatikanischen Mauern, gab es bereits unter Benedikt XVI. [….] Eine Diagnose, die auch auf Monsignore Charamsa zutreffen könnte. Joseph Ratzinger war es, der den mit Bestnoten dekorierten Absolventen der Päpstlichen Universität Gregoriana 2003 in die Glaubenskongregation berief. Und der ihn später, als Papst Benedikt XVI., mit dem Ehrentitel Kaplan Seiner Heiligkeit auszeichnete.“ [….]

Obwohl es unter Ratzinger im Vatikan so schwul zuging, wie wohl noch nie zuvor in der Neuzeit“ (Charamsa), ging dem Beau das Versteckspiel zunehmend auf die Nerven.

[…..] Über jenen Würdenträger sagt er: „Ratzinger verstand es vorzüglich, den Hass auf die Homosexuellen zu verschärfen. Wenn ich jedoch (…) an die Jahre zurückdenke, in denen er Papst war, dann steht mir ein Pontifikat vor Augen, in dem es im Vatikan so schwul zuging, wie wohl nie zuvor in der Neuzeit.“
Der Theologe erinnere sich an eine Audienz muskulöser Akrobaten beim Papst, die auch schon beim „Gay Circus“ in Barcelona bewundert worden sein. Überhaupt sei es eine Periode gewesen, in der „das ganze schwule Szenarium, welches Rom der Barockzeit zu bieten gehabt hatte, wieder auflebte. Mit „roten Schühchen“ und „sorgfältig choreografierten Prozessionen“. [….]
(Epochtimes, 27.04.2017)

Es steht mir nicht zu darüber zu urteilen wieso sich einer erst mit 43 outet und so viele Jahre im Dienste einer Organisation stand, die extrem homophob ist und somit viel Leid über die Menschen wie ihn bringt. Das ist eine Frage an Psychologen.

Es verwundert allerdings, daß ein gebildeter Mann, der heute so klar über die Homophobie des Vatikans urteilt, der so mutig war das alles hinter sich zu lassen und von eben auf jetzt seine Karriere für immer zu zerstören, in anderer Hinsicht so ein naives Kindlein geblieben ist.

Sein erstes Rendezvous mit seinem heutigen Partner hatte in einer Kirche stattgefunden. Erstaunlich. Priester wie er kommen ja auch so selten in eine Kirche.
Aus dieser Tatsache schließt der schöne Krzysztof in seinem Buch*, Gott habe ihn mit seinem Partner Eduard Planas zusammengeführt.
Heute liebt er die katholische Kirche mehr denn je, besteht darauf weiterhin so zu leben wie es sich für einen Priester gehöre. Er sei katholischer als je zuvor. So verkündet er es im aktuellen STERN.


C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 2017, 320 Seiten 19,99 Euro.

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