Erstaunlich
viele Menschen sind sich ihres Geschmacks extrem unsicher.
Sie
wissen eigentlich gar nicht genau was ihnen gefällt und sind zudem nicht
selbstbewußt genug unabhängig von anderen ihren Vorlieben zu frönen.
Ich denke manchmal an eine Mitschülerin von mir, die in der 5. oder 6. Klasse nicht gerade beliebt war, weil sie eine Streberin war und sich bei den Lehrern einschleimte.
Zu allem
Übel trug sie gern eigenartige bäuerliche Kleider und kam gelegentlich mit
ihren holländischen Holzschuhen in den Unterricht.
Ein gefundenes
Fressen für alle anderen, die sie dafür auslachten.
Kinder mögen
keine Außenseiter und wenn diejenige sich dann auch noch so offensichtlich
bekloppt anzieht, wird gemobbt, auch wenn zu meiner Zeit der Begriff „Mobbing“
noch nicht erfunden war und es nicht physisch gewalttätig zuging.
Ich
mochte das Mädchen auch nicht besonders gern, aber immerhin beeindruckte es
mich, daß es ihr offensichtlich egal war, daß die halbe Schule sie wegen ihrer
holländischen Holzpantinen auslachte. Sie fand sie toll und trug sie
trotzdem.
Das war
rückblickend betrachtet eine reife Leistung, die viel Rückgrat von einer
11-Jährigen erforderte.
Vielleicht
konnte ich es besser als andere erkennen, weil ich – rein zufällig – von meiner
leicht verrückten Mutter beeinflusst ebenfalls ermutigt wurde gegen den Strom
zu schwimmen.
Es war
das Alter, in dem man kontinuierlich wächst, so daß man jeden Winter neue
Stiefel und Winterjacken brauchte.
Ich
erinnere mich noch an die gewaltige Auswahl von Moonboots, die es damals in den
Kinderabteilungen des großen Schuhgeschäfts gab. Welche nehmen?
Die
Silberblauen waren vielleicht ziemlich teuer, wurden aber auch vom
Klassensprecher und dem sportlichen Jungen getragen. Argumente, die ein Kind überzeugen
können.
Aber
immer wieder machte die Verkäuferin bei den dicken wattierten Space-Jacken und
Klumpschuhen den einen Kardinalfehler, wenn sie uns zur Entscheidung drängen
wollte, indem sie sagte „die werden dieses Jahr besonders gern gekauft.“
Sofort
rollte meine Mutter die Augen und erklärte „also kommen die für uns nicht in Frage.“
Sie wollte nicht, daß ihre Kinder haargenau wie alle anderen Kinder angezogen
sind.
Ein
bißchen Ermutigung gehört dazu, wenn ein Kind selbstständig werden und seine
eigene Meinung entwickeln soll.
Zum
Glück; und das betrachte ich a posteriori jeden Tag als größeres Glück; konnte
ich meinen Kindermodengeschmack nur auf dem Schulhof abgleichen.
Da gab
es zwar die coolen Jungs mit den schicken Markenklamotten, aber durchaus auch welche,
die irgendwas Selbstgemachtes anzogen, oder gar abgelegte Jacken älterer
Geschwister auftrugen.
Auf
Fotos von damals sehe ich durchaus optische Individualität.
Als wir
Teenager waren, spalteten wir uns modemäßig in eine breite Vielfalt auf.
Popper, Goths, Mods, Teds, Gruftis, Unauffällige, Anzugträger, Punks, Edelpunks
und alle möglichen Zwischentöne.*
Man
konnte schließlich seiner eigenen Phantasie freien Lauf lassen. Die 80er waren
angebrochen; im Chemie-Kurs arbeiteten die Popperin mit ihrem Lacoste-Shirt und
Baracuda-Stiefeln einträchtig mit dem Mega-Irokesentyp in zerfetzten roten
Karojeans und den Sicherheitsnadeln im Gesicht zusammen.
Nach den
auf FB veröffentlichten aktuellen Abi-Bildern meiner ehemaligen Schule zu urteilen, ist
die Zeit der Individualität endgültig vorbei. Die Klugtelefone, die jeder
Schüler der heutigen Abi-Generation sein ganzen Leben bei sich trug, haben ganz
offensichtlich zu einer völligen optischen Nivellierung geführt.
An der
Schule gibt es jedes Jahr um die 120 Abiturienten und alle Mädchen tragen
ausnahmslos die gleiche Frisur: Jennifer Aniston. Und alle Jungs bis auf zwei tragen
Anzug und Krawatte. Und selbstverständlich tragen sie alle einen drei- bis
sieben-Tage Bart. Kein einziger traut sich irgendeine andere (Bart)-Haartracht
zu.
Klar,
wenn man seine Kindheit mit Mode-Tutorials von sogenannten Influencern
verbringt und sich buchstäblich mit allen Teenagern auf der Welt abgleicht,
erhält man den perfekten Einheitsschüler.
Ein
Phänomen, das ich inzwischen auch bei den Teilnehmern von Trash-Shows
beobachtet habe, sofern in Tageszeitungen auf der „Buntes“-Seite abgebildet
wird, wer bei „Love-Island“ oder „Bachelor“ mitmacht.
Alle
Frauen blondiert, Extensions, aufgespritzte Lippen und mindestens zwei Pfund
Silikon in jeder Brust.
Alle
Männer braungebrannt, Muskeln, Tattoos, Uppercut, 7-Tage-Bart.
Ich kann
nicht daran glauben, daß wirklich 100 von 100 Männern 7-Tage-Bart am Schönsten
finden. Offensichtlich spielt Mode eine große Rolle. So wird es in den sozialen
Medien suggeriert, so sehen alle Erfolgreichen jetzt aus.
Es traut
sich einfach niemand mehr ein nacktes Kinn zu zeigen.
Die
Menschen stehen nicht mehr zu ihren eigenen Vorlieben und/oder sie entwickeln
sie gar nicht erst, weil ihnen sekündlich auf dem Klugtelefon präsentiert wird,
wie man auszusehen hat.
Man
folgt der Mode, weil viele der Mode folgen. Es wird Mode was die Masse möchte.
Geschmack
wird durch die sozialen Medien zu einer Art Herdentrieb reduziert.
Einen in
diese Richtung gehenden Effekt gibt es auch in der Parteipolitik durch die
unablässig veröffentlichten Umfragen. Täglich bekommen wir eine
Wasserstandsmeldung.
INSA
sagt am 16.01.2018, die
SPD läge nur noch bei 18,5% und schon greifen alle
Journalisten (trotz der fragwürdigen Insa-Seriosität) den Spin auf, die SPD
wäre nicht in Mode.
Der
Spin, mit dem über Parteien berichtet wird, spielt eine große Rolle.
Hat sie
FDP gute Zahlen, berichten auch die Journalisten mit positivem Unterton über
Lindner.
So
kommen die tatsächlich guten Wahlergebnisse in NRW und im Bund zustande.
Wähler
wählen gerne die Partei, von der sie einen Sieg erwarten.
Die
Partei, die in Mode ist und mutmaßlich zulegen wird.
Man will
nicht zu der Loser-Truppe gehören.
Wahlforscher
können messen wie sich unentschlossene Wähler noch im letzten Moment für die
Partei entscheiden, die mit größter Wahrscheinlichkeit gewinnen wird.
Wahlkämpfer
wissen dies und verbreiten daher nur zu gern für sie positive Umfragen, verschweigen
die Schlechten.
Dabei
könnte aus rational-taktischen Überlegungen auch gerade ein schlechter
Umfragewert dazu führen diese Partei zu wählen.
Aber wer
wählt schon rational? Bei der Bundestagswahl zählt Bauch und nicht Kopf.
Vor dem
24.09.2017 war eine Jamaika-Koalition
extrem unpopulär, lag weit abgeschlagen hinter Groko und Schwarzgelb.
Als es
wenige Tage später so aussah, als ob es nur zu Schwarzgelbgrün kommen könne und
entsprechende Verhandlungen aufgenommen wurden, maßen Infratest-Dimap und
Forschungsgruppe Wahlen einen enormen Boost. Plötzlich befürwortete auch eine
Mehrheit der Bundesbürger Jamaika.
Klar,
man nahm an, das werde kommen und wieder wollten alle zu den Gewinnern gehören.
Die
GroKo war unten durch.
Es
überraschte, als der eitle Lindner am 20.November 2017 Jamaika platzen ließ.
Der
Urnenpöbel mußte neu eingegroovt werden. Im Dezember schien die Groko als
einzig mögliche Alternative – und oh Wunder, am 15.12.2017 registrierte Infratest Dimap 61% Zustimmung
aller Bundesbürger zur Groko und sogar 68% Zustimmung der SPD-Wähler zur Groko.
Es
erfordert einige taktische Virtuosität, um auf den parteipolitischen Vorlieben
der Bundesbürger zu surfen, weil diese so volatil sind.
Wie wir
gesehen haben, ist Martin Schulz ein grottenschlechter Taktiker.
Flankiert
von seiner geistig verblüffend schlichten Kacke-Bätschi-Fresse-Generalsekretärin,
die mit ihrem „BÄTSCHI DAS WIRD GANZ SCHÖN TEUER- BÄTSCHI“-Gebrabbel ihrer
Partei suggeriert hatte, man können bei der Union nun so ziemlich alles
rausholen, was man wünsche, haben sie es geschafft das Blatt in nur 14 Tagen zu
wenden.
Nun mag nur noch eine Minderheit die Groko. 52% der
Befragten finden die Groko schlecht oder
weniger gut.
Die
Genossen haben wieder den Trend verpasst, verrennen sich in eine Sache, die
gerade extrem unmodisch geworden ist.
Keine
gute Idee im Jahr 2018, wenn so wenige Menschen selbst denken.
Zwei Wochen später, am 16.01.2018 ist Schulz‘ Trotteligkeit und Führungsunfähigkeit voll durchgeschlagen.
Martin
und Andrea haben sich nicht nur bei den Sondierungen übertölpeln lassen,
sondern waren auch noch völlig unfähig für sich selbst und ihre Ziele zu
werben.
Sie
haben nun die demoskopische Arschkarte.
[….]
Laut einer repräsentativen Umfrage sehen
die Bundesbürger die Unionsparteien mit Blick auf die Sondierungsergebnisse
klar im Vorteil: Die Hälfte der Wahlberechtigten (55 Prozent) ist der Ansicht,
dass sich CDU (38 Prozent) und CSU (17 Prozent) bei den Sondierungen am meisten
durchgesetzt haben, 15 Prozent sehen alles in allem die SPD im Vorteil. Die
SPD-Anhänger selbst machen den Verhandlungserfolg ebenfalls eher auf Seiten von CDU und CSU (53 Prozent) aus. Nur
jeder fünfte SPD-Anhänger (19 Prozent) vertritt die Meinung, die eigene Partei
habe sich in den Sondierungsgesprächen am stärksten durchgesetzt.
Von den drei Verhandlungsführern bei den
Sondierungsgesprächen - Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz -
hinterlässt die CDU-Vorsitzende mit Abstand das beste Bild bei den
Wahlberechtigten: Merkel wird von den Bundesbürgern jeweils mehrheitlich sowohl
Führungsstärke (77 Prozent) als auch Glaubwürdigkeit attestiert (59 Prozent).
Zugleich bestehen bei zwei Dritteln der Bundesbürger (67 Prozent) kaum Zweifel,
dass die CDU-Vorsitzende ihre eigene Partei momentan hinter sich hat.
Die parteiinterne
Kritik in Teilen der SPD an den Sondierungsergebnissen schlägt in der
Wahrnehmung des SPD-Bundesvorsitzenden dagegen deutlich negativ zu Buche:
Schulz gilt derzeit nur bei drei von zehn Wahlberechtigten (28 Prozent) als
führungsstark. Bei lediglich einem Drittel (34 Prozent) besteht zudem der
Eindruck, der SPD-Bundesvorsitzende habe seine Partei hinter sich.
Glaubwürdigkeit bescheinigen ihm 41 Prozent der Bundesbürger, 52 Prozent
dagegen nicht. [….]
Gute
Nacht, Martin Schulz.
Nun ist
nach 12 Jahren im Amt die Kanzlerin wieder in Mode.
Schulz
ist out. Und wer will schon eine Partei wählen, deren Chef so offensichtlich
out of fashion ist?
Erstaunliches
Missmanagement von Schulz, denn in der Umfrage bescheinigt eine Mehrheit der
Deutschen der SPD aus staatspolitischer Verantwortung zu handeln.
Der
größte Brocken, also den Wählern den Weg vom kategorischen Nein zur Groko zum
kategorischen Ja zur Groko zu erklären, ist aus dem Weg geräumt.
Eine
Groko könnte also auch demoskopisch für die SPD funktionieren.
Wenn die
Führung nur nicht so dämlich wäre.
*Ich fand Gruftis am Tollsten, färbte meine
Haare erst bunt und dann blauschwarz, kaufte jede Menge Haarspray. Schminke und
Schmuck hingegen lehnte ich ab. Das war vermutlich zu extrem für mich. Bei der
Linie blieb ich und fühle mich heute als Deutschlands letzter Mann, der ohne Tattoo,
ohne Piercing, ohne Ohrring, ohne Armband rumläuft.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen